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BAG Urteil vom 07.06.2018 - 8 AZR 574/16

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang. Spaltung nach dem UmwG. Betriebsspaltung. Zuordnung der Arbeitnehmer. Interessenausgleich

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Leitsatz (redaktionell)

Stimmt der Arbeitnehmer bei einer Aufspaltung i.S.d. § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf einen der übernehmenden Rechtssträger nicht zu, hat er ein Wahlrecht, mit welchem das Arbeitsverhältnis fortgesetzt wird.

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Normenkette

UmwG § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 323 Abs. 2; BGB § 613a Abs. 1 S. 1

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Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 26.04.2016; Aktenzeichen 4 Sa 2/16)

ArbG Hamburg (Urteil vom 19.11.2015; Aktenzeichen 5 Ca 234/15)

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Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 26. April 2016 – 4 Sa 2/16 – aufgehoben.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 19. November 2015 – 5 Ca 234/15 – teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien seit dem 27. Mai 2015 ein Arbeitsverhältnis zu den zwischen dem Kläger und der L R S GmbH bis zum 26. Mai 2015 geltenden Arbeitsbedingungen besteht.

Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

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Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen nach einer umwandlungsrechtlichen Aufspaltung der bisherigen Arbeitgeberin des Klägers, der L R S GmbH (im Folgenden LRS), ein Arbeitsverhältnis besteht und ob die Beklagte zur Beschäftigung des Klägers zu den zuletzt mit der LRS vereinbarten Arbeitsbedingungen verpflichtet ist.

Der Kläger war langjährig für die LRS in deren Betrieb in N als „Sachbearbeiter (Jobgruppe Professional)” tätig. Die LRS war auf Verfahren und Prozesse zur systematischen Analyse von Daten in elektronischer Form im Bereich Abrechnungen im Luftverkehr spezialisiert und stellte in diesem Zusammenhang Abrechnungssysteme zur Verfügung, überwachte Schnittstellen, optimierte Prozesse, prüfte Qualitätskriterien und entwickelte Softwarelösungen. Dafür unterhielt sie einen Betrieb in N. Hauptauftraggeberin der LRS war deren Muttergesellschaft, die D L AG (im Folgenden DL AG).

Im Februar 2013 entschied die DL AG, die bisher an die LRS vergebenen Aufträge künftig an Dritte, konzernangehörige Gesellschaften im Ausland sowie an konzernfremde Gesellschaften im Ausland und zu einem Teil an eine konzernangehörige Gesellschaft im Inland zu vergeben. Vor diesem Hintergrund beschloss die Gesellschafterversammlung der LRS, die LRS in zwei neu zu gründende Gesellschaften, nämlich die „LRS neu”, die spätere L J S N GmbH (im Folgenden LJS) und in die „L H”, die Beklagte, aufzuspalten. Dabei sollten auf die „L H” die Aufgaben und Prozesse und die diesen dienenden Betriebsmittel übertragen werden, die weiterhin in Deutschland verbleiben (Onshore-Tätigkeiten), während auf die „LRS neu” die Aufgaben und Prozesse und die diesen dienenden Betriebsmittel übertragen werden sollten, die nur noch vorübergehend in Deutschland verbleiben und sodann entweder als sog. Nearshore-Tätigkeit oder als sog. Offshore-Tätigkeit an Dritte vergeben werden sollten und damit absehbar wegfielen. Die Aufteilung und Zuordnung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Betriebs der LRS zur „L H” auf der einen und zur „LRS neu” auf der anderen Seite sollte analog zu den von diesen zuletzt ausgeführten Prozessen und Tätigkeiten erfolgen. Parallel zum Beschluss der Gesellschafterversammlung der LRS über die unternehmensrechtliche Aufspaltung der LRS beschloss die Geschäftsleitung der LRS, den Betrieb der LRS in N entsprechend aufzuspalten.

