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LAG Rheinland-Pfalz Urteil vom 13.03.2017 - 3 Sa 499/16

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergütungsansprüche eines Arbeitnehmers für Umkleidezeiten sowie für innerbetriebliche Wege- und Rüstzeiten

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Leitsatz (redaktionell)

1. Waschen und Umkleiden sind an sich, sofern nichts anderes vereinbart ist, keine zu vergütenden Hauptleistungspflichten des Arbeitnehmers, für die der Arbeitgeber nach § 611 BGB eine Vergütung zu gewähren hätte.

2. Das Umkleiden für die Arbeit ist nur dann Arbeitszeit, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt und das Umkleiden im Betrieb erfolgen muss.

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Normenkette

ArbZG § 2 Abs. 1; BGB § 612 Abs. 1, § 611 Abs. 1

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Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 13.10.2016; Aktenzeichen 8 Ca 834/16)

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Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 13.10.2016, Az.: 8 Ca 834/16, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
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Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten über Vergütungsansprüche des Klägers für Umkleidezeiten sowie für innerbetriebliche Wege- und Rüstzeiten.

Der Kläger ist seit 1997 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Lokomotivführer zu einem monatlichen Tarifentgelt von 2.871,00 € brutto bei einer Arbeitszeit von 169,66 Stunden/Monat beschäftigt. Er ist Mitglied in der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), die Beklagte ist Mitglied des Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbandes der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e. V. (AGV MoVe).

Die Einsatzstelle des Klägers ist L-Stadt. Von dort aus tritt der Kläger regelmäßig seine Arbeitsschichten an.

Während Zugbegleiter und Kundenbetreuer im Nahverkehr verpflichtet sind, Unternehmensbekleidung (Ubk) zu tragen, sind Lokomotivführer wie der Kläger von dieser Tragepflicht ausgenommen gemäß Ziff. 1 Abs. 2 der "Richtlinie Unternehmensbekleidung bestellen und tragen" i. V. m. der Anlage 1 der "Konzernbetriebsvereinbarung über die Ausstattung mit Unternehmensbekleidung (KBV Ubk)". Die Lokomotivführer sind berechtigt, die Ubk zu tragen; sie müssen dies aber nicht. Wenn sie sich dagegen entscheiden, ist gemäß Ziff. 11 der "Richtlinie Unternehmensbekleidung bestellen und tragen" zu beachten:

"(1)... Soweit ein Ubk-Berechtigter auf sein Tragerecht der Ubk ganz oder teilweise verzichtet, ist die für die Arbeit zu tragende Kleidung so zu wählen, dass sie einem adäquaten Erscheinungsbild entspricht und mit den Kleidungsstücken der Ubk in Farbe und Form harmoniert. Hierfür dienen folgende Grundsätze:

- Hemden/Blusen oder Poloshirt hell unifarben (weiß oder hellblau)

- Strickjacke oder Pullover dunkel unifarben (schwarz/anthrazit oder dunkelblau)

- Lange Unterbekleidung (Hose oder Röcke) dunkel unifarben (schwarz/anthrazit oder dunkelblau)."

Der Kläger hat sich am 16.03.2016 und am 18.03.2016 von einem Zeugen begleiten lassen und die Zeiten für das Anlegen der Ubk und die Empfangnahme und Vorbereitung der Arbeitsmittel protokolliert. Die Protokollierungen sind als Anlage K 4 (= Bl. 37 ff d. A.) zur Akte gereicht worden.

Für jeden Lokomotivführer wird vor dem Antritt der eigentlichen Arbeitstätigkeit auf einem Zug unter anderem eine persönliche Vorbereitungszeit (sogenannte Teilarbeiten persönlicher Art) in der Schicht- und Einsatzplanung berücksichtigt. Diese ist pauschaliert, gilt als Arbeitszeit und wird dementsprechend vergütet. Diese Teilarbeiten persönlicher Art erfassen z. B. das Einsehen von Unterlagen, die Auf- und Entgegennahme sowie Abgabe von Arbeitsmitteln oder das Melden zur Arbeit ab. Einzelheiten dazu sind in der Richtlinie Nr. 498.2031 (Teilarbeiten persönlicher Art) festgelegt.

