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BAG Urteil vom 25.04.2018 - 5 AZR 424/17

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der gesetzlichen Vergütungspflicht. Fahrt zur auswärtigen Arbeitsstelle. Montagestammarbeiter

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Orientierungssatz

1. Hat der Arbeitnehmer seine Tätigkeit an einer auswärtigen Arbeitsstelle zu erbringen, leistet er mit den Fahrten zum Kunden und zurück vergütungspflichtige Arbeit, unabhängig davon, ob Fahrtantritt und Fahrtende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen (Rn. 18).

2. Durch Arbeits- oder Tarifvertrag kann eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit und damit auch für Fahrten zur auswärtigen Arbeitsstelle getroffen werden. Dabei darf allerdings für die in einem Kalendermonat insgesamt geleistete vergütungspflichte Arbeit der gesetzliche Anspruch auf den Mindestlohn nicht unterschritten werden (Rn. 19).

3. Bei der Nahmontage schließt § 5.1 Abs. 1 Satz 2 BMTV eine – gesonderte – Vergütung der Fahrt von der Wohnung des Montagestammarbeiters zum ersten Kunden des Arbeitstags und vom letzten zurück zur Wohnung aus. Der dafür erforderliche Zeitaufwand ist mit der tariflichen Nahauslösung und dem Entgelt für die Montagetätigkeit abgegolten (Rn. 26 ff.).

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Normenkette

BGB § 611 Abs. 1; MiLoG § 1 Abs. 1; Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues (BMTV) i.d.F. vom 20. Juni 2001 § 5.1

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Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 20.07.2017; Aktenzeichen 7 Sa 40/17)

ArbG Hamburg (Urteil vom 08.02.2017; Aktenzeichen 27 Ca 277/16)

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Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 20. Juli 2017 – 7 Sa 40/17 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

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Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Vergütung der Fahrten des Klägers von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstags und vom letzten zurück zur Wohnung.

Der Kläger ist seit dem Jahr 1988 bei der Beklagten an deren Standort H als Aufzugs- und Inspektionsmonteur beschäftigt. Er ist Mitglied des dort gebildeten Betriebsrats. Bei einer regelmäßigen tariflichen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden erhält er ein Bruttomonatsgehalt von 4.376,00 Euro. Für die ihm obliegende Wartung, Montage und Reparatur von Aufzugsanlagen stellt ihm die Beklagte ein mit den erforderlichen Werkzeugen und Ersatzteilen bestücktes Kraftfahrzeug zur Verfügung, das der Kläger auch privat nutzen darf.

Die Beklagte weist ihren Monteuren monatlich die jeweils zu wartenden Aufzugsanlagen in Sammelaufträgen zu. Vorbehaltlich etwaiger Not- und Störfälle kann der Kläger im Wesentlichen frei einteilen, an welchen Tagen und in welcher Reihenfolge er welche Kunden aufsucht. Bis Anfang Dezember 2016 fuhr er morgens von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstags und vom letzten Kunden dorthin zurück. Den Betrieb der Beklagten suchte der Kläger nur für organisatorische Tätigkeiten wie die Abgabe der Wochenmeldungen oder die Versorgung mit Ersatzteilen sowie für Betriebsratstätigkeit auf.

Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 4. Januar 1988, nach dessen Ziff. 6 auf das Arbeitsverhältnis ua. „der Bundesmontagetarifvertrag (soweit dieser gemäß Paragraph 1 BMTV einschlägig ist)” Anwendung findet.

Der Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues (BMTV) in der Fassung vom 20. Juni 2001 bestimmt, soweit vorliegend von Interesse:

§ 1

Geltungsbereich

Der Tarifvertrag gilt (1):

1.1

räumlich:

für die Bundesrepublik Deutschland.

1.2

fachlich:

für alle außerbetrieblichen Arbeitsstellen (Montagen) der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie (…).

1.3

persönlich:

für alle Montagestammarbeiter und Montagezeitarbeiter (2).

§ 2

Begriffsbestimmungen

2.1

Außerbetriebliche Arbeitsstelle

2.1.1

Eine außerbetriebliche Arbeitsstelle ist für den Montagestammarbeiter die Arbeitsstelle, die räumlich von dem Betrieb (Hauptbetrieb, Zweigbetrieb, Nebenbetrieb, Stützpunkt) entfernt ist, für den er eingestellt ist, also außerhalb des Sitzes seines Arbeitsverhältnisses.

2.2

Montagestammarbeiter

2.2.1

Montagestammarbeiter sind gewerbliche Arbeitnehmer, die aufgrund ihres Arbeitsvertrages verpflichtet sind, auf Weisung des Arbeitgebers auf Montagen zu arbeiten (Entsendung).

Nach dieser Bestimmung wird nur Montagestammarbeiter, wer vom Betrieb (Sitz seines Arbeitsverhältnisses) auf eine außerbetriebliche Arbeitsstelle entsandt wird und aufgrund seines Arbeitsvertrages verpflichtet ist, einer solchen Weisung Folge zu leisten.

§ 4

Gemeinsame Bestimmungen für Montagestammarbeiter im Nah- und Fernbereich

4.1

Begriff der Montage im Nahbereich (Nahmontage)

4.1.1

Nahmontage ist eine Montage, bei der dem Montagestammarbeiter die tägliche Rückkehr zum Ausgangspunkt zumutbar ist.

