Niedersächsisches FG Urteil vom 23.01.2019 - 3 K 107/18
vorläufig nicht rechtskräftig
Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt
Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur (zeitnahen) Führung eines elektronischen Fahrtenbuches
Leitsatz (redaktionell)
Die unmittelbare elektronische Erfassung der Fahrtwege eines betrieblichen Fahrzeugs durch ein technisches System reicht zur Führung eines Fahrtenbuches nicht aus. Neben dem Bewegungsprofil müssen die Fahrtanlässe ebenfalls zeitnah erfasst werden. Eine technische Lösung, die auch nach Jahren noch Änderungen zulässt, kann nicht als elektronisches Fahrtenbuch anerkannt werden.
Tatbestand
Streitig ist, ob das vorgelegte (elektronische) Fahrtenbuch ordnungsgemäß ist oder anderenfalls der private Nutzungsanteil nach der 1%-Regelung zu versteuern ist.
Der Kläger erzielte in den Streitjahren (2013 – 2015) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Geschäftsführer der ”A UG“ (im Folgenden: UG), deren einziger Gesellschaf¬ter der Kläger ist.
Die UG stellte dem Kläger in den Streitjahren einen geleasten Dienstwagen zur Verfügung, den der Kläger auch für private Fahrten nutzen durfte (BMW 535i mit dem Kennzeichen X-AB 111 bis März 2014 und ab der Sitzverlegung und einem Fahrzeugwechsel: BMW 550i mit dem Kennzeichen Y-AB 1111).
Die UG erwarb für die vorgenannten Dienstwagen eine sogenannte Telematiklösung u.a. mit der Funktion ”elektronisches Fahrtenbuch“. Die ausgewählte Hardware musste nicht fest eingebaut werden. Die Hardware konnte vielmehr auf den standardisierten Fahrzeug-Diagnosestecker aller Fahrzeugtypen (OBD-2 Stecker) des jeweiligen Fahrzeugs aufgesteckt werden. Die Hardware verfügt über einen GPS-Empfänger und übermittelt über das Mobilfunknetz jeweils die aktuelle Position und zeichnet die Bewegungsdaten auf einem zentralen Server zur Erstellung eines elektronischen Fahrtenbuches auf. Der Erwerber erhält einen Online-Zugang zu den Daten, kann unter Verwendung der dazugehörigen Software (verschiedene) Fahrzeuge anlegen, wiederkehrende Fahrziele definieren und wiederkehrende Strecken (wie Fahrten zwischen der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte) vorbelegen. Der Anwender kann später einer aufgezeichneten Fahrt in der Software oder vordefinierten Fahrtzweck zuordnen oder einen individuellen Fahrzweck eintragen. Diese Zuordnungen bleiben nach der Ersterfassung zunächst frei änderbar. Der Anwender kann aber auch eine sogenannte frei bestimmbare ”Periode“ (eine Woche, einen Monat o.ä.) final bearbeiten und dann in dem Programm ”abschließen“, so dass die vom Anwender ergänzten Daten danach nach der Programmbeschreibung nicht mehr veränderbar sind. Dazu muss er zwingend den tatsächlichen Kilometerstand des Fahrzeuges laut Fahrzeugtacho ablesen und in der Software eingeben. Die Software vergleicht anschließend den rechnerisch unter Verwendung der GPS-Funktion ermittelten Kilometerstand des Fahrzeugs mit dem abgelesenen Kilometerstand des Fahrzeugs und erfasst bei Abweichungen von mehr als 5 % ggf. eine zusätzliche (private) Fahrt, die dann noch editiert werden kann. Abweichungen zwischen den Kilometerständen können u.a. durch den Ausfall des Gerätes (kein Strom, kein GPS-Signal) oder durch das manuelle Abschalten des Steckmoduls, ein Herausrutschen des Steckmoduls durch Erschütterungen oder Herausziehen des Steckmoduls entstehen. Das elektronisch geführte/ergänzte Fahrtenbuch kann nach dem Abschluss einer Periode in eine ebenfalls nicht veränderbare PDF-Datei übertragen werden.
Die UG unterwarf die Überlassung des Dienstwagens auch zur privaten Mitbenutzung in den Streitjahren monatlich pauschal in Höhe von (überwiegend) 400,00 € als lohnsteuerpflichtiges Entgelt dem Lohnsteuerabzug.
