BAG Urteil vom 22.03.2018 - 8 AZR 779/16
Leitsatz (amtlich)
Hat das Landesarbeitsgericht eine Entscheidung über die Zulassung der Revision getroffen und es versehentlich versäumt, diese Entscheidung in den Urteilstenor aufzunehmen, ist es nach § 64 Abs. 3a ArbGG grundsätzlich nicht gehindert, den Urteilstenor unter den Voraussetzungen des § 319 ZPO von Amts wegen im Wege des Berichtigungsbeschlusses zu ergänzen. Allerdings muss das Gericht den Parteien gegenüber bis zum Ablauf der Frist des § 64 Abs. 3a Satz 2 ArbGG sein Versehen offenbart und seine Absicht mitgeteilt haben, das Urteil entsprechend zu berichtigen.
Orientierungssatz
1. § 64 Abs. 3a ArbGG schließt für den Fall, dass das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung, die Revision zuzulassen, versehentlich nicht in den Urteilstenor aufgenommen hat, eine entsprechende Ergänzung des Urteilstenors im Wege des Berichtigungsbeschlusses unter den Voraussetzungen des § 319 ZPO grundsätzlich nicht aus. Vor dem Hintergrund, dass es dem Gesetzgeber mit der in § 64 Abs. 3a Satz 2 ArbGG bestimmten Antragsfrist von zwei Wochen ab der Verkündung des Urteils darum ging, möglichst kurzfristig Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu schaffen, muss das Landesarbeitsgericht allerdings den Parteien bis zum Ablauf der Frist des § 64 Abs. 3a Satz 2 ArbGG sein Versehen und seine Absicht, das Urteil entsprechend zu berichtigen, offenbart haben.
2. Hat das Landesarbeitsgericht eine Entscheidung über die Zulassung der Revision getroffen und es versehentlich versäumt, diese Entscheidung in den Urteilstenor aufzunehmen, setzt eine Ergänzung des Urteilstenors im Wege des Berichtigungsbeschlusses nach § 319 ZPO grundsätzlich voraus, dass diese Tatsache aus dem Zusammenhang des Urteils selbst oder mindestens aus den Vorgängen bei seinem Erlass oder seiner Verkündung nach außen – selbst für Dritte ohne weiteres deutlich – hervorgetreten ist.
3. Der Senat hat es offengelassen, ob eine andere Beurteilung dann geboten ist, wenn die Richter, die an der Entscheidung, die Revision zuzulassen, mitgewirkt haben, einen entsprechenden Berichtigungsbeschluss fassen.
4. Nach § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Gläubiger, soweit der Schuldner die fällige Leistung nicht oder nicht wie geschuldet erbringt, unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn er dem Schuldner zuvor erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder zur Nacherfüllung gesetzt hat. Nach § 281 Abs. 2 BGB ist die Fristsetzung ua. entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert.
5. § 281 BGB findet auch auf schuldrechtliche Rückgewähransprüche Anwendung. Die Bestimmung gibt dem Gläubiger unabhängig davon, ob er das Interesse an der Rückgewähr der Sache verloren hat, die Möglichkeit, zum Schadensersatz überzugehen.
6. Der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nach § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB ist auf das positive Interesse gerichtet. Danach ist der Gläubiger wirtschaftlich so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Schuldner den Vertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte.
7. Die Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung kommen nur bei einem betrieblich veranlassten Handeln des Arbeitnehmers zur Anwendung. Das Erfordernis der betrieblichen Veranlassung stellt sicher, dass der Arbeitgeber nicht mit dem allgemeinen Lebensrisiko des Arbeitnehmers belastet wird.
