LAG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 16.08.1996 - 4 Ta 162/96
Entscheidungsstichwort (Thema)
Entzug von PKH wegen Tauschens des Gerichts. Aufhebung der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe
Leitsatz (amtlich)
1) Das Arbeitsgericht kann seinen Beschluß über die Bewilligung von Prozekostenhilfe gem. § 124 Nr. 1 ZPO nachträglich aufheben, wenn die Partei wesentliche Punkte für die Beurteilung des Sachverhalts durch Verschweigen nicht dargelegt hat und das Gericht aufgrund der gelieferten Angaben im Bewilligungszeitpunkt zunächst eine umfassende Einschätzung des Sachverhalts nicht vornehmen konnte.
2) Dies ist der Fall, wenn sich ein Student auf eine gegen § 611 b BGB verstoßende ausgeschriebene Stelle vergebens beworben hat, er daraufhin vom Arbeitgeber Schadensersatz nach § 611 a Abs. 2 BGB fordert und sich erst im Laufe des Rechtsstreits gewichtige Anhaltspunkte mehren, daß der Student nicht die Absicht hatte, die Stelle tatsächlich zu erlangen. Hierfür spricht u.a., wenn sich der Student in mehr als 100 Fällen gerade auf solche Stellen bewirbt, die nicht geschlechtsneutral ausgeschrieben sind und er dann jeweils vom Arbeitgeber Schadensersatz fordert mit der Begründung, er habe nur wegen seines Geschlechts die ausgeschriebene Position nicht erlangt.
Tenor
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen denBeschluß des Arbeitsgerichts Koblenz vom24. Juli 1996 – 1 Ca 3006/95– wird auf Kosten des Beschwerdeführers zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Im vorliegenden Verfahren verlangt der Kläger von der Beklagten Schadensersatz gemäß § 611 a Abs. 2 BGB, weil er sich erfolglos auf eine Stelle für eine „kaufmännische Mitarbeiterin” für die Außenstelle L. der Beklagten beworben hat. Auf den Inhalt des Bewerbungsschreibens des Klägers vom 21. Aug. 1995 nebst 3 Anlagen wird hiermit Bezug genommen.
Der Kläger hat sich im vorliegenden Verfahren darauf berufen, die Beklagte habe nur im Hinblick auf sein Geschlecht seine Bewerbung abgelehnt, was schon daraus zu entnehmen sei, daß die in der …-Zeitung vorgenommene Stellenausschreibung nicht geschlechtsneutral abgefaßt gewesen sei.
Die Beklagte hat bestritten, dem Kläger den Arbeitsplatz im Hinblick auf sein Geschlecht nicht übertragen zu haben. Vielmehr seien bestimmte Angaben des Klägers in seinen Bewerbungsunterlagen für die Ablehnung ausschlaggebend gewesen. Auch bestreite sie, daß der Kläger als Student überhaupt eine ernsthafte Bewerbungsabsicht gehabt habe. Das Arbeitsgericht hat durch Beschluß vom 15. April 1996 dem Kläger auf seinen Antrag hin Prozeßkostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 9. Mai 1996 hat der Kläger auf Frage des Gerichts angegeben, er habe mehrere hundert Bewerbungsschreiben auf weibliche Ausschreibungen verschickt und inzwischen 5–6 Prozesse bei verschiedenen Arbeitsgerichten laufen.
Nach Anhörung des Klägers hat das Arbeitsgericht durch Beschluß vom 24. Juli 1996 seinen früheren Beschluß über die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe wieder aufgehoben. In der Begründung hat das Arbeitsgericht angegeben, der Kläger habe mit seiner Klage den Eindruck erweckt, er sei tatsächlich ernsthaft an der von der Beklagten öffentlich ausgeschriebenen Stelle interessiert gewesen. Aufgrund seiner hundertfach bundesweit getätigten Bewerbungen sei jedoch eine ernsthafte Bewerbungsabsicht bei der Beklagten nur schwerlich vorstellbar. Damit lägen aber auch die Voraussetzungen von § 124 Nr. 1 ZPO für eine Aufhebung der Bewilligungsentscheidung vor.
Gegen diesen Beschluß hat der Kläger
Beschwerde
eingelegt, da nach seiner Auffassung die Voraussetzungen von § 124 Nr. 1 ZPO offenkundig nicht erfüllt seien.
Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die zu den Sitzungsniederschriften getroffenen Feststellungen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die statthafte Beschwerde ist gemäß §§ 127 Abs. 2 S. 2, 567 ff ZPO zulässig.
In der Sache ist das Rechtsmittel allerdings nicht begründet.
Mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht mit Beschluß vom 24. Juli 1996 seinen früheren Bewilligungsbeschluß aufgehoben.
Nach § 124 Nr. 1 ZPO kann das Gericht die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe aufheben, wenn die Partei durch unrichtige Darstellung des Streitverhältnisses die für die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe maßgebenden Voraussetzungen vorgetäuscht hat. Wie schon das Arbeitsgericht ist auch das Beschwerdegericht davon überzeugt, daß dies durch den Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren geschehen ist.
Zwar bietet § 124 Nr. 1 ZPO keine allgemeine Handhabe dafür, daß ein Gericht die bewilligte Prozeßkostenhilfe allgemein wieder aufheben kann, wenn es im nachhinein zu einer anderer Beurteilung der Rechtslage kommt. Erforderlich für die Aufhebung nach § 124 Nr. 1 ZPO ist, daß das Gericht im Zeitpunkt der tatsächlichen Bewilligung in einem Irrtum über die Voraussetzungen der Erfolgsaussicht und bzw. oder des Fehlens von Mutwilligkeit gehandelt hat und der Antragsteller gerade durch seine unrichtige Darstellung die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe erreicht hat. Es muß also zwischen der Täuschungshandlung und der Irrtumserregung und der ihr folgenden Bewilligung eine Ursächlichkeit bestanden haben (vgl. Baumbach-Hartmann, ZPO, 54. Auflage, § 124, Rz 31 f).
Zwar könnten im Streitfalle an der Kausalität zwischen Irrtumserregung und der erfolgten Bewilligung insoweit Bedenken bestehen, als die Beklagte bereits in ihrem Schriftsatz vom 2. April 1996 auf den Seiten 10 und 11 Bedenken geäußert hat, ob der Beschwerdeführer seine Bewerbungen auf die Stellenausschreibung überhaupt mit Ernsthaftigkeit betrieben hat. Diese Bedenken wurden jedoch durch den Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz vom 12. April 1996 nachhaltig bestritten. Daraufhin hat das Arbeitsgericht mit Beschluß vom 15. April 1996 dem Beschwerdeführer Prozeßkostenhilfe bewilligt. Auch mag die Klage des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Bewilligung der Prozeßkostenhilfe durch das Arbeitsgericht im Hinblick auf sein bloß unsubstantiiertes Bestreiten der vorgetragenen Tatsachen der Beklagten für seine Ablehnung im Besetzungsverfahren keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.v. § 114 ZPO gehabt haben, obwohl den Arbeitgeber nach § 111 a Abs. 3 BGB die Beweislast für eine fehlende geschlechtsmotivierte Benachteiligung trifft (vgl. Palandt, BGB, 55. Auflage, § 611 a, Rz 14 f).
Der Beschwerdeführer hat mehrere hundert Bewerbungsschreiben auf weibliche Ausschreibungen bundesweit verschickt, um dann jeweils von den Arbeitgebern Schadensersatz nach § 611 b i.V.m. § 611 a Abs. 2 BGB zu fordern. Nach Angaben des Beschwerdeführers führt er deswegen inzwischen bereits 5–6 Prozesse bei verschiedenen Arbeitsgerichten in Deutschland. Der Beschwerdeführer ist nach dem eigenen Sachvortrag Student an der Universität in T. Dieses Faktum wird auch gestützt durch die Angabe einer virtuellen Postfachadresse in der Uni T. in den Schriftsätzen des Beschwerdeführers. Nach den Angaben des Beschwerdeführers in seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bezieht der Beschwerdeführer Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Gerade letzterer Umstand gibt Aufschlüsse darüber, daß der Beschwerdeführer nicht nur ein Scheinstudent ist, sondern daß er sein Studium ernsthaft betreibt. Nach § 15 Abs. 1 BAföG erhält der Auszubildende Ausbildungsförderung nur, wenn er eine Ausbildung aufgenommen hat. Um zu verhindern, daß bloß eingeschriebene aber das Studium nicht ernsthaft betreibende Studenten Ausbildungsförderung erhalten, haben die Hochschulen gemäß §§ 48, 47 BAföG ein Zeugnis bzw. eine Bescheinigung dem Auszubildenden zu erteilen, daß er bis zum Ende des jeweils erreichten Fachsemesters die üblichen Leistungen erbracht hat. Um eine entsprechende Beurkundung hat sich der Auszubildende zu bemühen. Diese erhält er somit nur, wenn er ein geordnetes Studium unter Erbringung