HI15111192

Hessisches FG Gerichtsbescheid vom 15.12.2021 - 9 K 133/21

Revision zugelassen durch das FG

Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [I R 1/22)]

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats Deutschland bei durch Schweizer Arbeitgeber gezahlten Arbeitslohn für unwiderrufliche Freistellungsphase des in Deutschland ansässigen Arbeitnehmers

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Leitsatz (redaktionell)

  1. Nimmt ein Ehegatte in einem von ihm angestrengten außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren den vorherigen Antrag auf Einzelveranlagung zurück, ist gegen die an beide Ehegatten gerichteten Einspruchsentscheidung, die die Einzelveranlagungsbescheide aufhebt, die Eheleute erstmals zusammenveranlagt und den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurückweiset, nicht der Einspruch, sondern nur die Klage statthaft; dies gilt für beide Eheleute.
  1. Verbringt ein nicht als Grenzgänger i.S.d. Art. 15a DBA-Schweiz in der Schweiz bei einem Schweizer Arbeitnehmer tätiger Arbeitnehmer Krankheitstage im Ansässigkeitsstaat Deutschland, steht für den auf die Krankheitstage entfallenden Arbeitslohn das Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat Deutschland und nicht dem Tätigkeitsstaat Schweiz zu.
  1. Nach Art. 15 DBA-Schweiz unterliegt der „Arbeitslohn” für den Zeitraum einer unwiderruflichen Freistellung des in Deutschland ansässigen Arbeitnehmer der Besteuerung im Ansässigkeitsstaat Deutschland; dem früheren Tätigkeitsstaat Schweiz steht insoweit keine Besteuerungsrecht zu.
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Normenkette

DBA CHE Art. 15; AO § 348

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Streitjahr(e)

2016

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Nachgehend

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Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, inwieweit von einem Schweizer Arbeitgeber bezogene Lohneinkünfte der inländischen Besteuerung unterliegen.

Der Kläger zu 1. war seit dem Jahr 2011 als Außendienstmitarbeiter bei einem Schweizer Unternehmen mit Sitz in A (Kanton ) beschäftigt. Im Arbeitsvertrag wurde vereinbart, dass der Kläger zu 1. seine Arbeitspflicht in A erfülle, wobei seine Tätigkeit eine häufige Reisetätigkeit erfordere. Falls es die Erfüllung der vertraglich übernommenen Aufgaben ausnahmsweise oder periodisch erfordere, erbringe der Kläger zu 1. seine Arbeitsleistung auch an einem anderen Ort. Des Weiteren wurden 25 Urlaubstage pro Kalenderjahr vereinbart; bei unterjährigem Austritt sollte der Urlaub anteilsmäßig gewährt werden. Mit Nachtrag vom 23.12.2011 wurde vereinbart, dass Dienstsitz des Klägers zu 1. ab dem 01.01.2012 im Homeoffice an dessen jeweiligem Wohnsitz sei; seine Arbeitsleistung habe er im zugewiesenen Verkaufsgebiet zu erbringen (vgl. Bl. 37 ff. Gerichtsakte).

Der Kläger zu 1. verfügte seit Beginn seiner Tätigkeit in der Schweiz stets nur über einen deutschen Wohnsitz.

Mit Schreiben vom 26.04.2016 kündigte der Schweizer Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu 1. zum 31.10.2016 und stellte ihn mit sofortiger Wirkung unwiderruflich von seiner Arbeitsverpflichtung frei unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts; das im Arbeitsvertrag ursprünglich vereinbarte Konkurrenzverbot wurde für hinfällig erklärt (vgl. Bl. 44 f. Gerichtsakte). Der Kläger zu 1. erhielt im Streitjahr 2016 von seinem Schweizer Arbeitsgeber noch (Brutto-)Lohn i.H.v. insgesamt 131.895,-- CHF. Darin enthalten war eine Abfindung i.H.v. 30.148,25 CHF (vgl. Bl. 46 f. Gerichtsakte). Bis zum Tag der Freistellung (27.04.2016) verbrachte der Kläger im Streitjahr elf Arbeitstage in der Schweiz und 52 Arbeitstage in Deutschland; der Rest entfällt auf Wochenenden sowie Urlaubs-, Krankheits- und Feiertage. In diesem Zeitraum kehrte der Kläger zu 1. außerdem an 22 Arbeitstagen aufgrund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurück (vgl. Bl. 9 f. der Einkommensteuerakte 2016).