Normenkette
ArbGG § 53 Abs. 1, § 72 Abs. 1 S. 2, § 64 Abs. 3a; ZPO § 128 Abs. 4, § 319; GG Art. 20 Abs. 3; BGB § 280 Abs. 1, 3, § 281 Abs. 1-2, 4; InsO § 82 S. 1
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Urteil vom 27.09.2016; Aktenzeichen 7 Sa 424/14) |
ArbG Bayreuth (Teilurteil vom 16.05.2014; Aktenzeichen 4 Ca 391/13) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 27. September 2016 - 7 Sa 424/14 - insoweit aufgehoben, als es das Versäumnisurteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 1. September 2015 - 7 Sa 424/14 - aufgehoben und im Umfang dieser Aufhebung das Teilurteil des Arbeitsgerichts Bayreuth - Kammer Hof - vom 16. Mai 2014 - 4 Ca 391/13 - abgeändert hat.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 27. September 2016 - 7 Sa 424/14 - wird aus Gründen der Klarstellung in der Hauptsache insgesamt wie folgt gefasst:
Das Versäumnisurteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 1. September 2015 - 7 Sa 424/14 - wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die Berufung des Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Bayreuth - Kammer Hof - vom 16. Mai 2014 - 4 Ca 391/13 - insoweit als unzulässig verworfen wird, als sich die Berufung gegen die Verurteilung zur Auskunfterteilung (Ziff. 2 des Teilurteils) richtet.
Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens - einschließlich der Kosten seiner Säumnis - und die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte dem Kläger wegen der Nichtherausgabe eines Fahrzeugs zum Schadensersatz verpflichtet ist.
Rz. 2
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der S GmbH (im Folgenden Schuldnerin), bei der der Beklagte seit dem 1. Januar 2009 aufgrund eines „Arbeitsvertrags zum Ausbildungsdienstverhältnis“ als Angestellter im Bereich EDV beschäftigt war. Geschäftsführerin der Schuldnerin war die Mutter des Beklagten, Frau M S. Der Vater des Beklagten, R S und der Bruder des Beklagten, D S, waren ebenfalls für die Schuldnerin tätig. Parallel zu seiner Tätigkeit für die Schuldnerin absolvierte der Beklagte zuletzt eine Ausbildungsmaßnahme in einer Schule in B zum Fachinformatiker für Systemintegration, wofür er unter Fortzahlung der Vergütung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt war.
Rz. 3
Dem Beklagten war zudem ein im Eigentum der Schuldnerin stehendes Firmenfahrzeug überlassen worden. In dem zwischen der Schuldnerin und dem Beklagten geschlossenen „Vertrag zur Überlassung eines KFZ an einen Mitarbeiter“ (im Folgenden Überlassungsvertrag) vom 1. Dezember 2010 heißt es auszugsweise:
„Zwischen der S GmbH (folgend als ‚Eigentümerin‚ bezeichnet) |
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und Herrn E S (folgend als ‚Nutzer‚ bezeichnet) |
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wird der folgende Überlassungsvertrag geschlossen: |
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Überlassung |
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Die Eigentümerin überlasst dem Nutzer das KFZ der Marke SKODA Typ 3 T mit dem amtlichen Kennzeichen H zur Benutzung während der Ausübung seiner Tätigkeit als Administrator der M S Holding, sowie der S GmbH und während der gesamten Laufzeit seiner Ausbildung im Beruf Fachinformatiker für Systemintegration (IHK). Die Überlassung ist ausschließlich durch die GF (Oberste Leitung) der M S Holding, Frau M S, jederzeit widerruflich und gilt bei einem Wechsel des überlassenen Fahrzeugs entsprechend. |
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… |
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Rückgabe des Fahrzeugs/Vorlage des Fahrtenbuchs |
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Der Nutzer ist verpflichtet, das Fahrzeug ausschließlich auf Aufforderung der GF (Oberste Leitung) jederzeit zurückzugeben. Ein Zurückbehaltungsrecht wird ausdrücklich ausgeschlossen. |
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Auf Wunsch der Eigentümerin ist das Fahrtenbuch jederzeit vorzulegen.“ |
Rz. 4
Nachdem der Kläger auf Antrag der AOK Bayern vom 3. Mai 2011 zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin bestellt war, forderte er mit Schreiben vom 23. Dezember 2011 unter Angabe des Aktenzeichens „11-800037/RA/“ die Mutter und den Vater des Beklagten in ihrer „Eigenschaft als Geschäftsführerin der Schuldnerin bzw. als faktischen Geschäftsführer“ unter Fristsetzung auf, verschiedene Fahrzeuge, ua. das dem Beklagten überlassene Fahrzeug Skoda Superb mit dem amtlichen Kennzeichen H an ihn herauszugeben. Die Eltern des Beklagten teilten dem Kläger mit Anwaltsschreiben der Rechtsanwälte E vom 24. Januar 2012 unter Angabe ihres Aktenzeichens „00539-11/SE/mue“ mit, der Skoda Superb mit dem amtlichen Kennzeichen H sei dem Beklagten aufgrund eines Ausbildungs- und Nutzungsvertrags zur Nutzung überlassen worden, sie selber nutzten das Fahrzeug nicht und könnten es deshalb auch nicht herausgeben.
