LAG Hamm Urteil vom 04.03.2009 - 2 Sa 1382/05
Entscheidungsstichwort (Thema)
Persönliche Inanspruchnahme des Gesellschafters einer GmbH & Co. KG durch den Insolvenzverwalter gemäß § 93 InsO
Leitsatz (amtlich)
Keine Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters einer OHG für Verbindlichkeiten der Gesellschaft (hier Arbeitnehmeransprüche) gemäß §§ 128, 160 HGB, die aufgrund eines Betriebsübergangs gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB entstanden sind, wenn der Gesellschafter zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs gesellschaftsrechtlich bereits aus der OHG ausgeschieden war, sein Wechsel in die Stellung eines Kommanditisten aber erst später in das Handelsregister eingetragen worden ist und die Arbeitnehmer die Arbeitsverhältnisse danach widerspruchslos fortgesetzt haben (§ 15 Abs. 2 HGB).
Normenkette
HGB §§ 128, 160 Abs. 1, 3, § 162 Abs. 1, 3, § 15 Abs. 1-2; BGB § 613a Abs. 1-2; InsO § 93
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten zu 1) wird das am 14.06.2005 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Münster – 3 Ca 563/04 – abgeändert.
Die gegen den Beklagten zu 1) gerichtete Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gegen den Beklagten zu 1) geführten Rechtsstreits und die Kosten seiner Streithelfer trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 27.12.2002 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma U2-T1 GmbH & Co. KG bestellt. Mit der vorliegenden, am 21.02.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage macht er gestützt auf § 93 InsO die persönliche Haftung der ausgeschiedenen Gesellschafter geltend. Das Verfahren gegen die Beklagten zu 2) und weitere Beklagte ist gemäß § 240 ZPO unterbrochen. Vorliegend geht es um die Nachhaftung des Beklagten zu 1) für Arbeitnehmerverbindlichkeiten aus dem Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zu seinem Ausscheiden am 25.02.1999.
Die Insolvenzschuldnerin wurde von dem Beklagte zu 1) und der U2-T1 AG gemäß Gesellschafterbeschluss vom 10.09.1998 als OHG mit dem Namen „U2-T1 Holding OHG” errichtet und am 14.10.1998 in das Handelsregister des Amtsgerichts Warendorf eingetragen.
Mit der Gründung der Schuldnerin war die Absicht verbunden, die aus mehr als 40 Unternehmen bestehende U2-Unternehmensgruppe neu zu ordnen. Die U2-Unternehmensgruppe unterhielt Filmtheater, Beteiligungen an Kinobetriebsgesellschaften und befasste sich mit der Kinowerbung sowie der Verwaltung und Vermietung des eigenen Immobilienbesitzes.
Mit Gesellschafterbeschluss vom 27.11.1998 beschlossen der Beklagte zu 1) und die U2 AG als Gründungsgesellschafter der Insolvenzschuldnerin einstimmig, deren Festkapital mit Wirkung zum 01.01.1999 auf 15.000.000,00 DM zu erhöhen und weitere Gesellschafter aufzunehmen.
Mit Einbringungs- und Übertragungsvertrag vom 04.12.1998 wurde vereinbart, Kinobetriebe, an denen der Beklagte zu 1) bzw. dessen Familie beteiligt waren, sowie Kinobetriebe der U2-T1 AG auf die U2 OHG gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen zu übertragen. Es war Ziel der vorgesehenen Umstrukturierung, die mit dem Kinobetrieb und der Kinowerbung verbundenen Aktivitäten von den übrigen Tätigkeiten der U2-Unternehmensgruppe, insbesondere der Verwaltung und Vermietung des Immobilienbesitzes, zu trennen. Gründungsgesellschafter der U2-T1 Holding OHG waren zum einen der Beklagte zu 1) mit einer Beteiligungsquote von 60 % und die U2-T1 AG mit einer Beteiligungsquote von 40 %. Nach Abschluss des Einbringungs- und Übertragungsvertrages vom 14.12.1998 sollte die U2-T1 Holding OHG in eine GmbH & Co. KG umgewandelt werden. Als Stichtag für die Übertragung der Kinobetriebe auf die U2 OHG wurde der 31.12.1998 23.59 Uhr vereinbart. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der notariellen Urkunde (Bl. 79 – 137 d. A.) Bezug genommen.
