BAG Urteil vom 13.11.2007 - 9 AZR 134/07
Leitsatz (amtlich)
1. Die Vertragsparteien dürfen im Rahmen der gesetzlichen Grenzen das für ihren Vertrag maßgebende nationale Recht wählen. Die Voraussetzungen einer konkludenten Rechtswahl bestimmen sich nach Art. 27 Abs. 1 EGBGB. Danach ist ausreichend, dass sich die Rechtswahl mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falls ergibt.
2. Die Wahl ausländischen Rechts berührt nach Art. 34 EGBGB nicht die Anwendung der Bestimmungen des deutschen Rechts, die ohne Rücksicht auf das nach dem Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln (Eingriffsnormen). Eine solche zwingende Wirkung hat § 8 TzBfG nicht. Die Vorschrift dient vorrangig den Individualinteressen der Arbeitnehmer und nicht öffentlichen Gemeinwohlinteressen. Sie gleicht das Interesse des Arbeitnehmers an einer Verringerung der Arbeitszeit gegenüber dem Interesse des Arbeitgebers an einer Beibehaltung der längeren Arbeitszeit aus. Zwar soll § 8 TzBfG Teilzeitarbeit fördern und dadurch auch Entlastungseffekte auf dem Arbeitsmarkt bewirken. Dieses öffentliche Interesse wird lediglich als Reflex des vorrangig individuellen Zwecken dienenden Anspruchs auf Teilzeitarbeit mittelbar gefördert.
Orientierungssatz
1. Eine vor einem deutschen Gericht erhobene Klage ist nur zulässig, wenn der Rechtsstreit der deutschen Gerichtsbarkeit unterfällt. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist eine auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfende Sachurteilsvoraussetzung.
2. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte kann auch durch Gerichtsstandsvereinbarung begründet werden. Ob eine Gerichtsstandsvereinbarung überhaupt zustande gekommen ist, muss nach derjenigen Rechtsordnung beurteilt werden, nach der sich das zugrunde liegende, den Inhalt des gesamten Vertrags bildende materielle Rechtsverhältnis der Parteien richtet. Die Parteien dürfen im Rahmen der gesetzlichen Grenzen das für ihren Vertrag maßgebende nationale Recht wählen. Die Voraussetzungen einer konkludenten Rechtswahl bestimmen sich nicht nach dem gewählten Recht, sondern nach Art. 27 Abs. 1 EGBGB. Danach ist ausreichend, dass sich die Rechtswahl mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falls ergibt.
3. Nach Art. 30 Abs. 1 EGBGB darf bei Arbeitsverträgen und Arbeitsverhältnissen die Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts gewährt wird, das nach Art. 30 Abs. 2 EGBGB mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre. Nach Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB findet mangels einer Rechtswahl auf Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse das Recht des Staats Anwendung, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, selbst wenn er vorübergehend in einen anderen Staat entsandt wird. Diese Regelanknüpfung an den Arbeitsort kommt bei Flugbegleitern im internationalen Flugverkehr nicht in Betracht. Ein bestimmter Arbeitsort kann für diese Arbeitnehmer nicht bestimmt werden. Sie erfüllen ihre überwiegenden Arbeitsleistungen während des Flugs ohne Bezug zu einem bestimmten Staat.
4. Nach Art. 30 Abs. 2 2. Halbs. EGBGB gilt die nach Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 und 2 EGBGB zu treffende Zuordnung des Arbeitsverhältnisses ausnahmsweise nicht, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Arbeitsvertrag engere Verbindungen zu einem anderen Staat aufweist. In diesem Fall ist das Recht des anderen Staats anzuwenden. Die Verbindung mit dem anderen Staat muss stärker sein als die durch die Regelanknüpfung nach Art. 30 Abs. 2 EGBGB hergestellte Beziehung. Dabei ist die Gesamtheit der Umstände zu würdigen. Es ist von wesentlicher Bedeutung, von welchem Staat aus die wichtigen das Arbeitsverhältnis betreffenden Entscheidungen getroffen werden, insbesondere Abmahnungen und Kündigungen.
5. Die Wahl ausländischen Rechts berührt nach Art. 34 EGBGB nicht die Anwendung der Bestimmungen des deutschen Rechts, die ohne Rücksicht auf das nach dem Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln (Eingriffsnormen). Eine solche zwingende Wirkung hat § 8 TzBfG nicht. Die Vorschrift dient vorrangig den Individualinteressen der Arbeitnehmer und nicht öffentlichen Gemeinwohlinteressen. Eine Norm, die wie § 8 TzBfG öffentliche Gemeinwohlinteressen nur reflexartig schützt, ist keine Eingriffsnorm iSv Art. 34 EGBGB.
