BAG Urteil vom 20.07.1994 - 5 AZR 627/93
Leitsatz (amtlich)
- Der Status eines Beschäftigten richtet sich danach, wie die Vertragsbeziehung nach ihrem Geschäftsinhalt objektiv einzuordnen ist. Wird der Vertrag abweichend von den ausdrücklichen Vereinbarungen vollzogen, ist in aller Regel die tatsächliche Durchführung maßgebend (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung; vgl. zuletzt BAG Beschluß vom 30. Oktober 1991 – 7 ABR 19/91 – AP Nr. 59 zu § 611 BGB Abhängigkeit, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).
- Die tatsächliche Durchführung des Vertrages ist dann nicht maßgebend, wenn den Unternehmer das Verhalten der unmittelbar Handelnden nicht zugerechnet werden kann (vgl. BAG Urteil vom 27. Januar 1993 – 7 AZR 476/92 –, n.v.).
- Die Grundsätze der (Duldungs- und) Anscheinsvollmacht finden Anwendung. Entscheidend ist, ob der Vertretene die (abweichende) Vertragsdurchführung hätten erkennen und verhindern können, und ob der Beschäftigte nach Treu und Glauben annehmen konnte, der Vertretene wisse davon und billige dies.
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 24.02.1993; Aktenzeichen 3 Sa 102/92) |
ArbG Stuttgart (Urteil vom 23.09.1992; Aktenzeichen 11 Ca 8469/91) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 24. Februar 1993 – 3 Sa 102/93 – aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23. September 1992 – 11 Ca 8469/91 – wird zurückgewiesen.
Der Tenor des Urteils des Arbeitsgerichts wird in Nr. 1 zur Klarstellung wie folgt gefaßt:
Es wird festgestellt, daß sich der Kläger bei der Beklagten seit dem 01. November 1990 in einem Arbeitsverhältnis befindet.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht.
Der Kläger arbeitet seit April 1990 für die Redaktion “Nachrichten Baden-Württemberg” der Beklagten. Diese Redaktion ist eine von vier der im Jahr 1991 geschaffenen Hauptabteilung “Landesprogramm Baden-Württemberg” zugeordneten Redaktionen. Für sie sind fünf Angestellte und etwa 26 nach Ansicht der Beklagten freie Mitarbeiter tätig.
Der Kläger ist überwiegend als Redakteur und Chef vom Dienst (CvD) tätig. Nach einer Zusammenstellung der Beklagten hatte er von Januar bis Juni 1992 folgende Einsätze:
Chef vom Dienst |
22 |
Produzent |
1 |
Redaktion |
45 |
redaktionelle Mitarbeit |
23 |
Schlußredaktion |
15 |
Redaktionssitzung |
1 |
Der Kläger erzielte bei der Beklagten im Jahre 1991 Einkünfte in Höhe von knapp 100.000,00 DM.
In einer mit “Dienste der Nachrichtenredaktion” überschriebenen Zusammenstellung der Beklagten heißt es u.a.:
CvD ASN
ist für die Abendschau-News (ASN) verantwortlich und stellt die Inhalte zusammen. Enge Abstimmung mit der AS-Redaktion und dem LS-Planer. Da auch Welt/Bund-Anteil, sichtet er alle Agenturen und muß sozusagen die Weltnachrichtenlage “im Griff” haben. Kauft auch Beiträge von der TS oder von anderen Dritten Programmen ein.
CvD SWA
Ähnlich wie CvD ASN, aber längere Sendung. Hat sicherzustellen, daß dem Zuschauer in Südwest Drei am Abend ein umfassender Überblick über die Nachrichtenlage im Land und in der Welt geboten wird.
Unter dem 30. Oktober 1991 richtete der damalige Leiter der Nachrichtendredaktion “an alle Mitarbeiter von Südwest-Aktuell und Abendschau-Nachrichten” folgendes Schreiben:
“um die Entscheidungsprozesse bei der Landesberichterstattung transparenter zu machen und auch um direkt an der Quelle Kritik üben zu können bitte ich Sie, bei Interesse und bei Diskussionsbedarf um 12.00 Uhr zur LANDESSCHAU-Sitzung zu kommen.
Bei der SÜDWEST AKTUELL-Sitzung um 14.00 Uhr wird künftig kein LS-Mitarbeiter mehr teilnehmen.
Die Teilnahme des CVD – AS – NEWS und des CVD – SWA an der 12.00 Uhr-Sitzung ist dagegen verbindlich.
Diese Regelung gilt ab Montag, den 04.11.1991.”
In einem weiterem Schreiben vom 25. Februar 1992 heißt es:
“… teile ich ihnen mit, daß nun endgültig die Sendung AKTUELL im Jahre 1992, Samstag um 18.30 Uhr, wie folgt gefahren wird:
Sie wird betreut von der Redaktion LANDESSCHAU, die dafür einen zusätzlichen Mitarbeiter einplant. Die Sendung hat im Regelfall einen hundertprozentigen Landesanteil, es sei denn, überregional passiert etwas von überragendem Nachrichtenwert, das dann selbstverständlich zumindest als Wort vermeldet werden muß.
