HI5305802

LAG Baden-Württemberg Urteil vom 17.07.2013 - 13 Sa 141/12

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Unbegründete außerordentliche Kündigung wegen sexueller Belästigung bei fehlendem sexuellen Bezug. Bemessung der Abfindung bei gerichtlicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses

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Leitsatz (amtlich)

1. Die sexuelle Belästigung eines Arbeitskollegen kann einen wichtigen Grund "an sich" für eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses darstellen. Maßgeblich sind aber die konkreten Umstände des Einzelfalls. Gegebenenfalls kann auch eine Abmahnung als Reaktion auf eine solche Pflichtwidrigkeit ausreichen, so dass sich eine Kündigung als unverhältnismäßig erweist.

2. Zur Bemessung einer Abfindung nach § 10 KSchG.

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Normenkette

BGB § 611 Abs. 1, § 626 Abs. 1; KSchG § 9 Abs. 1-2, § 10 Abs. 1-2

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Verfahrensgang

ArbG Heilbronn (Entscheidung vom 18.10.2012; Aktenzeichen 2 Ca 71/12)

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Tenor

  • 1.

    Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn - Kammern Crailsheim - vom 18. Oktober 2012 (Az.: 2 Ca 71/12) werden zurückgewiesen.

  • 2.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

  • 3.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

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Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich ausgesprochenen Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses. Zwischenzeitlich beantragen beide Parteien - der Kläger im Rahmen eines unechten Hilfsantrages, die Beklagte im Rahmen eines echten Hilfsantrages - die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.

Der am 00.00.1968 geborene, ledige und weiter nicht zum Unterhalt verpflichtete Kläger arbeitet auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 28. September 1998 (vgl. Akten 1. Instanz Bl. 13 bis 18; I/13-18) seit dem 1. Januar 1999 bei der Beklagten - einem konzernangehörigen, weltweit tätigen Maschinenbauunternehmen mit mehreren tausend Beschäftigten, davon allein 1150 am Standort C. - als Projekt- / Vertriebsingenieur. Er erzielte im Monat Februar 2012 eine Vergütung von EUR 6.343,73 brutto (vgl. Abrechnung Anlage B14; I/222), wobei er Anspruch auf bestimmte weitere jährliche Zahlungen hat.

Nach Anhörung des im Betrieb C. der Beklagten bestehenden Betriebsrates (vgl. Anlage B10; I/190 ff.), kündigte diese das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 20. März 2012 (Anlage K2; I/19), welches diesem spätestens am 22. März 2012 zuging, außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Termin, welchen die Beklagte mit dem 30. September 2012 angab.

Die Beklagte wirft dem Kläger vor, er habe als Teilnehmer an einer Vertriebskonferenz vom 7. bis 9. Februar 2012 in J. S. am 7. Februar 2012 anlässlich eines gemeinsamen Abendessens der Konferenzteilnehmer einen anderen Konferenzteilnehmer - den Mitarbeiter einer Tochtergesellschaft der Beklagten, Herrn S. C. - gegen 21:15 Uhr dadurch sexuell belästigt, dass er diesen, der mit anderen Konferenzteilnehmern stehend im Gespräch vertieft war, auf dem Weg zur Toilette zunächst mit der Hand in der Magengegend angefasst und dann auf dem Rückweg von hinten mit den Armen auf Höhe der Magengegend umschlungen und sich an ihn gepresst habe. Letzteres habe Herrn C. angewidert und abgestoßen, weshalb er sich einen Monat später mit einer E-Mail vom 7. März 2012 (vgl. I/148; beglaubigte Übersetzung aus der englischen Sprache: I/149) an den Vorgesetzten des Klägers gewandt habe.

Mit seiner am 29. März 2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 3. April 2012 zugestellten Klage wendet sich der Kläger gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung vom 20. März 2012 und begehrt Weiterbeschäftigung als Vertriebsingenieur.

