LAG Saarland Urteil vom 28.01.2015 - 2 Sa 154/13
Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessungsgrundlage für die Berechnung des Aufstockungsbetrages bei Altersteilzeit von Grenzgängern. Zahlungsklage eines in Frankreich lebenden französischen Staatsbürgers mit Grenzgängerstatus und Arbeitsstelle im räumlichen Geltungsbereich des deutsch-französischen Doppelbesteuerungsabkommens
Leitsatz (amtlich)
1. In Fällen französischer Grenzgänger wirkt sich nach der Auslegung des EuGH (Urteil v. 28.03.2012 - C-172/11 - [Fall: Erny] in NZA 2012, Seite 863-866 - Rn 41 bei juris) die fiktive Berücksichtigung der deutschen Lohnsteuer insoweit nachteilig auf die Situation der Grenzgänger aus, als der fiktive Abzug dieser Steuer bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Aufstockungsbetrags Personen mit französischem Grenzgängerstatus, die in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland ansässig und steuerpflichtig sind, gegenüber Arbeitnehmern benachteiligt, die in Deutschland ihren Wohnsitz haben und dort steuerpflichtig sind. Damit scheidet die Anwendung der nach der Verordnungsermächtigung in § 15 ATG erstellten Mindestnettobetragstabelle in Bezug auf Grenzgänger aus.
2. Nach den Vorgaben des EuGH (vgl. EuGH Urteil vom 28.03.2012 aaO. Rn. 53 bei juris m.w.N.) schreiben weder Artikel 45 AEUV noch die Verordnung (EWG) Nummer 1612/68 den Mitgliedsstaaten oder einem privaten Arbeitgeber eine bestimmte Maßnahme im Fall der Verletzung des Diskriminierungsverbots vor. Die entstandene Regelungslücke kann und muss unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens der Tarif Vertragspartner bzw. der Partner der Gesamtbetriebsvereinbarung und des Einzelvertrags geschlossen werden.
3. Die Anwendung einer ebenfalls fiktiven Steuer nach Vorgaben französischen Steuerrechts auf ein um Individualisierungen bereinigtes Monatsbasiseinkommen - also auch ohne Ehegatteneinkommen - (vergleichbar den Ausgangsbestandteilen des zur Mindestnettobetragstabelle führenden Monatsverdienstes) zur Ermittlung der Höhe des an frz. Grenzgänger zu zahlenden Aufstockungsbetrages im Altersteilzeitarbeitsverhältnis schließt die entstandene Regelungslücke in einer Weise, die dem Willen der (Individual-/Kollektiv-) Parteien am nächsten kommt. Dabei kommt es nicht zu einer mit dem DBA FRA unvereinbaren echten Doppelbesteuerung, da letztlich nur das Gesamteinkommen mit seinen für den Grenzgänger und seine Familie zu berücksichtigenden Individual-Steuermerkmalen in Frankreich der dortigen progressiven Steuertabelle unterworfen wird.
Normenkette
AltTzG a.F. § 3 Abs. 1, §§ 6, 15 S. 1; BGB § 611 Abs. 1; ERA-MTV § 35; AEUV Art. 45; EWGV 1968/1612 Art. 7 Abs. 4
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Saarlouis vom 19.10.2010 - 1 Ca 1101/09 - unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten im Übrigen wie folgt teilweise abgeändert und deshalb neu gefasst:
(1) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum von November 2009 bis Dezember 2009 einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt in Höhe von jeweils 10,03 EUR monatlich, insgesamt somit einen Betrag in Höhe von 20,06 EUR, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.06.2010 zu zahlen.
(2) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum von Januar bis April 2010 einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt in Höhe von jeweils 11,10 EUR monatlich, insgesamt somit einen Betrag in Höhe von 44,40 EUR, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.06.2010 zu zahlen.
(3) Die Beklagte wird verurteilt,
a) ab Mai 2010 bis Dezember 2010 monatlich an den Kläger einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt in Höhe von 11,10 EUR zu zahlen.
b) ab Januar 2011 bis Dezember 2011 monatlich an den Kläger einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt in Höhe von 11,50 EUR zu zahlen.
c) ab Januar 2012 bis August 2012 monatlich an den Kläger einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt in Höhe von 11,24 EUR zu zahlen.
(4) Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
(5) Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten zu 1/20 und dem Kläger zu 19/20 auferlegt.
(6) Der Streitwert wird auf 6.297,60 EUR festgesetzt.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger und Berufungsbeklagte zu 91/100 und die Beklagte und Berufungsklägerin zu 9/100.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten vorliegend bezüglich der Berechnung von Aufstockungsbeträgen zum Altersteilzeitentgelt, ob für in Frankreich lebende französische Staatsbürger mit Grenzgängerstatus und Arbeitsstelle in Deutschland die steuerliche Behandlung einzelner Geldfaktoren nach deutschem oder nach französischem Steuerrecht zu erfolgen hat. Dabei geht es konkret um eine Altersteilzeitvereinbarung nach dem Blockmodell für einen Sechs-Jahres-Zeitraum von 01.09.2006 bis 31.08.2012 unter tarifvertraglich vereinbarter Heranziehung des § 6 Absatz 1 ATG in der bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung.
Der 1949 geborene Kläger ist verheiratet und lebt als französischer Staatsbürger in Frankreich, während er bei der Beklagten seit 05.01.1971 im räumlichen Geltungsbereich des deutsch-französischen Doppelbesteuerungsabkommens (vgl. BGBl. 1961 Teil II S. 397 i.V.m. Artikel 2 des Zusatzabkommens vom 20.12.2001 - BGBl. 2001 Teil II S. 2370) als sogenannter Grenzgänger einer Beschäftigung als Arbeitnehmer nachgegangen war.
Der Verdienst des Klägers lag zuletzt im Monat Juni 2006 bei 2.649,60 EUR brutto zuzüglich vermögenswirksame Leistung in Höhe von 26,59 EUR brutto, sodass sich ein Betrag von 2.676,19 EUR brutto ergeben hat. Hierzu kam eine Kontoführungsgebühr-Pauschale in Höhe von 1,28 EUR. Das ausgewiesene Bruttogehalt in der Abrechnung belief sich auf 2.677,47 EUR (vgl. Bl. 77 d.A.).
Am 28.03.2006 schlossen die Parteien einen Altersteilzeit-Arbeitsvertrag (vgl. Bl. 5-9 d.A.). Hiernach wurde im Rahmen eines sogenannten Blockmodells die Arbeitsphase (= Aktivphase) auf den Zeitraum 01.09.2006 bis 31.08.2009 und die Freistellungsphase (= Passivphase) auf den Zeitraum 01.09.2009 bis 31.08.2012 festgelegt. Entsprechend war in § 3 zur Arbeitszeit während der Aktivphase die Arbeitszeit auf die Hälfte der bisher vereinbarten individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit festgeschrieben worden mit 17,5 Stunden. In §§ 4, 5 des Altersteilzeit-Arbeitsvertrags wurden die Vergütung und der Aufstockungsbetrag festgelegt, wobei sich im Rahmen des § 15 Aufstockungsbetrag folgende Vereinbarung wiederfindet:
§ 5 Aufstockungsbetrag
1. Der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin erhält in der Arbeits- und Freistellungsphase einen Aufstockungsbetrag zum Regelarbeitsentgelt/Altersteilzeitentgelt (§ 3 Absatz 1 a Altersteilzeitgesetz, § 4 des Vertrages), soweit die Entgeltbestandteile nicht in der Arbeitsphase voll ausgezahlt worden sind, mindestens in Höhe des nach § 5 Nr. 2 des Vertrages ermittelten Bruttoaufstockungsprozentsatzes.