Im Zusammenhang mit der Übertragung der im Einzelnen aufgeführten Kinobetriebe heißt es jeweils, dass die U2 OHG ab dem Stichtag in alle zu den jeweiligen Kinobetrieben gehörenden Arbeitsverhältnisse eintritt und gemäß § 613 a BGB sämtliche Verpflichtungen aus diesen Arbeitsverhältnissen übernimmt. Ferner heißt es in § 41 des Einbringungs- und Übertragungsvertrages vom 14.12.1998:
„Sollten zu den übertragenen KINOBETRIEBEN oder der U2-VERWALTUNG gehörende Arbeitnehmer nicht auf U2 OHG übergehen, z.B. aufgrund Widerspruchs oder Ablehnung des Angebots zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages, so stehen U2 OHG insoweit keine Rechte zu.”
Die Pensionsansprüche der am 01.01.1999 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehenden Arbeitnehmer sollte die U2 OHG vollumfänglich allein tragen.
Mit Vertrag vom 14.12.1998 beschlossen der Beklagte zu 1) und die U2 AG als Gründungsgesellschafter der U2-T1 Holding OHG, die A7-P3 B4 GmbH als neue persönliche Gesellschafterin aufzunehmen und durch den jeweils eigenen Wechsel in die Kommanditistenstellung die Schuldnerin zu einer GmbH & Co. KG umzugestalten.
Der Kläger meint, der Beklagte zu 1) sei erst durch den Vertrag vom 25.02.1999 (Bl. 141 bis 148 GA) als Gesellschafter aus der U2 OHG ausgeschieden.
Die am 10.12.1998 zum Handelsregister angemeldeten gesellschaftsrechtlichen Änderungen wurden am 04.03.1999 im Handelsregister des Amtsgerichts Warendorf mit dem Vermerk „nunmehr Kommanditgesellschaft” eingetragen.
Der Kläger ist der Auffassung, der Beklagte zu 1) hafte gemäß den §§ 160, 161 Abs. 2 HGB als ausgeschiedener Gesellschafter für sämtliche Ansprüche aus Arbeitsverhältnissen, die während des bis zum 25.02.2004 reichenden Nachhaftungszeitraums bestanden hätten. Aus den am 25.02.1999 bestandenen, ungekündigten Arbeitsverhältnissen ergäben sich folgende Forderungen:
1. Ansprüche der Bundesanstalt für Arbeit (nunmehr Bundesagentur für Arbeit) gegen die Insolvenzmasse in Höhe von insgesamt
Es handelt sich dabei um die im Insolvenzgeldzeitraum vom 27.09.2002 bis 26.12.2002 auf die Bundesanstalt für Arbeitübergegangenen Arbeitsentgeltansprüche |
1.745.789,69 EUR |
2. Für nicht vom Insolvenzgeld abgedeckte Vergütungsansprüche aus dem Zeitraum 01. bis 26.09.2002 in Höhe von |
29.059,15 EUR |
3. Für die im Zeitraum 27.09.2002 bis 26.12.2002 abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt |
942.147,05 EUR |
4. Für die dem Pensionssicherungsverein gegen die Insolvenzmasse zustehenden Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung in Höhe von insgesamt |
1.664.513,01 EUR |
5. Für die den Arbeitnehmern der Schuldnerin zustehenden Ansprüche aus dem zwischenzeitlich geschlossenen
Sozialplan in Höhe von |
272.434,57 EUR |
Insgesamt |
4.653.943,47 EUR |
Die betroffenen Arbeitsverhältnisse ergeben sich im Einzelnen aus der Anlage K 10 zur Klageschrift (Bl. 149 bis 153 GA). Es handelt sich um Arbeitsverhältnisse, die mit denjenigen Kinobetriebsgesellschaften bestanden, die gemäß Einbringungs- und Übertragungsvertrag vom 04.12.1998 ab 01.01.1999 auf die Insolvenzschuldnerin übergegangen sind. Darunter befinden sich auch solche Arbeitsverhältnisse, die nach dem 01.01.1999 aber noch vor dem 25.02.1999 unmittelbar mit der Insolvenzschuldnerin neu begründet worden sind.