Der Kläger hat vorgetragen,

zwar sei er nicht zum Tragen der Ubk verpflichtet, er besitze aber keine private Kleidung, die dem von der Beklagten vorgegebenen Dresscode entspräche. Er müsse sich daher eigens "private" Kleidungsstücke anschaffen, um diese nur für die Arbeit zu nutzen. Die einzige Möglichkeit, eigene Ausgaben in diesem Zusammenhang zu vermeiden, sei das Tragen der Ubk, zu deren Anschaffung die Beklagte jährlich ein Budget von 160,80 zur Verfügung stelle. Im Übrigen genüge die pauschalvergütete persönliche Zusatzzeit nicht für die notwendigen Vor- und Nachbereitungen. Auch die Zeit des An- und Ablegens der Ubk sei vergütungspflichtig.

Der Kläger hat beantragt,

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für Umkleide- und Rüstzeiten am 16.03.2016 und 18.03.2016 6,72 € brutto, ersatzweise eine Zeitgutschrift von 24 Minuten, zu leisten.
  2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Zeit des An- und Ablegens der Unternehmensbekleidung im Betrieb, sowie die Empfangnahme, Abgabe und Bereitstellung von Arbeitsmitteln, einschließlich dabei veranlasster Wegezeiten als Arbeitszeit auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers zu berücksichtigen, bei Schichtbeginn und -ende an der Einsatzstelle L-Stadt im Umfang von 17 Minuten abzüglich 1 Minute je Schicht, hilfsweise ist diese Arbeitszeit finanziell abzugelten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

zunächst seien die im Einzelnen protokollierten Zeiten des Klägers für die Vorbereitungsschritte mit Nichtwissen zu bestreiten. Im Übrigen sei dem Kläger weder das Tragen von Ubk - unstreitig - noch das An- und Ablegen der Ubk im Betrieb - unstreitig - vorgeschrieben. Die darüber hinaus vom Kläger geltend gemachten Zeiten berücksichtige sie bereits ausreichend im Rahmen der vergüteten Teilarbeiten persönlicher Art.

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen hat die Klage daraufhin durch Urteil vom 13.10.2016 - 8 Ca 834/16 - abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Blatt 162 bis 168 d. A. Bezug genommen.

Gegen das ihm am 02.11.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger durch am 30.11.2016 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Er hat die Berufung durch am 08.12.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Kläger wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, er sei zum Tragen der Unternehmenskleidung berechtigt und er trage sie auch. Als notwendiges Arbeitsmittel nutze er ein Diensthandy. Er ziehe sich im Betrieb um und müsse von der Umkleide zur Leitstelle für Personal (Ort des Empfangs des Dienstmittels) und von der Leitstelle für Personal zum Einsatzzug jeweils innerbetriebliche Wege zurücklegen. Die Beklagte vergüte keine Umkleide-, Wege- und Rüstzeiten. Sie berücksichtige zwar Vorbereitungszeiten. Diese seien aber nicht für die streitgegenständlichen Umkleide-, Wege- und Rüstzeiten vorgesehen und reichten dafür auch bei Weitem nicht aus. Er, der Kläger, habe die arbeitstäglich vorzunehmenden Umkleide- und Rüstvorgänge beschrieben, zeitlich erfasst und sich die Richtigkeit seiner Angaben durch ein Zeugnis bestätigen lassen. Dem Arbeitsgericht fehle bei der klageabweisenden Entscheidung offenkundig jede Vorstellung davon, welchen Umfang die pauschalierte Vorbereitungszeit denn nun eigentlich habe und inwieweit was genau vergütet werde. Es sei nicht Sache des Klägers, darzulegen, weshalb die 2 Minuten, die er für den Empfang und das Bereitmachen des Diensthandys benötige, nicht bereits durch irgendeine Vorbereitungszeit vergütet seien. Er trage im Übrigen die Unternehmensbekleidung, und darauf komme es allein an. Er müsse sich nach dem Dresscode der Beklagten richten oder eben die Unternehmensbekleidung tragen, was er unstreitig tue. Das komme einer Tragepflicht gleich. Eine vergütungstechnische Unterscheidung erscheine insoweit nicht als legitim.

