LAG Rheinland-Pfalz Urteil vom 06.09.2021 - 1 Sa 299/20
Entscheidungsstichwort (Thema)
Entzug der Fahrerlaubnis eines Key Account Managers als Kündigungsgrund. Zumutbare Überbrückungsmaßnahmen bis zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis. Abmahnung bei außerdienstlicher Trunkenheitsfahrt
Leitsatz (amtlich)
1. Ist das Führen eines KFZ zwar nicht die alleinige, jedoch eine wesentliche Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag, stellt die alkoholbedingte Entziehung der Fahrerlaubnis einen an sich geeigneten Grund für eine außerordentliche bzw. ordentliche Kündigung dar.
2. Bietet der Arbeitnehmer vor Zugang der Kündigung an, die Zeit bis zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis durch Beschäftigung eines Fahrers auf eigene Kosten und Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu überbrücken und ist dem Arbeitgeber dies zumutbar, kommt eine solche Möglichkeit als milderes Mittel gegenüber einer Beendigungskündigung in Betracht.
3. Verstößt ein langjährig beschäftigter Arbeitnehmer durch eine Trunkenheitsfahrt außerhalb der Arbeitszeit schuldhaft gegen arbeitsvertragliche Nebenpflichten und erscheint eine Wiederholung als wenig wahrscheinlich, ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Abmahnung nicht von vorneherein entbehrlich.
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 02.09.2020; Aktenzeichen 1 Ca 1560/19) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 02.09.2020, Az. 1 Ca 1560/19, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren weiter darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.10.2019 aufgelöst worden ist.
Der am 13.10.1967 geborene, geschiedene und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit 01.09.1999 beschäftigt. Seine Arbeitsvergütung betrug zuletzt brutto 140.000,00 EUR/Jahr.
Die Beklagte ist ein Chemieunternehmen, das 269 Mitarbeiter beschäftigt. Der Kläger wurde am 01.10.1999 eingestellt und im Jahr 2009 zum Key-Account-Manager für den Bereich Transportation und Industries befördert. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag von 01.07.1999 (Bl. 5-9 d.A.). Der Kläger übt seine Tätigkeit von seinem Homeoffice in A-Stadt aus. Zuletzt betreute er bundesweit ca. 20 Kunden. Bei den Kunden der Beklagten handelt es sich um Zulieferer der Automobilindustrie. Die Beklagte liefert ihnen Kunststoffgranulat. Die Kunden stellen hieraus Zahnräder her, die in Automobilen verbaut werden. Die Aufgabe des Klägers besteht im Wesentlichen darin, die Kunden vor Ort zu besuchen und zu beraten, welches der Produkte der Beklagten für den Bedarf der Kunden geeignet ist. Für die Stelle des "Key-Account-Managers" gibt es ein Stellen- und Anforderungsprofil (Bl. 69 d.A.). Danach muss der Stelleninhaber u.a. über "Flexibilität / Hohe Reisebereitschaft (gültiger Führerschein unbedingt erforderlich" verfügen.
Die Beratungsleistung erbringt er in der Regel bei den Kunden. Er muss durch regelmäßige Besuche vor Ort einen engen Kontakt mit den Entwicklern und Einkäufern der Kunden aufbauen und pflegen. In der Vergangenheit benutzte er für die Fahrten zu Kunden stets den ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellten Dienstwagen.
In dem Antrag des Klägers auf Überlassung eines Dienstwagens vom 21.01.2016 heißt es u.a.:
"Die Regelungen aus der derzeit gültigen International Company Car Policy mit dem dazugehörigen Country Appendix sowie die SHE Richtlinie S9G sind mir bekannt" (Bl. 73 d.A.).
Die Beklagte genehmigte den Antrag des Klägers am 28.01.2016 und stellte ihm einen Dienstwagen zur Verfügung, den er auch für private Zwecke nutzen durfte. In der "International Company Car Policy" heißt es unter Ziffer 11.10:
"Mitarbeiter dürfen niemals fahren, wenn sich Alkohol in ihrem Blut befindet. Selbst kleinste Alkoholmengen beeinträchtigen das Urteilsvermögen und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mitarbeiter in einen Unfall verwickelt wird. Das Unternehmen hat eine Nulltoleranzhaltung gegenüber dem Fahren unter Einfluss illegaler Drogen. Jeden Mitarbeiter, der beim Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss angetroffen wird, erwartet ein sofortiges Disziplinarverfahren" (Bl. 87 d. A.).
