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Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

  • Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Anfechtung der Beklagten führe nicht zum Erfolg, weil die Klägerin die Beklagte bei Abschluß des Arbeitsvertrages nicht arglistig getäuscht habe. Zwar habe sie von ihrer Schwangerschaft zu diesem Zeitpunkt bereits Kenntnis gehabt. Dennoch habe die Beklagte nicht anfechten können, weil die Klägerin nicht verpflichtet gewesen sei, die Frage nach der Schwangerschaft wahrheitsgemäß zu beantworten. Die Absicht der Beklagten, die Einstellung der Klägerin vom Nichtbestehen einer Schwangerschaft abhängig zu machen, verstoße gegen § 611a BGB. Diese – die Richtlinie 76/207/EWG umsetzende – Vorschrift sei europarechtskonform unter besonderer Beachtung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auszulegen. Danach sei es dem Arbeitgeber verwehrt, eine Schwangere bei einer vorgesehenen unbefristeten Beschäftigung wegen der Schwangerschaft nicht einzustellen, selbst wenn sie ihre Tätigkeit wegen gesetzlicher Beschäftigungsverbote zunächst nicht aufnehmen dürfe. Deshalb sei entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bereits die Frage nach einer Schwangerschaft unzulässig.
  • Dem folgt der Senat im Ergebnis und in wesentlichen Teilen der Begründung. Soweit der Senat bisher eine gegenteilige Auffassung vertreten hat, hält er daran nicht fest.

    I. Die Klage ist begründet.

    1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien besteht fort. Die von der Beklagten erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist unwirksam. Die vor der Einstellung an die Klägerin gerichtete Frage nach der Schwangerschaft verstieß gegen § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB. Diese Vorschrift ist europarechtskonform dahingehend auszulegen, daß die Frage nach der Schwangerschaft regelmäßig auch dann unzulässig ist, wenn sich die Bewerberin auf eine unbefristete Stelle bewirbt, die sie zunächst wegen des Eingreifens gesetzlicher Beschäftigungsverbote nicht antreten kann.

    2. Zur Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB berechtigt lediglich die wahrheitswidrige Beantwortung einer in zulässiger Weise gestellten Frage; eine solche setzt ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung voraus. Fehlt es hieran, ist die wahrheitswidrige Beantwortung nicht rechtswidrig (BAG 28. Mai 1998 – 2 AZR 549/97 – AP BGB § 123 Nr. 46 = EzA BGB § 123 Nr. 49). Davon ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen und hat zu Recht erkannt, daß die Frage nach der Schwangerschaft im Streitfall unzulässig war, weil sie gegen das gesetzliche Verbot des § 611a BGB verstieß.

    a) Nach § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses nicht wegen seines Geschlechts benachteiligen.

    b) Zwar hat der Senat – wie die Revision zu Recht geltend macht – bisher angenommen, die Frage nach der Schwangerschaft sei zulässig, wenn für die Arbeitnehmerin von vornherein ein gesetzliches Beschäftigungsverbot (§ 4 MuSchG) eingegriffen hätte (1. Juli 1993 – 2 AZR 25/93 – AP BGB § 123 Nr. 36 = EzA BGB § 123 Nr. 39).

    c) Daran hält der Senat jedoch nicht fest.

    aa) Die Vorschrift des § 611a BGB beruht auf der Umsetzung der Richtlinie 76/207/EWG (ABl. Nr. L 39/40) durch den deutschen Gesetzgeber. Ein nationales Gericht muß die Auslegung innerstaatlichen Rechts soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck einschlägiger Richtlinien ausrichten, um das mit ihnen verfolgte Ziel zu erreichen (BAG 2. April 1996 – 1 ABR 47/95 – BAGE 82, 349). Dieser Grundsatz folgt aus dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht. Dabei kommt der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes besondere Bedeutung zu.

    bb) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist die Benachteiligung einer schwangeren Bewerberin bei der Einstellung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis wegen Verstoßes gegen die Richtlinie 76/207/EWG unzulässig, wenn die Bewerberin ihre Arbeit nach Ablauf von gesetzlichen Schutzfristen wieder aufnehmen kann. Das gilt auch dann, wenn sie zu Beginn des Arbeitsverhältnisses wegen eines gesetzlichen Beschäftigungsverbotes nicht beschäftigt werden kann. Die Benachteiligung würde in diesen Fällen auf dem Geschlecht beruhen.

    Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 5. Mai 1994 (– Rs. C-421/92 – Gabriele Habermann – Beltermann/Arbeiterwohlfahrt – EUGHE I 1994, 1657 = AP EWG-Richtlinie Nr. 76/207 Art. 2 Nr. 3) schließen Art. 2 Abs. 1 iVm. den Artikeln 3 Abs. 1 und 5 Abs. 1 Richtlinie 76/207/EWG die Anfechtung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber nach § 119 Abs. 2 BGB aus, wenn die unbefristet eingestellte Arbeitnehmerin ihrer Tätigkeit wegen eines während der Schwangerschaft und des Stillens geltenden Nachtarbeitsverbotes zeitweise nicht nachgehen kann. Dabei hat der Europäische Gerichtshof als maßgeblich angesehen, daß es um einen Vertrag auf unbestimmte Zeit ging und daß das Nachtarbeitsverbot für Schwangere nur für eine gegenüber der Gesamtdauer des Vertrages beschränkte Zeit wirkte. Eine andere Betrachtung liefe nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes dem Schutzzweck der Richtlinie zuwider und würde ihr die praktische Wirksamkeit nehmen.

    Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG schließen darüber hinaus die Entlassung einer Arbeitnehmerin aus, die auf unbestimmte Zeit eingestellt wurde, um zunächst eine andere Arbeitnehmerin während deren Mutterschaftsurlaubs zu vertreten, und diese Vertretung nicht gewährleisten kann, weil sie selbst kurz nach der Einstellung schwanger wird (EuGH 14. Juli 1994 – Rs. C-32/93 – Carole Louise Webb/EMO Air Cargo ‘AUK’S ltd. – EUGHE I 1994, 3567 = AP MuSchG 1968 § 9 Nr. 21). Die Entlassung kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht mit der Unfähigkeit der Frau begründet werden, ihre Arbeit aufzunehmen (EuGH aaO Rn. 26). Die Beendigung des Vertrages lasse sich auch nicht dadurch rechtfertigen, daß die Arbeitnehmerin nur zeitweilig daran gehindert sei, die Arbeit zu verrichten, für die sie eingestellt worden sei (EuGH aaO Rn. 27).

    Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 3. Februar 2000 (– Rs. C-207/98 – Mahlburg/Mecklenburg-Vorpommern – EUGHE I 2000, 549 = AP BGB § 611a Nr. 18) verbietet Art. 2 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 76/207/EWG es, eine Schwangere deshalb nicht auf eine unbefristete Stelle einzustellen, weil sie für die Dauer der Schwangerschaft wegen eines auf ihren Zustand folgenden gesetzlichen Beschäftigungsverbots auf dieser Stelle von Anfang an nicht beschäftigt werden darf (vgl. auch EuGH 4. Oktober 2001 – Rs. C 109/00 – AP EWG-Richtlinie Nr. 76/207 Nr. 27).

    In Übereinstimmung mit dieser gefestigten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geht der Senat davon aus, daß die Frage nach einer Schwangerschaft bei (geplanten) unbefristeten Arbeitsverhältnissen regelmäßig gegen die Richtlinie 76/207/EWG verstößt (vgl. APS/Linck § 611a BGB Rn. 54; KR-Pfeiffer 6. Aufl. § 611a BGB Rn. 33; Kamanabrou Anm. zu EuGH 4. Oktober 2001 – Rs. C-438/99 – EzA BGB § 611a Nr. 17). Maßgeblich ist, daß die Bewerberin bei einem unbefristeten Arbeitsverhältnis nach Ablauf des Mutterschutzes in der Lage ist, der vertraglich vorgesehenen Tätigkeit nachzugehen. Das vorübergehende Beschäftigungshindernis tritt bei wertender Einbeziehung des Schutzzwecks der Richtlinie zurück. Ein bestimmtes Geschlecht ist nicht “unverzichtbare Voraussetzung” (§ 611a Abs. 1 Satz 2 BGB) für die auszuübende Tätigkeit. Denn nach Ablauf der Schutzfristen kann die Frau die vereinbarte Arbeit leisten. Das nach dem unbefristeten Arbeitsvertrag vorausgesetzte langfristige Gleichgewicht ist durch das jedenfalls befristete Beschäftigungsverbot nicht entscheidend gestört. Die erkennbare Zielrichtung der Frage nach der Schwangerschaft besteht dagegen darin, die Bewerberin bei einer Bejahung der Frage schon wegen der Schwangerschaft, folglich wegen des Geschlechts, nicht einzustellen. Eben dies will § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB verhindern.

    II. Die Kosten der erfolglos gebliebenen Revision fallen der Beklagten nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.