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LAG Niedersachsen Urteil vom 16.07.2007 - 9 Sa 1894/06 (veröffentlicht am 08.01.2004)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Kleiderordnung, Berufskleidung, Kostentragung. Kostenpauschale, Inhaltskontrolle eines Formulararbeitsvertrages. Kostenpauschale für Berufskleidung in einem Formulararbeitsvertrag

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Leitsatz (amtlich)

Eine Regelung in einem Formulararbeitsvertrag, nach der pauschalierte Kosten für die Reinigung und Wiederbeschaffung arbeitgeberseitig gestellter Berufskleidung auch für Zeiträume erhoben werden, in denen der Arbeitnehmer unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitsleitung befreit (Urlaub, Krankheit) oder nicht verpflichtet ist, die Berufskleidung zu tragen, verstößt gegen § 307 Abs. 1 BGB.

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Normenkette

BGB § 307 Abs. 1, §§ 618-619

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Verfahrensgang

ArbG Emden (Urteil vom 26.10.2006; Aktenzeichen 2 Ca 350/06)

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Nachgehend

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Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 26.10.2006 – 2 Ca 350/06 – abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 47,97 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 13.07.2006 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

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Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, von der Vergütung der Klägerin pauschalierte Kosten für die von ihr zur Verfügung gestellte Berufskleidung einzubehalten.

Die Klägerin ist seit dem 01.02.1985 bei der Beklagten in deren Verbrauchermarkt in B. als Einzelhandelskauffrau im Bereich Obst und Gemüse in Teilzeit beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt der Arbeitsvertrag vom 01.02.1988 zugrunde. Darin heißt es u. a. (Bl. 14 bis 17 d. A.):

„…

§ 23

Berufskleidung

Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, die vom Arbeitgeber vorgeschriebene Berufskleidung zu tragen. Die Anschaffungskosten gehen zu Lasten des Arbeitnehmers.

Es gelten folgende Sonderbestimmungen:

Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Berufsbekleidung zu tragen und mit dieser pfleglich umzugehen. Der Arbeitgeber trägt sämtliche Pflege- und Wiederbeschaffungskosten; der Arbeitnehmer beteiligt sich an diesen Kosten mit einem monatlichen Betrag von DM 15,00. Dieser Betrag wird mit seinen Monatsbezügen verrechnet.”

Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für den Niedersächsischen Einzelhandel Anwendung. Die Klägerin erzielt ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 1.583,93 EUR. Dies entspricht dem anteiligen Tarifgehalt für ihre Teilzeitbeschäftigung.

Gesetzliche Vorschriften, die das Tragen von Berufskleidung im Bereich Obst und Gemüse in dem Verbrauchermarkt erfordern, bestehen nicht.

Die Regelungen zum Tragen der Berufskleidung ergeben sich aus einer Betriebsvereinbarung vom 14.04.2005. Darin heißt es u. a. (Bl. 6, 7 d. A.):

„§ 1

Ständige Mitarbeiter (Voll- und Teilzeitkräfte) in den Häusern der Combi – Verbrauchermärke sowie die geringfügig Beschäftigten erhalten Berufskleidung gem. nachfolgender Regelung.

§ 2

Mitarbeiter/-innen in dem Bereich „Markt” erhalten – abhängig von ihren Einsatztagen – als Erstausstattung max. 5 Westen, 11 Blusen/Hemden und 4 Krawatten/Fliegen und die O & G Abteilung als Erstausstattung max. 5 Schürzen.

Die Reinigung der Berufskleidung erfolgt im wöchentlichen Rhythmus und wird durch die jeweilige Reinigungsfirma durchgeführt.

§ 3

Die Berufskleidung geht nicht in das Eigentum des Mitarbeiters über.

