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FG Nürnberg Urteil vom 09.05.2018 - 5 K 167/17

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Werbungskosten: Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte bei einem auf mehr als drei Monate angelegten, in Vollzeit außerhalb eines Arbeitsverhältnisses absolvierten Fortbildungslehrgang

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Leitsatz (redaktionell)

Jedenfalls bei einem auf mehr als drei Monate angelegten, in Vollzeit außerhalb eines Arbeitsverhältnisses absolvierten Fortbildungslehrgang am Ort der Bildungseinrichtung wird diese Einrichtung zur ersten Tätigkeitsstätte gemäß § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG, so dass Kosten für Unterkunft sowie Mehraufwendungen für Verpflegung nicht als (vorweggenommene) Werbungskosten berücksichtigt werden können.

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Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 8

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Nachgehend

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Tatbestand

Streitig ist, ob bei einem mehr auf drei Monate angelegten, in Vollzeit außerhalb eines Arbeitsverhältnisses absolvierten Fortbildungslehrgang am Ort der Bildungseinrichtung eine erste Tätigkeitsstätte gem. § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG, so das Mehraufwendungen für verpflegungskosten besteht.

Der ledige Kläger wurde für das Streitjahr 2014 einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Er erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit.

In seiner Einkommensteuererklärung 2014 erklärte er im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bei den sonstigen Werbungskosten folgende Aufwendungen für einen im Zeitraum vom 08.09. – 18.12.2014 in Vollzeit absolvierten Schweißtechnikerlehrgang bei der Schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalt in A-Stadt:

Lehrgangskosten

5.400,00 €

Prüfungskosten

885,00 €

Fahrtkosten (ÖPNV)

119,70 €

Unterkunftskosten (Miete mtl. 650 €)

2.600,00 €

Verpflegungsmehraufwand für drei Monate

2.076,00 €

abzüglich Stipendium

-4.440,58 €

abzüglich Zuschuss Meister-BAföG

-164,70 €

abzüglich Stipendium

-309,48 €

abzüglich Stipendium

-1.249,94 €

Summe

4.916,00 €

Auf Nachfrage des Finanzamts erläuterte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 19.11.2015, die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung hätten nicht vorgelegen.

Das Finanzamt veranlagte den Kläger für das Jahr 2014 mit Bescheid vom 09.12.2015 und berücksichtigte die Aufwendungen für den Schweißtechnikerlehrgang wie folgt:

Lehrgangskosten

5.400,00 €

Prüfungskosten

885,00 €

Fahrtkosten (ÖPNV)

333,00 €

Zwischensumme

6.618,00 €

abzüglich Stipendium

-6.000,00 €

abzüglich Darlehenserlass

-379,00 €

abzüglich Zuschuss Meister-BAföG

-164,00 €

berücksichtigungsfähig

75,00 €

Gegen diesen Bescheid legte der Prozessbevollmächtigte im Namen des Klägers mit Telefax vom 11.12.2015 Einspruch ein. Er bezweifelte, dass die Neuregelung des Reisekostenrechts ab dem Jahr 2014 tatsächlich den Abzug der Unterkunftskosten auch bei einer nur auf wenige Monate befristeten Bildungsmaßnahme ausschließe. Bei kürzeren Maßnahmen könne ein Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip vorliegen.

Mit Einspruchsentscheidung vom 02.01.2017 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, gem. § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG gelte auch eine Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte, wenn diese außerhalb eines Dienstverhältnisses und zum Zweck einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht werde. In diesem Fall komme die Berücksichtigung von Reisekosten nicht in Betracht. Fahrten zwischen Wohnung und Bildungseinrichtung seien mit der Entfernungspauschale gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG abgegolten. Übernachtungskosten, Familienheimfahrten und Verpflegungsmehraufwand seien nur im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung abzugsfähig. Der Begriff der Bildungsmaßnahme sei nicht durch Dauer oder Umfang beschränkt. Die Ausbildung zum Internationalen Schweißtechniker ST sei allgemein anerkannt und erfülle damit die Voraussetzungen einer Berufsausbildung im Sinne des neuen Reisekostenrechts. Ein Meisterbonus sei nicht gezahlt worden. Die Neuregelungen zum Meisterbonus seien somit nicht auf den Streitfall anwendbar.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, nach dem Ende seines bisherigen Beschäftigungsverhältnisses zum 31.07.2014 sei er bis zum Beginn des Schweißtechnikerlehrgangs am 08.09.2014 und nach dem Ende des Lehrgangs vom 18.12.2014 bis ins Jahr 2015 arbeitslos gemeldet gewesen.

Nach Ansicht des Klägers habe der Beklagte die Unterkunftskosten und die Verpflegungsmehraufwendungen unter Berufung auf § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG zu Unrecht nicht berücksichtigt. Der Streitfall sei mit dem eines Studenten, der von vornherein für viele Jahre an den Studienort ziehe, nicht zu vergleichen. Er, der Kläger, habe in seinem nur drei Monate dauernden Lehrgang überhaupt nicht die Möglichkeit gehabt, seine beruflich veranlassten Mehraufwendungen zu reduzieren, indem er zum Beispiel seine Wohnung daheim aufgegeben oder untervermietet hätte oder in A-Stadt ein günstigeres Zimmer gesucht hätte. Entscheidend sei die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „vollzeitige Bildungsmaßnahme“. Subsumiere man hierunter jede Bildungsmaßnahme, die eine auswärtige Unterbringung erfordere, dann erlaube schon eine zweitägige Fortbildung nicht mehr den Werbungskostenabzug der Hotelkosten, wenn die Fortbildung zufällig in der Zeit absolviert werde, in der der Steuerpflichtige von einem Beschäftigungsverhältnis in ein anderes wechsele. Der Begriff „vollzeitig“ impliziere eine bestimmte Dauer, so dass man nach irgendeiner zeitlichen Grenze suchen müsse. In Anlehnung an die ebenfalls ab VZ 2014 neu eingeführte Definition des § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG sei von einer Dauer von mindestens einem Jahr auszugehen.