2. Der auf das Regelarbeitsentgelt/Altersteilzeitentgelt des Absatz 1 bezogene Bruttoaufstockungsprozentsatz ist so zu bemessen, dass das monatliche Nettoentgelt während der Altersteilzeit mindestens 85 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten doppelten Regelarbeitsentgelts/Altersteilzeitentgelts beträgt. Basis für die Berechnung ist der erste Monat der Altersteilzeit. Der so ermittelte Bruttoprozentsatz wird zum Ausgleich der entfallenden Sonderzahlungen wie folgt erhöht:
a) Arbeitnehmer / Arbeitnehmerinnen deren Bruttovollzeitmonatsentgelt (lt. Form D8) im letzten Monat vor Beginn der Altersteilzeit die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung nicht übersteigt, erhalten eine Erhöhung um 8 Prozentpunkte.
b) Arbeitnehmer / Arbeitnehmerinnen deren Bruttovollzeitmonatsentgelt (lt. Form D8) im letzten Monat vor Beginn der Altersteilzeit die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung übersteigt, erhalten eine Erhöhung um 6 Prozentpunkte.
3. Eine Begrenzung des Regelarbeitsentgelts/Altersteilzeitentgelts durch die Beitragsbemessungsgrenze findet nicht statt.
Neben der Vereinbarung eines Altersteilzeit-Arbeitsvertrags kommt auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch der Tarifvertrag zur Altersteilzeit zwischen dem Verband der Metall und Elektroindustrie des Saarlandes e.V. und der IG Metall Bezirksleitung Frankfurt am Main vom 23.11.2004 [TV ATZ] zur Anwendung (vgl. Bl. 169-176 d.A.). Darin befinden sich hinsichtlich des Aufstockungsbetrages sowie dem Verhältnis des Tarifvertrags zu Regelungen in Form einer freiwilligen Betriebsvereinbarung nachfolgende Normen:
§ 7 Aufstockungsbetrag
Der Beschäftigte erhält einen Aufstockungsbetrag nach Maßgabe von § 3 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a ATG in seiner jeweils bei Beginn des Altersteilzeitverhältnisses gültigen Fassung auf das Altersteilzeitentgelt. Dieser ist jedoch so zu bemessen, dass das monatliche Nettoentgelt mindestens 82 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei den Beschäftigten gewöhnlich anfallen, verminderten monatlichen bisherigen Bruttoarbeitsentgelts im Sinne des § 6 Absatz 1 ATG in der bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung beträgt.
Die Sonderzahlungen nach § 6 2.1 und 2.2 werden in die Berechnung des Aufstockungsbetrages einbezogen und zwar dergestalt, dass sie bei dem der Berechnung zu Grunde liegenden bisherigen Arbeitsentgelt in doppelter Höhe berücksichtigt werden.
§ 13 Abweichende Regelungen
Die Betriebsparteien können im Wege einer freiwilligen Betriebsvereinbarung
- durch insgesamt wertgleiche Regelungen oder
- bei Gefährdung von Arbeitsplätzen durch Einführung von Altersteilzeit
abweichende betriebliche Regelungen zur Altersteilzeit vereinbaren.
Hierauf aufbauend hat die Geschäftsführung der Beklagten mit dem Gesamtbetriebsrat am 20.04.2005 eine Betriebsvereinbarung über die Altersteilzeit, gültig ab 01.08.2005, abgeschlossen (vgl. Bl. 58-63 d.A.). Dort finden sich Vereinbarungen zu Aufstockungsleistungen unter 4.3 mit folgendem Inhalt:
§ 7 Aufstockungsbetrag
Der Beschäftigte erhält einen Aufstockungsbetrag nach Maßgabe von § 3 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a ATG in seiner jeweils bei Beginn des Altersteilzeitverhältnisses gültigen Fassung auf das Altersteilzeitentgelt. Dieser ist jedoch so zu bemessen, dass das monatliche Nettoentgelt mindestens 82 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei den Beschäftigten gewöhnlich anfallen, verminderten monatlichen bisherigen Bruttoarbeitsentgelts im Sinne des § 6 Absatz 1 ATG in der bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung beträgt.
Die Sonderzahlungen nach § 6 2.1 und 2.2 werden in die Berechnung des Aufstockungsbetrages einbezogen und zwar dergestalt, dass sie bei dem der Berechnung zu Grunde liegenden bisherigen Arbeitsentgelt in doppelter Höhe berücksichtigt werden.
§ 13 Abweichende Regelungen
Die Betriebsparteien können im Wege einer freiwilligen Betriebsvereinbarung
- durch insgesamt wertgleiche Regelungen oder
- bei Gefährdung von Arbeitsplätzen durch Einführung von Altersteilzeit
abweichende betriebliche Regelungen zur Altersteilzeit vereinbaren.
Ferner wird unter 7. in dieser Betriebsvereinbarung festgelegt, dass die Betriebsparteien darin übereinstimmen, dass es sich bei den Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung um insgesamt wertgleiche Regelungen im Sinne des § 13 TV ATZ handelt.
In ihren bis zum 30.06.2004 geltenden Fassungen lauteten die §§ 3 Absatz 1, 6 ATG wie folgt:
§ 3 ATG Anspruchsvoraussetzungen
(1) Der Anspruch auf die Leistungen nach § 4 setzt voraus, dass
1. der Arbeitgeber auf Grund eines Tarifvertrages, einer Regelung der Kirchen und der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften, einer Betriebsvereinbarung oder einer Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer
a) das Arbeitsentgelt für die Altersteilzeitarbeit um mindestens 20 vom Hundert dieses Arbeitsentgelts, jedoch auf mindestens 70 vom Hundert des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten bisherigen Arbeitsentgelts im Sinne des § 6 Absatz 1 (Mindestnettobetrag), aufgestockt hat und
b) für den Arbeitnehmer Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung mindestens in Höhe des Beitrags entrichtet hat, der auf den Unterschiedsbetrag zwischen 90 vom Hundert des bisherigen Arbeitsentgelts im Sinne des § 6 Absatz 1 und dem Arbeitsentgelt für die Altersteilzeitarbeit entfällt, höchstens bis zur Beitragsbemessungsgrenze, sowie
2. der Arbeitgeber aus Anlass des Übergangs des Arbeitnehmers in die Altersteilzeitarbeit ...
....
§ 6 ATG Begriffsbestimmungen
(1) 1Bisheriges Arbeitsentgelt im Sinne dieses Gesetzes ist das Arbeitsentgelt, das der in Altersteilzeitarbeit beschäftigte Arbeitnehmer für eine Arbeitsleistung bei bisheriger wöchentlicher Arbeitszeit zu beanspruchen hätte, soweit es die Beitragsbemessungsgrenze des Dritten Buches Sozialgesetzbuch nicht überschreitet. 2§ 134 Absatz 2 Nr. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch gilt entsprechend.
(2) 1Als bisherige wöchentliche Arbeitszeit ist die wöchentliche Arbeitszeit zugrunde zu legen, die mit dem Arbeitnehmer vor dem Übergang in die Altersteilzeitarbeit vereinbart war. 2Zugrunde zu legen ist höchstens die Arbeitszeit, die im Durchschnitt der letzten 24 Monate vor dem Übergang in die Altersteilzeit vereinbart war. 3Bei der Ermittlung der durchschnittlichen Arbeitszeit nach Satz 2 bleiben Arbeitszeiten, die die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit überschritten haben, außer Betracht. 4Die ermittelte durchschnittliche Arbeitszeit kann auf die nächste volle Stunde gerundet werden.