§ 4

Das Tragen der Berufskleidung auf dem Betriebsgelände ist Pflicht und von der Marktleitung zu überwachen. Sollte im Sommer eine Temperatur von 25° C im Markt überschritten werden, kann anstatt Hemd / Bluse ein eigenes weißes T-Shirt getragen werden. Zu diesem Zeitpunkt geschieht das Tragen der Krawatten / Fliegen auf freiwilliger Basis. Westen werden geschlossen getragen.

§ 5

Alle Blusen, Hemden und Westen werden mit dem persönlichen Namen des jeweiligen Beschäftigten versehen.

§ 6

Für die Berufskleidung muss eine Lagerungsmöglichkeit im jeweiligen Markt vor handen sein. Umkleidemöglichkeiten müssen für alle Mitarbeiter/innen im Markt gegeben sein.

…”

Die Kostenbeteiligungspauschale für die Berufskleidung betrug bis einschließlich Dezember 2005 monatlich 8,94 EUR, seit Januar 2006 beträgt sie monatlich 7,05 EUR (Bl. 20 d. A.). Sie ist in den Verdienstabrechnungen der Klägerin als Kittelgebühr ausgewiesen und wird von dem ausgewiesenen Nettolohnanspruch der Klägerin abgezogen (Bl. 29 d. A.).

Mit Schreiben vom 27.06.2005 forderte die Klägerin die Beklagte vergeblich dazu auf, die einbehaltene Pauschale für die Berufskleidung für die Monate März bis Mai 2005 an sie auszuzahlen, weil die Beteiligung der Arbeitnehmer an den Kosten der Berufskleidung nicht zulässig sei.

Mit ihrer am 07.07.2006 beim Arbeitsgericht Emden eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die einbehaltene Kostenpauschale in den Monaten März bis Mai 2005 sowie in den Monaten April bis Juni 2006. Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Regelung in § 23 des Arbeitsvertrages sei wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam. Die Beklagte sei nicht berechtigt, der Klägerin einseitig die Kosten für die Reinigung der Berufskleidung aufzuerlegen. Hinzu komme, dass der vorgenommene Lohnabzug zu einer untertariflichen Bezahlung führe.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 47,97 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 13.07.2006 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Vereinbarung in § 23 des Arbeitsvertrages sei rechtswirksam. Die Vorschriften über die Vertragskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen fänden keine Anwendung, weil es sich um einen Arbeitsvertrag aus dem Jahr 1988 handele. Ferner stehe einer Inhaltskontrolle entgegen, dass es sich um eine Individualvereinbarung handele.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, die in § 23 vereinbarte Verrechnung der Kostenbeteiligungspauschale mit der monatlichen Vergütung sei wirksam. Darin liege keine unangemessene Benachteiligung der Klägerin im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Der Inhaltskontrolle der Regelungen des Arbeitsvertrages stehe nicht entgegen, dass es sich um einen Arbeitsvertrag aus dem Jahr 1988 handelt. Auch auf sog. Altfälle seien ab 01.01.2003 die Regelungen über die allgemeinen Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 ff. BGB anwendbar. Entgegen der Auffassung der Beklagten handele es sich bei § 23 des Arbeitsvertrages nicht um eine Individualabrede, sondern um eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung. Aus weiteren Rechtsstreiten zwischen der Beklagten und ihren Mitarbeitern zum gleichen Streitgegenstand werde deutlich, dass mehr als drei Mitarbeiter von entsprechenden Vertragsklauseln betroffen seien.

