BAG Urteil vom 28.10.2008 - 3 AZR 317/07
Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung Betriebsrenten. Übergangsgelder. Begriff der betrieblichen Altersversorgung. Übergangsbezüge. Altersgrenze von 60 Jahren. Versorgungszweck. formelle und materielle Abgrenzungskriterien. Ausgleich der durch die frühere Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehenden Nachteile. Unterscheidung von Zweck und Anlass einer Leistung
Leitsatz (amtlich)
Wird das “Pensionsalter” von der Vollendung des 65. Lebensjahres auf die Vollendung des 60. Lebensjahres herabgesetzt und werden zum Ausgleich für die frühere Beendigung des Arbeitsverhältnisses “Übergangsbezüge” ab Eintritt in den Ruhestand bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gezahlt, so handelt es sich bei dieser Leistung um eine zeitlich befristete betriebliche Altersversorgung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Vertragspartner die Altersgrenze von 60 Jahren bei einer typisierenden Betrachtung für sachgerecht halten durften.
Orientierungssatz
1. Wie die versprochene Leistung einzuordnen ist, richtet sich allein danach, ob die im Betriebsrentengesetz abschließend aufgezählten Voraussetzungen erfüllt sind. Die Zusage muss einem Versorgungszweck dienen, die Leistungspflicht nach dem Inhalt der Zusage durch ein im Betriebsrentengesetz genanntes biologisches Ereignis (Alter, Invalidität oder Tod) ausgelöst werden, und es muss sich um die Zusage eines Arbeitgebers aus Anlass eines Arbeitsverhältnisses handeln.
2. Der Begriff “Versorgung” ist weit auszulegen. Darunter fallen alle Leistungen, die den Lebensstandard des Arbeitnehmers oder seiner Hinterbliebenen im Versorgungsfall verbessern sollen.
3. Bei der Beantwortung der Frage, ob die vereinbarte Leistung auf das Alter zugeschnitten ist oder – wie die Übergangsgelder – einem anderen Zweck dient, kommt dem Leistungsbeginn große Bedeutung zu. Übergangsgelder überbrücken die Zeit bis zum Eintritt in den Ruhestand oder in ein neues Arbeitsverhältnis. Ein derartiger Überbrückungszweck fehlt, wenn die Leistung erst mit dem Eintritt in den Ruhestand beginnen soll.
4. Der Senat konnte offenlassen, ob eine Altersgrenze, die das 60. Lebensjahr nicht unterschreitet, ohne weitere Voraussetzungen für eine betriebliche Altersversorgung ausreicht, wofür viel spricht. Jedenfalls im vorliegenden Fall war die Wahl dieser Altersgrenze bei typisierender Betrachtung nicht zu beanstanden, sondern sachgerecht. Eine vertretbare Einschätzung der Verhältnisse ist zu akzeptieren.
5. Der Versorgungszweck hängt nicht von den Gründen und dem Anlass des Leistungsversprechens ab. Wenn bei objektiver Betrachtung eine zeitlich befristete Betriebsrente zugesagt worden ist, spielt es keine Rolle, dass es sich um eine Gegenleistung für eine für den Versorgungsberechtigten nachteilige Änderung seiner Arbeitsbedingungen handelt (hier: Herabsetzung der Altersgrenze für die Dauer des Arbeitsverhältnisses und für den Eintritt in den Ruhestand). Ebenso unerheblich ist die Bezeichnung als “Übergangsbezüge”.
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 14.03.2007; Aktenzeichen 3 Sa 1673/06) |
ArbG Siegen (Urteil vom 06.06.2006; Aktenzeichen 1 Ca 1932/05) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14. März 2007 – 3 Sa 1673/06 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Sachentscheidung des Landesarbeitsgerichts zur Klarstellung wie folgt gefasst wird:
Es wird festgestellt, dass dem Kläger eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft auf die Zahlung von “Übergangsbezügen” gem. § 1 Nr. 1 der Richtlinie für die Gewährung von Übergangsbezügen in der Fassung vom 5. Oktober 1999 ab dem 1. Juli 2009 bis einschließlich 30. Juni 2014 zusteht.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Kläger die vereinbarten “Übergangsbezüge” zu zahlen.