Im Herbst 2016 begann das FA mit einer Lohnsteueraußenprüfung bei der UG und forderte deren Geschäftsführer, den Kläger, u.a. auf, die Fahrtenbücher für seine Dienstwagen vorzulegen. Der Kläger legte dem FA elektronisch PDF-Dateien vor, die von der dazugehörigen Software erstellt worden waren (Bl. 18 der BP-Arbeitsakte). Die Ausdrucke dieser PDF-Dateien trugen unten links auf der Seite jeweils das Datum der Erstellung der PDF-Datei mit folgenden Angaben (vgl. BP-Arbeitsakte, Bl. 148 ff):
Periode von … bis … |
Kennzeichen |
Datumsangabe in der PDF |
19.01.2013 – 31.12.2013 |
Y-AB 111 |
7. November 2016 |
02.01.2014 – 31.12.2014 |
Y-AB 111 |
7. November 2016 |
02.01.2015 – 29.12.2015 |
Y-AB 111 |
8. November 2016 |
Für das Streitjahr 2013 stellte die Außenprüfung folgende Mängel des Fahrtenbuches fest: Der im Fahrtenbuch enthaltene Kilometerstand entsprach nicht den Kilometerständen laut Werkstattrechnungen. Die Differenzen betrugen am 30. Mai 2013 rd. 9.620 km, am 13. Juli 2013 rd. 9.725 km und am 27. September 2013 rd. 10.162 km. Außerdem enthielt das Fahrtenbuch u.a. folgende Angaben (hier verkürzt wiedergegeben; Nummerierung der exemplarisch ausgewählten nachstehenden Fahrten aus dem Fahrtenbuch durch das Gericht: ”{Fahrt 1}“ usw.):
Fahrt-Typ |
Start |
Start-km Start-Ort |
End |
End-km End-Ort |
Strecke (km) |
Beschreibung |
Dienstlich {Fahrt 1} |
28.05.2013 17:53 |
104806,92 {Ort 1} |
28.05.2013 18:09 |
104822,41 {Ort 2} |
15,49 |
Fahrt von Kunde S nach Unterkunft … |
… |
||||||
Dienstlich {Fahrt 2} |
30.05.2013 10:18 |
104870,09 {Ort 2} |
30.05.2013 10:28 |
104880,48 {Ort 3} |
10,39 |
Rückfahrt vom Kunden S nach Firmensitz 1 |
Dienstlich {Fahrt 3} |
30.05.2013 10:33 |
104880,48 {Ort 3} |
30.05.2013 13:49 |
105243,95 {Firmensitz 1} |
363,47 |
Rückfahrt vom Kunden S nach Firmensitz 1 |
… |
||||||
Dienstlich {Fahrt 4} |
19.12.2013 07:46 |
135662,53 {Ort 4} |
19.12.2013 07:46 |
135667,32 {Ort 5} |
4,79 |
Fahrt von Hotel in H nach Kunde T |
Dienstlich {Fahrt 5} |
19.12.2013 13:17 |
135667,32 {Ort 5} |
19.12.2013 13:18 |
135667,97 {nahe Ort 5} |
0,65 |
Fahrt von Kunde T nach Unterkunft |
Dienstlich {Fahrt 6} |
19.12.2013 13:25 |
135667,97 {nahe Ort 5} |
19.12.2013 13:27 |
135672,61 {Ort 6} |
4,64 |
Fahrt von Kunde T nach Unterkunft |
Dienstlich {Fahrt 7} |
19.12.2013 17:30 |
135672,61 {Ort 6} |
19.12.2013 19:57 |
135966,31 {Ort 2} |
293,70 |
Fahrt von Kunde T nach Unterkunft |
Im Streitjahr 2014 wechselte der Kläger den Dienstwagen (Umstieg vom BMW 535i mit einem dem Kennzeichen ”X-…“ auf BMW 550i mit einem Kennzeichen ”Y-…“). Im Fahrtenbuch für den Zeitraum vom 25. März bis 27. März 2014 ist das wie folgt dargestellt (vgl. Bl. 166 ff. der BP-Arbeitsakte):
Fahrt-Typ |
Start |
Start-km Start-Ort |
End |
End-km End-Ort |
Strecke (km) |
Beschreibung |
Dienstlich {Fahrt 8} |
25.03.2014 17:38 |
145620,55 {Ort 6} |
25.03.2014 20:03 |
145944,39 {Ort 7} |
323,84 |
Fahrt von Arbeitsunterkunft … nach Firmensitz 1 |
Dienstlich {Fahrt 9} |
25.03.2014 20:03 |
145944,39 {Ort 7} |
25.03.2014 20:03 |
145948,11 {Ort 8} |
3,72 |
Fahrt von Arbeitsunterkunft … nach Firmensitz 1 |