(3) Als tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ist zugrunde zu legen,
1. wenn ein Tarifvertrag eine wöchentliche Arbeitszeit nicht oder für Teile eines Jahres eine unterschiedliche wöchentliche Arbeitszeit vorsieht, die Arbeitszeit, die sich im Jahresdurchschnitt wöchentlich ergibt; wenn ein Tarifvertrag Ober- und Untergrenzen für die Arbeitszeit vorsieht, die Arbeitszeit, die sich für den Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt wöchentlich ergibt,
2. wenn eine tarifliche Arbeitszeit nicht besteht, die tarifliche Arbeitszeit für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen, oder falls eine solche tarifliche Regelung nicht besteht, die für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen übliche Arbeitszeit.
Über § 15 Satz 1 ATG war bis zum 30.06.2004 die Möglichkeit eröffnet, dass das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung durch Rechtsverordnung jeweils für ein Kalenderjahr zum einen die Mindestnettobeträge nach § 3 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a sowie zum anderen die Nettobeträge des Arbeitsentgelts für die Altersteilzeit bestimmen konnte. Bei der Errechnung der sich in der Mindestnettobetrags-Tabelle befindlichen Beträge wurde jeweils deutsches Steuerrecht angewandt. Diese Anwendung deutschen Steuerrechts ist im Wesentlichen auch der Kern der Auseinandersetzung zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits.
Übergeordnet sind für die in diesem Rechtsstreit vertretenen Rechtsauffassungen auch aus dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft [EGV] Artikel 39 (BGBl. 1957 II S.766; BGBl. 2008 II S.1038; BGBl. 2009 II S.1223), dem der jetzige Artikel 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV] (ABl. der EU 2008 Nr. C 155 S.47) von Bedeutung; diese Bestimmungen lauten inhaltsgleich:
Artikel 39 EGV = Artikel 45 AEUV
(1) Innerhalb der Gemeinschaft ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.
(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.
(3) Sie gibt - vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen - den Arbeitnehmern das Recht,
a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben;
b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen;
c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben;
d) nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission in Durchführungsverordnungen festlegt.
(4) Dieser Artikel findet keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung.
Ferner ist für die rechtliche Beurteilung der Frage der Anwendbarkeit deutschen Steuerrechts auch Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nummer 1612/68 des Rates vom 15.10.1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. der EU 1968 L 257, S.2) von Belang.
Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 bestimmt:
(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.
...
(4) Alle Bestimmungen in Tarif- oder Einzelarbeitsverträgen oder sonstigen Kollektivvereinbarungen betreffend Zugang zur Beschäftigung, Entlohnung und allen übrigen Arbeits- und Kündigungsbedingungen sind von Rechts wegen nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen."
Die Verordnung Nummer 1612/68 ist mit Wirkung vom 16.06.2011 durch die Verordnung (EU) Nummer 492/2011 des europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. EU 2011 L 141, S.1) aufgehoben und ersetzt worden.
Letztlich finden auf das Arbeitsverhältnis auch die Bestimmungen des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten in der Eisen-, Metall- und Elektroindus-trie des Saarlandes vom 20.07.2005 [ERA-MTV] Anwendung, so dass bezüglich des Erlöschens von Ansprüchen § 35 mit folgendem Inhalt zu beachten ist:
§ 35 ERA-MTV Erlöschen von Ansprüchen
1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind schriftlich innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Fälligkeit geltend zu machen.
2. Eine Geltendmachung nach Ablauf der unter 1 festgesetzten Frist ist ausgeschlossen, es sei denn, dass die Einhaltung dieser Frist wegen eines unabwendbaren Zufalles nicht möglich gewesen ist.
3. Ist ein Anspruch rechtzeitig erhoben worden und lehnt die Gegenseite seine Erfüllung ab, so ist der Anspruch innerhalb von 3 Monaten seit der Ablehnung gerichtlich geltend zu machen. Eine spätere Geltendmachung ist ausgeschlossen.
§ 33 des MTV für die Arbeiter und Angestellten in der weiterverarbeitenden Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Saarlandes vom 13.03.1987 in der Fassung vom 05.12.1997 enthält eine wortgleiche Regelung, wie man sie in § 35 des ERA-MTV vom 20.07.2005 vorfindet.
Im Vorfeld der Klageerhebung fragte die Klägervertretung mit Schreiben vom 01.07.2009 bei der Beklagten an mit der Bitte, eine nachvollziehbare Berechnung des Aufstockungsbetrages der Klägerseite zukommen zu lassen. Hierauf antwortete die Beklagte mit Schreiben vom 03.09.2009 (vgl. Bl. 10-13 d.A.). In diesem Schreiben ist dann auch die von der Beklagten angewandte Formel: Bruttoaufstockungsprozentsatz/Aufstockungsbetrag enthalten. Die Beklagte geht also nach folgendem Berechnungsschema vor:
1. ATZ-Regelarbeitsentgelt (ATZ-RAE)
2. ATZ-Nettoentgelt (individuell aus 1.)
3. doppeltes ATZ-Regelarbeitsentgelt (aus 1.)
4. ATZ-Mindestnettoentgelt 85 % (aus 3.)
5. Netto-Entgeltdifferenz ATZ-Mindestnettoentgelt (4.) minus ATZ-Nettoentgelt (2.)
6. Ermittlung Bruttoaufstockungsprozentsatz (x Prozent)
X % = [Nettoentgeltdifferenz (5.)x 100 / ATZ- Regelarbeitsentgelt (1.)] + 8 % bzw. 6 %
7. Ermittlung des Aufstockungsbetrages in Euro:
Aufstockungsprozentsatz X% (6.) x ATZ-RAE (1.)
8. Ermittlung ATZ-Nettoentgelt inklusive Aufstockungsbetrag
ATZ-Nettoentgelt (2.) + Aufstockungsbetrag (7.)
In einem Schreiben der Generaldirektion für öffentliche Finanzen in Paris vom 01.09.2010 (vgl. Bl. 208 d.A. mit Übersetzung auf Bl. 209 d.A.), welches von Klägerseite in den Prozessstoff eingeführt wurde, wird im vierten Absatz ausgeführt:
"... Die französische Gesetzgebung sieht nicht vor, dass diese Art der Vergütung nicht steuerpflichtig ist, woraus folgt, dass die vorgenannten Beträge einschließlich der Aufstockungsbeträge dem progressiven Einkommensteuertarif unterliegen ...."
In erster Instanz hat der Kläger bereits die Ansicht vertreten, dass ihm ein Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung rückständiger Differenzbeträge im Bereich des Aufstockungsbetrages zur Altersteilzeitvergütung für 13 Monate von April 2009 bis April 2010 in Höhe von monatlich 196,80 EUR, das heißt insgesamt in Höhe von 2.558,40 EUR zusteht. Dies war Gegenstand seines Antrags zu 1. Ab dem Monat Mai 2010 bis zum Monat August 2012 begehrte er mit seinem Antrag zu 2 die fortlaufende weitergehende Zahlung von monatlich 196,80 EUR. Der Kläger ging dabei davon aus, dass ein erheblicher steuerlicher Unterschied zwischen der Versteuerung seines Einkommens in Frankreich und der zur Ermittlung des Aufstockungsbetrages von der Beklagten angewandten Mindestbetragstabelle bei eingearbeiteter deutscher Versteuerung bestehe. So verwies der Kläger unter anderem auf seinen französischen Steuerbescheid vom 16.07.2007 für das Kalenderjahr 2006 (vgl. Bl. 14-17 d.A.). Der persönliche Steuersatz wurde für ihn auf nur 5,13 % seitens der französischen Finanzverwaltung festgelegt. Der Kläger geht deshalb in seiner Rechtsauffassung davon aus, dass sich der Aufstockungsbetrag der Höhe nach in seiner Errechnung ohne Anwendung deutscher, aber auch ohne Berücksichtigung französischer Steuergesetze ermitteln lasse, da nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Frankreich und Deutschland auf in Deutschland erzieltes Arbeitseinkommen dort gerade keine Steuer zu entrichten sei.