Der Kläger zu 1. machte in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr, mit welcher er Einzelveranlagung beantragte, steuerfreien Arbeitslohn nach einem Doppelbesteuerungsabkommen --DBA-- i.H.v. 98.525,-- EUR geltend. Dieser Betrag ergab sich aus dem vom Kläger zu 1. erklärten Bruttoarbeitslohn i.H.v. 106.835,-- EUR und dem darauf angewendeten Verhältnis von angeblich 166 Arbeitstagen, für welche der Schweiz das Besteuerungsrecht zustehe, zu insgesamt 180 tatsächlichen Arbeitstagen im Streitjahr (vgl. Bl. 5, 10 f. der Einkommensteuerakten 2016).

Der Beklagte folgte dem mit Einkommensteuerbescheid vom 30.08.2019 (vgl. Bl. 42 ff. der Einkommensteuerakten) nicht. Er nahm vielmehr an, dass der während des Zeitraums der Freistellung bezogene Arbeitslohn dem deutschen Besteuerungsrecht unterliege. Ausgehend von einem Umrechnungskurs zum 30.09.2015 i.H.v. 100,-- CHF = 91,88 EUR teilte der Beklagte den Bruttoarbeitslohn i.H.v. 121.193,-- EUR unter Berücksichtigung von nur elf in der Schweiz verbrachten Arbeitstagen auf in einen Betrag i.H.v. 11.447,-- EUR, der unter Progressionsvorbehalt von der deutschen Steuer freizustellen sei, und in einen Betrag i.H.v. 109.746,-- EUR, der vollständig der deutschen Einkommensteuer unterliege (vgl. Schreiben des Beklagten vom 30.04.2019, Bl. 37 f. der Einkommensteuerakten 2016).

Der Kläger zu 1. legte dagegen Einspruch ein. In seiner Einspruchsbegründung vom 04.09.2019 (vgl. Bl. 50 der Einkommensteuerakten 2016) akzeptierte der Kläger zu 1. zunächst die vom Beklagten vorgenommene Aufteilung und begehrte nur die Berücksichtigung der in der Schweiz gezahlten Altersvorsorgebeiträge und der in der Schweiz vom Lohn einbehaltenen Quellensteuer sowie die Anwendung der Fünftelregelung im Hinblick auf die erhaltene Abfindung. Im Übrigen beantragte er die Zusammenveranlagung mit der Klägerin zu 2., gegenüber der bereits am 09.07.2018 ein Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr ergangen war.

Im Laufe des Einspruchsverfahrens kam der Kläger zu 1. jedoch zu der Auffassung, dass der auf die Freistellungsphase entfallende Lohn nur in der Schweiz besteuert werden könne. Der Antrag auf Zusammenveranlagung wurde nur für den Fall aufrechterhalten, dass der Beklagte bei seiner Auffassung bleiben sollte.

Mit Einspruchsentscheidung vom 23.12.2020 hob der Beklagte den Einkommensteuerbescheid vom 30.08.2019 auf und erließ gegenüber den Klägern einen neuen Zusammenveranlagungsbescheid (vgl. Bl. 92 ff. der Einkommensteuerakten 2016). In diesem berücksichtigte er die Schweizer Altersvorsorgebeiträge als Sonderausgaben. Er blieb jedoch bei seiner Ansicht, dass der während der Freistellungsphase zugeflossene Lohn nur dem deutschen Besteuerungsrecht unterliege und dementsprechend auch eine Anrechnung der Schweizer Steuer ausscheide. Im Übrigen wandte der Beklagte auch nicht die Fünftelregelung auf die Abfindung an.

