4.5 Mindestlohn für Auszubildende
Für ab dem 1.1.2020 neu beginnende Berufsausbildungsverhältnisse (der Ausbildungsvertragsabschluss kann schon vor dem 1.1.2020 erfolgt sein) enthält § 17 BBiG eine abgestufte Mindestlohnregelung. Gemäß § 17 Abs. 1 BBiG muss die Ausbildungsvergütung in jedem Fall "angemessen" sein. Dabei hat der Arbeitgeber den Lohn mit Fortgang der Ausbildung, mindestens jedoch einmal jährlich, zu erhöhen. Konkrete Vorgaben über die Mindestentgelte mit Wirkung dem 1.1.2020 für die dann beginnenden Ausbildungsverhältnisse enthält § 17 Abs. 2 BBiG. Danach besteht ein Mindestanspruch im 1. Jahr einer Berufsausbildung in Höhe von:
- 515 EUR, wenn die Berufsausbildung im Zeitraum vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 begonnen wurde,
- 550 EUR, wenn die Berufsausbildung im Zeitraum vom 1.1.2021 bis zum 31.12.2021 begonnen wurde,
- 585 EUR, wenn die Berufsausbildung im Zeitraum vom 1.1.2022 bis zum 31.12.2022 begonnen wurde,
- 620 EUR, wenn die Berufsausbildung im Zeitraum vom 1.1.2023 bis zum 31.12.2023 begonnen wurde,
- 649 EUR, wenn die Berufsausbildung im Zeitraum vom 1.1.2024 bis zum 31.12.2024 begonnen wurde,
- 682 EUR, wenn die Berufsausbildung im Zeitraum vom 1.1.2025 bis zum 31.12.2025 begonnen wird.
Seit 2024 wird die Höhe der Mindestvergütung jeweils zum 1.1. eines Jahres fortgeschrieben. Die nächste Bekanntmachung erfolgt 2025.
Im 2. Jahr einer Berufsausbildung erhöht sich der Mindestlohn um 18 % des Ausgangswerts unter a) bis f). Im 3. Jahr einer Berufsausbildung erhöht sich der Anspruch um 35 % und im 4. Jahr einer Berufsausbildung um 40 %.
Name: LI13027245 Rz:Praxis-Beispiel
Rechenbeispiel zu § 17 Abs. 2 BBiG
Ein Auszubildender beginnt seine Ausbildung am 1.3.2022 und erhält somit bis Ende Februar 2023 mindestens 585 EUR. Seit dem 1.3.2023 erhält er 690,30 EUR, ab dem 1.3.2024 erhöht sich sein Anspruch auf 789,75 EUR usw.
Unterschritten werden darf der Mindestlohn nach § 17 Abs. 2 BBiG nur durch eine für den Ausbildenden nach § 3 Abs. 1 TVG geltende tarifvertragliche Vergütungsregelung. [ 58 ] Andererseits fehlt es an der Angemessenheit einer über den Mindestlohnvorgaben des § 17 Abs. 2 BBiG liegenden Vergütung, wenn sie die Höhe der in einem Tarifvertrag geregelten Ausbildungsvergütung, in dessen Geltungsbereich das Ausbildungsverhältnis fällt, an den der Ausbildende aber nicht gebunden ist, um mehr als 20 % unterschreitet.
Name: LI13027246 Rz:Praxis-Beispiel
Unterschreiten des Tariflohnniveaus
Der am 1.3.2021 eingestellte, nicht tarifgebundene Auszubildende erhält im ersten Ausbildungsjahr 600 EUR Vergütung und liegt damit über der Mindestlohngrenze des § 17 Abs. 2 BBiG. Der – im Fall bestehender Tarifbindung – für den Auszubildenden anwendbare Tarifvertrag sieht einen Mindestlohn für Auszubildende im ersten Ausbildungsjahr von 900 EUR vor. Die konkrete Vergütungsvereinbarung ist unangemessen, da sie den Tariflohn um mehr als 20 % (= 180 EUR) unterschreitet – der Auszubildende hat Anspruch auf Zahlung von mindestens 720 EUR.