Danach ermittle sich nach Überzeugung des Klägers der zu beanspruchende Differenzbetrag im Bereich der Aufstockung bei Zugrundelegung der Nettovergütung in aktiver Arbeit von 2.123,90 EUR zunächst in einem ersten Schritt mit 85 %, d.h. einen Betrag in Höhe von 1.805,32 EUR. Damit werde zunächst § 5 Absatz 2 Satz 1 des Altersteilzeit-Arbeitsvertrags Rechnung getragen. Zu diesem Betrag addieren sich nach § 5 Absatz 2 a des Altersteilzeit-Arbeitsvertrags weitere 8 % aus der Nettovergütung in der aktiven Arbeit, also einen Betrag von 144,42 EUR. Im Ergebnis soll also nach Überzeugung des Klägers durch die Vereinbarung zur Altersteilzeit dem Kläger ein Altersteilzeitentgelt von 1949,74 EUR brutto pro Monat zufließen. Sieht man den tatsächlich gezahlten Betrag von 1.752,94 EUR hiervon, ergebe sich der tatsächlich zu beanspruchende weitere Aufstockungsbetrag in Höhe von 196,80 EUR.
Hierzu bezieht sich der Kläger im Detail auf folgende Berechnung (vgl. Anlage K 12 zum Schriftsatz vom 21.06.2010 - Bl. 185, 186 d.A.):
Grafik 1
Der Kläger ist der Ansicht, die Ausschlussfristen für den Zeitraum April 2009 bis April 2010, also den mit dem Antrag zu 1 hinsichtlich der aufgelaufenen Rückstände an Differenzen abgebildeten Zeitraum, eingehalten zu haben.
Nach Überzeugung des Klägers könne die deutsche Mindestnettobetragstabelle nicht zur Anwendung gelangen. Eine solche Anwendbarkeit lasse sich weder aus dem Altersteilzeitarbeitsvertrag noch aus dem TV-ATZ herleiten. Nach dem TV-ATZ bestehe zunächst ein Anspruch auf einen Aufstockungsbetrag gemäß § 3 Absatz 1 Nr. 1 a ATG. Zu Beginn der Altersteilzeit des Klägers mit dem Monat September 2006 sei aber der Begriff "Mindestnettobetrag" im Altersteilzeitgesetz nicht mehr enthalten gewesen. Es könne also nur ein bestimmter Prozentsatz des bisherigen Nettoentgelts des Klägers ohne Berücksichtigung von Lohnsteuern ermittelt werden. Abgesehen davon würde nach Auffassung des Klägers bei Anwendung der Mindestnettobetragstabelle und somit der Anwendung einer fiktiven deutschen Lohnsteuer ein Verstoß gegen das in Artikel 39 EGV und in Artikel 7 der V. 1612/68 normierte Diskriminierungsverbot vorliegen. Es käme nämlich zur Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte durch die Beklagte, wenn man die deutsche Lohnsteuer auf Einkünfte von in Frankreich wohnenden Arbeitnehmern anwenden wollte. Die erste Rechtsfolge aus dieser Überlegung bestehe nun darin, dass man diskriminierende Regelungen nicht zur Anwendung bringe. Die zweite Rechtsfolge hieraus sei dann aber die Schließung der Regelungslücke zur Erreichung des mit der Aufstockungszahlung bezweckten Erfolges. Es müsse also zum Ausgleich des durch die altersteilzeitbedingten Lohnverlustes bis zu einem bestimmten Prozentsatz des früheren Nettoentgelts kommen. Dieses Ziel sei für in Frankreich wohnende Arbeitnehmer aber nur dann zu erreichen, wenn man bei der Berechnung des Aufstockungsbetrages gerade keine Lohnsteuer in Ansatz bringe.
Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.558,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab dem 01.05.2010 bis zum 31.08.2012 einen weiteren Aufstockungsbetrag in Höhe von 196,80 EUR monatlich zu zahlen.
Die Beklagte hat in erster Instanz beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat in erster Instanz die Ansicht vertreten, dass das von ihr gewählte Berechnungsmodell unter Einbeziehung der Mindestnettobetragstabelle bei der Ermittlung von in Altersteilzeit zu zahlendem Arbeitsentgelt und Aufstockungsbeträge keinen Verstoß gegen das europäische Diskriminierungsverbot darstelle. So könne die sogenannte "M."-Entscheidung des EuGH im Urteil vom 16.09.2004 (Aktenzeichen C-400/02 - in DStRE 2005, 236-239) nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Während es dort um eine Überbrückungsbeihilfe gehe, die in Frankreich zu versteuern sei, und die eine Sozialleistung zum Ausgleich des Lohnverlustes infolge Arbeitslosigkeit darstelle, handele es sich hier um einen Aufstockungsbetrag bei einer Altersteilzeit-Vereinbarung. In Frankreich sei dieser Aufstockungsbetrag allerdings nicht zu versteuern nach Überzeugung der Beklagten. Der Zweck des Aufstockungsbetrages besteht darin, einen Anreiz zum Abschluss von Altersteilzeitvereinbarung zu schaffen. Zudem handele es sich um einen vom Arbeitgeber gezahlten Entgeltbestandteil. Dem Arbeitnehmer stehe es frei, sich zu entscheiden, ob er einen Altersteilzeitvertrag abschließen wolle oder nicht. Auch habe er im Voraus exakte Kenntnis von den Bedingungen einer Altersteilzeitvereinbarung. Nach Überzeugung der Beklagten liege kein Verstoß gegen das Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich vor. Die Mindestnettobetragstabelle stelle nämlich gerade keine Versteuerung im Sinne des Doppelbesteuerungsabkommens dar. Sie enthalte lediglich einen Berechnungsmodus. Ob eine Versteuerung des Aufstockungsbetrags letztlich in Frankreich zu erfolgen habe sei nach Meinung der Beklagten hier ohne Bedeutung für die Verfahrensweise bei der Ermittlung des an den Kläger zu zahlenden Aufstockungsbetrags.
Alle Arbeitnehmer der Beklagten würden gleichbehandelt bei Heranziehung der Mindestnettobetragstabelle mit pauschalierter Betrachtung ohne Berücksichtigung der jeweiligen individuellen Steuersituation des einzelnen Arbeitnehmers. Die Anwendbarkeit dieser Tabelle sei abzuleiten aus § 7 Absatz 2 TV ATZ mit Bezugnahme auf die Gesetzeslage vor Ablauf des 30.06.2004. Eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit finde gerade nicht statt. Es könne zwar sein das Grenzgänger einen Verlust einer Vergünstigung aus der Zeit vor Beginn der Altersteilzeit erfahren würden, vor Beginn der Altersteilzeit hätten diese Arbeitnehmer aufgrund der niedrigeren Steuersätze in Frankreich eine geringere Lohnsteuer zu tragen als Arbeitnehmer in Deutschland. Während der Altersteilzeit komme nun die fiktive deutsche Lohnsteuer zur Berechnung des Aufstockungsbetrages zur Anwendung. Das Begehren des Klägers, völlig ohne Versteuerung die Aufstockungsleistung errechnet zu erhalten, würde aber zu einer Besserstellung der Grenzgänger gegenüber den in Deutschland wohnenden deutschen Arbeitnehmern führen. Dies stelle nach Überzeugung der Beklagten sicherlich gerade kein Ziel der europäischen Anti-Diskriminierungs-Normen dar. Der sich aus der pauschalierten Betrachtung bei Heranziehung der Mindestnettobetragstabelle ergebende Nachteil treffe alle Arbeitnehmer im Bereich der Altersteilzeit der Beklagten im gleichen Maße und stelle lediglich einen Rechtsreflex des Steuersystems dar.