Hiergegen haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben. Im Verlauf des Klageverfahrens haben sich die Beteiligten in verschiedenen Punkten geeinigt:

- Der Beklagte hat den Klägern zugestimmt, dass entgegen dem bisher von ihm angewandten Umrechnungskurs von 100 CHF = 91,88 EUR entsprechend § 33a Abs. 1 Satz 8 Einkommensteuergesetz --EStG-- der Umrechnungskurs datierend vom 30.09.2015 anzuwenden ist, welcher 100 CHF = 91,61 EUR beträgt.

- Die Beteiligten sind sich einig, dass der Kläger zu 1. bis zu seiner Freistellungsphase unter Berücksichtigung von jeweils sechs Urlaubs- und Krankheitstagen effektiv 63 Tage gearbeitet hat, wovon 52 Tage auf eine Tätigkeit in Deutschland und 11 Tage auf eine Tätigkeit in der Schweiz entfielen. Die Beteiligten gehen des Weiteren von 208 Soll-Arbeitstagen im Zeitraum Januar-Oktober 2016 (Bestehen des Arbeitsverhältnisses des Klägers zu 1.) aus. Ausgehend von einem Bruttoarbeitslohn i.H.v. 131.895,-- CHF abzüglich der erhaltenen Abfindung i.H.v. 30.148,25 CHF ergibt sich demnach ein rechnerischer Tageslohn i.H.v. 489,17 CHF, sodass (52 x 489,17 CHF =) 25.436,69 CHF (= 23.302,55 EUR) in Deutschland zu versteuern sind und (11 x 489,17 CHF =) 5.380,84 CHF (= 4.929,39 EUR) unter Anwendung des Progressionsvorbehaltes freizustellen sind.

- Die Beteiligten sind sich einig, dass die vom Kläger zu 1. noch vor seiner Freistellung in Anspruch genommenen sechs Urlaubstage entsprechend der im vorigem Punkt dargestellten Aufteilung zu verteilen sind. Dabei gehen die Beteiligten davon aus, dass dem Kläger zu 1. entsprechend der arbeitsvertraglichen Regelung im Streitjahr anteiliger Urlaub von insgesamt 21 Tagen zustand (25 Urlaubstage x 10/12). Ausgehend von dem im vorigen Punkt dargestellten rechnerischen Tageslohn i.H.v. 489,17 CHF = 448,13 EUR ergibt sich ein Entgelt für die sechs Urlaubstage i.H.v. 2.688,76 EUR, von dem 2.219,29 EUR (52 Tage/63 Tage, s.o.) in Deutschland zu versteuern sind und 469,47 EUR (11 Tage/63 Tage, s.o.) unter Anwendung des Progressionsvorbehaltes freizustellen sind.

- Entsprechend sind sich die Beteiligten einig, den Arbeitslohn für die sechs Krankheitstage aufzuteilen, d.h. diesbezüglich sind ebenfalls 2.219,29 EUR in Deutschland zu versteuern und 469,47 EUR unter Anwendung des Progressionsvorbehaltes freizustellen.

- Hinsichtlich der erhaltenen Abfindung i.H.v. 30.148,25 CHF sind sich die Beteiligten einig, dass der Betrag gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 und 3 Deutsch-Schweizerische Konsultationsvereinbarungsverordnung --KonsVerCHEV-- nach den Orten aufzuteilen ist, von wo der Kläger zu 1. seine Tätigkeit seit Beginn ausgeübt hatte. Demnach ergibt sich eine Besteuerung in Deutschland i.H.v. 21.941,22 CHF = 20.100,36 EUR und eine Freistellung unter Anwendung des Progressionsvorbehaltes i.H.v. 8.207,03 CHF = 7.518,45 EUR (wegen der Einzelheiten wird auf die Berechnung des Beklagten in dessen Schriftsatz vom 26.02.2021 verwiesen, vgl. Bl. 54 f. Gerichtsakte). Die

Beteiligten sind sich außerdem einig, dass die Abfindungsleistung unter Anwendung der Fünftelregelung des § 34 Einkommensteuergesetz --EStG-- zu versteuern ist.