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, für die Kündigung vom 20. März 2012 gebe es keinen wichtigen oder sozial rechtfertigenden Grund. Ferner sei diese auch aus zahlreichen anderen Gründen unwirksam.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen und mit einem am 18. Juli 2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem Kläger am 27. Juli 2012 zugestellten Schriftsatz

hilfsweise

beantragt, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung zum 30. September 2012 aufzulösen, wobei sie einen Betrag von EUR 18.400,00 für angemessen hielt. Für den Fall, dass - anders als von ihr angenommen - sich die Kündigung als unwirksam erweisen sollte, sei das Arbeitsverhältnis aufzulösen, da keine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien zu erwarten sei. Dies hat die Beklagte erstinstanzlich neben einem Vertrauensverlust gegenüber dem Kläger wegen sexueller Belästigung unter anderem damit begründet, dass der Kläger gegen sie unberechtigte und haltlose Diskriminierungsvorwürfe erhoben habe, verbunden mit einer Klage in einem Parallelverfahren auf Zahlung von EUR 240.000,00 Entschädigung zuzüglich weiteren Schadensersatzes von über EUR 45.000,00.

Der Kläger ist erstinstanzlich dem Auflösungsantrag der Beklagten entgegengetreten. Die Beklagte könne eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht verlangen, da die Kündigung nicht allein mangels sozialer Rechtfertigung, sondern auch aus zahlreichen anderen Gründen unwirksam sei. Es liege auch kein Auflösungsgrund für die Beklagte vor.

Im Übrigen wird hinsichtlich des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien gemäß § 69 Abs. 3 Satz 2 ArbGG auf den Tatbestand des mit der Berufung angegriffenen Urteils des Arbeitsgerichts (dort Seite 2 bis 17; I/633-648) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit einem am 18. Oktober 2012 verkündeten Urteil der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben, den Weiterbeschäftigungsantrag aber abgewiesen und das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung durch die Beklagte in Höhe von EUR 38.479,37 zum 30. September 2012 aufgelöst. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitere allerdings weder an der ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung, der Zurückweisung der Kündigung mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde noch an der fehlenden Vollmacht zum Ausspruch der Kündigung. Die außerordentliche Kündigung sei aber, sowohl als Verdachts- als auch als Tatkündigung, mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes unwirksam. Es falle bereits schwer, das Berühren von Herrn C. in der Magengegend als sexuelle Handlung einzustufen. Allerdings beschreibe der Vortrag der Beklagten, wonach der Kläger Herrn C. von hinten auf Höhe der Magengegend mit den Armen umschlungen und sich an ihn gepresst habe, kein sozial adäquates Verhalten, selbst wenn man berücksichtige, dass es sich um einen geselligen Abend gehandelt habe. Doch sei es der Beklagten möglich, ein solches Fehlverhalten des Klägers beispielsweise durch eine Abmahnung zu unterbinden, was dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspreche, da auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht von einem gravierenden Fehlverhalten des Klägers auszugehen sei. Selbst wenn man einen wichtigen Grund annehme, scheitere die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung an einer Interessenabwägung im konkreten Fall, nachdem das Arbeitsverhältnis des Klägers 13 Jahre unbeanstandet bestanden habe und es keine Hinweise auf andere Pflichtverletzungen gegeben habe. Auch die hilfsweise ordentliche Kündigung sei (ausschließlich) mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam. Ohne Ausspruch einer entsprechenden Abmahnung gebe es für eine solche Kündigung keinen Anlass. Der Auflösungsantrag der Beklagten sei in Bezug auf die hilfsweise ordentliche Kündigung zulässig und begründet. Es sei aufgrund des Verhaltens des Klägers nach Ausspruch der Kündigung keine dem Betriebszweck dienliche weitere Zusammenarbeit der Parteien zu erwarten. Ein Auflösungsgrund liege bereits in der Erhebung einer völlig überzogenen Entschädigungsklage, in deren Rahmen vom Kläger Behauptungen aufgestellt würden, deren Haltlosigkeit offen zu Tage trete. Ein weiterer Auflösungsgrund ergebe sich aus dem Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit der Zurückweisung der Kündigung mangels Vollmacht beziehungsweise Vorlage einer Vollmachtsurkunde. Das Arbeitsverhältnis sei zu dem Zeitpunkt aufzulösen, zu dem es aufgrund ordentlicher Kündigung nach dem Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg geendet hätte, also dem 30. September 2012. Hinsichtlich der Höhe der Abfindung sei das Alter des Klägers und seine aufgrund einer Alkoholerkrankung schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass es sich bei der Beklagten um ein großes, leistungsstarkes Unternehmen handele und das Arbeitsverhältnis 13 Jahre unbeanstandet bestanden habe. Andererseits habe der Kläger keine Unterhaltspflichten und die Kündigung sei nicht offensichtlich grob sozialwidrig. Gegen den Kläger spreche, dass er sich im Prozess in erheblichem Maße ehrverletzend gegenüber der Beklagten geäußert und ihr beispielsweise unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen habe, was durch nichts belegt worden sei. Bei der Höhe des Monatseinkommens seien neben dem monatlichen Grundgehalt (EUR 6.343,73 brutto), auch die jährlich gezahlten Vergütungsbestandteile VTA-Bonus (EUR 1.895,00 brutto), C.-Bonus (EUR 1.200,00 brutto) und das Urlaubsgeld (EUR 4.735,20) zu berücksichtigen. Das Urlaubsgeld sei fest in das Vergütungsgefüge des Klägers eingefügt gewesen. Das jährliche Weihnachtsgeld (EUR 3.620,50 brutto) sei dagegen nicht zu berücksichtigen, da es in Anlehnung an die tariflichen Bestimmungen gezahlt werde, welche eine Staffelung nach Zeiten der Betriebszugehörigkeit und ein Entfallen des Anspruchs für Zeiten des Ruhens des Arbeitsverhältnisses vorsähen. Diese Sonderzahlung weise Gratifikationscharakter auf. Die so bestimmte Vergütung des Klägers sei mit 13,75 (Anzahl der Beschäftigungsjahre zum Auflösungszeitpunkt) sowie dem von der Kammer als angemessen betrachteten Faktor von 0,4 zu multiplizieren.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 19. November 2012 und dem Kläger am 20. November 2012 zugestellt. Gegen das Urteil hat der Kläger am 19. Dezember 2012 Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Frist mit einem am 18. Februar 2012 eingegangenen Schriftsatz begründet. Die Berufungserwiderungsfrist für die am 21. Februar 2012 zugestellte Berufungsbegründung wurde für die Beklagte auf deren Antrag bis Montag, 22. April 2012 verlängert. Mit ihrer am 18. April 2012 eingegangenen Berufungsbegründung begehrt die Beklagte im Wege der Anschlussberufung die vollständige Abweisung der Klage. Mit einem am 26. Juni 2012 eingegangenen und der Beklagten am 2. Juli 2013 zugestellten Schriftsatz beantragt der Kläger im Wege eines unechten Hilfsantrages die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2013 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von mindestens EUR 92.960,00.