Die unterschiedliche Behandlung von in Deutschland lebenden Arbeitnehmern der Beklagten gegenüber in Frankreich lebenden Arbeitnehmern der Beklagten sei aus Sicht der Beklagten auch sachlich gerechtfertigt. Wollte man den Vortrag des Klägers als zutreffend unterstellen käme es nämlich zu einer unangemessen hohen finanziellen Belastung des Arbeitgebers bei gleichzeitig überhöhtem Verwaltungsaufwand. Bei Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung sei aber das Anfallen höherer Kosten gerade nicht gewollt gewesen. Es sei unzumutbar für jeden Grenzgänger die einschlägigen steuerlichen Vorschriften zu ermitteln. Die Nicht-Anerkennung des Arguments eines finanziellen sowie administrativen Mehraufwands durch den EuGH in seinem "M."-Urteil habe nur für den Staat als Arbeitgeber Geltung, nicht jedoch für privatrechtlich organisierte Arbeitgeber.
Es müsse eine Planungssicherheit für den Arbeitgeber bestehen bezüglich künftiger Personalkosten. Dies rechtfertige eine Diskriminierung, weil bei Altersteilzeit eine Berechnung im Voraus zu erfolgen habe.
Auch sei der Klagebetrag, wie er vom Kläger geltend gemacht werde, nicht nachzuvollziehen. Die Angaben des Klägers zu der in Frankreich von ihm zu entrichtenden Steuer werden von Beklagtenseite bestritten. Insbesondere sei die Beklagte nicht verpflichtet, 93 % des früheren Nettoeinkommens an den Kläger im Rahmen der Altersteilzeit zu bezahlen. Der Ausgangspunkt des Klägers sei bezüglich des Prozentsatzes und der Bezugsgröße falsch gewählt. Die korrekte Berechnung des Aufstockungsbetrages erfolge nur nach § 5 Nr. 2 des Altersteilzeit-Arbeitsvertrages und nach Ziffer 4.3 der Betriebsvereinbarung-Altersteilzeit. Dort seien weder ein Prozentsatz noch eine Bezugnahme auf das Nettoeinkommen des Klägers enthalten.
Abgesehen davon sei der Anspruch nach den Bestimmungen des ERA-MTV mangels ordnungsgemäßer Geltendmachung verfallen. Das Schreiben des Klägervertreters vom 01.07.2009 sei hier ebenso wenig ausreichend wie die Feststellungsklage selbst.
In seinem Urteil ist das Arbeitsgericht zum Ergebnis gelangt, die Aufstockungszahlung letztlich ohne steuerliche Berücksichtigung einzelner Faktoren zu ermitteln. Anspruchsgrundlage bildet dabei Ziffer 7 der Betriebsvereinbarung Altersteilzeit in Ausnutzung der Öffnungsklausel in § 13 des TV ATZ vom 23.11.2004. Der Altersteilzeitvertrag selbst sei dabei nur die Wiedergabe der Regelungen der Betriebsvereinbarung ohne eigenständige Berechnungsvorgabe.
Nach den Ausführungen des Arbeitsgerichts ist zunächst das um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallende verminderte doppelte Regelarbeitsentgelt/Altersteilzeitentgelt zu ermitteln. Anknüpfungspunkte seien dabei § 7 TV ATZ sowie § 3 Absatz 1 Nr. 1 a ATG in der bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung. Unter dem Begriff "gewöhnlich anfallende gesetzliche Abzüge" sind danach Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung zu verstehen. Auf die individuelle Situation des einzelnen Arbeitnehmers werde dabei nicht abgestellt. Davon gehe auch die nach § 15 Satz 1 ATG erstellte Rechtsverordnung zur Mindestnettobetragstabelle mit jährlicher Aktualisierung aus, in der lediglich anhand der Lohnsteuerklasse selbst eine Unterscheidung getroffen werde, ohne auf individuelle Gegebenheiten des Arbeitnehmers einzugehen.
Auf der Basis der Entscheidung des EuGH vom 16.09.2004 (Aktenzeichen C-400/02 [M.]) habe nach den Ausführungen des Arbeitsgerichts das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 10.03.2005 (Aktenzeichen 6 AZR 317/01 in NZA-RR 2006, Seite 88-90) bei der Auslegung des Begriffs der gesetzlichen Abzüge offen gelassen, ob es sich dabei um die nach deutschem Recht vorzunehmenden Abzüge handele. In dem dort zur Entscheidung anstehenden Fall sei es um die Frage der Anwendung der fiktiven deutschen Lohnsteuer bei der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe für französische Grenzgänger nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31.08.1971 [TVSozSich] gegangen, sodass eine direkte Übertragung auf den hier zur Entscheidung stehenden Fall zunächst nicht gesehen werden könne. Im TV ATZ vom 23.11.2004 wie auch in der Betriebsvereinbarung zur Altersteilzeit vom 20.04.2005 sei ebenfalls keine Klarstellung enthalten, ob es sich um die Anwendung fiktiver deutscher Lohnsteuer tatsächlich handeln solle. Das BAG habe dann letztlich § 4 Ziffer 1 b TV SozSich wegen Europarechtswidrigkeit unangewendet gelassen, wobei der Ansatz in Artikel 39 EGV und Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nummer 1612/68 des Rates vom 15.10.1968 hinsichtlich der Gewährung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft gesehen worden sei.
Das Arbeitsgericht weist deshalb darauf hin in seiner Entscheidung, dass es an der Auslegung der Ziffer 4.3 der Betriebsvereinbarung Altersteilzeit in Richtung der Anwendung einer fiktiven deutschen Lohnsteuer, wie dies von der Beklagten vorgenommen worden ist, Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit dieses Vorgehens habe. Es fragt sich, ob bei der Auslegung der Ziffer 4.3 der Betriebsvereinbarung Altersteilzeit vom 20.04.2005 in Verbindung mit § 7 TV ATZ vom 23.11.2004 zwingend das Ergebnis herauskommen müsse, dass für Arbeitnehmer, die nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich nicht der Versteuerung ihres Einkommens in Deutschland unterliegen, bei der Berechnung des Aufstockungsbetrages zum Altersteilzeitentgelt eine fiktive deutsche Lohnsteuer überhaupt zugrundezulegen ist. Es sei zwar eine Pauschalierungs-Betrachtungsweise geboten, wie dies in der Betriebsvereinbarung ebenso wie auch im TV ATZ unter Hinweis auf die bis 30.06.2004 geltende Fassung von § 3 Absatz 1 Nr. 1 a ATG vorgegeben ist. Ein zwingender Rückschluss sei aber daraus nicht abzuleiten, dass die deutsche Lohnsteuer auch auf Arbeitnehmer anzuwenden sei, die nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich der Lohnsteuer im deutschen Inland gerade nicht unterliegen. Es bestehe nämlich ein Auslegungsspielraum bezüglich der Formulierung "gesetzliche Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen". Insofern sei auch eine Interpretation dahingehend möglich, dass Steuern nur insofern dazu gehören, als die deutschen Steuergesetze überhaupt einen Abzug normieren, und nicht das Recht zur Besteuerung aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens einem anderen Staat zugewiesen ist. In solchen Fällen könnte das Wort "gewöhnlich" gerade darauf hindeuten, dass der Regelfall darin bestehe, keinen Lohnsteuerabzug vorzunehmen. Zudem würde bei Anwendung der Mindest-Nettobetrag-Tabelle auch die Pauschalierung in der Betrachtung nur eingeschränkt, weil persönliche Besteuerungsmerkmale berücksichtigt würden.