Im "Country Appendix" heißt es unter 10.3:
"Fahrerlaubnis
... Die Benutzung des Fahrzeuges ist untersagt, wenn der Mitarbeiter nach pflichtgemäßer Prüfung aller Umstände nicht mit Sicherheit ausschließen kann, dass seine Fahrtüchtigkeit durch die Einnahme von Medikamenten, Alkohol oder Drogen eingeschränkt ist... " (Bl. 99, 100 d.A.).
Der Kläger verursachte am Sonntag, den 13.10.2019, nachmittags mit seinem Dienstwagen einen Verkehrsunfall. Er fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit unter Alkoholeinfluss und kam von der Fahrbahn ab. Das Fahrzeug wurde von einem Baum gestoppt. Das Fahrzeug war nicht mehr fahrbereit. Es entstand ein Schaden von 18.000,00 EUR. Die Polizei nahm den Unfall auf, beschlagnahmte den Führerschein des Klägers und nahm eine Blutprobe. Nach Angaben des Klägers lag das Ergebnis der Atemalkoholprobe bei 1,8 Promille BAK.
Der Kläger telefonierte am 18.10.2019 mit seinem Vorgesetzten, Herrn S., und schlug vor, für die Zeit des Führerscheinentzugs auf eigene Kosten einen Fahrer anzustellen, der ihn zu Kunden bringen solle. Auf diese Möglichkeit verwies er erneut mit Mail an Herrn S. vom 21.10.2019 (Bl. 140 d.A.).
Das Amtsgericht Ludwigshafen erließ am 27.12.2019 einen Strafbefehl gegen den Kläger, entzog ihm die Fahrerlaubnis und verhängte eine Sperrfrist von 12 Monaten (Bl. 372 ff. d. A.).
Mit Schreiben vom 18.10.2019 (Bl. 105 ff. d.A.) hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung an. Mit Schreiben vom 21.10.2019 äußerte der Betriebsrat Bedenken gegen die Kündigung (Bl. 117 d.A.).
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 21.10.2019 außerordentlich fristlos, hilfsweise zum nächst zulässigen Zeitpunkt. Hiergegen wandte sich der Kläger mit am 28.10.2019 beim Arbeitsgericht Ludwigshafen erhobener Klage.
Der Kläger begab sich in der Folge in psychologische Behandlung. Nachdem mehrere Testungen auf Alkohol negativ verliefen, beantragte der Kläger Ende Dezember 2020 die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Diesem Antrag entsprach die Straßenverkehrsbehörde mit Schreiben vom 27.04.2021.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 02.09.2020 (Bl. 399 ff. d.A.). Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung vom 21.10.2019, noch durch die ordentliche Kündigung vom 21.10.2019, zum 31.07.2019 aufgelöst wird. Ferner hat es die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verurteilt.
Das genannte Urteil ist der Beklagten am 14.09.2020 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 12.10.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 03.12.2020, am gleichen Tag bei Gericht eingegangen, begründet.
Nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des weiteren Schriftsatzes vom 29.04.2021, auf die wegen der Einzelheiten ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 443 ff., 513 ff. d.A.), macht die Beklagte zur Begründung ihrer Berufung und in Erwiderung auf das Berufungsvorbringen des Klägers im Wesentlichen geltend:
Die Kündigungen seien aus personenbedingten Gründen gerechtfertigt. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass das Führen eines PKW zur Durchführung von Kundenbesuchen wenn auch nicht als Hauptleistungspflicht, so doch als Inhalt der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung zu qualifizieren sei. Dies ergäbe sich aus dem Aufgabenbereich als Key Account Manager sowie vormals Fachgebietsberatervertrieb und Anwendungstechnik, so dass für alle Beteiligten klar gewesen sei, dass ein Bewerber ohne Führerschein von vornherein nicht in Betracht komme. Dem entspreche es, dass der Kläger in seinem Lebenslauf auf den Besitz des Führerscheins hingewiesen hat und auch werksärztlich die Fahrtüchtigkeit am 26.08.1999 überprüft wurde. Rechtlich fehlerhaft habe das Arbeitsgericht deshalb auch die nach der Rechtsprechung des BAG (14.02.1991 -2AZR 525/90-) maßgeblichen Grundsätze nicht beachtet, wonach der Entzug der Fahrerlaubnis auch bei einem Arbeitnehmer, der zwar nicht Berufskraftfahrer sei, bei dem aber das Führen eines Fahrzeugs im Interesse der Erfüllung der Hauptleistungspflicht eine wesentliche Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag darstelle, ein wichtiger Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses sein könne. Der Kläger könne ohne Führen eines Kfz die geschuldete Arbeitsleistung, nämlich die Durchführung von weit von seinem Wohnsitz entfernten Kundenbesuchen nicht ausführen.