Der Kläger trägt vor, der Auflösungsantrag der Beklagten sei unzulässig, da die Kündigung vom 20. März 2012 nicht lediglich wegen Sozialwidrigkeit unwirksam sei, sondern auch wegen Verstoßes gegen § 134 BGB i.V.m. § 85 SGB IX, § 623 BGB i.V.m. § 125 BGB, § 102 BetrVG, § 13 KSchG sowie des Vorliegens einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist. Der Auflösungsantrag der Beklagten sei auch mangels Vorliegens eines Auflösungsgrundes unwirksam. Der Kläger habe keine sexuelle Belästigung begangen. Es liege auch keine Diskriminierungsklage mit haltlosen Behauptungen gegen die Beklagte vor. Vielmehr sei der Kläger von der Beklagten in mehrfacher Weise diskriminiert worden und die Höhe der von ihm geltend gemachten Ansprüche nicht überzogen. Eine so begründete Auflösung verstoße ferner gegen das Maßregelungsverbot. Es liege kein Fall einer treuwidrigen Zurückweisung der Kündigung der Beklagten durch ihn vor. Der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers sei zulässig und begründet. Selbst wenn das Arbeitsgericht das Arbeitsverhältnis zu Recht aufgelöst haben sollte, hätte es als Beendigungstermin nicht den 30. September 2012 nehmen dürfen. Die tariflichen Kündigungsfristen des § 4.5. des Manteltarifvertrages seien unionsrechtswidrig und auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht anwendbar, so dass keine ordentlichen Kündigungsfristen gelten würden. Da der Kläger dem Betrieb länger als drei Jahre angehöre, könne ihm ferner nach der tarifvertraglichen Regelung in § 4.4 des Manteltarifvertrages nur noch außerordentlich gekündigt werden, auch wenn er das 53. Lebensjahr noch nicht vollendet habe. Die letztgenannte tarifvertragliche Voraussetzung sei insbesondere aus unionsrechtlichen Gründen nicht anwendbar. Dies führe dazu, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund vertraglicher bzw. tarifvertraglicher Regelung erst mit dem Renteneintrittsalter des Klägers ohne besondere Kündigung ende. Das Arbeitsgericht habe auch nicht die richtige Abfindungshöhe berechnet und die abwägungserheblichen Umstände nicht ausreichend berücksichtigt. Statt eines Abfindungsfaktors von 0,4 erscheine eher ein Faktor von 0,8 angemessen, wobei ein umgerechnetes monatliches Bruttoentgelt des Klägers von EUR 8.300,00 zugrunde zu legen sei. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht das Weihnachtsgeld nicht in seine Berechnung einbezogen. Die Beschäftigungsjahre des Klägers seien gemäß § 1a Abs. 2 Satz 3 KSchG von 13,75 Jahren auf 14 Jahre aufzurunden. Die Differenzierung nach Alter im Rahmen von § 10 KSchG sei unionsrechtswidrig. Das Arbeitsgericht habe zwar den Gesundheitszustand des Klägers mit in seine Erwägungen einbezogen, nicht aber den Verfall seiner Betriebsrentenanwartschaften.