Nach Ansicht des Arbeitsgerichts bedarf es aber einer Entscheidung zu dieser Auslegungsfrage bezüglich der Ziffer 4.3 der Betriebsvereinbarung nicht wegen des Vorrangs primären Gemeinschaftsrechts. Die Berücksichtigung einer fiktiven deutschen Lohnsteuer bedeute nämlich eine Benachteiligung der Grenzgänger gegenüber denjenigen Arbeitnehmern mit Wohnsitz in Deutschland. Der Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt unterliegt nämlich dem Progressionsvorbehalt, ist aber selbst nicht zu versteuern, wie sich aus § 3 Nr. 28 Einkommensteuergesetz ableiten lässt. Demgegenüber unterliegt aber der Aufstockungsbetrag in Frankreich als Einkommen dort durchaus der Versteuerung, wie sich dem Schreiben der Generaldirektion für öffentliche Finanzen in Paris vom 01.09.2010 (vgl. Bl. 208 d.A. im Absatz 4/Übersetzung auf Platz 209 d.A.) ergebe. Anhaltspunkte für ein detailliertes Bestreiten, dass Aufstockungsbeträge in Frankreich einer Versteuerung unterliegen, seien aus dem Sachverhalt und dem Vortrag der Beklagten hiernach nicht mehr zu erkennen. Im Übrigen müsse die Versteuerung von Einkommen grundsätzlich als der Normalfall betrachtet werden. Es gebe einen konkreten Nachteil für die Grenzgänger bei Berücksichtigung einer fiktiven Lohnsteuer darin, dass die Summe aus Altersteilzeit-Nettovergütung zzgl. Aufstockungsbetrag dann einen niedrigeren Prozentsatz des früheren Vollzeit-Nettoarbeitsverdienstes ausmachen würde als bei Arbeitnehmern mit Inlandsversteuerung. Als Nachteil könne allerdings für die Grenzgänger nicht anerkannt werden, dass diese insgesamt etwa eine geringere steuerliche Belastung als Grenzgänger in Altersteilzeit hätten, weil die Ursache in den unterschiedlichen Steuersystemen beider Länder (Frankreich und Deutschland) zu sehen sei. Es sei auch kein sachlicher Grund für eine Benachteiligung der Grenzgänger erkennbar. Nach den Ausführungen des EuGH in seiner "M."-Entscheidung stellten nämlich weder der höhere Verwaltungsaufwand noch der höhere Kostenaufwand auf Arbeitgeberseite schlagkräftige Argumente dar.
Das Arbeitsgericht führt weiter aus, dass auch keine Berücksichtigung der französischen Lohnsteuer bei der Berechnung des Aufstockungsbetrages zum Altersteilzeitentgelt an französische Grenzgänger erfolgen müsse. Entsprechend dem oben zitierten Urteil des BAG vom 10.03.2005, welches nach der eigenen Vorlage Entscheidung an den EuGH und die dortige "M."-Entscheidung erlassen wurde, müsse eine Regelungslücke infolge der fehlenden Anwendbarkeit einer Tarifnorm wegen Europarechtswidrigkeit unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens der Tarifvertragsparteien ausgefüllt werden. Bei der Überbrückungsbeihilfe in dem vom BAG zu entscheidenden Fall sei nur dann ein Ausgleich zu den Leistungen der Bundesagentur für Arbeit zu entrichten, wenn die Berechnungsgrundlage ohne Abzug der fiktiven deutschen Lohnsteuer der Berücksichtigung der fiktiven Lohnsteuer, die bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Frankreich zu entrichten wäre, unterliege. Im Unterschied zur Überbrückungsbeihilfe handele es sich aber beim hier gewählten Ausgleich bei der Aufstockung des Altersteilzeitentgelts um einen nettolohnbezogenen Ausgleich. Ein solcher sei nur dann zu erreichen, so das Arbeitsgericht, wenn bei den Grenzgängern auch die französische Lohnsteuer nicht berücksichtigt werde.
Hinsichtlich der Höhe, des von der Beklagten zu entrichtenden weiteren Aufstockungsbetrages zum Altersteilzeitentgelt, habe die Beklagte ohne Einbezug eines steuerlichen Abzuges monatlich einen um 141,82 EUR höheren Betrag an den Kläger zu zahlen.
Zunächst sei der Ansatz des Klägers fehlerhaft, nach dem ein bestimmter Prozentsatz, nämlich 85 % zzgl. 8 % aus dem früheren Nettoentgelt während des vollzeitig durchgeführten Arbeitsverhältnisses als Aufstockungsbetrag zu erreichen sei. Es gebe nämlich keinen Rechtsanspruch auf einen bestimmten Prozentsatz des früheren Nettoentgelts. Ein solcher Ansatz befinde sich nicht im TV ATZ vom 23.11.2004, auch nicht in der Betriebsvereinbarung Altersteilzeit vom 20.04.2005 und letztlich auch nicht im Altersteilzeitvertrag vom 28.03.2006. Nirgends sei das früheren Nettoentgelt erwähnt. Es werde vielmehr von einem Brutto-Aufstockungs- Prozentsatz gesprochen, sodass der Bezug auf das Altersteilzeit-Bruttoentgelt, nicht jedoch auf das Altersteilzeit-Nettoentgelt gegeben sei. Die Berechnung des monatlichen Aufstockungsbetrages ergebe sich nach den Regelungen in der Betriebsvereinbarung und wortgleich im Altersteilzeitvertrag nach folgender Formel:
Aufstockungsbetrag = Bruttoaufstockungsprozentsatz x ATZ-Bruttoentgelt
Bruttoaufstockungsprozentsatz = [Nettoentgeltdifferenz x 100 / ATZ-Bruttoentgelt] + 8 %-Punkte
Nettoentgeltdifferenz = ATZ-Mindestnettoentgelt - ATZ-Nettoentgelt
Damit ermittele sich letztlich der o.g. zusätzliche monatlich von der Beklagten an den Kläger zu zahlende Aufstockungsbetrag in Höhe von 141,82 EUR wie folgt:
VZ-Bruttoentgelt |
2.676,19 EUR |
||
SozV.-Beiträge |
|||
LSt. |
0,00 EUR |
||
KV (6,80 %) |
181,98 EUR |
||
ZusBeitr zur KV AN |
24,09 EUR |
||
RV (9,75 %) |
260,93 EUR |
||
AV (3,25 %) |
86,98 EUR |
||
PV (0,85 %) |
22,75 EUR |
||
576,73 EUR |
- 576,73 EUR |
||
= 2.099,46 EUR |
|||
hiervon 85 % |
= 1.784,54 EUR |
||
Damit Differenz zwischen ATZ-Mindestnettoentgelt |
1.784,54 EUR |
||
und gez. ATZ-Nettoentgelt (Bl. 101 d.A.) |
- 1.059,53 EUR |
||
= 725,01 EUR |
|||
Damit ermittelt sich der Bruttoaufstockungs-Prozentsatz wie folgt: |
|||
62,12 % = |
725,01 EUR x 100
-----------------1.339,39 EUR br. |
= 54,12 % + 8 %-Punkte |
|
Errechnung des Aufstockungsbetrages |
|||
62,12 % v. 1.339,39 EUR |
= 832,02 EUR |
||
Danach ermittelt sich der zus. Aufstockungsbetrag wie folgt |
|||
ATZ-Nettoentgelt |
+ Aufstockungsbetrag |
||
1.059,53 EUR ** |
+ 832,02 EUR |
= 1.891,55 EUR |
|
abzgl. gez. Gesamtbetrag |
- 1.749,73 EUR |
||
Differenz |
= 141,82 EUR |
Nach der rechtlichen Bewertung des Arbeitsgerichts in seinem Urteil sind geltend gemachte weitere Aufstockungsbeträge in Höhe von 141,82 EUR pro Monat für den Zeitraum April 2009 bis Oktober 2009 wegen des Eingreifens der tarifvertraglichen Ausschlussklausel und der Nichteinhaltung der dort genannten Geltendmachungsfrist verfallen. Insoweit wurde das Urteil keiner Überprüfung durch die Berufung durch Anträge der Parteien zugeführt.