Rz. 2
Der am 8. April 1949 geborene Kläger war vom 1. September 1976 bis einschließlich 30. September 2004 bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen, der T… Aktiengesellschaft (T… AG) und der C… (C…) beschäftigt. In § 10 Nr. 5 Satz 2 Buchst. a des Dienstvertrages vom 12. Dezember/15. Dezember 1991 hatte die T… AG mit dem Kläger vereinbart, dass sein Arbeitsverhältnis “mit dem Ablauf des Kalenderhalbjahres, in dem der Mitarbeiter das 65. Lebensjahr vollendet,” ohne Kündigung ende. Die C…, auf die das Arbeitsverhältnis überging, vereinbarte generell mit ihren Beschäftigten die Vollendung des 65. Lebensjahres als Altersgrenze. Im Jahre 1998 verschmolzen die C… und die P… (P…) zur Beklagten. Dabei wurde eine Harmonisierung der Arbeitsbedingungen beider Gesellschaften und eine Umstrukturierung der betrieblichen Altersversorgung angestrebt. Mit Schreiben vom 22. Dezember 1999 bot die Beklagte dem Kläger einen Änderungsvertrag an. Dieses Schreiben enthielt folgende Hinweise:
“im Zusammenhang mit dem Zusammenschluss von C… und P… in Deutschland haben wir bereits verschiedentlich angekündigt, dass im Partnerbereich eine Harmonisierung der Altersversorgung und Pensionierungsgrenze angestrebt würde.
Die entsprechenden Überlegungen sind nunmehr abgeschlossen und sollen Ihnen hiermit vorgestellt werden. Angestrebt wird danach
– die Umstellung der Altersversorgung von einem leistungsorientierten System auf ein beitragsorientiertes System rückwirkend ab 1. Oktober 1998,
– die Herabsetzung des vertraglich festgelegten Pensionierungsalters von z. Zt. 65 auf 60 Jahre.
…
Zur konkreten Umsetzung dieser Überlegungen machen wir Ihnen ein Angebot zur entsprechenden Änderung Ihres Anstellungsvertrages, das als Anlage beigefügt ist.
Lassen Sie uns zur Erläuterung dieses Angebotes und der dahinter stehenden Überlegungen folgendes ausführen:
…
2. Herabsetzung der Altersgrenze von 65 auf 60
Die vertragliche Altersgrenze für neue Partner von P… wird national und international bei 60 liegen (vgl. Merger Proposal, S. 73). 60 ist auch die vertragliche Altersgrenze für die Ex-P-Partner, die per 1. Oktober 1998 zu P… gewechselt sind. Für die ehemaligen C-Partner, die am 1. Oktober 1998 zu P… gewechselt sind, gilt dagegen z.Zt. noch weiterhin (im allgemeinen) die bisherige Altersgrenze von 65.
Vor allem vor dem Hintergrund der internationalen Verhältnisse wollen wir für Deutschland das Pensionierungsalter für die ehemaligen C… Partner mit einer Übergangszeit von fünf Jahren ebenfalls auf 60 herabsetzen.
…
Wegen der näheren Einzelheiten verweisen wir auf die der ‘Richtlinie für die Gewährung von Übergangsbezügen’ beigefügten Tabelle.
b) Zum Ausgleich für die Herabsetzung des Pensionierungsalters erhält der Partner für die Zeit ab vorgezogener Pensionierung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Übergangsbezüge. Sie richten sich …
…
d) Ergänzend weisen wir darauf hin, dass ab der vorgezogenen Pensionierung die Altersrente nach Maßgabe des in diesem Zeitpunkt erdienten Anspruchs gezahlt wird.
3. Deferred compensation
…
4. Einheitliches Angebot
Wir bitten um Verständnis, dass wir die Umstellung der Altersversorgung von einem leistungsorientierten auf ein beitragsorientiertes System und die Herabsetzung der Altersgrenze von 65 auf 60 in Kombination mit der Zahlung von Übergangsbezügen nur als ‘Paket’ anbieten, weil die entsprechende Änderung Ihres Anstellungsvertrages für uns eine Einheit darstellt.
…”
Rz. 3
Der Kläger nahm das Angebot der Beklagten an. Die Vereinbarung vom 14. Dezember/27. Dezember 1999 lautet auszugsweise:
“1. Änderung der Altersversorgungszusage
…
2. Herabsetzung der vertraglichen Altersgrenze gegen Übergangsbezüge
a) Herabsetzung der Altersgrenze
Es wird hiermit vereinbart, dass das Anstellungsverhältnis am Ende des Monats endet, der sich unter Berücksichtigung Ihres Geburtsjahres/monats aus der als Anlage 1 beigefügten ‘Richtlinie über Gewährung von Übergangsbezügen i.d.F. v. 5. Oktober 1999’ beigefügten Tabelle ergibt, frühestens jedoch zum 31. März 2000.