der geforderten Leistungen nachweist und absolviert. Berücksichtigt man darüberhinaus, daß der Beschwerdeführer nach seinen eigenen Bekundungen sich jeweils auf Ausschreibungen bewirbt, die unter Verstoß gegen § 611 b BGB nicht geschlechtsneutral ausgeschrieben sind, so ist auch das erkennende Gericht davon überzeugt, daß der Beschwerdeführer nie den ernsthaften Willen hatte, die ausgeschriebene Stelle tatsächlich anzutreten. Der Beschwerdeführer kann nicht mit Regelmäßigkeit ganztags in L. die von der Beklagten geforderten Sekretariatsarbeiten verrichten und gleichzeitig ein geordnetes Studium an der Universität T. betreiben. Damit hat der Beschwerdeführer dem Gericht in seinen Schriftsätzen bis zur Bewilligung von Prozeßkostenhilfe vorgetäuscht, daß seine Bewerbung bei der Beklagten mit dem ernsthaften Ziel geschehen ist, gegebenenfalls die ausgeschriebene Stelle auch anzutreten. Gegen letztere Annahme spricht auch der Inhalt der Bewerbungsunterlagen. Zwar ist das Bewerbungsschreiben des Beschwerdeführers vom 21. Aug. 1995 im Hinblick auf die ausgeschriebene Stelle durchaus interessant und für die in der Ausschreibung geforderten Tätigkeiten auch vielversprechend. Allerdings enthalten Teile seines tabellarischen Lebenslaufes Angaben, die üblicherweise in Bewerbungen nicht getätigt werden und aufgrund derer der Beschwerdeführer gerade damit rechnen konnte, daß er aufgrund dieser Angaben bereits nicht in die engere Vorauswahl kommen wird. So gibt der Beschwerdeführer an, er habe Arbeiten als „Grillverkäufer, Pizzafabrikarbeiter” und ähnliche Tätigkeiten verrichtet. Bei der geschilderten Berufserfahrung führt der Beschwerdeführer aus: „… Mein Interesse gilt vor allem dem Wort und anderen Menschen. Weiter begeistere ich mich für Dichtung und Photographie, weshalb ich nach neuen Eindrücken für mein künstlerisches Schaffen suche. …” Die Kombination derartiger Angaben in den Bewerbungsunterlagen eröffnen dem Bewerber für die konkret ausgeschriebene Position für gehobene Sekretariatsarbeiten bei den heutigen Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt keine ernsthaften Aussichten, die Stelle tatsächlich zu erlangen. Dementsprechend hat die Beklagte schon in ihrem Schriftsatz vom 17. Jan. 1996 darauf hingewiesen, daß diese Angaben sie davon abhielten, dem Beschwerdeführer die ausgeschriebene Position zu übertragen. Überhaupt ist nach Auffassung des Berufungsgerichts die Bewerbung des Beschwerdeführers äußerst geschickt gefaßt. Er hat vielversprechende Angaben in seinem Bewerbungsschreiben gemacht, gleichzeitig jedoch versteckte Hinweise gegeben, aufgrund derer er sicher sein konnte, daß die Beklagte ihm die ausgeschriebene Position nicht übertragen werde.
Aus alledem ist auch das Beschwerdegericht davon überzeugt, daß der Beschwerdeführer entgegen seiner prozessualen Behauptung keine ernsthafte Bewerbungsabsicht hatte, sondern lediglich darauf aus war, unter rechtsmißbräuchlicher Ausnutzung der gesetzlichen Bestimmungen der §§ 611 b, 611 a BGB von schlafmützigen Arbeitgebern Geld kassieren zu können (vgl. hierzu auch Ehrich, Eine Entschädigung nach § 611 a Abs. 2 BGB – Ein neuer „Nebenverdienst”?, BB 1996, 1007).
Der Beschwerdeführer hat dem Arbeitsgericht aber bis zum Erlaß des Prozeßkostenhilfebewilligungsbeschlusses in seinem ganzen schriftsätzlichen Vorbringen vorgetäuscht, er habe eine ernsthafte Bewerbungsabsicht gehabt. Erst aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 9. Mai 1996 vor dem Arbeitsgericht und der unterbliebenen Erfüllung der dem Beschwerdeführer mit Beschluß vom 9. Mai 1996 erteilten Auflage, konnte sich das Arbeitsgericht ein umfassendes Bild über die Darstellung des Streitverhältnisses durch den Beschwerdeführer machen.
Dem Beschwerdeführer waren die Kosten des Beschwerdeverfahrens gemäß § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. Nr. 9301 des Gebührenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 12 Abs. 2 ArbGG aufzuerlegen.
Ein Rechtsmittel ist gegen diese Entscheidung nicht gegeben (§ 78 Abs. 2 ArbGG).