FG Rheinland-Pfalz Urteil vom 21.03.2017 - 5 K 1594/14
Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerfreiheit einer Entschädigungszahlung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), die auf Grund eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs geleistet wird, ist steuerfrei, wenn sie wegen einer Diskriminierung als Behinderte(r) zu zahlen ist.
2. Ist die Frage einer Diskriminierung als Behinderte(r) wesentlicher Bestandteil des Arbeitsgerichtsprozesses, stellt eine in einem Vergleich vereinbarte Entschädigungszahlung nach dem AGG auch dann eine solche wegen eines immateriellen Schadens dar, wenn letztlich offen bleibt, ob eine Benachteiligung als Behinderte(r) tatsächlich stattgefunden hat.
3. Bei der Auslegung eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs sind sein Wortlaut sowie die gesamten Umstände des Falles zu berücksichtigen.
Tatbestand
Streitig ist, ob eine Zahlung nach § 15 AGG steuerpflichtig oder steuerfrei ist.
Die Klägerin ist als Einzelhandelskauffrau nichtselbständig beschäftigt. Daneben ist sie mit dem Verkauf von ... Produkten selbständig gewerblich tätig. Mit Bescheid des Amts für soziale Angelegenheiten Landau vom 06.11.2007 wurde bei ihr wegen einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt (Vorgeheftet den Einkommensteuerakten - EStA -).
Mit nach § 165 Abs. 1 AO teilweise vorläufigem Einkommensteuerbescheid vom 01.12.2009 (Bl. 14, Fach 2008 EStA) veranlagte der Beklagte die Klägerin für das Streitjahr 2008 der Einkommensteuererklärung gemäß. Im Rahmen einer bei dem Arbeitgeber der Klägerin durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung wurde dem Beklagten bekannt, dass die Klägerin im Streitjahr eine Entschädigung nach § 15 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) erhalten hat.
Dem lag Folgendes zu Grunde: Der Arbeitgeber der Klägerin, die Firma C., hatte das Arbeitsverhältnis aus personenbedingten Gründen ordentlich zum 30.04.2008 gekündigt. Hiergegen hat die Klägerin bei dem Arbeitsgericht Kaiserslautern Kündigungsschutzklage erhoben; diese Klage wurde am 08.01.2008 erweitert und die Klägerin begehrte die Zahlung einer Entschädigung auf Grund einer Benachteiligung wegen ihrer Behinderung. Am 21.02.2008 schlossen die Parteien einen Vergleich mit folgendem Inhalt (auszugsweise):
"1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung vom 26.11.2007 mit dem 30.04.2008 enden wird.
2. Die Beklagte zahlt an die Klägerin eine Entschädigung gem. § 15 AGG in Höhe von 10.000,00 EUR.
3. Bis zum 30.04.2008 wird die Klägerin unter Zahlung der vertragsgemäßen Vergütung widerruflich von der Arbeitsleistung freigestellt.
4. Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Klägerin den ihr zustehenden Urlaub in Natur erhalten hat und keine Überstundenansprüche mehr bestehen.
5. Die Klägerin erhält das Recht vorzeitig durch einseitige schriftliche Erklärung unter Einhaltung einer Ankündigungsfrist von einer Woche aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. In diesem Falle zahlt die Beklagtenseite eine Abfindung nach §§ 9 und 10 KSchG in Höhe der ersparten Bruttobezüge bis 30.04.2008.
6. - 8. …
9. Damit sind sämtliche finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und finanzielle Ansprüche aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erledigt."
Der Betrag von 10.000,- € wurde vom Arbeitgeber nicht versteuert und von der Klägerin in ihrer Steuererklärung nicht angegeben. Der Beklagte sah die Zahlung als eine solche nach § 15 Abs. 1 AGG und damit als steuerpflichtigen Arbeitslohn an und erließ am 31.05.2011 einen entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheid (Bl. 19 EStA).
