BAG Urteil vom 30.05.1985 - 2 AZR 321/84
Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung eines Hafeneinzelbetriebsarbeiters
Leitsatz (amtlich)
1. Inner- oder außerbetriebliche Umstände begründen nur dann ein dringendes betriebliches Erfordernis iS des § 1 Abs 2 KSchG, wenn sie sich konkret auf die Einsatzmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers auswirken.
2. Diese Voraussetzung ist nicht nur dann erfüllt, wenn die veränderten betrieblichen Verhältnisse zum Wegfall eines „bestimmten Arbeitsplatzes” führen. Es genügt vielmehr, wenn aufgrund der außer- oder innerbetrieblichen Gründe das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entfallen ist (Bestätigung und Klarstellung von BAG 7.12.1978 2 AZR 155/77 = BAGE 31, 157 = AP Nr 6 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).
Orientierungssatz
Ein Betrieb ist „die organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber mit seinem oder seinen Arbeitnehmer(n) durch Einsatz technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Einzelbedarf erschöpfen”.
Verfahrensgang
LAG Bremen (Entscheidung vom 29.02.1984; Aktenzeichen 2 Sa 112/83) |
ArbG Bremen (Entscheidung vom 15.02.1983; Aktenzeichen 4b Ca 4269/82) |
Tatbestand
Der Kläger war seit dem 14. Juli 1980 als Hafenarbeiter im Hafen Bremen-Stadt für die Beklagte tätig, zuletzt gegen eine Vergütung von 2.000,– DM brutto im Monat. Die Beklagte beschäftigte als größter Hafeneinzelbetrieb der bremischen Häfen in ihrem Betrieb Bremen-Stadt am 1. Januar 1981 1.815 Arbeitnehmer, am 1. Januar 1982 1.706, Ende Oktober 1982 noch rund 1.624 und Ende 1982 1.587 Arbeitnehmer. Unter dem 29. Oktober 1982 richtete die Beklagte an den Gesamtbetriebsrat zu Händen der Herren S und G, die auch Vorsitzender bzw. stellvertretender Vorsitzender des Bremer Betriebsrates waren, ein Schreiben, in dem sie ihn unter Bezugnahme auf ihre Berichte in einer Betriebsversammlung vom 10. Oktober 1982, im Wirtschaftsausschuß am 11. Oktober 1982, im Aufsichtsrat am 19. Oktober 1982 und im Mitarbeiterbericht für das III. Quartal 1982 vom Oktober 1982 über ihre wirtschaftliche und personelle Situation sowie die Personalsituation des Gesamthafenbetriebs und geplante Personalmaßnahmen unterrichtete. Der Betriebsrat des Betriebes Bremen-Stadt erhielt eine Kopie dieses Schreibens und die dazugehörigen Anlagen. Darin wies sie darauf hin, im III. Quartal 1982 sei der Export um 22,6 % und der Stückgutumschlag um 18 % zurückgegangen. Die Situation habe sich im Oktober 1982 nicht gebessert. Die Zahl der von Arbeitnehmern „unproduktiv” mit Reinigungsarbeiten, Fegen, Fensterputzen und Wartungsarbeiten geleisteten Schichten habe in Bremen im ersten Halbjahr 1982 200, im III. Quartal 147 und im Oktober 719 betragen. Bei dem Gesamthafenbetrieb seien für Bremen im ersten Halbjahr 1982 17.568, im III. Quartal 19.686 und im Oktober 9.754 „Stempelschichten”, d. h. nicht geleistete, aber zu vergütende Schichten, angefallen. Sie beabsichtige daher, Probearbeitsverhältnisse nicht in Arbeitsverhältnisse auf unbestimmte Zeit zu überführen, ausscheidende Arbeitnehmer nicht wieder zu ersetzen, einen Altersstrukturplan durchzusetzen, aufgrund dessen Arbeitnehmern, die 1984 altershalber ausscheiden würden, Aufhebungsverträge mit einer vorgezogenen Altersversorgung angeboten würden und in Bremen bis zum 30. November 1982 28 Arbeiter zu entlassen sowie bis zum 31. Dezember 4 Angestellte. Für Anfang 1983 sehe sie eine zweite Entlassungswelle in derselben Größenordnung vor. Der Betriebsrat erklärte sich mit Schreiben vom 11. November 1982 mit der fristgemäßen Kündigung gegenüber dem Kläger und 27 weiteren gewerblichen Arbeitnehmern zum 30. November 1982 „nicht einverstanden” und forderte die Geschäftsleitung auf, die in Aussicht genommenen Kündigungen zurückzuziehen. Mit Schreiben vom 11. November 1982 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zum 30. November 1982.
