BAG Urteil vom 15.03.2005 - 9 AZR 502/03
Entscheidungsstichwort (Thema)
Schuldversprechen. Inhaltskontrolle. Allgemeine Geschäftsbedingung. Widerruf. faires Verhandeln
Leitsatz (amtlich)
- Für selbständige – auch als abstrakt oder konstitutiv bezeichnete – Schuldversprechen und Schuldanerkenntnisse nach §§ 780, 781 BGB, die bis zum 31. Dezember 2001 erklärt worden sind, galt das AGBGesetz. Die Bereichsausnahme “auf dem Gebiet des Arbeitsrechts” in § 23 Abs. 1 AGB-Gesetz fand keine Anwendung.
- Wenn in derartigen Schuldversprechen oder -anerkenntnissen die Möglichkeit ausgeschlossen worden war, geltend zu machen, der ihnen zugrunde liegende Anspruch bestehe nicht, lag darin eine Abweichung von Regeln des Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 Abs. 2, § 821 BGB). Ein derartiger Ausschluss stellt sich als unangemessene Benachteiligung dar und ist deshalb unzulässig (§ 9 Abs. 1 AGB-Gesetz, nunmehr § 307 Abs. 1 BGB).
Orientierungssatz
- Nach § 23 Abs. 1 AGB-Gesetz galt für Verträge auf dem Gebiet des Arbeitsrechts eine Bereichsausnahme. Diese stand jedoch nicht der Anwendung auf selbständige – abstrakte/konstitutive – Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnisse des Arbeitnehmers entgegen.
- Nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterliegen selbständige Schuldversprechen oder -anerkenntnisse der Inhaltskontrolle darauf, ob sie unangemessen den anderen Vertragspartner benachteiligen, weil sie von Rechtsvorschriften so abweichen, dass sie mit dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der sie abweichen, unvereinbar sind (§ 8 AGB-Gesetz, nunmehr: § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB).
- Eine unangemessene Benachteiligung liegt vor, wenn der anderen Vertragspartei das Recht genommen wird, geltend zu machen, die dem Schuldversprechen oder dem -anerkenntnis zugrunde liegende Forderung bestehe nicht. Darin liegt eine Abweichung vom Recht der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 Abs. 1, § 821 BGB). Sie benachteiligt die andere Vertragspartei entgegen Treu und Glauben unangemessen und ist deshalb in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unzulässig (§ 9 Abs. 1 AGB-Gesetz, nunmehr: § 307 Abs. 1 BGB).
- Die Vereinbarkeit des Einwendungsausschlusses mit dem Recht der ungerechtfertigten Bereicherung ergibt sich nicht daraus, dass nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein bestätigendes – deklaratorisches/kausales – Schuldversprechen oder -anerkenntnis in zulässiger Weise die gleiche Wirkung entfalten könnte. Derartige vorformulierte Schuldversprechen oder -anerkenntnisse sind nur zulässig, wenn sie mit dem in § 779 BGB enthaltenen Grundgedanken des gegenseitigen Nachgebens vereinbar sind.
- Soweit durch ein wirksames selbständiges Schuldversprechen oder -anerkenntnis die andere Vertragspartei den Beweis zu führen hat, dass die zugrunde liegende Forderung nicht besteht, kann sie die Gegenseite zunächst darauf verweisen, die Höhe der Forderung und ihre Berechnung darzulegen. Sie hat dann die Unrichtigkeit dieses Vortrages zu beweisen, wobei ihr die Bestimmung des § 287 Abs. 1 ZPO zugute kommt.
- Am Arbeitsplatz geschlossene arbeitsvertragliche Vereinbarungen konnten weder nach dem früher geltenden Haustürwiderrufsgesetz, noch können sie nach der zur Zeit geltenden Fassung des § 312 BGB widerrufen werden. Das gilt auch für die Vereinbarung selbständiger Schuldversprechen.