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein (Bl. 22 EStA) und trug zur Begründung vor, bei der Entschädigung habe es sich um Schadensersatz im Sinne des § 15 Abs. 2 AGG und damit um steuerfreien Arbeitslohn gehandelt.
Mit Einspruchsentscheidung vom 08.04.2014 (Bl. 87 EStA) wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Dazu heißt es im Wesentlichen:
Werde ein Arbeitnehmer unter Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des AGG entlassen und sei der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen materiellen Schaden zu ersetzen (Fall des § 15 Abs. 1 AGG), handele es sich bei der Zahlung um steuerpflichtigen Arbeitslohn, da diese Entschädigung einen Ersatz für entgehende Einnahmen darstelle (§ 19 Abs. 1 i. V. m. § 24 Nr. 1a EStG). Handele es sich hingegen um Entschädigungen, die ein Beschäftigter wegen Verletzung des Benachteiligungsverbots durch den Arbeitgeber für immaterielle Schäden (Diskriminierung wegen Geschlecht/Alter, Mobbing, sexuelle Belästigung) verlangen könne (Fall des § 15 Abs. 2 AGG), liege kein steuerpflichtiger Arbeitslohn vor. Derartige Entschädigungen würden nicht "für eine Beschäftigung" gewährt.
Die Klägerin habe vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern gegen ihren Arbeitgeber wegen Bestandsschutzes geklagt. Der Arbeitgeber habe das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2008 gekündigt gehabt. Zur Begründung habe sie angegeben, die Anhörung des Betriebsrates sei unterblieben, es lägen keine personen-, betriebs- oder verhaltensbedingten Kündigungsgründe vor, die den Ausspruch der Kündigung rechtfertigen könnten und es sei keine Sozialauswahl vorgenommen worden. Außerdem sei noch ein Verfahren auf Feststellung der Schwerbehinderung anhängig und das Präventionsverfahren gem. § 84 SGB IX sei nicht durchgeführt worden. Die Klägerin sei durch die Kündigung des Arbeitgebers nicht wegen einer Behinderung unzulässig i.S.d. AGG benachteiligt. Eine unmittelbare Benachteiligung i.S.d. AGG liege vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten verpönten Merkmals eine weniger günstige Behandlung erleide als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfahre, erfahren habe oder erfahren würde. Mit der Kündigungserklärung habe sich der Arbeitgeber eines zulässigen Gestaltungsmittels zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bedient. Er habe die Kündigung darauf gestützt, dass die Klägerin dauerhaft nicht in der Lage sei, ihre arbeitsvertragliche Verpflichtung zu erbringen und es bestehe keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit. Die Äußerung des Willens zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses möge für die Klägerin ungünstig und nachteilig sein. Es seien aber keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Arbeitgeber gegenüber einem anderen Arbeitnehmer keine Kündigung ausspreche, ausgesprochen habe oder aussprechen würde. Die Klägerin habe auch keine Diskriminierung wegen Geschlechts/Alters, Mobbing oder sexueller Belästigung geltend gemacht. Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots nach § 15 Abs. 2 AGG sei nicht zu erkennen. Es liege vielmehr eine nach § 15 Abs. 1 AGG steuerpflichtige Entschädigungszahlung vor.
Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin geltend:
Eine Kündigung vom 25.09.2007 habe bereits zu einem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern wegen einer personenbedingten Kündigung zum 29.02.2008 geführt. Sie habe seinerzeit mit ärztlichem Attest gegenüber ihrem Arbeitgeber nachgewiesen, dass sie aufgrund eines angeborenen Herzfehlers im Rahmen ihrer Berufsausübung keine körperlich schweren, allenfalls gelegentlich mittelschwere Arbeiten ausführen solle. Dementsprechend seien auch Akkordarbeiten, Arbeiten unter ungewöhnlichen Bedingungen z.B. im Kühlhaus, zu vermeiden. Sie sei zum damaligen Zeitpunkt in der Molkereiabteilung beschäftigt gewesen und habe gegenüber ihrem Arbeitgeber aus gesundheitlichen Gründen eine Versetzung in den Bereich "Checkout" erbeten. Da nach dem Dafürhalten der Klägerin ein entsprechender Arbeitsplatz für sie zur Verfügung gestanden habe, sei sie seither schikaniert bzw. unter Druck gesetzt worden, da beabsichtigt sei, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Der Arbeitgeber sei zwar darauf hingewiesen worden, dass seit Anfang 2007 beim Amt für soziale Angelegenheiten in Landau ein Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung vorliege, über den noch nicht entschieden worden sei. Gleichwohl habe der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt, ohne zuvor die Zustimmung beim Amt für soziale Angelegenheiten in Landau einzuholen. Der Arbeitgeber sei über diesen Umstand ebenfalls vom Betriebsrat unterrichtet worden. Es habe nach § 90 Abs. 2 a SGB IX ein Zustimmungserfordernis hinsichtlich der beabsichtigten Kündigung bestanden. Am 05.11.2007 sei vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern ein Vergleich geschlossen worden. Danach sei die Kündigung vom 25.09.2007 gegenstandslos gewesen und das Arbeitsverhältnis habe ungekündigt fortbestanden. Wegen des Vorgehens des Arbeitgebers sei für die Klägerin mit Schreiben vom 13.11.2007 bei der Bundesagentur für Arbeit ein Antrag auf Gleichstellung im Sinne des SGB III gestellt worden. Ausschließlich um einer etwaigen zusätzlichen Schutzbedürftigkeit der Klägerin als Gleichgestellte zuvorzukommen, sei sodann die Kündigung vom 26.11.2007 zum 30.04.2008 erfolgt, aus der das Klageverfahren vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern resultiert habe.
ln diesem Verfahren habe sie die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche personenbedingte Kündigung zum 30.04.2008 aufgelöst worden sei, und sie habe die Weiterbeschäftigung als Einzelhandelskauffrau, nicht aber eine Abfindungszahlung verlangt. Im Rahmen einer Klageerweiterung habe sie darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber die Durchführung des Präventionsverfahrens zur Prüfung einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, einer Beschäftigung und ggf. Weiterbeschäftigung und der Änderung des Arbeitsverhältnisses nicht durchgeführt habe und die Kündigung sowie das Unterlassen dieses Präventionsverfahrens eine Benachteiligung der Klägerin als Behinderte darstelle und der Arbeitgeber daher gemäß § 15 AGG zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung verpflichtet sei. Sie habe vorgetragen, dass das schikanöse Vorgehen des Arbeitgebers vornehmlich darauf beruht habe, dass der Arbeitgeber befürchtet habe, dass aufgrund ihrer Behinderung eine Schwerbehindertenvertretung hätte eingerichtet werden können. Man habe sich im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Vergleichs auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen betriebsbedingter Gründe und auf eine Zahlung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 10.000,- € geeinigt. Aufgrund der (zwar generellen) Weiterbeschäftigungsmöglichkeit der Klägerin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei keine Abfindungszahlung nach § 9, 10 KSchG gezahlt, sondern lediglich für den Fall der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Klägerin eine sogenannte Abfindungsklausel für weiter anfallende Gehaltsansprüche bis zum 30.04.2008 getroffen worden. Eine solche übliche Abgeltungsklausel werde insbesondere wegen der vereinbarten Freistellung dazu verwandt, weitere ggf. im Raum stehende finanzielle Ansprüche als generell ausgeschlossen anzusehen, damit für die Parteien klar sei, dass mit der Beendigung dieses Rechtsstreits keine weiteren arbeitsgerichtlichen Verfahren mehr angestrengt werden könnten. Bei der Abrechnung von Abfindungszahlungen sei es so, dass die anfallende Lohnsteuer üblicherweise vom Arbeitgeber einbehalten und abgeführt werde. Dass ihr Arbeitgeber die Zahlung in Höhe von 10.000,- € steuerfrei abgerechnet habe, bestätige, dass es sich bei der Zahlung um eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gehandelt habe.