Am 6. März 2014 schloss die LRS mit dem im Betrieb N gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich, der in Auszügen den folgenden Inhalt hat:

Präambel

Die Hauptauftraggeberin der LRS, die L AG, hat zur Restrukturierung und Kostensenkung ein konzernweites Programm ‚SCORE’ aufgelegt. Ein Teilprojekt dieses Konzernprogramms ist das Projekt ‚GLOBE’. ‚GLOBE’ steht für Global Business Services Efficiency und hat zum Ziel bei administrativen Dienstleistungen in verschiedenen Geschäftsfeldern der L-Gruppe den Marktanforderungen nach Flexibilität und Transparenz durch Veränderungen Rechnung zu tragen. Im Rahmen des Projektes ‚GLOBE’, an dem die LRS selbst im Rahmen der Konzernstrukturen mitwirkt, hat der Vorstand der L AG beschlossen, die bisher durch die LRS durchgeführten Aufträge künftig an Dritte, konzernangehörige Gesellschaften im Ausland, sowie an konzernfremde Gesellschaften im Ausland und zu einem Teil an eine konzernangehörige Gesellschaft im Inland zu vergeben. Mit dem vollständigen Wegfall der Aufgaben ist für die LRS eine betriebswirtschaftlich vertretbare Weiterführung des Betriebes N wie auch des Unternehmens LRS ausgeschlossen. Aus diesem Grunde wird die LRS mit Wirkung zum 01.01.2015 aufgespalten und auf zwei Gesellschaften die ‚LRS neu’ und die ‚L H’ aufgeteilt. Entsprechend wird auch der Betrieb N aufgespalten und aufgeteilt. Der Betrieb der ‚LRS neu’ wird bis zum 31.12.2019 bestehen, es sei denn, es befinden sich zu einem früheren Zeitpunkt keine Mitarbeiter mehr in einem Arbeitsverhältnis mit der ‚LRS neu’, Betrieb N. Die genaue Gesellschaftsbezeichnung der beiden entstehenden Gesellschaften erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt, sie ist derzeit noch nicht bekannt, weshalb für die Zwecke dieses Interessenausgleiches die Arbeitstitel ‚LRS neu’ und ‚L H’ verwendet werden.

A. Geltungsbereich

(1)

Der vorliegende Interessenausgleich gilt für alle Mitarbeiter der LRS, die am 08.10.2013 räumlich dem Betrieb N zugeordnet mit der LRS in einem Beschäftigungsverhältnis standen, …

B. Gegenstand der Betriebsänderung

(1)

Im Zuge der Aufspaltung des Unternehmens LRS wird auch der Betrieb N gespalten und die dort beschäftigten Mitarbeiter auf die ‚LRS neu’ und auf die ‚L H’ aufgeteilt. Die Spaltung des Betriebes wird mit Wirkung zum 01.01.2015 durchgeführt.

(2)

Die ‚L H’ wird ihren Betrieb in H, voraussichtlich auf der L Basis H, aufnehmen und dort die sich aus Anlage 1 ergebenden Bereiche bis zum 31.12.2018 fortführen.

(3)

Die ‚LRS neu’ wird am Standort N ihren Betrieb aufnehmen. Dieser Betrieb wird bis zum 31.12.2019 aufrechterhalten. Zum 31.12.2019 wird der Betrieb vollständig geschlossen, es sei denn, es befinden sich zu einem früheren Zeitpunkt keine Mitarbeiter mehr in einem Beschäftigungsverhältnis mit der ‚LRS neu’.

C. Durchführung

(1)

Beginnend spätestens mit dem 01.01.2014 werden bis längstens 31.12.2014 die bisher von der LRS durchgeführten Arbeiten entsprechend dem Shoring-Konzept verlagert. …

(3)

