LSG Baden-Württemberg Urteil vom 24.03.2015 - L 11 R 1130/14
Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherung. Abfindungsbetrag für Anwartschaft aus betrieblicher Altersversorgung. kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt
Leitsatz (amtlich)
Der Abfindungsbetrag für die Anwartschaft aus einer betrieblichen Altersversorgung ist kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt iS des § 14 SGB 4.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 22.01.2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 10.431,80 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen im Rahmen einer Betriebsprüfung.
Die Klägerin betreibt eine Gaststätte. Ihr Ehemann, der 1954 geborene Beigeladene zu 1), ist dort seit 1982 beschäftigt. Der Beigeladene zu 1) erhielt zusätzlich zum laufenden Lohn Aufwendungen für zwei Direktversicherungen als betriebliche Altersversorgung (Lebensversicherungen LV .. und LV ... der H.-M.). Diese Aufwendungen wurden pauschal versteuert und unterlagen nicht der Beitragspflicht in der gesetzlichen Sozialversicherung. Die Klägerin kündigte die Direktversicherungen mit Wirkung zum 01.10.2006 aus betrieblichen Gründen. Die H.-M. bestätigte die Kündigung mit Schreiben vom 28.09.2006 und überwies den Rückkaufswert zuzüglich der Gewinnanteile auf ein Geschäftskonto der Klägerin (LV ...: 5.009,86 € und LV ...: 45.437,74 €).
Die Beklagte führte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung für den Zeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2009 durch. Mit Schreiben vom 11.08.2010 führte sie eine Anhörung durch und teilte der Klägerin mit, dass sie wegen Rückabwicklung der Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung für den Beigeladenen zu 1) eine Nachforderung von insgesamt 10.431,77 € beabsichtige. Bei dem Rückkaufswert aus der betrieblichen Altersversorgung handele es sich um einen geldwerten Vorteil für den Beschäftigten, der nach § 14 Abs 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) als einmalig gezahltes Arbeitsentgelt im Sinne der Sozialversicherung anzusehen sei. Säumniszuschläge würden nicht erhoben. Die Klägerin wendete hiergegen ein, dass die Rückzahlungen der Einkunftsart Kapitalvermögen, nicht der unselbständigen Tätigkeit zuzurechnen seien.
Mit Bescheid vom 19.10.2011 forderte die Beklagte 10.431,80 € an Gesamtsozialversicherungsbeiträgen nach. Am 28.10.2011 legte die Klägerin Widerspruch ein und stellte einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Letzterem gab die Beklagte mit Schreiben vom 28.11.2011 statt. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2013 wies sie sodann den Widerspruch zurück. Sie verwies zur Begründung auf das Ergebnis der Besprechung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vom 21./22.11.2006. Im Ergebnis hätten die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung festgestellt, dass die vorzeitige Auflösung einer betrieblichen Altersversorgung und die damit verbundene Auszahlung der Versorgungsanwartschaften im Rahmen der Rückabwicklung des Versicherungsverhältnisses als Arbeitsentgelt im Sinne der Sozialversicherung zu berücksichtigen sei.
Hiergegen richtet sich die am 12.02.2013 zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhobene Klage. Die Klägerin ist der Auffassung, es seien keine Vorschriften ersichtlich, die zu einer Verbeitragung führen könnten. Die Klägerin beruft sich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 25.08.2004, B 12 KR 30/03 R, SozR 4-2500 § 229 Nr 3) mit den Leitsätzen: „(1.) Die vor Eintritt des Versorgungsfalls gezahlte Kapitalleistung einer Unterstützungskasse ist nicht beitragspflichtig. (2.) Im thematischen Anwendungsbereich von § 229 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ist die Anwendbarkeit von § 14 SGB IV in allen Zweigen der Sozialversicherung ausgeschlossen.“ Der Beklagten sei offensichtlich ganz klar, dass sie mit der in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung sich direkt in Widerspruch zu der bekannten Rechtsprechung des BSG und weiterer Landessozialgerichte (LSG) begebe. Es sei nicht Aufgabe der Verwaltung, eigenmächtig Recht zu setzen, was hier augenscheinlich durch ein Festhalten am Besprechungsergebnis der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung versucht werde.