Darüber hinaus seien auch die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung erfüllt. Er, der Kläger, habe in einer abgeschlossenen Wohnung im Dachgeschoss des Hauses seiner Mutter in B-Stadt, die selbst das Erdgeschoss bewohnt habe, gelebt und sich auch an den Kosten der Haushaltsführung beteiligt. Daher sei er der Ansicht, dass die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung erfüllt seien. In A-Stadt habe er eine Wohnung für 650 € monatlich als Untermieter angemietet. Nach dem Abschluss des Lehrgangs sei er in seine Wohnung in B-Stadt zurückgekehrt. Er habe den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen nicht in A-Stadt, sondern in B-Stadt beibehalten. Die Anmietung der Wohnung in A-Stadt sei durch den Schweißtechniker-Lehrgang ausschließlich beruflich veranlasst gewesen. Auch wenn kein Mietvertrag bestanden und seine Mutter für die Dauer des Lehrgangs auf eine Kostenbeteiligung verzichtet habe, habe er sich in mehr als nur unwesentlicher Höhe an den Kosten der Haushaltsführung beteiligt.

Außerdem seien ihm, dem Kläger, Umzugskosten entstanden. Wie dem Mietvertrag zu entnehmen sei, habe er nur eine möblierte Unterkunft von ca. 21 m² Größe für einen Preis von 650 €/Monat (warm) bekommen. Zum Zwecke der Wohnungssuche sei er zweimal in A-Stadt gewesen, wobei er bei diesen Gelegenheiten bei seiner Tante übernachtet habe. Er sei dann im Weiteren zwei- oder dreimal mit dem Pkw (ein VW Golf) nach A-Stadt gefahren und habe zusätzliche private Einrichtungsgegenstände hingebracht, wie zum Beispiel seine Musikanlage. Er habe auch kleinere Gegenstände für den Haushalt wie z. B. Toilettenartikel zusätzlich gekauft. Der Zweck der Umzugskostenpauschalen sei es gerade, von der Einzelauflistung solcher unzweifelhaft entstandenen Kosten zu befreien.

Der Kläger beantragt, den Einkommensteuerbescheid 2014 vom 09.12.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.01.2017 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer 2014 unter Berücksichtigung der Unterkunftskosten i. H. v. 2.600 €, der Verpflegungsmehraufwendungen i. H. v. 2.076 € sowie der Kosten für den Umzug nach A-Stadt i. H. v. 715 € entsprechend der Umzugspauschale nach § 10 BUKG und der Fahrtkosten für die Wohnungssuche in A-Stadt für zwei Fahrten herabgesetzt wird.

Der Kläger regt weiter an, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung für den Fall seines Unterliegens zuzulassen.

Das Finanzamt beantragt den angefochtenen Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahin zu ändern, dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung von Umzugskosten i. H. v. 143 € und von Fahrtkosten für die Wohnungssuche i. H. v. 300 € herabgesetzt wird, und im Übrigen die Klage abzuweisen.

Nach Ansicht des Finanzamts gelte eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird, als erste Tätigkeitsstätte. Der Gesetzgeber habe diesen Grundsatz hinsichtlich des zeitlichen Umfangs nicht eingeschränkt. Die Aufwendungen für die Miete und die Verpflegung hätten danach steuerlich außer Ansatz zu bleiben. Für die Berücksichtigung der Fahrtkosten sei die Entfernungspauschale zugrunde zu legen.

Die Voraussetzungen der doppelten Haushaltsführung lägen nicht vor, weil der Kläger sich nach eigener Aussage an den Kosten der Haushaltsführung in der Zeit von September bis Dezember 2014 nicht beteiligt habe. Somit seien die geltend gemachten Aufwendungen für Miete und Verpflegung steuerlich nicht zu berücksichtigen.

Der Kläger habe die tatsächlichen Umzugskosten bisher nicht nachgewiesen. Außerhalb der doppelten Haushaltsführung entstandene Umzugskosten seien nachzuweisen. Der Kläger habe am bisherigen Wohnort keinen eigenen Hausstand geführt und habe gemäß Vorlage eines Untermietvertrages ein möbliertes Appartement gemietet. Es sei somit fraglich, ob dem Kläger überhaupt Umzugskosten entstanden seien. Die angeblichen Fahrten zum Transport von Musikanlage und kleineren Haushaltsgegenständen wie Toilettenartikel (zwei- oder dreimal) nach A-Stadt zum Transport von wenigen kleinen Gegenständen in eine möblierte 21 m² kleine Wohnung seien ohne weiteren Nachweis nicht glaubhaft. Die Umzugskosten könnten aber i. H. v. 20 % der Pauschbeträge für Umzugskosten für Ledige nach dem Bundesumzugskostengesetz (BUKG) geschätzt werden. Die Berücksichtigung von Fahrtkosten zum Zwecke der Wohnungssuche sei grundsätzlich möglich.

Der zwischenzeitlich zum Einzelrichter bestimmte Berichterstatter hat das Verfahren im Hinblick auf die diesem von der Klägerseite beigemessene grundsätzliche Bedeutung mit Beschluss vom 22.03.2018 gem. § 6 Abs. 2 FGO auf den Senat zurückübertragen.

Auf den Inhalt der dem Senat vorliegenden Einkommensteuer- und Rechtsbehelfsakte sowie der im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze wird Bezug genommen.