Mit rechtlicher Wirkung zum 01.01.2015 wird in Folge eines Spaltungsvertrages und eines Spaltungsplanes die LRS GmbH aufgespalten. Die Spaltung der LRS GmbH wird voraussichtlich im Laufe des Jahres 2014 beschlossen und 2015 eingetragen, und damit ggfs. rückwirkend zum 01.01.2015 wirksam. ln Zusammenhang mit dieser Unternehmensaufspaltung wird auch der bisherige einheitliche Betrieb der LRS GmbH in N gespalten. Die Spaltung des Betriebes wird mit Wirkung zum 01.01.2015 ggf. im Vorgriff auf die gesellschaftsrechtliche Spaltung, die erst mit Eintragung ins Handelsregister formell wirksam ist, durchgeführt. Die Mitarbeiter werden analog der von ihnen bisher ausgeführten Aufgaben auf die beiden Gesellschaften, die ‚LRS neu’ einerseits und die ‚L H’ andererseits aufgeteilt und zugeordnet. Soweit die Gesellschaften zum Zeitpunkt der Betriebsspaltung noch nicht Rechtsnachfolger geworden sind, werden zwei selbstständige betriebliche Einheiten gebildet, die sodann mit Wirksamwerden der Aufspaltung auf die beiden Gesellschaften übertragen werden.

(4)

Diesem Interessenausgleich ist als Anlage 3 eine Mitarbeiterliste gemäß § 323 Abs. 2 UmwG beigefügt, die die Namen der Mitarbeiter enthält, die auf die ‚L H’ übergehen. Die Aufgaben dieser Mitarbeiter werden entsprechend dem Shoring-Konzept auf die ‚L H’ übertragen. Die betroffenen Mitarbeiter sind im Rahmen dieses Interessenausgleichs wie auch im Spaltungsvertrag daher der ‚L H’ zugeordnet worden und gehen auf diese über.

(5)

Diesem Interessenausgleich ist als Anlage 4 eine Mitarbeiterliste gemäß §323 Abs.2 UmwG beigefügt, die die Namen der Mitarbeiter enthält, die auf die ‚LRS neu’ übergehen. Die Aufgaben dieser Mitarbeiter werden entweder entsprechend dem Shoring-Konzept fremd vergeben und entfallen damit oder werden im weiteren Zeitablauf nicht mehr benötigt und entfallen deshalb. Die betroffenen Mitarbeiter sind im Rahmen dieses Interessenausgleiches, wie auch im Rahmen des Spaltungsvertrages der ‚LRS neu’ zugeordnet worden und gehen auf diese über.

(6)

Die Arbeitsverhältnisse der in der Anlage 3 enthaltenen Mitarbeiter werden gemäß §§ 126 ff., 324 UmwG mit der ‚L H’ am Standort H, voraussichtlich auf der L Basis H, fortgesetzt. Die Änderung des Arbeitsortes erfolgt im Wege der Versetzung. Die L H wird den Betrieb am Standort H bis zum 31.12.2018 aufrechterhalten. …

(8)

Der Betrieb der ‚LRS neu’ wird am Standort N bis 31.12.2019 verbleiben und die Arbeitsverhältnisse der auf der Anlage 4 verzeichneten Mitarbeiter gemäß §§ 126 ff., 324 UmwG fortsetzen, es sei denn, es befinden sich zu einem früheren Zeitpunkt keine Mitarbeiter mehr in einem Beschäftigungsverhältnis mit der ‚LRS neu’, Betrieb N.

Neben der punktuellen Abarbeitung einzelner Aufgaben werden die betreffenden Mitarbeiter im Rahmen eines Weiterbildungs- und Schulungskonzeptes für den internen, wie externen Arbeitsmarkt weitergebildet. …”

Am 18. Juli 2014 schloss die LRS mit dem in ihrem Betrieb in N gebildeten Betriebsrat eine „Ergänzende Vereinbarung zum Interessenausgleich vom 06.03.2014”, mit der die im Interessenausgleich vom 6. März 2014 aufgeführten „Mitarbeiterlisten gemäß § 323 Abs. 2 UmwG” aktualisiert wurden.

Die Anlage 3 zur Ergänzenden Vereinbarung enthält die Namen von insgesamt 117, die Anlage 4 die Namen von insgesamt 189 Beschäftigten der LRS. Der Name des Klägers befand sich auf der Anlage 4.

Am 17. November 2014 wurde die Beklagte und am 19. November 2014 wurde die LJS in das Handelsregister eingetragen. Ausweislich des Handelsregisters ist Gegenstand des Unternehmens der Beklagten die Erbringung von Dienstleistungen ua. im Bereich Revenue Accounting, Gegenstand des Unternehmens der LJS ist die Qualifizierung und Vermittlung von Arbeitskräften innerhalb und außerhalb des Konzerns der DL AG.