Die Anschlussberufung der Beklagten sei unbegründet. Die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung sei unwirksam. Dies ergebe sich schon aus den oben geschilderten formalen Gründen. Der Kläger habe aber auch nicht gegen arbeitsvertragliche Verhaltenspflichten schuldhaft verstoßen. Damit liege schon kein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung "an sich" vor. Eine Interessenabwägung falle angesichts eines seit 13 Jahren unbeanstandeten Arbeitsverhältnisses zu Gunsten des Klägers aus. Jedenfalls komme ein Ausspruch der Kündigung nicht ohne vorangehende Abmahnung in Betracht. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten. Die Anhörung des Klägers und die Anhörung des Betriebsrates seien nicht ordnungsgemäß erfolgt, zumal nicht der Betriebsrat in C., sondern derjenige in H. zuständig sei. Ebenso sei die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 20. März 2012 unwirksam. Da der Kläger Herrn C. nicht sexuell belästigt habe, sei die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt. Auch hier fehle es an einer vorhergehenden Abmahnung und eine Interessenabwägung falle zu Gunsten des Klägers aus. Der Auflösungsantrag der Beklagten sei weder zulässig noch begründet, zumal die Kündigung aus einer Vielzahl anderer Gründe unwirksam sei und auch kein Auflösungsgrund für die Beklagte vorliege. Dies gelte auch, soweit die Beklagte in der Berufungsinstanz weitere Umstände aufführe. Eine Entschädigungsklage in den USA gegen die Beklagte wegen Diskriminierung werde vom Kläger nicht mehr weiterverfolgt. Der Beschäftigungsantrag des Klägers sei zulässig und begründet, da die Parteien nach wie vor darüber stritten, ob das Arbeitsverhältnis bereits beendet sei. Ebenso sei der Auflösungsantrag des Klägers zulässig und begründet. Ihm sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten. Dies ergebe sich aus der Art und Weise der Prozessführung der Beklagten, die insbesondere fortgesetzt eine sexuelle Belästigung durch den Kläger behaupte und ihn durch verschiedenen schriftsätzlichen Vortrag im Rechtsstreit entwürdige und anfeinde. Die Abfindung sei unter Berücksichtigung der Benachteiligungen des Klägers zu bemessen, wobei § 15 AGG ein besonderes Gewicht zukomme, der § 10 KSchG als speziellere Norm verdränge. Die tarifvertraglichen Kündigungsfristen seien ebenso wie die gestaffelten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB unwirksam. Die Ausführungen der Beklagten zum VTA-Bonus seien nicht geeignet, dessen korrekten Wert darzulegen. Der an den Kläger in der Vergangenheit in diesem Zusammenhangausgezahlte Betrag von EUR 1.895,00 sei fehlerhaft, da zu niedrig. Das Weihnachtsgeld habe keinen Gratifikationscharakter und sei bei der Berechnung - zumindest anteilig - zu berücksichtigen. Die Betriebszugehörigkeit sei auf den Zeitpunkt des Auflösungsurteils - nicht vor dem 17. Juli 2013 - zu beziehen und betrage dann 14,5 Jahre, was auf 15 Jahre aufzurunden sei. Eine Anwendung von § 10 KSchG scheide wegen Unionsrechtswidrigkeit der Altersgruppenbildung aus. Die Höhe der Abfindung liege damit allein im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Es werde bestritten, dass dem Kläger keine Betriebsrentenanwartschaften verfielen. Die von der Beklagten in den Raum gestellte Abfindungshöhe von EUR 18.400,00 sei völlig abwegig.