Dienstlich {Fahrt 10} |
25.03.2014 20:09 |
145948,11 {Ort 8} |
25.03.2014 20:43 |
145980,38 {Ort 9} |
32,27 |
Fahrt von Arbeitsunterkunft … nach Firmensitz 1 |
Dienstlich {Fahrt 11} |
25.03.2014 20:49 |
145980,38 {Ort 9} |
25.03.2014 20:56 |
145986,75 {Firmensitz 1} |
6,37 |
Rückgabe altes Fahrzeug bei BMW … |
Dienstlich {Fahrt 12} |
26.03.2014 08:07 |
145986,75 {Firmensitz 1} |
26.03.2014 08:29 |
146007,87 {Ort 10} |
21,12 |
Rückgabe altes Fahrzeug bei BMW … |
Dienstlich {Fahrt 13} |
26.03.2014 08:34 |
146007,87 {Ort 10} |
26.03.2014 08:54 |
146028,29 {Ort 11 - Händler} |
20,42 |
Rückgabe altes Fahrzeug bei BMW … |
Dienstlich {Fahrt 14} |
26.03.2014 15:56 |
146028,29 {Ort 11 - Händler} |
26.03.2014 15:57 |
146028,63 {Ort 11 - Händler} |
0,34 |
Rückgabe altes Fahrzeug bei BMW … |
Dienstlich {Fahrt 15} |
26.03.2014 16:00 |
146028,63 {Ort 11 - Händler} |
26.03.2014 16:01 |
146028,86 {Ort 11 - Händler} |
0,23 |
Rückgabe altes Fahrzeug bei BMW … |
Dienstlich {Fahrt 16} |
26.03.2014 16:08 |
146028,86 {Ort 11 - Händler} |
26.03.2014 16:08 |
146028,90 {Ort 11 - Händler} |
0,04 |
Rückgabe altes Fahrzeug bei BMW … |
Dienstlich {Fahrt 17} |
27.03.2014 08:05 |
146028,90 {Ort 11 - Händler} |
27.03.2014 08:06 |
146029,03 {Ort 11 - Händler} |
0,13 |
Abholung neues Firmenfahrzeug bei BMW…und Fahrt nach altem Firmensitz 1 |
Dienstlich {Fahrt 18} |
27.03.2014 12:57 |
146029,03 {Ort 11 - Händler} |
27.03.2014 13:43 |
146069,65 {Firmensitz 1} |
40,62 |
Abholung neues Firmenfahrzeug bei BMW…und Fahrt nach altem Firmensitz 1 |
Dienstlich {Fahrt 19} |
27.03.2014 15:00 |
146069,65 {Firmensitz 1} |
27.03.2014 18:12 |
146427,34 {Ort 3} |
357,69 |
Fahrt von Firmensitz 1 nach Arbeitsunterkunft … |
Dienstlich {Fahrt 20} |
27.03.2014 18:17 |
146427,34 {Ort 3} |
27.03.2014 18:27 |
146439,16 {Ort 2} |
10,82 |
Fahrt von Firmensitz 1 nach Arbeitsunterkunft … |
Das Fahrtenbuch weist dabei – trotz des Fahrzeugwechsels – nach der Übergabe des neuen Fahrzeugs einen fortgeschriebenen Kilometerstand (146.029,03 km) aus.
Im Streitjahr 2015 finden sich u.a. die nachstehenden Eintragungen in dem vom Kläger vorgelegten Fahrtenbuch (Bl. 171 ff. der BP-Arbeitsakte):
Fahrt-Typ |
Start |
Start-km Start-Ort |
End |
End-km End-Ort |
Strecke (km) |
Beschreibung |
Dienstlich {Fahrt 21} |
05.01.2015 11:06 |
181633,12 {Firmensitz 2} |
05.01.2015 11:08 |
181634,07 {Ort 12} |
0,95 |
Fahrt zum Rechtsanwalt Streitfall … |
Dienstlich {Fahrt 22} |
05.01.2015 11:21 |
181634,07 {Ort 12} |
05.01.2015 11:22 |
181634,93 {Firmensitz 2} |
0,86 |
Fahrt zum Rechtsanwalt Streitfall … |
Die Lohnsteueraußenprüfung verwarf die Fahrtenbücher wegen der dargestellten Abweichungen bei den Kilometerständen im Rahmen von Werkstattaufenthalten der Fahrzeuge als nicht ordnungsgemäß und erhöhte den Bruttoarbeitslohn des Klägers unter Anwendung der 1%-Regelung für private Kfz-Nutzung um folgende Beträge:
2013 |
3.741 € |
2014 |
5.742 € |
2015 |
6.324 € |
Das FA änderte im Anschluss an die Außenprüfung die ergangenen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre (2013 – 2015) dementsprechend. Dagegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.