Die Beklagte und Berufungsklägerin hat ihre eingelegte Berufung zunächst erneut damit begründet, dass ihrer Ansicht nach kein Anspruch auf einen weiteren Aufstockungsbetrag ohne Berücksichtigung deutscher oder französischer auf Arbeitseinkommen zu entrichtenden Steuern zu erfolgen habe. Insoweit wiederholt sie im Wesentlichen die Darstellungen aus ihrem erstinstanzlichen Vorbringen und rechtfertigt die Verwendung der Mindestnettobetrag-Tabelle. Dies ergebe sich daraus, dass in § 16 Absatz 1 des Altersteilzeitarbeitsvertrags auf die ergänzende Geltung der gesetzlichen und tariflichen Regelungen sowie die Bestimmungen der Betriebsvereinbarung zur Altersteilzeit vom 20.04.2005 in der jeweils gültigen Fassung verwiesen worden sei. Damit sei dann auch ein Rückgriff auf § 3 Absatz 1 Nr. 1 a ATG sowie § 7 TV-ATZ mit seinem Verweis auf § 6 Absatz 1 ATG in der bis zum 30.06.2004 gültigen Fassung gerechtfertigt. Hierüber habe man Ende 2005 Anfang 2006 mehrere Informationsveranstaltungen durchgeführt sowie eine entsprechende Infobroschüre "Altersteilzeit ein alternativer Weg in den Ruhestand - die Regelungen bei F." (vgl. Bl. 273-285 d.A.) mit Beispielrechnungen ausgehändigt. Es habe Einzelgespräche mit interessierten Mitarbeitern mit einer Vorab-Aushändigung einer detaillierten Berechnung, insbesondere bezüglich der Berechnung des Bruttoaufstockungsbetrages gegeben. Unter dem 13.03.2006 habe auch der Kläger seine (unverbindliche) Altersteilzeitvergütungs-Berechnung (vgl. Bl. 286 d.A.) erhalten. Am 16.03.2006 sei das Beratungsgespräch mit dem Kläger durchgeführt worden (vgl. Bl. 287 [Seite 1], 288-289 [Seite 3 und Seite 4] d.A.). Die Zweifel des Arbeitsgerichts in seinem Urteil hinsichtlich der steuerlichen Behandlung seien unbegründet, da keine Auslegung des Altersteilzeitarbeitsvertrags oder des TV-ATZ dahingehend geboten sei, dass gerade keine fiktive deutsche Lohnsteuer anzuwenden sei bei Arbeitnehmern, bei denen das Recht zur Besteuerung nach dem Doppelbesteuerungsabkommen einem anderen Staat, hier also Frankreich, zusteht. Die Regelungen in § 5 Nr. 2 Altersteilzeitarbeitsvertrag sowie unter Ziffer 4.3 der Gesamtbetriebsvereinbarung-Altersteilzeit sowie des § 7 TV ATZ seien abschließend. Sie beinhalteten keine Sonderregelung für Grenzgänger.
Auch sehe die Beklagte und Berufungsklägerin keinen Anspruch aufgrund europarechtskonformer Auslegung des Altersteilzeit-Arbeitsvertrags, der Gesamtbetriebsvereinbarung-Altersteilzeit oder des TV-ATZ. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang zunächst weitere Ausführungen zur Bedeutung von Artikel 45 Absatz 2 ARUV als Spezialnorm sowie zum Grundsatz aus Artikel 7 Absatz 4 VO EWG Nr. 1612/68 gemacht. Sie kam dabei zum Ergebnis dass das Vorenthalten von Steuervergünstigungen sich nicht als mittelbare Diskriminierung darstelle. Die Ungleichbehandlung sei eine Folge des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und Frankreich auf Grundlage der unterschiedlichen Steuersysteme. Aufstockungsbeträge gemäß § 3 Absatz 1 Nr. 1 a ATG seien in Deutschland auch bei mehr als 20 % des Arbeitsentgelts während der Altersteilzeit zu 100 % des zuletzt bezogenen Nettoarbeitsentgelts nach der Lohnsteuerrichtlinie 3.28 Absatz 3 (§ 3 Nr. 28 Einkommensteuergesetz) steuerfrei. Sie unterlägen lediglich dem Progressionsvorbehalt nach § 32 b Absatz 1 Nr. 1 g Einkommensteuergesetz, wobei dies erst durch das Finanzamt im Rahmen der obligatorischen Veranlagung zur Einkommensteuer gemäß § 46 Absatz 2 Nr. 1 Einkommensteuergesetz erfolge. Demgegenüber blieb die Beklagte zunächst dabei, ihr Bestreiten zu wiederholen, wonach Aufstockungsbeträge in Frankreich steuerpflichtig seien. Das Schreiben der Generaldirektion für öffentliche Finanzen in Paris vom 15.10.2010 (vgl. Bl. 208, 209 d.A.) treffe nur eine Aussage dahingehend, dass die französische Gesetzgebung nicht vorsehe, dass diese Art der Vergütung nicht steuerpflichtig sei. Entsprechende Steuererklärungen oder Steuerbescheide habe der Kläger nicht vorgelegt, aus denen sich die Steuerpflichtigkeit des Aufstockungsbetrages dezidiert entnehmen lasse.