Im Übrigen sind die Kläger weiterhin der Ansicht, dass der Lohn, der auf die Freistellungsphase entfällt ([208 Sollarbeitstage ./. 63 effektive Arbeitstage ./. 6 in Anspruch genommene Urlaubstage ./. 6 Krankheitstage =] 133 Tage x 489,17 CHF [s.o.] = 57.721,71 CHF = 52.878,86 EUR), unter Anwendung des Progressionsvorbehaltes von der deutschen Einkommensteuer freizustellen sei. Unter Bezugnahme auf eine Stimme in der Literatur (Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl. 2021, Art. 15 OECD-Musterabkommen --MA-- Rn. 71 a.E.) und auf ein Urteil des Finanzgerichts --FG-- München (vom 12.09.2018 - 15 K 1010/18, EFG 2019, 1658; Revision beim Bundesfinanzhof --BFH-- anhängig unter dem Az. I R 32/19) gehen sie davon aus, dass in Fällen, in denen die Arbeitsleistung vom Arbeitgeber nicht in Anspruch genommen werde, der Arbeitnehmer also für sein Nichtstun bezahlt werde, ein Unterlassen Vertragsgegenstand sei, so dass auf den Ort abzustellen sei, wo nach dem Arbeitsvertrag die Arbeit hätte ausgeübt werden müssen. Da nach dem Arbeitsvertrag der Arbeitsort des Klägers zu 1. in A (Schweiz) gewesen sei und er dort auch “in den Betrieb eingegliedert” i.S.d. § 6 KonsVerCHEV gewesen sei, stehe der Schweiz das Besteuerungsrecht für den Lohn, der auf die Freistellungsphase entfalle, zu.

Die Kläger haben beantragt,

den Bescheid für 2016 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer und Zinsen dahingehend zu ändern, dass Einkünfte aus unselbständiger Tätigkeit (Ehemann) mit 47.841,-- EUR als in Deutschland steuerpflichtig angesetzt werden, hiervon 20.100,36 EUR nach § 34 Abs. 1 EStG zu versteuern, sowie 66.972,-- EUR als steuerfrei unter Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen,

die Zinsfestsetzungen aufzuheben,

festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Einspruchsverfahren notwendig war.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen,

die Kosten des Verfahrens den Klägern aufzuerlegen.

Der Beklagte hat am 09.08.2021 einen Änderungsbescheid erlassen, in dem der die oben genannten – nunmehr zwischen den Beteiligten unstreitigen – Punkte berücksichtigt hat. Zusätzlich hat er noch einen Teil des Arbeitslohnes, der auf die im Streitjahr nicht mehr in Anspruch genommenen Urlaubstage entfällt (insgesamt 15 Tage x 489,17 CHF [s.o.] = 7.337,55 CHF = 6.721,89 EUR), unter Anwendung des Progressionsvorbehaltes freigestellt.

Dabei ist er davon ausgegangen, dass diese Tage entsprechend der tatsächlichen Arbeitsausübung während der Tätigkeitsphase aufzuteilen sind, sodass er einen Betrag i.H.v. 1.173,67 EUR freigestellt hat (11/63 [s.o.] x 6,721,89 EUR). Im Übrigen bleibt der Beklagte bei seiner Auffassung, dass der auf den Zeitraum der Freistellung entfallende Arbeitslohn der deutschen Besteuerung unterliege.

Dem Senat haben zwei Bände Einkommensteuerakten vorgelegen.

Das Verfahren hinsichtlich der Zinsfestsetzung ist durch Beschluss des Senates abgetrennt worden.