Um den von der Zahl der zu beladenden oder zu löschenden Schiffe abhängigen Bedarf qualifizierter Arbeiter auch bei Stoß- und Spitzenbetrieb decken zu können und den unständig beschäftigten Arbeitern im Hafen eine soziale Absicherung zu geben, haben der Hafenbetriebsverein im Lande Bremen e. V. als Arbeitgeberverband der Hafeneinzelbetriebe und die Gewerkschaft ÖTV auf der Grundlage des Gesamthafenbetriebsgesetzes vom 3. August 1950 (BGBl. I S. 352) eine Vereinbarung über die Schaffung eines Gesamthafenbetriebs für die Häfen im Lande Bremen in der Fassung vom 1. März 1982 getroffen (Vereinbarung). Der Gesamthafenbetrieb hält das erforderliche Potential zusätzlicher Arbeitskräfte für den gesamten Hafen vor und wird von den Hafeneinzelbetrieben gemeinsam getragen und finanziert. Der jeweilige Hafeneinzelbetrieb kann seinem Bedarf entsprechend auf dieses Potential zurückgreifen und nach dem Wegfall des Bedarfs die Arbeitskräfte dem Gesamthafenbetrieb wieder zur Verfügung stellen. Nach § 2 der Vereinbarung hat der Gesamthafenbetrieb die Aufgabe, die in den Häfen anfallenden Arbeitsgelegenheiten auf die Gesamthafenarbeiter zweckmäßig und gerecht zu verteilen und die Gesamthafenarbeiter im Rahmen der geltenden Tarife und betrieblichen Vereinbarungen sozial zu betreuen. Nach § 2 Abs. 2 der Vereinbarung ist der Gesamthafenbetrieb im Rahmen dieser Aufgabe gegenüber den Gesamthafenarbeitern Arbeitgeber, soweit nicht die Hafeneinzelbetriebe Arbeitgeber sind. Die Lohnansprüche aufgrund der durch die Zuweisung von Gesamthafenarbeitern an Hafeneinzelbetriebe entstehenden Arbeitsverhältnisse richten sich gegen die Hafeneinzelbetriebe. Die Leitung des Gesamthafenbetriebes liegt bei dem paritätisch mit Vertretern der Hafenarbeitgeber und der Hafenarbeitnehmer besetzten Ausschuß für Personal und Arbeit (APA). Der APA hat eine Verwaltungsordnung (VerwO) vom 1. März 1982 erlassen, deren § 4 die Begriffe Hafenarbeit, Hafeneinzelbetrieb und Hafenarbeiter definiert. In § 7 Abs. 1 VerwO ist den Hafeneinzelbetrieben zur Pflicht gemacht, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Hafeneinzelbetriebsarbeiters dem Gesamthafenbetriebsverein innerhalb von 24 Stunden unter Angabe des Beendigungsgrundes mitzuteilen. Nach § 7 Abs. 2 VerwO haben Hafeneinzelbetriebsarbeiter, deren Arbeitsverhältnis fristgerecht gekündigt oder einvernehmlich beendet worden ist, grundsätzlich das Recht, in die Belegschaft des Gesamthafenbetriebes zurückzukehren. Gemäß § 12 Abs. 2 VerwO gehören auch die Gesamthafenarbeiter und Aushilfsarbeiter während der Dauer der Arbeit bei einem Hafeneinzelbetrieb zur Belegschaft dieses Hafeneinzelbetriebes. § 14 Abs. 1 VerwO bestimmt, daß die ordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen einem Hafeneinzelbetrieb und einem Gesamthafenarbeiter nicht an eine Kündigungsfrist gebunden ist. In §§ 19 und 20 VerwO ist geregelt, daß die Sozialversicherung und die soziale Betreuung der Gesamthafenarbeiter durch den Gesamthafenbetriebsverein im Lande Bremen e. V. wahrgenommen wird.