4.1.2

Die tägliche Rückkehr zum Ausgangspunkt ist zumutbar, wenn die Entfernung in Straßenkilometern zwischen Ausgangspunkt und Montagestelle 80 km nicht übersteigt und diese Entfernung jeweils für Hin- und Rückweg außerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit zurückgelegt wird.

4.4

Festlegung des Ausgangspunktes

4.4.1

Ausgangspunkt für die Nahmontage kann sein:

  • der entsendende Betrieb
  • die Wohnung des Montagestammarbeiters
  • die Ortsmitte des Betriebsortes.

§ 5

Nahmontage für Montagestammarbeiter

5.1

Nahauslösung

Die Nahauslösung ist eine Pauschalerstattung, die den arbeitstäglichen Mehraufwand bei auswärtigen Montagearbeiten im Nahbereich abdecken soll. Eine Vergütung für den Zeitaufwand der Hin- und Rückreise erfolgt nicht.

Montagestelle ist die Stelle, von der aus der Beginn der Arbeitszeit berechnet wird und die Bezahlung der Arbeitszeit beginnt.

5.2.3

Die Höhe der Nahauslösungen wird im Tarifvertrag für Auslösungssätze und Fahrtkosten nach folgender Staffelung festgelegt:

Auslösungstafel II

für Montagestammarbeiter, die auf Anordnung des Arbeitgebers ein werkseitig gestelltes Fahrzeug lenken (…). Diese um 25% höhere Nahauslösung wird gezahlt für die Lenkzeit bzw. den unterstellten höheren Aufwand.

5.3

Innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit des Montagestammarbeiters zurückgelegte Reisewege werden wie Arbeitszeit bezahlt.

5.4

Für (…) Montageeinsätze mit täglich wechselnder Entfernung können abweichend von § 5.2 durch freiwillige Betriebsvereinbarung tarifliche Nahauslösungszonen zusammengelegt und die entsprechenden Nahauslösungssätze pauschaliert werden.

§ 6

Fernmontage für Montagestammarbeiter

6.1

Entschädigung für Reisezeit

6.1.1

Die notwendige Reisezeit einschließlich der Anund Abmarschzeiten wird (…) bis zu 12 Stunden je Kalendertag bezahlt, und zwar

falls sie außerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit liegt, wie Arbeitszeit ohne Zuschläge,

falls sie innerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit liegt, zuzüglich eines Verdienstausgleichs in Höhe des Montagezuschlags.

6.1.1.1

Zu vergüten ist die gesamte Reisezeit vom Verlassen des Ausgangspunktes an bis zum Erreichen der Unterkunft an der Montagestelle.”

Für die Fahrten des Klägers von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstags und vom letzten zurück zur Wohnung zahlt die Beklagte keine gesonderte Vergütung, sondern lediglich eine Nahauslösung nach Maßgabe des BMTV.

Zum 5. Dezember 2016 wurde der Kläger – nach seiner Auffassung unwirksam – angewiesen, die Arbeit künftig an einem von der Beklagten festgelegten Sammelpunkt in H aufzunehmen und zu beenden. Am 15. Dezember 2016 hat die Einigungsstelle für den H Betrieb der Beklagten eine „Teil-Regelung zur (regelmäßigen) Arbeitszeit (ohne Not- und Stördienst)” beschlossen. In dem Spruch heißt es ua.:

2. Regelungsgegenstand

Diese Betriebsvereinbarung regelt Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage.

4.1 Tatsächliche Arbeitszeit „Ist-Arbeitszeit”)

Für Monteure, die mit ihrem Dienstfahrzeug unter Mitführung ihrer Werkzeuge und Ersatzteile direkt von der Wohnung zur Anlage des Kunden fahren und von einer Anlage des Kunden direkt wieder zur Wohnung zurückkehren, beginnt die Arbeitszeit mit Abfahrt von der Wohnung. Die Arbeitszeit endet mit Beendigung der Fahrtätigkeit bei Erreichen der Wohnung des Mitarbeiters.

Dies gilt nur, solange der Arbeitgeber keine wirksame Anordnung trifft, wonach die Arbeit im Betrieb (Ha) oder an einem anderen Ort aufzunehmen ist. Sofern der BMTV Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei dieser Entscheidung einräumt, sind diese zu beachten.”

Mit der am 2. August 2016 anhängig gemachten Klage hat der Kläger Vergütung für die streitgegenständlichen Fahrten verlangt und gemeint, diese zählten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeit. Für den Zeitraum Dezember 2015 bis November 2016 ergäben sich daher insgesamt 278 Überstunden, die mit einem Satz von 35,20 Euro brutto abzugelten seien. Dem stünde der BMTV nicht entgegen.

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.785,60 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach bestimmter Staffelung zu zahlen;
  2. festzustellen, dass die Arbeitszeit des Klägers mit der Abfahrt von der Wohnung zum ersten Kunden beginnt und mit dem Erreichen der Wohnung nach Besuch des letzten Kunden endet, solange der Kläger als Wartungsmonteur ohne festen Arbeitsort beschäftigt wird.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Kläger könne nur eine Auslösung nach Maßgabe des BMTV beanspruchen. Mit der ihm für die Monate Dezember 2015 bis Dezember 2016 gezahlten Nahauslösung hat sie hilfsweise aufgerechnet.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.