Der Kläger beantragt:

  • 1.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn - Kammern Crailsheim - vom 18.10.2012, Az. 2 Ca 71/12, dem Kläger zugestellt am 19.11.2012, teilweise abgeändert:

    - Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 20.03.2012 beendet worden ist.

    - Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den im Arbeitsvertrag vom 28.09.1998 und im Änderungsvertrag vom 11.11.2011 geregelten Arbeitsbedingungen als Projekt- / Vertriebsingenieur in C. zu beschäftigen.

    Hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1.:

  • 2.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn - Kammern Crailsheim - vom 18.10.2012, Az. 2 Ca 71/12, dem Kläger zugestellt am 19.11.2012, teilweise abgeändert:

    - Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 20.03.2012 beendet worden ist.

    - Das Arbeitsverhältnis wird gegen Zahlung einer Abfindung durch die Beklagte in Höhe von 92.960,00 EUR mit Ablauf des Monats, in dem der Kläger das 67. Lebensjahr vollendet, aufgelöst.

    Höchst hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit Antrag zu 1. und Antrag zu 2.:

  • 3.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn - Kammern Crailsheim - vom 18.10.2012, Az. 2 Ca 71/12, dem Kläger zugestellt am 19.11.2012, teilweise abgeändert:

    - Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 20.03.2012 beendet worden ist.

    - Das Arbeitsverhältnis wird gegen Zahlung einer Abfindung durch die Beklagte in Höhe von 92.960,00 EUR zum 30.09.2012 aufgelöst.

  • 4.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Beklagte beantragt:

  • I.

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn - Kammern Crailsheim - vom 18.10. 2012, Az.: 2 Ca 71/12 wird zurückgewiesen.

  • II.

    Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn - Kammern Crailsheim - vom 18.10.2012, Az.: 2 Ca 71/12 wie folgt abgeändert:

    Die Klage wird abgewiesen.

  • III.

    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Kläger beantragt:

  • 5.

    Die Anschlussberufung der Beklagten vom 18.04.2013 wird zurückgewiesen.

    Hilfsweise, für den Fall des Obsiegens des Klägers:

  • 6.

    Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird auf Antrag des Klägers zum 30.06.2013 gegen Zahlung einer Abfindung, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch einen Betrag von 92.960,00 EUR nicht unterschreiten sollte, aufgelöst.