Das Arbeitsgericht hat sich durch rechtskräftigen Beschluss vom 02.09.2004 bezüglich der Klage auf Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 942.147,05 EUR für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit insoweit an das Sozialgericht Münster verwiesen. Im Übrigen hat es den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig erklärt.
Streitig ist, ob alle betroffenen Arbeitnehmer der Schuldnerin Kenntnis davon hatten, dass ab 01.01.1999 an die Stelle ihrer bisherigen Arbeitgeberin die U2-T1 GmbH & Co. KG trat. Nach Behauptung des Beklagten wurden sämtliche Mitarbeiter und die Betriebsräte auf einer gemeinsamen Betriebsversammlung der Unternehmen der U2-R1-Firmengruppe am 22.10.1998 und auf einer am selben Tag stattfindenden Informationsveranstaltung der Geschäftsleitung über die geplante Umstrukturierung der U2-Firmengruppe informiert. Das vorgelegte Informationsschreiben vom 23.10.1998 (Bl. 382, 383 d.A.) ist nach der Behauptung des Beklagten zu 1) zusammen mit der Lohnabrechnung für Dezember 1998 allen Arbeitnehmern zugegangen.
Demgegenüber behauptet der Kläger, eine Betriebsversammlung von allen Mitarbeitern der Unternehmer der U2-R1-Firmengruppe habe zu keinem Zeitpunkt stattgefunden. Es handele sich um mehrere tausend Mitarbeiter an unterschiedlichen Standorten im gesamten Bundesgebiet. Die behauptete Informationsveranstaltung habe weder am 22.10.1998 in D1 noch zu einem anderen Zeitpunkt und auch nicht an einem anderen Ort stattgefunden. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, der Zeuge K5 B5, habe die angeblich am 22.10.1998 stattgefundene Informationsveranstaltung mit den Gesamtbetriebsräten der U2-R1-Firmengruppe nicht bestätigt. Es habe lediglich eine Sitzung der Geschäftsleitung mit den Gesamtbetriebsräten der U2-T1 AG und der O2 F4 H6 R1 & S8 OHG am 12.10.1998 stattgefunden. Er bestreite auch vorsorglich die Behauptung, das Schreiben vom 23.10.1998 und auch ein weiteres Informationsschreiben aus Dezember 1998 sei den Beschäftigten zugegangen.
Der Beklagte zu 1) ist der Auffassung, seine Nachhaftung bestehe schon dem Grunde nach nicht, denn die KG sei nicht erst mit ihrer Eintragung, sondern schon aufgrund der Vereinbarung vom 14.12.1998 entstanden. Es sei unschädlich, dass sein Wechsel in die Kommanditistenstellung erst im März 1999 in das Handelsregister eingetragen worden sei. Im Übrigen hält er die Klageforderung für unschlüssig um meint, das Verfahren sei in entsprechender Anwendung der §§ 246, 239 ZPO auszusetzen, weil die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der persönlich haftenden Gesellschafterin der Insolvenzschuldnerin, der U2-T1 Verwaltungsgesellschaft mbH, mangels Masse abgelehnt worden sei. Weil die U2-T1 Verwaltungs GmbH von Gesetzes wegen aufgelöst worden sei, sei sie als Komplementärin aus der GmbH & Co. KG mit der Folge ihrer Auflösung ausgeschieden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil vom 14.06.2005 den Beklagten zu 1) und die Beklagte zu 2) zur Zahlung von 2.981.829,80 EUR nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei überwiegend begründet. Die Haftung für die im Jahre 2002 fällig gewordenen Forderungen ergebe sich aus § 160 HGB. Danach hafte der aus einer Gesellschaft ausgeschiedene Gesellschafter für die bis zu seinem Ausscheiden begründeten Verbindlichkeiten, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden fällig würden. Bei Dauerschuldverhältnissen sei die Rechtsgrundlage für die einzelnen Schuldverpflichtungen bereits im Arbeitsvertrag selbst angelegt. Sie seien damit im Sinne von § 160 Abs. 1 HGB begründet, auch wenn sie erst später fällig werden würden. Der Beklagte zu 1) hafte als Gründungsgesellschafter der Insolvenzschuldnerin. Sein Wechsel in die Kommanditistenstellung sei erst am 04.03.1999 in das Handelsregister eingetragen worden.