Mit Urteil vom 22.01.2014 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 19.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2013 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, bei dem Abfindungsbetrag aus der betrieblichen Altersversorgung handele es sich nicht um Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV. Für die Kranken- und Pflegeversicherung folge dies bereits daraus, dass Versorgungsbezüge dem Anwendungsbereich des § 229 SGB V unterfielen. § 229 SGB V regele abschließend, in welchen Fällen Kapitalleistungen als Versorgungsbezug gelten und damit beitragspflichtig seien (BSG 25.08.2004, aaO). Für den Bereich der Rentenversicherung und das Recht der Arbeitsförderung fehle eine entsprechende Regelung. Dies berechtige jedoch im Hinblick auf die durch § 229 SGB V erfolgte mittelbare Abgrenzung nicht dazu, die Abfindung dem Arbeitsentgelt zuzuordnen (unter Hinweis auf BSG 25.08.2004, aaO und LSG Hamburg, 27.11.2009, L 6 R 72/06 und L 6 R 73/06, juris). Dies gelte erst recht nach der Änderung des § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V. In der bis 31.12.2003 geltenden Fassung habe, wenn an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung trat, ein 120stel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge gegolten, längstens jedoch für 120 Monate. Durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung sei diese Bestimmung auf den Fall erweitert worden, dass eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden sei. Daraus folge, dass auch auf Abfindungen aus der betrieblichen Altersversorgung vor Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalls § 229 SGB V anzuwenden sei (unter Hinweis auf BSG 25.04.2012, B 12 KR 26/10 R, juris), sodass die Argumentation des BSG aus der noch zur alten Fassung des § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V ergangenen Entscheidung vom 25.08.2004 erst recht greife. Für eine Beitragserhebung zur Kranken- und Pflegeversicherung gemäß §§ 229 SGB V, 57 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) sei die Beklagte im Rahmen der Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV nicht zuständig. Der Bescheid der Beklagten sei daher auch nicht in Bezug auf die Erhebung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung rechtmäßig.
Gegen das ihr am 12.02.2014 zugestellte Urteil richtet sich die am 06.03.2014 eingelegte Berufung der Beklagten. Das BSG habe in seinem Urteil vom 25.08.2004 nicht überzeugend dargelegt, dass von § 229 SGB V auch solche Abfindungen erfasst werden, die nicht an die Stelle eines laufenden Versorgungsbezuges träten. Das BSG vertrete die Auffassung, dass auch die Abfindung erworbener Versorgungsanwartschaften ohne zeitlichen oder inhaltlichen Bezug zum Eintritt des Versorgungsfalles als Versorgungsbezüge zu werten seien. Der Eintritt des Versorgungsfalls sei jedoch unabdingbare Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Norm. § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V regele die Beitragspflicht von Versorgungsbezügen, die als nicht wiederkehrende Leistung bezogen werden. Aus der Formulierung „tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge ...“ werde deutlich, dass sich die Regelung nur auf die Tatbestände beziehe, in denen der bereits laufende oder zur Leistung anstehende regelmäßig wiederkehrende Versorgungsbezug durch eine Kapitalleistung oder Kapitalabfindung ersetzt werde. Zudem ergebe sich der laufende Versorgungsbezug als Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 229 SBG V auch aus dem Sinn und Zweck der Norm, denn nur dann sei nachvollziehbar, dass es einer entsprechenden Regelung in den anderen Zweigen der Sozialversicherung nicht bedurft habe, da hier aufgrund des laufenden Versorgungsbezuges keine Schutzbedürftigkeit (Aufbau Altersvorsorge bzw von Ansprüchen im Falle der Arbeitslosigkeit) mehr vorliege. Der Begriff Versorgungsbezüge werde im SGB V für Einnahmen verwandt, welche mit Renten vergleichbar seien. Bei der vorzeitigen Abfindung von Anwartschaften auf betriebliche Altersvorsorge während eines laufenden Beschäftigungsverhältnisses werde diesem Gesetzeszweck nicht mehr Rechnung getragen, dh das Wertguthaben diene nicht mehr der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung. Für den Fall, dass vor Eintritt des Versorgungsfalls und ohne zeitlichen oder inhaltlichen Zusammenhang Anwartschaften auf eine entsprechende Versorgung abgefunden würden, existiere somit letztlich keine gesetzliche Regelung. Hieran ändere sich auch nichts durch die mit Wirkung vom 01.01.2004 geänderte Fassung des § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V, denn auch hier sei der Eintritt des Versorgungsfalls Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Norm. Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, die Fälle, in denen eine laufende Rentenzahlung zugesagt sei, und die Fälle, in denen der Anspruch durch Vereinbarung vor Eintritt des Versicherungsfalls von vornherein auf eine Kapitalleistung gerichtet sei, gleich zu behandeln. Da nicht in abgewickelte Versicherungsverhältnisse eingegriffen werden könne, verbleibe es bei der Beitragsfreiheit der Aufwendungen, die vormals der betrieblichen Altersvorsorge gedient hätten. Bei dem vom Arbeitgeber gezahlten Abfindungsbetrag bzw Rückkaufswert handele es sich jedoch nun um einen geldwerten Vorteil für den Beschäftigten, der aufgrund des zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhangs mit dem Beschäftigungsverhältnis gemäß § 14 Abs 1 SGB IV als einmalig gezahltes Arbeitsentgelt anzusehen sei. Für die Beitragsberechnung selbst finde § 23a SGB IV Anwendung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 22.01.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ergehe sich im Wesentlichen mit der Wiedergabe des bereits aus dem Widerspruchs- und Klageverfahren bekannten rechtlichen Standpunktes. In die Irre gingen die Ausführungen der Beklagten, soweit die Grundsätze aus dem Urteil des BSG vom 25.08.2004 angegriffen würden. Für die von der Beklagten durchgeführte Verbeitragung existiere schlechterdings keine tragende Rechtsgrundlage, die bloßen Verbeitragungswünsche seien weiterhin nicht ausreichend.
Die Beigeladenen haben sich im Berufungsverfahren nicht geäußert und keine Anträge gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.