Diese Vertragsstörung infolge des Entzugs der Fahrerlaubnis könne auch nicht dadurch beseitigt werden, dass der Kläger die Kunden mittels eines von einem Fahrer geführten Kfz oder unter Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel aufsuche. Der Hinweis des Klägers in einem Telefonat mit seinem Vorgesetzten am 18.10.2019 und in seiner Mail vom 21.10.2019 auf die Möglichkeit der Einstellung eines Fahrers auf eigene Kosten sei nicht ausreichend konkret, da weder die Person eines Fahrers benannt noch ein Arbeitsvertrag mit einem Fahrer vorgelegt worden sei und zudem nicht mitgeteilt wurde, ob der Fahrer oder der Kläger über ein geeignetes Fahrzeug verfügt. Auch haftungs- und versicherungsrechtliche Fragen seien nicht geklärt gewesen. Daher sei ihr ein Eingehen auf diese Möglichkeit auch unter Berücksichtigung des § 613 S. 1 BGB unzumutbar gewesen. Ein Aufsuchen der Kunden mittels ÖPNV sei im geschuldeten Umfang wie bereits erstinstanzlich ausführlich dargelegt, faktisch nicht möglich.
Auch unter dem Gesichtspunkt verhaltensbedingter Gründe sei die Kündigung als außerordentliche, jedenfalls aber ordentliche, gerechtfertigt. Entgegen dem Arbeitsgericht sei eine vorherige Abmahnung nicht erforderlich, da es sich bei der Alkoholfahrt um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung gehandelt habe, dass selbst deren erstmalige Hinnahme objektiv und offensichtlich ausgeschlossen sei. Neben einem strafrechtlich relevanten Verstoß liege auch ein eklatanter und vorsätzlicher Verstoß gegen die geltenden und dem Kläger bekannten Firmenrichtlinie "International Company Car Policy" und das dort enthaltene Alkoholverbot vor. Auch unter Berücksichtigung des ergangenen Strafbefehls sei von einem schuldhaften vorsätzlichen Verhalten des Klägers auszugehen. Eine Verpflichtung der Beklagten aufgrund des "Leitfadens für Vorgesetzte und Mitarbeiter" zum Thema "Suchtgefährdung in der Arbeitswelt", vor jeder Kündigung das Gespräch mit dem Mitarbeiter zu suchen und eine Abmahnung zu erteilen, bestehe nicht. Vor dem Unfall habe es keine Anhaltspunkte für die Notwendigkeit eines Einschreitens gegeben. Der Leitfaden enthalte auch nur einen beispielhaften, nicht aber stets verbindlichen Stufenplan.
Soweit der Kläger als zu seinen Gunsten im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigende Umstände anführe, der Alkoholkonsum an seinem Geburtstag beruhe darauf, dass sich seine persönliche und berufliche Situation zugespitzt habe (Scheidung, Tod der Schwester, Burnout), sei der Sachvortrag unsubstantiiert und das Bestehen eines Burnouts zu bestreiten. Die Interessenabwägung müsse vielmehr angesichts der Bedeutung der Fahrerlaubnis für die Erfüllung der vertraglichen Arbeitspflichten zu ihren Gunsten ausfallen.
Auf krankheitsbedingte Gründe habe die Beklagte die Kündigung nicht gestützt.
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts seien die Kündigungen auch nicht wegen unzureichender Anhörung des Betriebsrats deshalb unwirksam, weil sie im Rahmen der Anhörung nicht erwähnt habe, dass der Kläger am 18.10.2019 angeboten habe, einen Fahrer zu beschäftigen. Da dieses Angebot inhaltlich nicht ausreichend konkret gewesen sei und für sie angesichts der Intensität der Vertragspflichtverletzung nicht in Betracht gekommen sei, habe dieses nach dem Grundsatz der subjektiven Determination nicht erwähnt werden müssen. Der HR-Consultant habe bei Übergabe des Anhörungsschreibens an den Betriebsrat am 18.10.2019 auch keine Kenntnis von dem Telefonat des Klägers mit seinem Vorgesetzten gehabt und zudem die Betriebsratsvorsitzende vor der Sitzung des Betriebsrats am 21.10.2019 über den Vorschlag des Klägers informiert.
Da das Arbeitsverhältnis somit beendet worden sei, bestehe auch kein Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 02.09.2020, Az. 1 Ca 1560/19, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil mit seiner Berufungserwiderung im Schriftsatz vom 10.02.2021 und weiterem Schriftsatz vom 11.05.2021, auf welche Bezug genommen wird (Bl. 490 ff, 528 ff. d.A.), als zutreffend.
Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.