Normenkette
TzBfG § 8; ZPO §§ 23, 38-39, 504; ArbGG § 101 Abs. 2; EGBGB Art. 27, 30, 34; BGB § 126; UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (UNÜ) Art. II, Art. V
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 13.11.2006; Aktenzeichen 17 Sa 816/06) |
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 24.03.2006; Aktenzeichen 5/13/6 Ca 3988/05) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 13. November 2006 – 17 Sa 816/06 – aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Verringerung der Arbeitszeit.
Die Beklagte ist eine international tätige Fluggesellschaft US-amerikanischen Rechts mit weltweit über 16.000 Flugbegleiterinnen und Flugbegleitern. Ihr Sitz ist in Chicago. Sie unterhält in Frankfurt am Main ein Büro (sog. “Base”) mit neun Mitarbeitern. Der Base in Frankfurt am Main sind über 200 Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter zugeordnet, von denen etwa 80 die deutsche und etwa 100 die US-amerikanische Staatsangehörigkeit haben.
Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in Deutschland. Sie ist Mutter zweier am 26. August 2002 und 16. März 2004 geborener Kinder. Sie ist seit Februar 1997 bei der Beklagten als Flugbegleiterin beschäftigt.
Während einer Einführungsschulung in Chicago unterschrieb die Klägerin das in englischer Sprache geschriebene “Pre-Hire Agreement Regarding Terms and Conditions of Employment” (in der Folge: Pre-Hire Agreement) vom 10. Februar 1997. Darunter befindet sich eine weitere Unterschrift über dem Vermerk “Witness (UA Representative)”. Nach Nr. 5 des Pre-Hire Agreement sollen die “Bedingungen und Bestimmungen Ihres Beschäftigungsverhältnisses” ausschließlich dem Recht der Vereinigten Staaten von Amerika unterliegen. Nach Nr. 6 des Pre-Hire Agreement sind für sämtliche Streitigkeiten und Rechtsstreite bezüglich oder in Verbindung mit den Beschäftigungsbedingungen und -bestimmungen entweder das AFA/United-Beschwerdeverfahren und der Systemausschuss für Schlichtung (“System Board of Adjustment”) oder die Gerichte der Vereinigten Staaten von Amerika und des Bundesstaats Illinois zuständig. Im Pre-Hire Agreement ist die Geltung des zwischen der Beklagten und der Association of Flight Attendants (AFA) geschlossenen Abkommens (in der Folge: AFA-Abkommen) geregelt. Das AFA-Abkommen regelt ua. das Gehalt und sonstige Arbeitsbedingungen der Flugbegleiter sowie die Schlichtung vor dem System Board of Adjustment.
Die Klägerin ist seit ihrer Einstellung als Flugbegleiterin der Base Frankfurt am Main zugeordnet und wird auf den Strecken Frankfurt am Main – Washington und Frankfurt am Main – Chicago und zurück eingesetzt. In der Regel absolviert sie fünf Interkontinentalflüge im Monat, wobei jeder Einsatz ca. drei Tage in Anspruch nimmt. Sie leistet hierbei monatlich 80 bis 90 Arbeitsstunden. Vor jedem Flug hat sie sich ca. eine Stunde und 45 Minuten vor dem Start am Flughafen einzufinden. In dieser Zeit findet ua. das “Pre-Flight-Briefing” statt, und sie kann – dies ist allerdings über das Internet auch von anderen Orten aus möglich – im Wege des “Bidding-Verfahrens” Flugwünsche angeben. Die endgültige Zuteilung der Einsätze erfolgt über die Zentrale der Beklagten in Chicago. Die Flugzeuge, auf denen die Klägerin eingesetzt ist, sind in den Vereinigten Staaten von Amerika registriert. Das Arbeitsentgelt der Klägerin wird in US-Dollar berechnet, wobei die Beklagte der Klägerin einen gewissen Mindestwechselkurs garantiert. Die Klägerin ist in Deutschland sozialversichert und steuerpflichtig. Sie verfügt über keine Arbeitserlaubnis für die USA. Ihre Personalakte wird in Frankfurt am Main geführt.