Normenkette
BGB §§ 138, 307-309, 310 Abs. 4 S. 2, §§ 312, 779-781, 812 Abs. 2, § 821; AGB-Gesetz in der bis 31. Dezember 2001 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juni 2000 § 6 Abs. 3,; AGB-Gesetz in der bis 31. Dezember 2001 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juni 2000 § 8; AGB-Gesetz in der bis 31. Dezember 2001 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juni 2000 § 9; AGB-Gesetz in der bis 31. Dezember 2001 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juni 2000 § 11 Nr. 15; AGB-Gesetz in der bis 31. Dezember 2001 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juni 2000 § 23 Abs. 1; Haustürwiderrufsgesetz in der bis 31. Dezember 2001 geltenden Fassung § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 03.04.2003; Aktenzeichen 6 Sa 109/03) |
ArbG Koblenz (Urteil vom 21.11.2002; Aktenzeichen 7 Ca 2186/02) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. April 2003 – 6 Sa 109/03 – aufgehoben.
Die Rechtssache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin betreibt ein Inkassobüro. Sie verfügt über die Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz für die außergerichtliche Einziehung von Forderungen und für den rechtsgeschäftlichen Erwerb von Forderungen zum Zwecke der Einziehung. Die Erlaubnis erstreckt sich nicht auf die Beratung und Vertretung in gerichtlichen Verfahren. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung aus einem Schuldversprechen und auf Schadensersatz wegen Verzugs in Anspruch. Das Schuldversprechen hat die Beklagte gegenüber der B… GmbH & Co. KG (künftig: Arbeitgeberin) abgegeben. Die Arbeitgeberin hat ihre Forderungen der Klägerin vertraglich abgetreten.
Die Arbeitgeberin handelt mit Bekleidung. Die Beklagte war für sie in mehreren Filialen als Arbeitnehmerin tätig. Das Monatsgehalt betrug zuletzt 2.179,00 DM brutto. Bei einer Inventur entstand der Verdacht, die Beklagte fälsche Umtauschbelege. Mitarbeiter der Revisionsabteilung der Arbeitgeberin beobachteten deshalb am 9. Oktober 2001 die Filiale, in der die Beklagte tätig war. Sie stellten über das Zentralsystem fest, dass die Beklagte in die Kasse einen Umtausch über 189,90 DM gebucht hatte, obwohl zu diesem Zeitpunkt kein Kunde in der Filiale war. Nach Betreten der Filiale stellten sie weiter fest, dass die angeblich umgetauschten Gegenstände im Bestand nicht ausgewiesen waren.
Die Arbeitgeberin ermittelte – nach dem streitigen Vortrag der Klägerin auf Grund von Angaben der Beklagten – den wegen der vorgetäuschten Umtausche zu ersetzenden Gesamtschaden mit 10.302,05 DM. Zusätzlich forderte sie 50,00 DM für Verwaltungsaufwand. Darauf zahlte die Beklagte noch am selben Tag den unberechtigt der Kasse entnommenen Betrag von 189,90 DM zurück. Ferner unterzeichnete die Beklagte folgendes Schreiben:
“Schuldversprechen gemäß § 780 BGB
Ich erkenne an, …
noch DM 10.302,05 seit dem09.10.01 sowie DM 50,– zur Abgeltung des Verwaltungsaufwandes zu schulden.
Hieraus ergibt sich ein Gesamtbetrag von DM10.352,05 (in Worten eins-null-drei-fünf-zwei 5/100).
Ich zahle den oben angegebenen Gesamtbetrag in einer Summe bis zum 09.12.2001.
1. Ich verzichte auf Einwendungen jeder Art, zu Grund und Höhe dieser Forderungen.
2. Außerdem verpflichte ich mich, auf Anforderung von B…, mich in Höhe dieses Betrages mit notarieller Schuldurkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung zu unterwerfen. Hierfür anfallende Kosten gehen zu meinen Lasten.
3. Zur Anspruchssicherung trete ich die pfändbaren Bestandteile meiner in zukünftigen Arbeitsvergütungen an die Firma B… GmbH & Co. KG ab. B… verpflichtet sich, diese Abtretung nur bekannt zu geben, wenn der Schuldner sich an diese Vereinbarung nicht hält.