Bei der Teilzeitberufsausbildung darf Vergütung natürlich unterschritten werden, sofern dies prozentual der verkürzten täglichen oder der wöchentlichen Arbeitszeit entspricht. [ 59 ] Sachleistungen können nach den in § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB IV festgesetzten Sachbezugswerten mit bis zu 75 % der Bruttovergütung angerechnet werden. [ 60 ] Mehrarbeit und Überstunden sind zusätzlich zu den genannten Mindestlohnansprüchen zu vergüten oder durch die Gewährung entsprechender Freizeit auszugleichen. [ 61 ]
4.6 Mindestlohn für Leiharbeitnehmer nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)
Grundsätzlich gilt auch für Leiharbeitnehmer das Mindestlohngesetz. Zusätzlich gelten einige Besonderheiten: Nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz muss den nach § 3a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindestentgelten Rechnung getragen werden, welche bis zum 31.3.2024 in der "Fünften Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung" festgelegt worden sind. Nachdem diese Verordnung außer Kraft getreten ist, gilt nunmehr unmittelbar der Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz. Allerdings ist es zu einem neuen Tarifvertragsabschluss in der Zeitarbeitsbranche gekommen. Die Neuregelung gilt ab dem 1.10.2024 und sieht für die (unterste) Entgeltgruppe 1 einen Mindestlohn von 14 EUR vor, der ab dem 1.3.2025 auf 14,53 EUR steigt. Die Tarifvertragsparteien haben die Allgemeinverbindlichkeit dieser Regelung beantragt.
Werden Leiharbeitnehmer mit Tätigkeiten beschäftigt, die in den Anwendungsbereich eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags fallen, haben sie Anspruch auf den in diesem Bereich zu zahlenden tariflichen Branchenmindestlohn. Allerdings darf gemäß § 8 Abs. 2 AÜG aufgrund eines zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher geltenden Tarifvertrags [ 62 ] von diesem Branchenmindestlohnanspruch auch zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden.
Eine weitere tarifvertragliche Unterschreitung des Branchenmindestlohns ist gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG zulässig für die ersten 9 Monate der Überlassung des Leiharbeitnehmers an den Entleiher.
Name: LI15328852 Rz:Hinweis
Unterschreiten des Mindestlohns durch Tarifvertrag
Im Fall eines Unterschreitens der Lohnuntergrenze nach § 3a Abs. 2 AÜG durch einen Tarifvertrag gilt nach § 8 Abs. 2 Satz 4 AÜG der "Equal-Pay-Grundsatz". Dieser legt fest, dass das Entgelt eines Leiharbeitnehmers während der Dauer der Überlassung dem Entgelt entsprechen muss, welches ein vergleichbarer Arbeitnehmer des Entleihers erhält. Diese Regelung soll den Schutz von Leiharbeitnehmern sicherstellen.
1 Bezahlung unter Mindestlohn
Sofern dem Arbeitnehmer trotz des nach dem Mindestlohngesetz vorgesehenen Mindestlohns (ab 1.1.2025: 12,82 EUR je Arbeitsstunde; 2024: 12,41 EUR je Arbeitsstunde) [ 63 ] von seinem Arbeitgeber tatsächlich nur ein geringeres Bruttoarbeitsentgelt ausgezahlt wird, gilt Folgendes: Der Entgeltbestandteil, der nicht an den Arbeitnehmer ausgezahlt wird, aber arbeitsrechtlich beansprucht werden kann, ist gleichwohl beitragspflichtig zur Sozialversicherung, soweit es sich um laufendes Arbeitsentgelt handelt.
2 Entstehen der Beitragsansprüche
Der Beitragsanspruch entsteht mit Bestehen bzw. Entstehen des Anspruchs auf das volle Arbeitsentgelt. [ 64 ] Es spielt deshalb keine Rolle, wann es gezahlt wird bzw. ob es evtl. nur zum Teil tatsächlich an den Arbeitnehmer zur Auszahlung gelangt.