Der Kläger ist der Ansicht, dass ein dreimaliges Abweichen des Kilometerstandes laut Werkstattrechnungen vom Kilometerstand laut Fahrtenbuch ohne weitere Umstände nicht ausreichend sei, ein Fahrtenbuch nicht anzuerkennen. Zu berücksichtigen seien u.a. der erhebliche Umfang der insgesamt gefahrenen Kilometer, sowie der Umstand, dass die festgestellten Abweichungen im Jahr 2013 in der Höhe nahe beieinanderlägen.
In den Streitjahren 2014 und 2015 seien bis auf die (unrichtige) Fortführung des Kilometerstandes nach dem Fahrzeugwechsel gar keine Abweichungen mehr festgestellt worden. Insoweit handele es sich nur um einen unbeachtlichen Fortsetzungsfehler. Dieser berechtige nicht zur Verwerfung des Fahrtenbuchs. Der richtige Kilometerstand sei zudem ermittelbar gewesen.
Eine Prüfung des Fahrtenbuchs auf seine materielle Richtigkeit sei danach mit vertretbarem Aufwand möglich gewesen. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, wonach ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch sicherzustellen habe, dass der Nachweis des zu versteuernden Privatanteils an der Gesamtfahrleistung eine hinreichende Gewähr für dessen Vollständigkeit und Richtigkeit biete und mit vertretbarem Aufwand auf seine Richtigkeit hin überprüfbar sein muss.
Zudem verfüge das elektronische Fahrtenbuch über eine GPS Einrichtung, wodurch eine zeitnahe und nicht manipulierbare Aufzeichnung der Fahrten sichergestellt sei. Daher habe er den Kilometerstand des Tachos nicht laufend abgleichen müssen.
Zuletzt habe er es nicht zu vertreten, wenn zwischendurch eine Aufzeichnung von Fahrten wegen technischer Probleme nicht möglich gewesen sei. Von ihm unbemerkt sei es zu solchen Aussetzern gekommen, die er allerdings nicht mehr genau nach Zeitraum und Umfang benennen könne.
Der Kläger beantragt,
1. den Einkommensteuerbescheid 2013 vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … abzuändern und die Steuer unter Berücksichtigung eines Bruttoarbeitslohnes des Klägers in Höhe von … € neu festzusetzen,
2. den Einkommensteuerbescheid 2014 vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … abzuändern und die Steuer unter Berücksichtigung eines Bruttoarbeitslohnes des Klägers in Höhe von … € neu festzusetzen und
3. den Einkommensteuerbescheid 2015 vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … abzuändern und die Steuer unter Berücksichtigung eines Bruttoarbeitslohnes des Klägers in Höhe von … € neu festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält daran fest, dass das vorgelegte Fahrtenbuch nicht ordnungsgemäß sei. Daher sei der Vorteil aus der privaten Nutzungsüberlassung des Dienstwagens nach der 1%-Regelung zu ermitteln. Dieser Schluss sei bereits wegen der Differenzen zwischen den Kilometerständen laut Fahrtenbuch und den Kilometerständen laut Werkstattrechnungen zwingend. Die Differenzen seien nicht erklärlich. Zudem habe der Kläger zu keinem Zeitpunkt die Kilometerstände laut Fahrtenbuch mit den Kilometerständen laut Fahrzeuganzeige abgeglichen. Daher handele es sich um mehr als einen reinen ”Fortsetzungsfehler“.
Ergänzend betont der Beklagte, dass seitens der Finanzverwaltung kein elektronisches Fahrtenbuch offiziell anerkannt worden sei. Vielmehr richte sich die Anerkennung eines elektronischen Fahrtenbuches nach denselben Grundsätzen wie bei einem manuellen Fahrtenbuch.