Die von ihm geltend gemachten Zeiten seien wie folgt aufzuteilen:

- 5 Minuten Umkleiden

- 1 Minute Fußweg vom Umkleideraum zum Ort des Empfangs des Diensthandys

- 2 Minuten Empfang und Bereitmachen des Diensthandys

- 1 Minute vom Empfang des Diensthandys zur Entgegennahme von Weisungen und Änderungen der Schicht

- 2 Minuten Abgabe des Diensthandys

- 1 Minute Weg zum Umkleideraum

- 5 Minuten Umkleidevorgang

= 17 Minuten insgesamt, abzgl. 1 Minute anerkannt

Der Kläger nehme die dienstlichen Materialien, insbesondere das Diensthandy, niemals mit nach Hause, er nutze es auch nicht privat. Eine Aufbewahrungspflicht für Dienstkleidung und das Diensthandy wolle er von vornherein vermeiden.

Zur weiteren Darstellung des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 08.12.2016 (Bl. 183 bis 188 d. A.) sowie seinen Schriftsatz vom 07.03.2017 (Bl. 247 bis 249 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für Umkleide- und Rüstzeiten am 16.03.2016 und 18.03.2016 € 6,72 brutto, ersatzweise eine Zeitgutschrift von 24 Minuten, zu leisten.
  2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Zeit des An- und Ablegens der Unternehmensbekleidung im Betrieb, sowie die Empfangnahme, Abgabe und Bereitstellung von Arbeitsmitteln, einschließlich dabei veranlassten Wegezeiten als Arbeitszeit auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers zu berücksichtigen, bei Schichtbeginn und -ende an der Einsatzstelle L-Stadt im Umfang von 17 Minuten abzüglich 1 Minuten je Schicht; hilfsweise ist diese Arbeitszeit finanziell abzugelten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, die Klage sei unschlüssig, weil es Sache des Klägers sei, zunächst im Detail zu den tatsächlichen Voraussetzungen seines Klagebegehrens vorzutragen. Denn der Kläger sei vorliegend näher am Geschehen als die Beklagte, da er selbst die jeweiligen Umkleide- und Wegezeiten vorgenommen habe. An einer denknotwendig erforderlichen Anspruchsvoraussetzung, nämlich dem Vorliegen einer arbeitgeberseitigen Weisung, wonach sich der Arbeitnehmer im Betrieb umziehen müsse, fehle es vorliegend. Warum der Dresscode der Beklagten mit der Pflicht zum Anlegen und Tragen einer vorgeschriebenen Dienstkleidung gleichzusetzen sei, lasse sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen. Dieser Dresscode sei auch nicht derart begrenzt, dass der Kläger ungewöhnliche, für die Freizeit völlig untaugliche Kleidungsstücke anschaffen müsse. Es gehe um eine dunkle Hose bzw. eine Jeans und ein helles unifarbenes Oberbekleidungsstück. Gerade eine Jeans sei ein weitverbreitetes Kleidungsstück, das der Kläger zu vielen Gelegenheiten und eben auch bei der Verrichtung seiner Arbeit tragen könne. Gleiches gelte für ein helles Oberbekleidungsstück.

Hinsichtlich der Rüstzeiten sei zu berücksichtigen, dass u. a. stets 3 Minuten für die Empfangnahme von Arbeitsmitteln und Einsehen von Unterlagen als bezahlte Arbeitszeiten berücksichtigt würden. Diese Vorbereitungszeiten deckten auch das Einschalten des Mobiltelefons sowie die Zeit für das Anmelden im XY-Programm ab. Dem Kläger sei zudem nicht vorgeschrieben, das Mobiltelefon in der Leitstelle aufzubewahren, er könne es mit nach Hause nehmen und auch privat nutzen. Wenn er der Auffassung sei, die bezahlten Vorbereitungszeiten seien nicht ausreichend, sei es seine Sache, dies näher zu begründen und nicht nur pauschal zu behaupten.

Zur weiteren Darstellung des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 02.02.2017 (Bl. 218 bis 223 d. A.) nebst Anlagen (Bl. 224 bis 246 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 13.03.2017.