Rz. 5
Am 1. Januar 2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger führte den Betrieb der Schuldnerin zunächst fort. Er kündigte Ende Januar 2012 das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten zum 31. März 2012. Hiergegen erhob der Beklagte, vertreten durch Rechtsanwälte E, vor dem Arbeitsgericht Bayreuth Kündigungsschutzklage. Am 26. Juli 2013 schlossen die Parteien in dem Kündigungsschutzverfahren einen Vergleich, nach dem das Arbeitsverhältnis des Beklagten mit Ablauf des 31. März 2012 sein Ende gefunden hat.
Rz. 6
Mit einem an die Rechtsanwaltskanzlei E, Frau Rechtsanwältin E gerichteten Schreiben vom 15. Februar 2012 verlangte der Kläger - anwaltlich vertreten - erneut die Herausgabe des Skoda Superb bis spätestens zum 22. Februar 2012. Das Schreiben, dem eine Vollmacht mit der Überschrift „In Sachen H./. S, E“ beigefügt war, hat auszugsweise folgenden Inhalt:
„D, 15. Februar 2012 |
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unser Zeichen: 47/12/MM |
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D55/72 |
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H./. S |
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Ihr Zeichen: 00539-11/SE/mue |
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Hier: Herausgabe Skoda Superb mit dem amtl. Kennzeichen H |
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Sehr geehrte Frau Kollegin E, |
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in vorbezeichneter Angelegenheit hat uns Rechtsanwalt H in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der S GmbH mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. Eine auf uns ausgestellte Bevollmächtigung haben wir in der Anlage im Original beigefügt. |
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Unser Mandant hat uns Ihr Schreiben vom 24. Januar 2012 vorgelegt. Hierzu nehmen wir wie folgt Stellung: |
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A. |
Herausgabe Skoda Superb mit dem amtl. Kennzeichen H |
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Das vorbezeichnete Fahrzeug ist an unseren Mandanten nebst dem von Ihrem Mandanten geführten Fahrtenbuch herauszugeben. |
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Das Fahrzeug steht unstreitig ausweislich der überreichten Nutzungsvereinbarung im Eigentum der Insolvenzschuldnerin. |
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Ihrem Mandanten steht kein Recht zum Besitz an diesem Fahrzeug zu. Zum einen wurde in der vorgelegten Nutzungsvereinbarung jegliches Zurückbehaltungsrecht ausgeschlossen. |
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Zum anderen hat unser Mandant mit seinen Schreiben vom 23. Dezember 2011 und vom 11. Januar 2012 (zumindest konkludent) den Widerruf der Überlassung des vorstehenden Fahrzeugs durch Aufforderung Ihres Mandanten zur Herausgabe des Fahrzeugs im Rahmen des in der Nutzungsvereinbarung eingeräumten Rechts zum jederzeitigen Widerruf erklärt. |
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Vorsorglich erklären wir namens und in Vollmacht unseres Mandanten erneut den gemäß der vorgelegten Nutzungsvereinbarung jederzeit möglichen Widerruf der Überlassung des vorstehenden Fahrzeugs. |
||
Vor diesem Hintergrund haben wir Ihren Mandanten namens und in Vollmacht unseres Mandanten aufzufordern, das vorbezeichnete Fahrzeuge unverzüglich, spätestens jedoch bis zum |
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22. Februar 2012 |
||
an unseren Mandanten herauszugeben. Wegen der Einzelheiten der Rückgabe setzt sich Ihr Mandant mit dem Mitarbeiter unseres Mandanten, Herr R, in Verbindung. |
||
B. |
Freistellung von vorgerichtlichen Kosten |
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…“ |
Rz. 7
Dieses Schreiben beantwortete Rechtsanwältin E mit Schreiben vom 14. März 2012 unter ihrem Zeichen „00091-12/SE/po“ wie folgt:
„H./. S |
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wegen Herausgabe |