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 08.04.2014 und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides für 2008 vom 31.05.2011 die Einkommensteuer auf den Betrag festzusetzen, der sich ergibt, wenn die auf Grund des arbeitsgerichtlichen Vergleichs erfolgte Zahlung des ehemaligen Arbeitgebers in Höhe von 10.000,- € nicht als steuerpflichtiger Arbeitslohn behandelt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er nimmt Bezug auf die Gründe der Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus:
Dass man sich im Rahmen des Vergleichs auf eine Zahlung von 10.000,- € nach § 15 Abs. 2 AGG geeinigt habe, lasse sich aus dem Vergleich nicht entnehmen. Aus Ziffer 2 ergebe sich lediglich, dass eine Entschädigung gemäß § 15 AGG in Höhe von 10.000,- € gezahlt worden sei. Aus dem Umstand, dass in dem Vergleich das Wort "Entschädigung" verwendet worden sei, könne nicht zwingend gefolgert werden kann, dass hierfür ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG in Betracht kommen könne. Aus dem Vergleich ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG, vielmehr ergebe sich aus Ziffer 9 das Gegenteil. Dort sei geregelt, dass damit sämtliche finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und finanziellen Ansprüche aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erledigt seien. Daraus folge, dass die Zahlung im Arbeitsverhältnis begründet sei und eine die Erwerbsgrundlage der Klägerin zuzuordnende Zahlung darstelle, die Arbeitslohn gleich zu stellen sei. Die Formulierungen des Vergleichs legten den Schluss nahe, dass mit der vereinbarten Zahlung nicht der Ersatz von immateriellem Schaden geregelt sei.
Soweit sich die Klägerin auf die Klageerweiterung vom 07.01.2008 im arbeitsgerichtlichen Verfahren beziehe und daraus folgere, dass es sich um eine Entschädigung i.S. des § 15 Abs. 2 AGG handele, könne dem nicht gefolgt werden. Die diesbezüglichen Ausführungen, wonach die Kündigung eine Benachteiligung wegen der Behinderung darstelle, die durch die gesamte Vorgeschichte bestätigt werde, seien unzutreffend.
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei aus personenbedingten Gründen ordentlich zum 30.04.2008 gekündigt worden, weil nach dem Schreiben des Arbeitgebers vom 22.01.2008 keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für die Klägerin, insbesondere kein leidensgerechter Arbeitsplatz, vorhanden und die Klägerin daher dauerhaft nicht in der Lage gewesen sei, ihre arbeitsvertragliche Verpflichtung zu erbringen. Weder aus der Kündigung noch aus anderen äußeren Umständen könne geschlossen werden, dass eine Ursächlichkeit zwischen Kündigung und der Behinderung zu vermuten sei. Es seien keine Indizien vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen Behinderung vermuten ließen. Dies gelte insbesondere für die Behauptung des fehlenden Eingliederungsmanagements. Nach der Rechtsprechung des BAG sei der Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtung, ein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, allenfalls ein Indiz für die Vermutung, dass er sich nicht an seine gesetzliche Verpflichtungen gegenüber Arbeitnehmern mit längeren Krankheitszeiten halte, begründe jedoch keine Vermutung für die Benachteiligung des Arbeitnehmers wegen einer Behinderung (Hinweis auf BAG-Urteil vom 28.04.2011 - 8 AZR 515/10).
Der Umstand, dass der Arbeitgeber die streitige Zahlung steuerfrei abgerechnet habe, bestätige nicht, dass es sich um eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gehandelt habe. Denn eine unzutreffende steuerrechtliche Qualifikation lasse nicht den Schluss zu, dass diese Zahlung auch steuerfrei sei.
Der Senat hat die Verfahrensakte des Arbeitsgerichts Kaiserslautern beigezogen.