…
b) Übergangsbezüge
Nach Ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst erhalten Sie von der Gesellschaft Übergangsbezüge gemäß der als Anlage 2 beigefügten ‘Richtlinie über Gewährung von Übergangsbezügen i.d.F. v. 5. Oktober 1999’.
…”
Rz. 4
Der Partnerpensionsplan in der Fassung vom 5. Oktober 1999 (PPP) enthält folgende Regelungen zum “normalen Pensionierungstag” und zum Inkrafttreten:
“§ 5 Altersversorgung
1. Die Altersversorgung wird an Partner gewährt, die zu ihrem normalen Pensionierungstag aus den Diensten der Gesellschaft ausgeschieden sind.
2. Normaler Pensionierungstag ist das Ende des Geschäftsjahres, in dem der Partner das 60. Lebensjahr vollendet, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist.
…
§ 23 Inkrafttreten
Dieser Pensionsplan tritt rückwirkend zum 1. Oktober 1998 in Kraft. …”
Rz. 5
In den Richtlinien für die Gewährung von Übergangsbezügen Stand: 5. Oktober 1999 (RL ÜV) heißt es:
“…
§ 1 Beginn und Ende der Zahlung
1. Übergangsbezüge werden ab dem Monat, der auf das Ausscheiden aus der Gesellschaft folgt, bis zum Ablauf des Kalendervierteljahres, in dem der Partner das 65. Lebensjahr vollendet, gewährt.
2. Scheidet der Partner vor Erreichen der vertraglich vereinbarten Altersgrenze (frühestens 60. Lebensjahr) aus den Diensten der Gesellschaft aus, entfällt der Anspruch auf Zahlung der Übergangsbezüge.
…
§ 5 Zahlungsweise
Die Übergangsbezüge werden in Teilbeträgen gezahlt, und zwar
…
§ 9 Inkrafttreten
Diese Richtlinie tritt zum 1. Januar 2000 in Kraft.”
Rz. 6
Der Kläger beendete sein Arbeitsverhältnis durch Kündigung vom 30. März 2004 zum 30. September 2004. Die Beklagte sprach daraufhin eine außerordentliche Kündigung aus, deren Unwirksamkeit das Arbeitsgericht Siegen mit Urteil vom 16. August 2004 – 4 Ca 856/04 – rechtskräftig festgestellt hat. Mit Schreiben vom 10. Februar 2005 erteilte die Beklagte dem Kläger Auskunft über die Höhe der ihm zustehenden Besitzstands- und Zuwachsrente nach dem PPP. Sie lehnte eine Auskunft über die Höhe der “Übergangsbezüge” ab, weil diese dem Kläger nicht zustünden.
Rz. 7
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, ihm “Übergangsbezüge” zu gewähren. Mit seinem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis sei der Anspruch nicht verfallen. Dies sei zwar in § 1 Nr. 2 RL ÜV vorgesehen. Die Regelung verstoße aber gegen §§ 1b, 30 f BetrAVG und sei deshalb unwirksam. Die vereinbarten “Übergangsbezüge” gehörten zur betrieblichen Altersversorgung. Die gesetzlichen Begriffsmerkmale seien erfüllt. Insbesondere diene die Leistung einem Versorgungszweck.
Rz. 8
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn Übergangsbezüge gem. § 1 Abs. 2 der Richtlinie für die Gewährung von Übergangsbezügen in der Fassung vom 5. Oktober 1999 ab dem 1. Juli 2009 bis zum 30. Juni 2014 zu zahlen.
Rz. 9
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Ausschlussregelung des § 1 Nr. 2 RL ÜV sei wirksam. Eine unverfallbare Anwartschaft auf die “Übergangsbezüge” habe der Kläger nicht erworben, weil es sich bei dieser Leistung nicht um eine Altersversorgung im Sinne des Betriebsrentengesetzes handele. Eine derartige Versorgung liege nicht schon deshalb vor, weil die Zahlung der Übergangsbezüge mit dem Erreichen des 60. Lebensjahres beginne. Unerheblich sei es, dass der PPP ebenfalls an diese Altersgrenze anknüpfe. Entscheidend sei, dass die “Übergangsbezüge” nicht vorrangig einem Versorgungszweck, sondern einem anderen Zweck dienten. Sie seien ein Ausgleich für die Einkommensverluste, die dem Kläger dadurch entstünden, dass er sich mit der Herabsetzung der für die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses maßgebliche Altersgrenze einverstanden erklärt habe. Entsprechend diesem Zweck sei die Leistung ausgestaltet worden.
Rz. 10
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Die Beklagte möchte mit ihrer Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.