Diese Regelung tritt mit Beginn des neuen Dienstplanes in Kraft, also erstmals am 04. April 1992.”
Für die verschiedenen Dienste der Nachrichtenredaktion werden – meist für sechs Wochen – im voraus Dienstpläne erstellt. Die von der Beklagten herausgegebenen “Grundsätze der Dienstplangestaltung” lauten auszugsweise wie folgt:
- Für die Aufstellung der Dienstpläne ist der Redaktionsleiter bzw. ein von ihm beauftragter festangestellter Mitarbeiter zuständig. …
-
Die Dienstpläne umfassen regelmäßig einen Zeitraum von 4 – 6 Wochen. Herr B… stellt dazu die von den Mitarbeitern schon angemeldeten “Fehlzeiten” und sonstigen Wünsche fest. Berücksichtigt werden z.B.:
- Wer für welche Zeit Urlaub angemeldet/ beantragt hatte;
- wer für welche Zeit Fortbildungsveranstaltungen besucht;
- wer aufgrund regelmäßiger anderweitiger Verpflichtungen über bestimmte Zeiten nicht zur Verfügung steht (z.B. bei Frau L… : Verpflichtung als Moderatorin beim RIAS);
- wer für welche Termine und für welche Dienstarten schon besondere Dispositionswünsche geäußert hat, sei es auf familiären oder sonstigen beruflichen Gründen (z.B. wollte Herr … nach der Geburt seines Kindes im Jahre 1991 möglichst keine Abenddienste und keine Wochenenddienste mehr leisten).
-
Steht nach diesem Verfahrensabschnitt fest, wer wann für welche Dienste zur Verfügung steht, werden diese Mitarbeiter in einem nächsten Verfahrensschritt für die einzelnen Funktionsdienste eingeplant. Dabei spielen folgende Kriterien eine Rolle:
-
Arbeitsvertragliche Festlegungen bei den festangestellten Mitarbeitern
Festangestellte Mitarbeiter werden vorrangig in den Funktionsdiensten und entsprechend den jeweiligen arbeitsvertraglichen Festlegungen und den Tätigkeitsmerkmalen der jeweiligen Tarifgruppen eingesetzt. …
Bei freien Mitarbeitern gibt es solche Beschränkungen nicht. Sie werden, wenn sie damit einverstanden sind, möglichst breit und vielseitig für alle unmittelbar programmbezogenen Arbeiten eingesetzt.
-
Tarifvertragliche Arbeitszeitbestimmungen
Weiteres Kriterium ist die Berücksichtigung der tarifvertraglichen Arbeitszeitbestimmungen (5-Tage-Woche) bei den festangestellten Mitarbeitern. Begleitend zur Dienstplanung muß laufend überwacht werden, daß Wochenenddienste innerhalb der dafür tarifvertraglich vorgesehen Fristen in Freizeit ausgeglichen werden.
…
Ein solcher Freizeitausgleich findet bei freien Mitarbeitern nicht statt. Freie Mitarbeiter werden für jeden Tageseinsatz gesondert honoriert, arbeitszeitliche Begrenzungen gibt es nicht. Der Wunsch, am Wochenende nicht eingeteilt zu werden, wird allerdings respektiert. Ansonsten wird versucht, während des Durchlaufs eines Dienstplanes die Wochenendeinsätze und die sogenannten Früh- und Spätschichten (Frühschicht: sie endet regelmäßig um 19.00 Uhr nach der Abendschau; Spätschicht: sie endet gegen 20.00 Uhr, 21.15 Uhr nach der Landesschau bzw. nach Südwest aktuell) möglichst gleichmäßig und damit gerecht mit den freien Mitarbeitern zu vereinbaren.
-
-
Entsprechend den vorgenannten Kriterien entsteht dann eine Vorlauffassung des Dienstplans (maschinengeschrieben). … Diese Vorlauffassung hat keinen verbindlichen Charakter in dem Sinne, daß danach Änderungswünsche der Mitarbeiter ausgeschlossen wären. Wie der Aufstellung “Änderungen im Dienstplan” entnommen werden kann, gibt es während des Durchlaufs eines Dienstplanes laufend noch aktuelle Änderungen. Diese werden dann handschriftlich im Dienstplan vermerkt. …
Die aktuelle Fassung des Dienstplanes liegt … im Sekretariat bei Herrn B… aus und kann dort von den Mitarbeitern jederzeit zur Einsicht genommen werden. Die für beide Seiten letztlich verbindliche Dienstplangestaltung erfolgt also genaugenommen von Tag zu Tag, so, wie es letztendlich mit den freien Mitarbeitern vereinbart wurde.