§ 23 des Arbeitsvertrages verstoße nicht gegen tarifrechtliche Vorschriften, weil in dem Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Niedersachsen keine Regelung enthalten sei, dass der Arbeitgeber für die Reinigung und Instandsetzung einer von ihm eingeführten Berufskleidung zu sorgen habe. Die Vereinbarung sei auch nicht wegen einer unangemessenen Benachteiligung der Klägerin gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Grundsätzlich habe der Arbeitnehmer die Kleidung, die er während der Arbeit trage, selbst zu beschaffen und auf eigene Kosten zu reinigen. Bestehe für den Arbeitnehmer die Verpflichtung, eine bestimmte einheitliche Berufs- oder Dienstkleidung zur Kenntlichmachung der Funktion oder zur Außendarstellung des Unternehmens zu tragen, seien die Kleidungs- und Reinigungskosten grundsätzlich vertraglich regelbar. Insoweit bestehe keine gesetzlich zwingende Regelung, von der abgewichen worden sei. § 23 des Arbeitsvertrages stelle auch keine Abweichung von § 670 BGB dar, nach der der Arbeitgeber betrieblich veranlasste Aufwendungen tragen müsse. Im Falle von Berufskleidung würde dies voraussetzen, dass diese allein an der Arbeitsstelle angelegt bzw. nach Beendigung der Arbeit auszuziehen sei. Vorliegend sei es der Klägerin jedoch gestattet, die Berufskleidung bereits während der Fahrt zur Arbeitsstelle zu tragen. § 23 des Arbeitsvertrages führe auch nicht zu einer untertariflichen Vergütung. Der Klägerin werde lediglich aufgegeben, sich an der Pflege und Wiederbeschaffung der Berufskleidung zu beteiligen. Eine Vergütung könne sowohl in Bargeld als auch in anderer Form geleistet werden. Angesichts des erheblichen Umfanges der Berufskleidung sei die Beteiligung in Höhe von 8,94 EUR netto bzw. von jetzt noch 7,05 EUR netto monatlich nicht unangemessen. Andernfalls müsste die Klägerin aus eigenen Mitteln zu beschaffende, zu pflegende und zu ersetzende Kleidung tragen.

Das am 26.10.2006 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Emden ist der Klägerin am 10.11.2006 zugestellt worden. Hiergegen hat sie mit einem am 08.12.2006 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 08.02.2007 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem ihr zuvor auf ihren Antrag vom 03.01.2007 mit Beschluss vom 04.01.2007 die Frist zur Berufungsbegründung bis zum 12.02.2007 verlängert worden war.

Die Klägerin vertritt die Ansicht, aus § 3 der Betriebsvereinbarung vom 14.04.2005 ergebe sich, dass die Verpflichtung zum Tragen der Berufskleidung auf die Dauer der arbeitsvertraglichen Tätigkeit begrenzt sei. Ohne gesonderte Zustimmung der Beklagten dürfe der Arbeitnehmer die Berufskleidung außerhalb der Arbeit nicht tragen. Hierfür spreche auch die Regelung in § 7 der Betriebsvereinbarung, nach der für die Berufskleidung eine Lagerungsmöglichkeit im Markt vorhanden sein müsse. Da die private Nutzung der durch die Beklagte zur Verfügung gestellten Bekleidung ausgeschlossen sei, seien vorliegend die Grundsätze der Kostentragung von Dienstkleidung anzuwenden. § 23 des Arbeitsvertrages sei gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, weil von der Regelung des § 670 BGB abgewichen werde, nach der der Arbeitgeber verpflichtet sei, die Kosten der Dienstkleidung zu tragen. Des Weiteren führe § 23 des Arbeitsvertrages entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes zu einer untertariflichen Vergütung. Das Arbeitsgericht gehe zwar zutreffend davon aus, dass eine Vergütung sowohl in Bargeld als auch in anderer Form geleistet werden könne. Die von der Beklagten zur Verfügung gestellte Berufskleidung habe für sie aber keinen Wert. Ohne die Verpflichtung zum Tragen von Berufskleidung hätte sie die Möglichkeit, ihrer Kleidung eine eigene persönliche Note zu geben und Materialien und Farben der Kleidung selbst auszuwählen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 26.10.2006 – 2 Ca 350/06 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 47,97 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 13.07.2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend und verweist ergänzend darauf, dass es den Arbeitnehmern freigestellt sei, ob sie die Berufskleidung mit nach Hause nehmen, sie auch in ihrer Freizeit tragen oder im Betrieb belassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst den zu den Akten gereichten Anlagen Bezug genommen.