Nach der Geburt ihres zweiten Kindes war die Klägerin zunächst seit Dezember 2004 wieder für die Beklagte tätig. Mit Schreiben vom 15. Februar 2005 beantragte sie, ihre Arbeitszeit ab 1. Juni 2005 auf “50 bis maximal 58 Flugstunden im Monat” herabzusetzen. Mit Schreiben vom 9. Mai 2005 lehnte die Beklagte eine Verringerung der vertraglichen Arbeitszeit ab. Für die Zeit vom 29. September 2005 bis 26. März 2006 nahm die Klägerin Elternzeit in Anspruch. Seit dem 27. März 2006 ist sie wieder für die Beklagte tätig.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finde deutsches Recht Anwendung. Ihr Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit ergebe sich aus § 8 TzBfG.
Bei der Base Frankfurt am Main handle es sich um eine Niederlassung iSv. Art. 30 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB. Das Arbeitsverhältnis weise enge Verbindungen zu Deutschland als Sitz der für die Klägerin zuständigen Base auf. Die Flugtauglichkeitsuntersuchung sei in Deutschland durchgeführt worden. Die Klägerin sei von Anfang an und durchgehend von der Base Frankfurt am Main aus tätig gewesen. Ihre direkten Vorgesetzten und Ansprechpartner befänden sich ausschließlich in der Base Frankfurt am Main. Auch habe die Klägerin gerade keine Arbeitserlaubnis für die USA, sondern verfüge nur über eine Einreisegenehmigung und Aufenthaltserlaubnis bis zum Antritt ihres Rückflugs. Da Flugbegleiter in Ausnahmefällen innerhalb von weniger als vier Stunden vor dem Abflug zum Dienst gerufen werden könnten und das “Pre-Flight-Briefing” bereits eine Stunde und 45 Minuten vor dem Abflug beginne, müssten sich Flugbegleiter, die der Base Frankfurt am Main zugeordnet seien, im Umkreis von Frankfurt am Main aufhalten. Der Wohnort sei daher nicht – wie von der Beklagten dargestellt – unwichtig.
Abmahnungen für die der Base Frankfurt am Main zugeordneten Mitarbeiter erfolgten von Frankfurt am Main aus.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass sich das Arbeitsverhältnis vom 8. Februar 1997 zwischen den Parteien durch den Antrag der Klägerin vom 15. Februar 2005 in ein Teilzeitarbeitsverhältnis des Inhalts geändert hat, dass sich die vertragliche Arbeitszeit der Klägerin auf 50 % reduziert;
hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, einer Herabsetzung der zwischen den Parteien vereinbarten Arbeitszeit auf 50 % zuzustimmen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie rügt die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit. Zudem sei auf das Arbeitsverhältnis der Parteien US-amerikanisches Recht anzuwenden. Die Klägerin habe deshalb keinen Anspruch auf Teilzeitarbeit. Die Anwendbarkeit deutschen Rechts ergebe sich auch nicht aus Art. 30 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB, da es sich bei der Base Frankfurt am Main nicht um eine Niederlassung handle. Selbst wenn die Base als Niederlassung anzusehen sei, handle es sich hierbei nicht um die Niederlassung, die die Klägerin eingestellt habe. Abzustellen sei auf die Niederlassung, in der der Arbeitsvertrag abgeschlossen worden sei. Dies sei vorliegend in Chicago geschehen. Es komme nicht darauf an, in welcher Niederlassung ein Arbeitnehmer nach Vertragsschluss tatsächlich eingesetzt werde.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sei auch deswegen US-amerikanisches Recht anwendbar, weil sich aus der Gesamtheit der Umstände ergebe, dass das Arbeitsverhältnis engere Verbindungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika aufweise. Bereits die Stellenanzeige sei in englischer Sprache gehalten, weil dies die “Muttersprache” der Beklagten sei. Wesentliche Teile des Direktionsrechts, nämlich die Entscheidungen über Arbeitseinsatz, Art und Weise, Ort und Zeit der Leistungserbringung etc., würden ausschließlich vom Sitz der Beklagten in Chicago aus ausgeübt. Die Klägerin erbringe nicht einmal 5 % ihrer Arbeitsleistung auf deutschem Boden. Nach dem “Pre-Flight-Briefing” von etwa 15 bis 20 Minuten Dauer und einem etwa ebenso langen Fußweg zum Flugzeug verbringe der Flugbegleiter etwa eine Stunde vor dem Abflug der Maschine an Bord wegen notwendiger Vorbereitungsmaßnahmen. Die Maschine sei in den Vereinigten Staaten von Amerika registriert, die Arbeitnehmer befänden sich somit an Bord nicht mehr auf deutschem Hoheitsgebiet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Verringerungsanspruch weiter. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung im Revisionsverfahren die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gerügt.