In einer “Anlage zum Dienstplan” vom 19. April 1991 heißt es u.a.:
Neu im Dienstplan ist die Position Redakteur vom Dienst bei Südwest Aktuell. Dieser Dienst soll wie besprochen in erster Linie der längerfristigen Planung von Südwest Aktuell dienen und über den Tag hinaus Beiträge vorbereiten (sowohl eigene Beiträge als auch von Korrespondenten). Gestrichen ist dagegen die Position Redaktion Abendschau News/Südwest Aktuell. Dieser Dienst ist momentan nicht mehr notwendig, die CvD's der einzelnen Sendungen können jedoch Kollegen dazu verpflichten, bei ihnen mitzuhelfen, falls Bedarf besteht.
Unter dem 10. Februar 1992 richtete der Leiter der Hauptabteilung “Landesprogramm Baden-Württemberg” an den Kläger und eine Kollegin folgendes Schrieben:
“…
verabredungsgemäß bestätige ich Ihnen, daß Sie im Rahmen Ihrer Arbeit ab sofort in der HA FS-Landesprogramm als Mitarbeiter der Nachrichtenredaktion schwerpunktmäßig für die redaktionelle Vorbereitung der Landtagswahl eingesetzt werden.
Sie werden weiterhin disponiert durch die Nachrichtenredaktion und werden nach dem 6. April in die üblichen Redaktionsdienste des Dienstplans wieder eingeplant.”
Die Beklagte behandelt den Kläger als sogenannten festen freien Mitarbeiter gemäß den mit ihr abgeschlossenen Tarifverträge für arbeitnehmerähnliche Personen. Der Kläger erhält “Honorare”, die nach Art und Anzahl der geleisteten Dienste errechnet werden. Er hat Anspruch auf Urlaub und auf Zahlungen im Krankheitsfall.
In einem “an alle Kolleginnen und Kollegen der Fernseh-Nachrichtenredaktion” gerichteten Schreiben vom 5. Mai 1992 heißt es:
“…
um mögliche Engpässe bei der Dienstplanung vermeiden zu können, bitte ich nocheinmal, mir die Urlaubswünsche für Sommer und Herbst bis zum 15. Mai mitzuteilen.
Ich gehe davon aus, daß alle, die sich bis dahin nicht gemeldet haben, für Dienste eingeteilt werden können.
Außerdem bitte ich künftig auch bei kürzerer Abwesenheit (verlängertes Wochenende, Fortbildung) und bei kurzfristigen Terminen um schriftliche Mitteilung.”
Der Kläger hat geltend gemacht, er sei Arbeitnehmer der Beklagten. Deren Weisungsrecht ergebe sich aus der Erstellung der Dienstpläne und einer Vielzahl von Schreiben, die als Dienstanweisungen anzusehen seien. Bei der Erstellung der Dienstpläne würde zwar im allgemeinen auf die geäußerten Urlaubswünsche Rücksicht genommen, im übrigen habe er, der Kläger, auf deren Ausgestaltung keinerlei Einfluß. Nur theoretisch bestehe die Möglichkeit, Dienste, zu denen er eingeteilt worden sei, abzulehnen. Das hätte aber zwangsläufig zur Folge, daß die Beklagte ihn nicht weiterbeschäftigen würde.
Weiter hat der Kläger vorgetragen: Er erbringe seine Arbeitsleistung nach festen Arbeitszeiten im Team, in den Räumen und mit den Arbeitsmitteln der Beklagten. Seinen Urlaub müsse er nicht nur rechtzeitig vorher anmelden, sondern darüberhinaus genehmigen lassen. Dies geschehe nur dann, wenn sich nicht mehr als fünf andere Redakteure im Urlaub befänden. Auch bei ihm ein beantragter freier Tag (21. Mai 1992) verwehrt worden mit der Begründung, die Redaktion sei personell zu knapp besetzt.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß er sich bei der Beklagten in einem Arbeitsverhältnis befindet.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, der Kläger sei freier Mitarbeiter. Dazu hat sie vorgetragen: Der Kläger könne Art und Umfang seiner Tätigkeit selbst bestimmen. Eine rechtliche Verpflichtung, ihr in bestimmten zeitlichen Umfang zur Verfügung zu stehen, bestehe nicht. Insbesondere könne der Kläger frei darüber entscheiden, welche der im Dienstplanentwurf ihm angebotenen Dienste er annehmen wolle. Sie, die Beklagte, halte sich an die von ihr selbst aufgestellten “Grundsätze der Dienstplangestaltung”. Ein Direktionsrecht gebe es in diesem Zusammenhang nicht; vielmehr würden die Dienstpläne nach den Wünschen und Vorstellungen der Mitarbeiter erstellt. Die Mitarbeiter würden in großem Umfang Dienste untereinander tauschen und noch nachträglich mit ihr, der Beklagten, neue, andere Dienste vereinbaren. Der Kläger entscheide frei, welche Tätigkeit er bei der Beklagten übernehmen wolle. Habe er sich aber einmal zu einer bestimmten Tätigkeit entschlossen, müsse er sich auch an die durch die Herstellung der Sendung vorgegebenen Zwangspunkte halten. Hinsichtlich des Urlaubs sei stets so, wie im Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen vorgesehen, verfahren worden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben; das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner durch Senatsbeschluß vom 21. Juli 1993 zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.