4. Der Schuldner verpflichtet sich gegenüber B… jeden Wohnungs- und Arbeitgeberwechsel der Revision B… innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Für den Fall der Nichteinhaltung dieser Verpflichtung ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 25 % des anerkannten Schuldbetrages, höchstens jedoch 500 DM fällig.
…
Dieses Schuldversprechen ist infolge meiner eigenen Angaben auf freiwilliger Basis entstanden.
Ort: G… Datum: 09.10.2001
…”
Das Schreiben ist – auch hinsichtlich des als Verwaltungsaufwand eingesetzten Betrages von 50,00 DM – vorgedruckt. Handschriftlich wurden die sonstigen Beträge, die Daten und der Ort der Unterzeichnung eingesetzt. Außerdem war die vorgedruckte Verpflichtung angekreuzt, den Betrag bis zu einem bestimmten Tag zurückzuzahlen. Handschriftlich war dieser Tag mit dem 9. Dezember 2001 angegeben und die im Formular ebenfalls vorgesehenen Ratenzahlungsalternative gestrichen. Es wurde zudem handschriftlich vermerkt, dass die Beklagte bereits 189,90 DM zurückgezahlt hatte.
Die Beklagte kündigte, ohne dazu gedrängt worden zu sein, noch am Tag der Unterzeichnung des Schuldversprechens durch handschriftliches Schreiben ihr Anstellungsverhältnis “zum heutigen Tag”. Die Arbeitgeberin “bestätigte” die Kündigung unter dem 10. Oktober 2001 schriftlich.
Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 23. Oktober 2001 machte die Beklagte gegenüber der Arbeitgeberin geltend, das Arbeitsverhältnis sei nicht wirksam aufgelöst. Auch das Schuldversprechen sei rechtlich zu beanstanden. Sie fechte es unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten an. Mit Anwaltsschreiben vom 6. November 2001 bot die Beklagte ihre vertragliche Weiterarbeit an. Das lehnte die Arbeitgeberin ausdrücklich ab.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte schulde den eingeklagten Betrag schon auf Grund des Schuldversprechens. Der Arbeitgeberin sei der Schaden durch die Manipulation der Beklagten tatsächlich entstanden. Die Klägerin bezieht sich dazu auf einen von ihr vorgelegten Computerausdruck, in dem Angaben über Umtausche geordnet nach Artikeln, Tag, Uhrzeit – bezogen auf einen 15-minütigen Zeitraum – und Umtauschbetrag aufgelistet sind. Im Übrigen habe die Beklagte auch die Forderung zu verzinsen. In diesem Zusammenhang ist unstreitig, dass die Arbeitgeberin ständig Bankkredit in einer die Klageforderung übersteigenden Höhe zu einem Zinssatz von 13,5 % in Anspruch nimmt.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.192,82 Euro nebst 13,5 % Zinsen seit dem 10. Dezember 2001 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, das Schuldversprechen wirksam nach dem Haustürwiderrufsgesetz widerrufen zu haben. Die Klageforderung sei hinsichtlich der tatsächlichen unberechtigten Entnahmen deutlich übersetzt. Der vorgelegte Computerausdruck sei nicht aussagekräftig. Offensichtlich wolle die Klägerin alle Umtauschaktionen, an denen die Beklagte während eines bestimmten Zeitraums beteiligt war, als Manipulationen werten. Die Beklagte vertritt weiterhin die Ansicht, das Arbeitsverhältnis sei nicht wirksam aufgelöst worden. Es liege in Wirklichkeit ein Aufhebungsvertrag vor, der nicht formwirksam zustande gekommen sei. Sie rechnet daher hilfsweise mit ihren Bruttoansprüchen auf Arbeitsentgelt auf.
Die während des gesamten gerichtlichen Verfahrens anwaltlich vertretene Klägerin hat die Forderung – zuzüglich einiger nicht mehr weiter verfolgter Nebenkosten – zunächst durch Mahnbescheid vor dem Amtsgericht Hagen geltend gemacht. Auf den Widerspruch der Beklagten wurde das Verfahren an das dort genannte Gericht, nämlich das Amtsgericht Bad Neuenahr – Ahrweiler – abgegeben. Dieses hat den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – verwiesen. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.