Wegen des Anstiegs der Stempelschichten beim Gesamthafenbetrieb erhöhten die Arbeitgeber des Hafens im September 1982 ihre Einzahlung in die Garantielohnkasse um eine weitere Umlage in Höhe von 0,25 % auf alle Rechnungsbeträge für Hafendienstleistungen. Der zuständige Senator des Landes Bremen erklärte sich bereit, sich an den Mehrkosten durch Zuschüsse der Stadtgemeinde zu beteiligen. In der Sitzung des APA vom 22. Oktober 1982 wurde beschlossen, die bis zum 30. September 1982 begrenzte Aufhebung des Rückkehrrechts gekündigter Hafeneinzelbetriebsarbeiter zum Gesamthafenbetrieb bis zum 31. März 1983 zu verlängern.
Der Kläger hat vorgetragen, der Betriebsrat sei vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß gehört worden. Die Kündigung sei nicht aus dringenden betrieblichen Gründen erforderlich gewesen. Die Situation des Gesamthafenbetriebs könne die Kündigung nicht rechtfertigen, da nur die Beklagte Arbeitgeber des Klägers sei. Bei der Beklagten und dem Gesamthafenbetrieb handele es sich um zwei verschiedene Betriebe und selbständige Rechtspersönlichkeiten. Rechtliche Verpflichtungen des Hafeneinzelbetriebes gegenüber dem Gesamthafenbetrieb zur Kündigung von Hafeneinzelbetriebsarbeitern gebe es nicht. Es bestehe noch nicht einmal eine „moralische Gefahrengemeinschaft”. Sei das KSchG auch dann nicht konzernbezogen, wenn eine einheitliche Leitung bestehe, müsse das erst recht für das Verhältnis von Hafeneinzelbetrieb zum Gesamthafenbetrieb gelten, weil es sich hier um zwei verschiedene Arbeitgeber handele, die nicht durch eine gemeinsame Leitung verbunden seien. Er, der Kläger, sei Arbeiter der Beklagten in ihrer Stellung als Hafeneinzelbetrieb, deshalb könne die Betriebsbedingtheit seiner Kündigung auch nicht mit den Verhältnissen im gesamten Hafen begründet, für die Sozialauswahl aber nur die Arbeitnehmer des eigenen Betriebes herangezogen werden. Die von der Beklagten angeführten Umschlagszahlen, Beschäftigungszahlen, auch in Stoß- und Spitzenzeiten, und die Zahlen der unproduktiven Arbeiter und der aus Altersgründen ausscheidenden Arbeitnehmer würden mit Nichtwissen bestritten. Auf die Monate Oktober und November könne es nicht ankommen, da die Planung der Kündigung bereits Mitte Oktober begonnen habe und die Zahlen dieser Monate noch nicht vorgelegen haben könnten. Die Beklagte habe nicht genau dargelegt, wieviel Arbeitsplätze weggefallen seien. Auf jeden Fall hätten die anderen Maßnahmen, wie der Altersstrukturplan und die Nichtersetzung ausscheidender Betriebsangehöriger, zur Personalanpassung ausgereicht. Jedenfalls habe die Beklagte die konkrete Auswirkung dieser Maßnahme nicht substantiiert dargelegt und nicht in die Personalplanung einbezogen.
