HI2266384

BAG Urteil vom 13.10.2009 - 9 AZR 139/08

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Lenkzeitunterbrechungen. Kurzpausen. Ruhepause. Aufteilung in Kurzpausen. Globalantrag

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Leitsatz (amtlich)

Lenkzeitunterbrechungen bei Straßenbahnfahrern, während derer der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung zu erbringen hat, keine Arbeitsbereitschaft verlangt wird und die mindestens acht Minuten betragen, sind keine Arbeitszeit iSv. § 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG, sondern Ruhepausen iSv. §§ 4, 7 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG iVm. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 TV-N Berlin.

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Orientierungssatz

1. Lenkzeitunterbrechungen bei Straßenbahnfahrern, während derer der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung zu erbringen hat, keine Arbeitsbereitschaft verlangt wird und die mindestens acht Minuten betragen, sind keine Arbeitszeit iSv. § 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG, sondern Ruhepausen iSv. §§ 4, 7 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG iVm. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 TV-N Berlin.

2. Ruhepausen iSv. § 4 ArbZG sind Unterbrechungen der Arbeitszeit von bestimmter Dauer, die der Erholung dienen. Es muss sich um im Voraus festliegende Unterbrechungen der Arbeitszeit handeln, in denen der Arbeitnehmer weder Arbeit zu leisten noch sich dafür bereitzuhalten hat. Er muss frei darüber entscheiden können, wo und wie er diese Zeit verbringen will. Entscheidendes Merkmal der Ruhepause ist, dass der Arbeitnehmer von jeder Arbeitsverpflichtung und auch von jeder Verpflichtung, sich zur Arbeit bereitzuhalten, freigestellt ist.

3. Kurzpausen iSv. § 7 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG sind, sofern sie die allgemeinen Anforderungen an eine Pause erfüllen, Ruhepausen im arbeitszeitrechtlichen Sinn. Der Arbeitgeber erfüllt mit ihrer Gewährung seine gesetzliche Verpflichtung aus § 4 ArbZG.

4. Auch Kurzpausen müssen gem. § 4 Satz 1 ArbZG im Voraus feststehen. In einem Dienstplan vorgesehene Lenkzeitunterbrechungen erfüllen regelmäßig diese Anforderung.

5. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob eine generelle Mindestdauer der Kurzpausen nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG bestimmt werden kann und wo diese ggf. anzusetzen wäre. Gegen eine tarifliche Regelung, die in Verkehrsbetrieben eine Aufteilung in Zeitabschnitte von jeweils mindestens acht Minuten vornimmt, bestehen keine Bedenken.

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Normenkette

ArbZG § 2 Abs. 1 S. 1, §§ 4, 7 Abs. 1 Nr. 2; BGB § 618 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1

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Verfahrensgang

LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 17.10.2007; Aktenzeichen 23 Sa 1398/07)

ArbG Berlin (Urteil vom 03.05.2007; Aktenzeichen 96 Ca 21589/06)

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Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. Oktober 2007 – 23 Sa 1360/07 und 23 Sa 1398/07 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen!

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Tatbestand

Rz. 1

 Die Parteien streiten über die arbeitszeitrechtliche Bewertung von Lenkzeitunterbrechungen.

Rz. 2

 Der Kläger ist bei der Beklagten seit März 1989 als Straßenbahnfahrer beschäftigt. Er wird im Linienverkehr mit einer Linienlänge von nicht mehr als 50 km eingesetzt. Sein Arbeitseinsatz wird durch Dienstpläne geregelt, die Lenkzeiten und Lenkzeitunterbrechungen ausweisen. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei den Nahverkehrsbetrieben im Land Berlin (TV-N Berlin) vom 31. August 2005 idF des 3. ÄTV vom 28. Oktober 2008 Anwendung. Dort heißt es unter anderem:

§ 9 Besondere Arbeitsbedingungen bei Einsatz als Omnibusfahrer, U-Bahnfahrer, Straßenbahnfahrer und Triebfahrzeugführer

(1) Die Dienstschicht umfasst die Arbeitszeit, die Pausen und Unterbrechungen bei Dienstteilungen. Sie kann bis zu 12 Stunden, bei Dienstteilungen bis zu 14 Stunden betragen und darf 5 Stunden nicht unterschreiten. Die dienstplanmäßige tägliche Arbeitszeit darf 8 ½ Stunden, bei maximal 20 % der Dienste je Turnusart 9 Stunden in der Dienstschicht nicht übersteigen.

Protokollerklärung zu Abs. 1:

Zur Arbeitszeit zählen insbesondere Lenkzeiten, Vorbereitungs- und Abschlusszeiten sowie betrieblich veranlasste Wegezeiten.