Die Beklagte hat ihren Vortrag insofern mit Schriftsatz vom 14.02.2014 (vgl. Bl. 415-417 d.A.) teilweise zurückgenommen und inhaltlich verändert unter dem Eindruck der Vorlageentscheidung des EuGH vom 28.03.2012 (Aktenzeichen: "E." C-172/11 in NZA 2012, Seite 863-866) auf eine entsprechende Vorlage des Arbeitsgerichts Ludwigshafen Auswärtige Kammern Landau (5 CA 427/10 - G. E. ./. D. AG - Werk W.). Nunmehr geht auch die Beklagte davon aus, dass ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz in Artikel 45 AEUV und Artikel 7 der VO (EWG) Nummer 1612/68 dann anzunehmen sei, wenn Grenzgänger in der Altersteilzeit einen Betrag erhalten, der deutlich unterhalb 85 % ihres bisherigen Nettoeinkommens liegt. Die fiktive Zugrundelegung des deutschen Lohnsteuergesetzes bei Grenzgängern habe dem EuGH nach zur Folge, dass der gezahlte Betrag, anders als im allgemeinen bei Arbeitnehmern mit Wohnsitz in Deutschland, nicht etwa 85 % des bisherigen Nettovollzeiteinkommens entspricht (vgl. Rn. 44 und 45 des EuGH-Urteils). Zur Vermeidung der Ungleichbehandlung sei es also erforderlich, dass der Kläger als Grenzgänger eine Vergütung bestehend aus Altersteilzeitentgelt zzgl. Aufstockungsbetrag in Höhe von 85 % seines bisherigen Nettovollzeiteinkommens erhalte. Die bisherige Zahlung der Beklagten erfülle diese Voraussetzung weitestgehend, wobei nach einer neuerlichen Berechnung maximal eine Differenz bis zu 34,82 EUR/Monat zugunsten des Klägers überhaupt entstehen könnte. Demgegenüber führe der vom Arbeitsgericht Saarlouis ausgerichtete Betrag allerdings zu einer Zahlungsverpflichtung der Beklagten gegenüber dem Kläger in Höhe von 90,1 % des letzten Nettovollzeitentgelts vor Eintritt in die Altersteilzeit.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Saarlouis vom 19.10.2010 - 1 Ca 1101/09 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte sieht in der Anwendung des Bruttoaufstockungsmodells einen verfehlten Ansatz der Beklagten, da zwischen den Parteien ein Nettoaufstockungsmodell vereinbart sei seiner Ansicht nach. Aus § 5 Absatz 2 des Altersteilzeitarbeitsvertrages ergebe sich nämlich, dass der Bruttoaufstockungsprozentsatz so zu bemessen sei, dass das monatliche Nettoentgelt während der Altersteilzeit mindestens 85 % des doppelten Regelarbeitsentgelts/Altersteilzeitentgelts beträgt. Zwar sei im Kalenderjahr 2004 gesetzlich im Altersteilzeitgesetz vom Nettomodell auf das Bruttomodell umgestellt worden. Bei der Beklagten habe man sich aber bewusst für die weitere Anwendung des Nettomodells entschieden. Insoweit sei es durchaus von Bedeutung, dass dem Kläger eine Nettozusage gegeben worden sei, sodass die Frage der Auslegung des Begriffs "gesetzliche Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen" zu klären sei. Bei Grenzgängern müsse dabei Berücksichtigung finden, dass diese in Deutschland überhaupt nicht mit ihrem Arbeitseinkommen steuerpflichtig seien, so dass der Begriff "gewöhnlich" gerade keine Unterwerfung des Einkommens unter die deutsche Lohnsteuer vorsehe. Der Kläger geht weiter davon aus, dass die Anwendung einer fiktiven Steuer europarechtswidrig sei. Insoweit würde ein Verstoß gegen Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 sowie gegen Artikel 39 EG [Ergänzung des Gerichts: jetzt Artikel 45 AEUV] bei Anwendung deutscher Lohnsteuer vorliegen. Die Steuerlast des Klägers habe für das Kalenderjahr 2006, also im Jahr des Beginns der Altersteilzeit, als Grenzgänger zusammen mit dem Einkommen seiner Ehefrau 5,13 % betragen.Nach Überzeugung des Klägers habe das EuGH Urteil vom 28.06.2012 - C-172/11 - [E.] eine Klarstellung gebracht, dass Bestimmungen, die eine Unterwerfung der Berechnung des Aufstockungsbetrages unter Zugrundelegung einer fiktiven deutschen Lohnsteuer vorsehen, entsprechend der auch hier vom Kläger vertretenen Auffassung einen Verstoß gegen Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 darstellen, sodass diese Bestimmungen nichtig seien. Allerdings habe die Auslegung des EuGH dazu geführt, dass den Mitgliedstaaten und Sozialpartnern nach Artikel 45 AEUV und den Bestimmungen der VO (EWG) Nr. 1612/68 eine freie Wahl unter verschiedenen Lösungen offen bleibt, die zur Verwirklichung des jeweiligen Zieles der Bestimmungen geeignet sind. Wollte man die fiktive deutsche Lohnsteuer auf einen in Deutschland nicht steuerpflichtig Grenzgänger zur Anwendung bringen, führte dies dazu, dass er weniger als 85 % seines bisherigen Nettoeinkommens aus der Zeit vor Beginn der Altersteilzeit vom Arbeitgeber gezahlt bekäme. Daraus ergebe sich dann aber eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Wohnorts. Diese Auslegung des EuGH führen nach Auffassung des Klägers in seinem Fall dazu, dass zunächst die Zusage aus dem Altersteilzeitvertrag insoweit wirksam sei, wonach eine Nettoaufstockung zu erfolgen habe auf 85 % der pauschalierten monatlichen Nettovergütung. Hierauf seien dann weitere 8 % zu leisten, wenn die Beitragsbemessungsgrenze nicht überschritten werde. Dabei müsse allerdings nach Meinung des Klägers der Aufstockungsbetrag ohne Berücksichtigung einer fiktiven Steuer ermittelt werden. Ein Gebrauchmachen der Sozialpartner von der Möglichkeit, eine mit dem Europarecht vereinbare Lösung zu finden, sei bisher nicht zu verzeichnen. Mit dem Urteil des BAG vom 10.03.2005 - 6 AZR 317/01 - im Fall "M." seien die dortigen Grundsätze auch hier anzuwenden. Die Regelungslücke als Folge der Nichtigkeit der vereinbarten Vorgaben müsse demnach anhand des mutmaßlichen Willens der Tarifvertragsparteien ausgefüllt werden. In solchen Diskriminierungsfällen habe das BAG in seinem Urteil vom 10.11.2011 - 6 AZR 481/09 - (in NZA-RR 2012, Seite 100-106) eine Anpassung "nach oben" vorgenommen. Dies könne allerdings nur dann erreicht werden, wenn man völlig ohne Anwendung einer fiktiven landesspezifischen Steuer die Höhe des Aufstockungsbetrages errechnet. Diesen Weg habe auch das LAG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 02.07.2013 (Aktenzeichen 16 Sa 18/13 - Rev.-Aktenzeichen d.BAG 5 AZR 821/13) im Zusammenhang mit der Frage der Rechnung des Krankengeldzuschusses für französische Grenzgänger unter Geltung des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Baden-Württemberg so entschieden. Sollte man allerdings zum Ergebnis gelangen, dass französische Steuer zu berücksichtigen sei, dann müsste nach Überzeugung des Klägers dabei beachtet werden, dass nur das Einkommen des Klägers, nicht aber dasjenige seiner Ehefrau mit in die Berechnungen einzufließen habe.
Das Landesarbeitsgericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 27. September 2014 (vgl. Bl. 509-510 d.A.) ein steuerliches Gutachten, bei einer auf Fragen der einkommensmäßigen Behandlung von Grenzgängern im Bereich des Doppelbesteuerungsabkommens mit Frankreich spezialisierte Steuerberaterin eingeholt, um so den jeweils jährlich neu festzusetzenden in Frankreich auf das Einkommen des Klägers zu entrichtenden Steuersatz ermitteln zu lassen für den Zeitraum der Altersteilzeit. Im Rahmen des Steuergutachtens vom 26.11.2014 (vgl. Bl. 514, 515-518 mit Berechnungstabellen Bl. 519-526 d.A.) ergab sich folgende steuerliche Situation des Klägers in Frankreich:
frz.St./Mo. |
frz. Steuersatz |
||
2006 |
Bl. 523, 524 d.A. |
156,83 EUR |
8,39 % |
2007 |
Bl. 525, 526 d.A. |
160,25 EUR |
8,41 % |
2008 |
Bl. 527, 528 d.A. |
157,67 EUR |
8,26 % |
2009 |
Bl. 529, 530 d.A. |
155,75 EUR |
8,21 % |
2010 |
Bl. 531, 532 d.A. |
155,08 EUR |
8,14 % |
2011 |
Bl. 533, 534 d.A. |
154,08 e |
8,12 % |
2012 |
Bl. 535, 536 d.A. |
154,58 EUR |
8,13 % |
Im Hinblick auf den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen in beiden Instanzen sowie auf die jeweiligen Sitzungsprotokolle des Arbeitsgerichts wie des Landesarbeitsgerichts und auf das Urteil des Arbeitsgerichts Bezug genommen.