Zum 1. Januar 2015 wurden die sog. Onshore-Tätigkeiten und die dafür erforderlichen Betriebsmittel auf die Beklagte, die sog. Nearshore- und Off-shore-Tätigkeiten und die dafür erforderlichen Betriebsmittel auf die LJS übertragen.

Mit Schreiben vom 16. April 2015 unterrichtete die LRS den Kläger über einen Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die LJS. In diesem Schreiben heißt es:

Unterrichtung über den gesetzlichen Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses von der LRS GmbH (nachfolgend ‚LRS’) auf die L J S N GmbH (nachfolgend ‚LJS’)

Sehr geehrter …,

die L R S GmbH beabsichtigt ihr Unternehmen gemäß § 126 UmwG durch Spaltung zur Aufnahme zu spalten und auf die LJS, die L G B S H GmbH (nachfolgend ‚L H’) und die LCH G B mbH (‚LCH GB’) andererseits zu übertragen. Durch diese Übertragung kommt es zu einem Betriebsübergang im Sinne von § 613 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) auf die LJS. …

Über die geplante Übertragung Ihres Arbeitsverhältnisses auf die LJS und deren Bedeutung für Ihr Arbeitsverhältnis möchten wir Sie gern gemäß § 613 a Abs. 5 BGB wie folgt unterrichten: …”

Am 27. Mai 2015 wurde in das zuständige Handelsregister der LRS eingetragen, dass diese aufgrund eines Aufspaltungs- und Übernahmevertrags vom 11. Mai 2015 ihr Vermögen unter Auflösung ohne Abwicklung durch gleichzeitige Übertragung der im Aufspaltungs- und Übernahmevertrag bezeichneten Vermögensteile jeweils als Gesamtheit auf die Beklagte, die LJS und die LCH G B mbH (im Folgenden LCH) übertragen hat. Das Arbeitsverhältnis des Klägers war im Aufspaltungs- und Übernahmevertrag den „Prozessen” zugeordnet, die auf die LJS übertragen wurden.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sein Arbeitsverhältnis sei im Wege des Betriebsübergangs nach § 613a BGB auf die Beklagte übergegangen. Jedenfalls sei seine Zuordnung zur LJS im Interessenausgleich nicht tragfähig. Der Interessenausgleich sei bereits aus formellen Gründen unwirksam. Für seinen Abschluss sei der im Betrieb N gebildete Betriebsrat nicht zuständig. Zudem sei seine Zuordnung zur LJS grob fehlerhaft iSv. § 323 Abs. 2 UmwG. Die „LRS neu” sei weder ein Betrieb noch ein Betriebsteil oder zumindest eine abgrenzbare betriebliche Einheit, sondern lediglich die Zusammenfassung von Aufgaben und Prozessen, die nicht mehr benötigt würden. Eine Zuordnung zu einem derartigen „Spaltprodukt” laufe dem Schutzzweck von § 613a BGB zuwider. Überdies verstoße seine Zuordnung zur LJS auch gegen §§ 1, 2 KSchG.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

  1. festzustellen, dass seit dem 27. Mai 2015 zwischen ihm und der Beklagten ein Arbeitsverhältnis besteht, zu den Bedingungen des Arbeitsverhältnisses, das bis zum 26. Mai 2015 zwischen ihm und der LRS bestanden hat;
  2. die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den zuletzt zwischen ihm und der LRS geltenden Arbeitsvertragsbedingungen als „Professional” weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis des Klägers sei auf die LJS übergegangen. Im Rahmen der unternehmensrechtlichen Aufspaltung der LRS und der Spaltung des Betriebs der LRS in N seien der „L H” und der „LRS neu” überwiegend abgrenzungsfähige Teileinheiten iSv. § 613a BGB zugeordnet worden. Die Zuordnung der Mitarbeiter sei nach den bisher ausgeübten Tätigkeiten und somit nach sachlichen Kriterien erfolgt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.