  • 7.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Beklagte trägt vor, die Klage sei abzuweisen, da die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung wirksam sei. Das Verhalten des Klägers gegenüber Herrn C. stelle eine sexuelle Belästigung dar, was die Beklagte zum Ausspruch einer außerordentlich fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung berechtige. Eine Unwirksamkeit der Kündigung ergebe sich nicht aus formalen Gründen. Das Arbeitsgericht überspanne die Anforderungen an einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Auch eine Interessenabwägung falle nicht zu Gunsten des Klägers aus. Eine Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung sei entbehrlich, da eine sexuelle Belästigung eine äußerst schwere Pflichtverletzung darstelle. Jedenfalls sei die hilfsweise ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung zum 30. September 2012 wirksam. Wenn man, wie das Arbeitsgericht, von einer Unwirksamkeit der Kündigung ausgehe, sei das Arbeitsverhältnis der Parteien nach den §§ 9, 10 KSchG aufzulösen, wie es das Arbeitsgericht zu Recht getan habe. Die Kündigung sei nicht aus anderen Gründen als ihrer Sozialwidrigkeit unwirksam. Es liege - schon mangels mangels Schwerbehinderung des Klägers - kein Verstoß gegen §§ 134 BGB, 85 SGB IX vor, die Formerfordernisse für den Ausspruch der Kündigung seien gewahrt, es liege kein Verstoß gegen §§ 174, 180 BGB vor und der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Die hilfsweise ordentliche Kündigung durch die Beklagte sei nicht tariflich ausgeschlossen. Eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist habe die Beklagte nicht ausgesprochen. Der Auflösungsantrag der Beklagten sei auch begründet. Es bestehe ein vollständiger Vertrauensverlust gegenüber dem Kläger aufgrund der sexuellen Belästigung. Ferner habe er gegen die Beklagte zahlreiche haltlose Diskriminierungsvorwürfe erhoben und eine völlig überzogene Entschädigungsforderung geltend gemacht. Nunmehr versuche der Kläger auch, diese Entschädigungsforderung mit Hilfe einer US-amerikanischen Anwaltskanzlei in den USA durchzusetzen, obwohl der Sachverhalt keinen Bezug zu den USA aufweise und der Kläger für die Beklagte dort auch nie tätig gewesen sei. Dies zeige, dass dem Kläger jedes Mittel recht sei, um die Beklagte unter Druck zu setzen. Ein Auflösungsgrund ergebe sich auch aus der treuwidrigen Zurückweisung der Kündigung durch den Kläger mit Schreiben vom 22. März 2012 (vgl. I/577-586). Es liege kein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot vor. Der Beschäftigungsantrag des Klägers sei - schon wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses - unbegründet. Als Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei nach der insoweit nicht zu beanstandenden tariflichen Kündigungsfristenregelung der 30. September 2012 festzulegen. Eine Abfindung sei auf maximal EUR 18.400,00 festzusetzen. Die Angabe eines Monatsgehalts von EUR 8.300,00 brutto durch den Kläger sei nicht nachvollziehbar. Anders als vom Arbeitsgericht angenommen, müsse bei der Bestimmung der Monatsvergütung des Klägers auch das Urlaubsgeld außer Betracht bleiben, da auch dieses wie das Weihnachtsgeld als Gratifikation zu betrachten sei. Für eine Aufrundung der Dauer der Betriebszugehörigkeit sei im Rahmen des § 10 KSchG kein Raum. Als Bemessungsfaktor für die Abfindung sei aufgrund des Verhaltens des Klägers nur ein Wert von 0,2 anzusetzen. § 10 KSchG sei nicht europarechtswidrig. Es würden keine Betriebsrentenanwartschaften des Klägers verfallen. Auch das weitere Verhalten des Klägers in dem parallelen Entschädigungsprozess mit mehrfach falschen Zitaten in den Schriftsätzen rechtfertige die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ebenso, wie sein Vorgehen im Zusammenhang mit dem Verlangen eines Zeugnisses.

Jedenfalls sei das Arbeitsverhältnis aufgrund des nunmehr auch vom Kläger gestellten Auflösungsantrags unabhängig vom Vorliegen von Auflösungsgründen zum Ablauf des 30. September 2012 aufzulösen, auch wenn die vom Kläger behaupteten Auflösungsgründe nicht vorlägen. Der Beendigungszeitpunkt 30. September 2012 ergebe sich aus § 9 Abs. 2 KSchG. Die vom Kläger geforderte Abfindung in Höhe von EUR 92.960,00 sei überhöht. Die Ausführungen des Klägers zum VTA-Bonus seien nicht nachvollziehbar. Bei der Betriebszugehörigkeit sei auf das Beendigungsdatum, also den 30. September 2012, abzustellen. Die eigene überhöhte Abfindungsforderung werde vom Kläger nicht begründet.

Im Übrigen wird hinsichtlich des Vortrags der Parteien auf die zwischen ihnen in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze und Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen. Dies gilt insbesondere für die zweitinstanzlichen Schriftsätze des Klägers vom 18. Februar 2013 (vgl. Akten 2. Instanz Bl. 83 bis 285; II/83-285), 26. Juni 2013 (II/520-653) und 16. Juli 2013 (II/735-763) sowie die zweitinstanzlichen Schriftsätze der Beklagten vom 18. April 2013 (II/371-508) und 9. Juli 2013 (II/681-705).