Der Kläger hat beantragt
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 11. November 1982 nicht aufgelöst worden ist;
- den Kläger vorläufig zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie vorgetragen, sie könne nur noch soviele Hafeneinzelbetriebsarbeiter als Stammbelegschaft behalten, wie sie ohne das Stoß- und Spitzengeschäft betriebswirtschaftlich sinnvoll beschäftigen könne. Zu einem strukturellen Einbruch beim konventionellen Stückgutumschlag, der auf dem Rückgang der Auslands- und Importnachfrage, der Zunahme des Containerumschlags, des Roll-on/Roll-off-Verkehrs und des Umschlags massenhafter Stückgutgüter beruhe, sei im Verlauf des Jahres 1982 ein schärferer Wettbewerb unter den Seehäfen gekommen. Der Stückgutexport in Bremen-Stadt sei von 4.507 Mio. t 1981 auf 4.101 Mio. t 1982 zurückgegangen, der Import habe von 1.838 Mio. t auf 1.883 Mio. t zugenommen, so daß sich der Stückgutumschlag insgesamt um 5,7 % verringert habe. Der Rückgang auf dem Exportsektor habe vor allem die besonders beschäftigungsintensiven Warenarten eiserne Rohre (minus 34 %), Eisenbleche (minus 30 %), Chemikalien (minus 24 %) und andere Eisenprodukte betroffen. Der Stückgutumschlag in ihrem Betrieb Bremen sei in den Monaten Juli bis Oktober 1982 gegenüber dem gleichen Zeitraum 1981 beim konventionellen Stückgut um 18,7 % und beim Containerumschlag um 4,5 % zurückgegangen. Eine Besserung sei für 1983 nicht zu erwarten gewesen. Zu den dem Betriebsrat mitgeteilten unproduktiven Schichten seien im Monat November 1982 weitere 521 hinzugekommen. Diese Zahlen entsprächen bei 22 Schichten pro Arbeiter im Monat im Schnitt 28 Arbeitnehmern. Darüber könne nicht hinweghelfen, daß die betroffenen Arbeitnehmer von Zeit zu Zeit im Stoßgeschäft sinnvoll eingesetzt werden könnten. Am 29. November 1982 habe sie mit dem Gesamtbetriebsrat eine Betriebsvereinbarung über einen Personalstrukturplan für vorzeitig ausscheidende Arbeitnehmer geschlossen. Von der Möglichkeit vorzeitigen Ausscheidens nach dem Personalstrukturplan hätten zu Ende Januar und Ende Februar 1983 insgesamt 54 Arbeitnehmer, 16 mehr als erwartet, Gebrauch gemacht. Sechs weitere Arbeitnehmer hätten sich zu einem Ausscheiden bis Ende 1983 bereiterklärt, so daß die geplante zweite Kündigungswelle habe entfallen können, nicht aber die erste, selbst wenn sie, die Beklagte, dieses Ergebnis bereits gekannt hätte.
Die Gesamtzahl der Hafeneinzelarbeiter in Bremen sei von 2.261 Anfang 1981 auf 2.140 Ende November 1982, die der Gesamthafenbetriebsarbeiter von 1.347 auf 1.150 zurückgegangen. Die Zahl der Schichten durch Gesamthafenbetriebsarbeiter habe im Juli 1982 5.565 (1981: 8.609), im Oktober 2.174 (1981: 7.118) betragen. Dabei handele es sich um eine Beschäftigung im Rahmen des normalen Einsatzschemas. Sie setze ihre Belegschaft aus eigenen und Gesamthafenbetriebsarbeitern zusammen und decke dazu den Spitzenbedarf über den Gesamthafenbetrieb ab. Sie habe keine dem Kläger vergleichbaren Gesamthafenarbeiter eingesetzt, solange ihre eigenen Arbeiter unproduktiv beschäftigt gewesen seien. Dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 KSchG würden daneben schon auf der Grundlage des Gesetzes vom 3. August 1950 von der Wechselbeziehung Gesamthafenbetrieb/Einzelhafenbetrieb bestimmt, weil die Personalreduzierung zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Gesamthafenbetriebs unerläßlich geworden sei. Sie und der Gesamthafenbetrieb würden einen „zusammengesetzten/integrierten” Betrieb bilden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der von dem Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf Klageabweisung weiter, während der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.