Ausschließlich bei Einmalzahlungen (Sonderzahlungen) gilt im SV-Recht das "Zuflussprinzip". Das heißt, der Anspruch auf die zu zahlenden Beiträge entsteht hier erst mit dem tatsächlichen Zufluss des einmalig gezahlten Arbeitsentgelts. [ 65 ]
[ 1 ] |
Es handelt sich um eine (unabdingbare) Eingriffsnorm i. S. v. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, vgl. BAG, Urteil v. 24.6.2021, 5 AZR 505/20: Die arbeitsvertragliche Anknüpfung an einem ausländischen Vertragsrecht lässt den Mindestlohnanspruch daher nicht entfallen. |
[ 2 ] |
ArbG Gießen, Urteil v. 13.4.2021, 5 Ca 188/20. |
[ 3 ] |
Richtlinie (EU) 2022/2041 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.10.2022 über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union (ABl. EU 2022 L 275/33). |
[ 4 ] |
Nach Ansicht des Generalanwalts (Schlussanträge v. 14.1.2025, C-19/23) ist die Richtlinie nicht von Art. 153 AEUV gedeckt und somit unwirksam. |
[ 5 ] | |
[ 6 ] |
§ 22 Abs. 1 Satz 1 MiLoG; s. auch "Mindestlohn: Wen betrifft der Mindestlohn?". |
[ 7 ] | |
[ 8 ] | |
[ 9 ] | |
[ 10 ] |
LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 11.1.2016, 1 Sa 224/15: Keine Anwendbarkeit auf behinderte Menschen, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen i. S. v. § 136 Abs. 1 SGB IX tätig sind; s. auch OLG Hamburg, Beschluss v. 15.7.2015, 3 Ws 59/15 Vollz: Keine Anwendbarkeit auf Strafgefangene. |
[ 11 ] | |
[ 12 ] | |
[ 13 ] | |
[ 14 ] |
BAG, Urteil v. 30.1.2019, 5 AZR 556/17: Zusammenrechnung auch bei Unterbrechungen, wenn ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht. |
[ 15 ] |
§ 54a SGB III. |
[ 16 ] | |
[ 17 ] | |
[ 18 ] | |
[ 19 ] | |
[ 20 ] |
S. dazu Abschn. 4.5. |
[ 21 ] | |
[ 22 ] |
ArbG Naumburg, Urteil v. 23.6.2005, 1 (2) Ca 1743/04. |
[ 23 ] |
Vgl. zur Berechnung BAG, Urteil v. 25.5.2016, 5 AZR 135/16. |
[ 24 ] |
BAG, Urteil v. 29.6.2016, 5 AZR 716/15; BAG, Urteil v. 24.6.2021, 5 AZR 505/20. |
[ 25 ] | |
[ 26 ] |
BAG, Urteil v. 25.4.2018, 5 AZR 424/17; BAG, Urteil v. 17.1.2018, 5 AZR 69/17. |
[ 27 ] |
BAG, Urteil v. 17.4.2019, 5 AZR 250/18; BAG, Urteil v. 24.6.2021, 5 AZR 505/20: Anspruch auf Mindestlohn auch für Zeiten des Bereitschaftsdienstes; BAG, Urteil v. 11.10.2017, 5 AZR 591/16, zur unterschiedlichen Vergütung von "Vollarbeit" und Bereitschaftsdienst innerhalb eines Arbeitsverhältnisses. |
[ 28 ] | |
[ 29 ] |
BAG, Urteil v. 25.4.2018, 5 AZR 424/17; zur entsprechenden Darlegungs- und Beweislast s. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 30.8.2018, 26 Sa 1151/17. |
[ 30 ] | |
[ 31 ] |
BAG, Urteil v. 17.1.2018, 5 AZR 69/17; BAG, Urteil v. 6.12.2017, 5 AZR 864/16; BAG, Urteil v. 25.5.2016, 5 AZR 135/16. |
[ 32 ] |
BAG, Urteil v. 17.1.2018, 5 AZR 69/17. |
[ 33 ] |
BAG, Urteil v. 6.12.2017, 5 AZR 864/17. |
[ 34 ] |
BAG, Urteil v. 25.4.2018, 5 AZR 25/17; BAG, Urteil v. 17.1.2018, 5 AZR 69/17. |
[ 35 ] | |
[ 36 ] | |
[ 37 ] | |
[ 38 ] | |
[ 39 ] | |
[ 40 ] |
A. a. O., für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. |
[ 41 ] |
§ 4 Abs. 1 MiLoG; zu Besetzung und Verfahren vgl. §§ 4–8 MiLoG. |
[ 42 ] |
Vierte Verordnung zur Anpassung der Höhe des Mindestlohns v. 24.11.2023, BGBl 2023 I, Nr. 321. |
[ 43 ] | |
[ 44 ] | |
[ 45 ] | |
[ 46 ] | |
[ 47 ] | |
[ 48 ] |
§ 3 Satz 2 i. V. m. § 2 Abs. 2 AEntG. |
[ 49 ] |
Ausnahmen gelten für den Bereich der Pflegedienste nach §§ 10 f. AEntG. |
[ 50 ] | |
[ 51 ] | |
[ 52 ] | |
[ 53 ] |
BGBl 1964 II S. 1262. |
[ 54 ] |
Richtlinie (EU) 2022/2041 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.10.2022 über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union (ABl. EU 2022 L 275/33). |
[ 55 ] |
Zur Frage der (fehlenden) EU-Kompetenz s. o. Abschn. 2., sowie das anhängige Verfahren vor dem EuGH. |
[ 56 ] | |
[ 57 ] |
LG Magdeburg, Urteil v. 30.6.2009, 21 Ns 17/09. |
[ 58 ] | |
[ 59 ] | |
[ 60 ] | |
[ 61 ] | |
[ 62 ] |
Abweichungstarifvertrag, gem. § 8 Abs. 1 Satz 3 AÜG auch aufgrund lediglich individualvertraglicher Vereinbarung. |
[ 63 ] | |
[ 64 ] | |
[ 65 ] |