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Sehr geehrter Herr Kollege M, |
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in vorbezeichneter Angelegenheit kommen wir zurück auf die Herausgabe der diversen Fahrzeuge. Ich darf wie folgt hierzu Stellung nehmen: |
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… |
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2. |
Herausgabe Scoda Superb |
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Der Scoda Superb steht tatsächlich im Eigentum der Insolvenzschuldnerin. Allerdings wurde dieser Herrn E S mit Ausbildungsvertrag als Bestandteil seiner Honorierung überlassen. Die Kündigung Ihrer Mandantschaft ist unwirksam. Ein entsprechender weiterer Beschäftigungsantrag wird demnächst bei Gericht eingereicht werden. Ihre Berufung auf einen jederzeitigen Widerruf des Nutzungsverhältnisses greift nicht, da das Widerrufsrecht nicht der S zusteht, sondern vielmehr Frau M S persönlich. Wir bitten die entsprechende Formulierung zu prüfen. Ein Herausgabeanspruch Ihres Hauses besteht daher ebenfalls nicht. |
||
… |
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Im Fall einer Klageerhebung benennen Sie mich bitte als Zustellungsbevollmächtigt.“ |
Rz. 8
Der Kläger hat den Beklagten mit der am 30. April 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage zunächst auf Herausgabe des Skoda Superb in Anspruch genommen, hilfsweise hat er Wertersatz verlangt. Mit Schriftsatz vom 30. Januar 2014 hat er den Herausgabeantrag fallengelassen und vom Beklagten ausschließlich Wertersatz für das Fahrzeug verlangt. Der Beklagte hat hilfsweise die Aufrechnung mit Ansprüchen auf Ersatz der Ausbildungskosten, von Verpflegungsmehraufwand, von Benzingeld sowie mit abgetretenen Ansprüchen seines Bruders erklärt.
Rz. 9
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte schulde ihm Ersatz des Werts des Fahrzeugs. Er habe den Beklagten am 23. Dezember 2011 und am 15. Februar 2012 zur Herausgabe des Skoda Superb an sich aufgefordert. Dennoch habe der Beklagte das Fahrzeug nicht an ihn, sondern an einen Dritten herausgegeben. Die Grundsätze der privilegierten Arbeitnehmerhaftung seien im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Im Übrigen habe der Beklagte grob fahrlässig gehandelt, als er das Fahrzeug entgegen seiner eindeutigen Aufforderung einem Dritten übergeben habe.
Rz. 10
Der Kläger hat zuletzt - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn Wertersatz iHv. 13.094,51 Euro zu zahlen. |
Rz. 11
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat behauptet, er habe Ende August 2012 seine Ausbildung beendet und das Fahrzeug deshalb noch am 31. August 2012 im Betrieb der Schuldnerin an seinen Vater herausgegeben. Dieser habe es an seinen Bruder D S übergeben, dem das Fahrzeug sicherungsübereignet gewesen sei. Damit habe er alles richtig gemacht; jedenfalls habe er nicht grob fahrlässig gehandelt.
Rz. 12
Das Arbeitsgericht hat den Beklagten mit Teilurteil vom 16. Mai 2014 zur Zahlung von 13.094,51 Euro Wertersatz sowie zur Erteilung einer Auskunft über die Anzahl der mit dem Fahrzeug gefahrenen Kilometer verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten durch Versäumnisurteil vom 1. September 2015 zurückgewiesen. Mit Urteil vom 27. September 2016 hat das Landesarbeitsgericht auf den Einspruch des Beklagten das Versäumnisurteil vom 1. September 2015 sowie das Teilurteil des Arbeitsgerichts - unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten im Übrigen - teilweise abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen, als der Beklagte zu einem den Betrag von 4.400,00 Euro übersteigenden Wertersatz verurteilt worden ist. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Berufung des Beklagten sei insoweit unzulässig, als mit ihr die Verurteilung zur Auskunftserteilung angegriffen wurde. Mit der Revision begehrt der Kläger die Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils im Hinblick auf den Wertersatz. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.