(2) Es sind folgende Pausenregelungen anzuwenden:

1. Blockpausenregelung

2. Die nach dem Arbeitszeitgesetz oder nach der Fahrpersonalverordnung zu gewährende Pause kann durch Lenkzeitunterbrechungen abgegolten werden, wenn deren Gesamtdauer mindestens ein Sechstel der im Dienst- und Fahrplan vorgesehenen Lenkzeit beträgt. Im Fahrplan ausgewiesene Haltezeiten zur Anschlusssicherung gelten nicht als Lenkzeitunterbrechungen. Lenkzeitunterbrechungen unter 8 Minuten werden bei der Berechnung der Gesamtdauer nicht berücksichtigt, wobei die Gesamtdauer mindestens die Dauer der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhepausen erreichen muss.

Lenkzeitunterbrechungen werden bis zur Dauer von 10 Minuten in die Arbeitszeit eingerechnet. Die Summe der Anteile der Lenkzeitunterbrechungen, die größer als 10 Minuten sind, zusammen jedoch höchstens 50 Minuten, werden nicht in die Arbeitszeit eingerechnet. Die hiernach unbezahlt bleibenden Lenkzeitunterbrechungsanteile werden grundsätzlich vor der Abfahrt von der Endstelle gewährt.

Innerhalb eines Dienstes darf nur eine der genannten Pausenregelungen zur Anwendung kommen.

(5) Für die Vorbereitungs- und Abschlusszeiten wird die notwendige Zeit in die Arbeitszeit eingerechnet und im Dienstplan ausgewiesen.

(8) Für Überschreitungen der dienstplanmäßigen täglichen Arbeitszeit infolge von Fahrzeugverspätungen erhält der Arbeitnehmer eine entsprechende Gutschrift auf dem Kurzzeitkonto (§ 10 Abs. 4).”

Rz. 3

 Bei dem Kläger kommt die Sechstel-Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 TV-N Berlin zur Anwendung. Hierzu besteht eine Dienstanweisung “Gewährung von unbezahlten Anteilen der Lenkzeitunterbrechung laut TV-N” vom 4. November 2005, die auszugsweise lautet:

“Ergibt sich aus mehrfachen Verspätungen die generelle Nichtgewährung der Pause lt. Arbeitszeitgesetz, so ist der Mitarbeiter verpflichtet, über die BLS die zuständige Einsatzleitung davon in Kenntnis zu setzen, welche dann für die Gewährung einer Pausenablösung verantwortlich zeichnet.”

Rz. 4

 Den Straßenbahnfahrern sind aufgrund einer “Dienstanweisung für den Fahrdienst mit Straßenbahnen” (DF-STRAB) über die Fahrtätigkeit hinausgehende Aufgaben zugewiesen. Die Anweisung lautet auszugsweise:

§ 3 Kundendienst im Linienbetrieb

6 Der Fahrbedienstete hat sich um die Sauberkeit des Innenraumes seines Zuges zu bemühen. Bei Schnee oder Glatteis sind, soweit möglich, an den Endstellen die Einstiegsbereiche des Zuges zu reinigen. Kann eine Verunreinigung nicht selbst beseitigt werden, ist die BLS zu verständigen.

§ 5 Fundsachen

1 In Zügen oder Betriebsräumen sichergestellte Fundsachen sind sorgfältig aufzubewahren und – sobald es der Dienst zulässt, spätestens bei Dienstschluss – mit schriftlicher Meldung bei der zuständigen Stelle oder einem Aufsichtsführenden abzugeben.

§ 16 Übernehmen und Prüfen des Zuges

3 Bei Übernahme des Zuges auf der Strecke sind dem ablösenden Fahrer Mängel oder Beschädigungen unaufgefordert mit Verweis auf die schriftliche Meldung mitzuteilen.

§ 28 Dienstverrichtung und Dienstausrüstung

3 Bei Ablösung sind dem ablösenden Fahrer Mängel oder Schäden am Zug, besondere Streckenverhältnisse und neue Bekanntmachungen unaufgefordert mitzuteilen. Schriftliche Meldungen sind zu übergeben.

Nach Übernahme des Zuges ist die Wirksamkeit der Bremsen zu prüfen.

Spätestens an der nächsten Endstelle ist bei Tatrafahrzeugen der Sandvorrat zu prüfen.

4 Ist zur Ablösezeit keine Ablösung zur Stelle, hat die Weiterverrichtung der Linienfahrt oder deren Beendigung in Abstimmung mit der BLS zu erfolgen.

§ 32 Verhalten an Endhaltestellen

1 Der Zug ist gemäß gültiger Fahrordnung zum vorgesehenen Halteplatz zu fahren und stillzusetzen. Hier ist:

a) die Eintragung in den Fahrauftrag vorzunehmen und

b) mindestens einmal je Umlauf der innere und äußere Zustand des Zuges zu kontrollieren und der Zug nach Fundsachen durchzusuchen.