Die Forderungen seien auch der Höhe nach im Wesentlichen begründet. Unbegründet sei die Klage lediglich bezüglich der eingeklagten Sozialplanforderungen, denn dabei handele es sich um keine Altverbindlichkeiten im Sinne des § 160 HGB.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte zu 1) seinen erstinstanzlichen Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Zur Begründung seines Rechtsmittels trägt er vor, das Arbeitsgericht hätte den Rechtsstreit gemäß §§ 246, 239 ZPO aussetzen müssen. Das Arbeitsgericht habe ihn nicht darauf hingewiesen, dass sein Vortrag zur Kenntnis der Arbeitnehmer von seinem Wechsel in die Rechtsstellung eines Kommanditisten noch vor dem 01.01.1999 unsubstantiiert oder in sonstiger Weise lückenhaft sei. Dabei habe er widerspruchslos vorgetragen, dass durch die den Lohnabrechnungen angehefteten Schreiben und auch auf Betriebsversammlungen allen Arbeitnehmern mitgeteilt bzw. erklärt worden sei, dass ab 01.01.1999 ihre Arbeitgeberin die U2-T1 GmbH & Co. KG sei. Anders als vom Arbeitsgericht angenommen scheide eine Haftung des nicht in das Handelsregister eingetragener Kommanditisten nach den hier vorliegenden Umständen aus. Den Arbeitnehmern sei bekannt gewesen, dass sie es ab 01.01.1999 nur noch mit einer GmbH & Co. KG zu tun haben würden. Damit greife zu seinen Gunsten § 176 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz HGB ein.
Der Beklagte zu 1) beantragt,
auf die Berufung des Beklagten zu 1) das Teilurteil des Arbeitsgerichts Münster vom 14.06.2005 – 3 Ca 563/04 – aufzuheben und die Klage gegen den Beklagten zu 1) abzuweisen.
Die Streithelfer zu 1) des Beklagten zu 1), die Wirtschaftsprüfer und Steuerberater H1, R4 und K3, denen der Beklagte zu 1) erstinstanzlich den Streit verkündet hat, schließen sich zweitinstanzlich dem Berufungsantrag des Beklagten zu 1) an.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt dem Vorbringen des Beklagten zu 1) entgegen. Ergänzend trägt der Kläger vor, die Haftung des Beklagten ergäbe sich aus § 128 Abs. 1 HGB i.V.m. § 15 Abs. 1 HGB. Bei dem Wechsel in eine andere Gesellschafterstellung – hier vom persönlich haftenden Gesellschafter zum Kommanditisten – handele es sich um eine einzutragende Tatsache im Sinne der §§ 15 Abs. 1, 162 Abs. 1, 3 HGB. Solange diese Tatsache nicht eingetragen und bekannt gemacht worden sei, könne sie den Arbeitnehmern nicht entgegengehalten werden. Von dem Wechsel des Beklagten in die Kommanditistenstellung sei den Arbeitnehmern nichts bekannt gewesen. Die konstitutive Bedeutung des § 15 Abs. 1 HGB mit der darin angeordneten echten Rechtsscheinhaftung stehe einer Anwendung des § 613 a BGB nicht entgegen. Maßgebend für die haftungsrechtliche Beurteilung sei allein, dass die Insolvenzschuldnerin im Zeitpunkt der Begründung der jeweiligen Arbeitnehmerverbindlichkeiten, also in dem Zeitraum ab Betriebsübergang am 01.01.1999 bis zum Ausscheiden des Beklagten zu 1) als persönlich haftender Gesellschafter am 04.03.1999, im Handelsregister als OHG eingetragen gewesen sei. Der Beklagte zu 1) hafte aufgrund der negativen Publizität des Handelsregisters für Ansprüche aus denjenigen Arbeitsverhältnissen, die von der Insolvenzschuldnerin am 01.01.1999 im Wege eines Betriebsübergangs übernommen und bis zum 25.02.1999 neu begründet worden seien.
Das Verfahren gegen die Beklagte zu 2) ist gemäß § 240 ZPO unterbrochen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokollerklärungen ergänzend Bezug genommen.