2 An Endhaltestellen, die auch gleichzeitig Abfahrtshaltestellen sind, ist den Kunden während der Wartezeit das Einsteigen zu ermöglichen. Die Fahrzeugsteuerung muss zur Funktionstüchtigkeit der Entwerter und der Fahrscheinverkaufsautomaten aufgerüstet bleiben.”

Rz. 5

 In der Betriebspraxis gibt es Lenkzeitunterbrechungen, die frei von Tätigkeiten nach der DF-STRAB sind. Soweit Tätigkeiten nach der DF-STRAB anfallen, kann der Arbeitnehmer selbst festlegen, ob er diese am Beginn oder am Ende der Lenkzeitunterbrechung durchführt.

Rz. 6

 Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass seine in den Dienstplänen ausgewiesenen Lenkzeitunterbrechungen nicht als Ruhepausen iSv. § 4 ArbZG zu werten sind.

Rz. 7

 Er hat die Auffassung vertreten, die Lenkzeitunterbrechungen könnten nicht als Pausen gelten. Gemäß den Bestimmungen der DF-STRAB seien sie nicht frei von jeder Tätigkeit. Soweit keine Tätigkeiten anfielen, würden sie stets weniger als 15 Minuten betragen. Derartige Kurzpausen seien als Arbeitszeit anzusehen. Zudem stehe es wegen unvorhersehbarer Verspätungen und Arbeitstätigkeiten nicht im Voraus fest, wann die Lenkzeitunterbrechungen anfielen.

Rz. 8

 Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass Lenkzeitunterbrechungen des Klägers von mehr als 8 Minuten pro Arbeitstag/Schicht, zusammengerechnet jedoch höchstens 50 Minuten, Arbeitszeiten sind;

2. hilfsweise festzustellen, dass Lenkzeitunterbrechungen des Klägers von mehr als 10 Minuten pro Arbeitstag/Schicht, zusammengerechnet jedoch höchstens 50 Minuten, Arbeitszeiten sind;

3. hilfsweise festzustellen, dass Lenkzeitunterbrechungen von weniger als 15 Minuten, hilfsweise von weniger als 5 Minuten, Arbeitszeiten sind und keine Ruhepausen;

4. hilfsweise festzustellen, dass Lenkzeitunterbrechungen des Klägers von mehr als 10 Minuten pro Arbeitstag/Schicht, zusammengerechnet jedoch höchstens 50 Minuten, Arbeitszeiten sind, sofern der Kläger in diesen Zeiten Tätigkeiten aus der DFSTRAB zu verrichten hat, insbesondere nach Abschnitt III § 3 Ziff. 6, respektive § 5 sowie Abschnitt V § 16 und Abschnitt VI § 25 sowie Abschnitt VII § 28, oder verpflichtet ist, bei Endhaltestellen, die gleichzeitig Haltestellen sind, Fahrgäste aufzunehmen oder Ausgleichszeiten bei Verspätungen in Anspruch nehmen muss;

5. hilfsweise festzustellen, dass sämtliche Lenkzeitunterbrechungen, in denen Arbeitsverpflichtungen nach der DF-STRAB anfallen, keine Pausen sind, sondern Arbeitszeit.

Rz. 9

 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Pausenregelung in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 TV-N Berlin stelle eine gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG zulässige Ausnahme von § 4 Satz 2 ArbZG dar. Sobald die geplanten Lenkzeitunterbrechungen mindestens 8 Minuten betrügen, seien sie vollständig als Pausenzeiten zu werten und zu addieren. Sie seien grundsätzlich frei von jeder Arbeitsleistung und stünden dem Kläger zur freien Verfügung. Die in der DF-STRAB aufgeführten Nebenpflichten seien nur teilweise regelmäßig zu erbringen, so dass kein ständiger Arbeitsaufwand vorliege. Wenn durch Arbeitstätigkeiten oder unvorhersehbare Ereignisse innerhalb der dienstplanmäßig festgelegten Lenkzeitunterbrechungen die Mindestpausen im Rahmen der Sechstel-Regelung nicht mehr gewährleistet werden könnten, habe der Kläger eine Pausenablösung zu veranlassen.

Rz. 10

 Das Arbeitsgericht hat den Hilfsanträgen zu 4 und 5 weitgehend stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen.

Rz. 11

 Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Haupt- und Hilfsanträge weiter. In der Revisionsverhandlung hat er erklärt, seine Anträge zielten ausschließlich auf die Feststellung, dass es sich bei den Lenkzeitunterbrechungen nicht um Ruhepausen iSv. § 4 ArbZG handele. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.