HI9197185

BAG Urteil vom 22.10.2015 - 2 AZR 550/14

HI9197185_1

Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordentliche Änderungskündigung zur Herabgruppierung bei krankheitsbedingter Leistungsminderung. Ordentliche Änderungskündigung. krankheitsbedingte Leistungsminderung

HI9197185_2

Orientierungssatz

1. Eine ordentliche Änderungskündigung kann sozial gerechtfertigt sein, wenn die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers krankheitsbedingt gemindert ist und seine verbliebene Arbeitsleistung die berechtigten Erwartungen des Arbeitgebers von der Gleichwertigkeit der beiderseitigen Leistungen in einem Maße unterschreitet, dass diesem ein Festhalten an dem (unveränderten) Arbeitsvertrag unzumutbar ist. Dafür bedarf es einer gravierenden Störung des Äquivalenzgefüges. Eine lediglich geringfügige – qualitative oder quantitative – Minderleistung reicht nicht aus.

2. Das gilt auch im Anwendungsbereich einer tarifvertraglichen Regelung, die für die Zuweisung einer „Position”, nach der sich die Höhe der Vergütung bemisst, voraussetzt, dass der Arbeitnehmer im Rahmen der Position bzw. der ihr entsprechenden Tätigkeit in bestimmtem Umfang „einsetzbar” ist. Eine solche Regelung kann grundsätzlich nicht dahin verstanden werden, dass die „Einsetzbarkeit” und damit die Berechtigung zum Innehaben der fraglichen Position unmittelbar vom gesundheitlichen Leistungsvermögen des Arbeitnehmers abhängen soll.

HI9197185_3

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2, § 2; GewO § 106 S. 1; ArbGG § 64 Abs. 6 S. 1; ZPO § 238 Abs. 3, § 525; Tronc- und Gehaltstarifvertrag für die Arbeitnehmer der Gruppe A der Spielbank Wiesbaden vom 8. Januar 2001 (gültig ab 1. Januar 2000) § 5 I Nrn. 7-9, § 6 Abs. 1-2, § 7

HI9197185_4

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 01.07.2014; Aktenzeichen 13 Sa 925/12)

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 10.05.2012; Aktenzeichen 5 Ca 9/12)

HI9197185_5

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 1. Juli 2014 – 13 Sa 925/12 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 10. Mai 2012 – 5 Ca 9/12 – abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen des Klägers gemäß der Kündigung vom 20. Dezember 2011 sozial ungerechtfertigt ist.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

HI9197185_6

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Änderungskündigung.

Die Beklagte betreibt eine Spielbank. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. In ihrem Betrieb besteht ein Betriebsrat. Der 1955 geborene Kläger ist bei ihr seit August 1980 als Croupier tätig. Er ist mit einem Grad der Behinderung von 40 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die bei der Beklagten geltenden Haustarifverträge Anwendung. Im Tronc- und Gehaltstarifvertrag für die Arbeitnehmer der Gruppe A (TG-TV) in seiner hier maßgeblichen, seit dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung ist – auszugsweise – geregelt:

§ 5 Stellenbeschreibung und Stellenbegrenzung

Die nachfolgend beschriebenen Tätigkeiten sind in der Regel in den Räumlichkeiten der Spielbank auszuüben. …

Die nachfolgenden Tätigkeitsbeschreibungen sind nicht abschließend, sondern zeigen lediglich die Hauptaufgaben der jeweiligen Position.

Die in [] angegebenen Zahlen geben die maximal zu besetzenden Stellen an. Die Gesamtzahl aller Stellen wird auf maximal 110 begrenzt. …

I. Spieltechnisches Personal

7.

Croupier I + II: Arbeitet am Spieltisch bei allen angebotenen Spielen und kann zur Aufsicht am Spieltisch und bei entsprechender Eignung vorübergehend in der Kasse eingesetzt werden.

8.

Croupier III – X: Arbeitet am Spieltisch und kann bei entsprechender Eignung vorübergehend in der Kasse eingesetzt werden.

9.

Croupier-Anfänger I – III: Wird am Spieltisch eingearbeitet.

§ 6 Beförderungsrhythmus und -voraussetzungen

  1. Grundvoraussetzung für eine Beförderung ist neben einer freien Planstelle nach § 5 die positive Beurteilung der Mitarbeiterleistung und/oder die Eignung im Hinblick auf die zu besetzende Position. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, können spieltechnische Mitarbeiter bis zum Erreichen der Croupierstufe I … in der Regel nach einem Jahr in die nächsthöhere Besoldungsstufe gemäß § 7 befördert werden.
  2. In die Croupierstufe X kann nur übernommen werden, wer am Kessel des französischen Roulettes und am Black Jack einsetzbar ist, in die Croupierstufe V nur, wer darüber hinaus auch am American Roulette einsetzbar ist, in die Croupierstufe II nur, wer in allen angebotenen Spielen erfolgreich an einer Grundausbildung teilgenommen hat.”

Klammerzusätze mit festen Zahlen zur Stellenbegrenzung iSv. § 5 Abs. 3 TG-TV sind den Positionen Croupier I bis X nicht beigefügt.

§ 7 TG-TV („Anteilstabelle und Mindestabschläge”) ordnet den in § 5 I TG-TV beschriebenen Positionen tabellarisch eine unterschiedlich hohe Punktzahl zu. Diese bestimmt darüber, mit welchem Anteil die Mitarbeiter der Spielbank an der Verteilung des Tronc-Aufkommens beteiligt sind. Für den auf Position 7 geführten Croupier I sind 204 und für den auf Position 9 geführten Croupier III 180 jährliche Anteile festgelegt. In den Tronc fließen die Trinkgelder spielender Gäste. Eigene Mittel setzt die Beklagte nur ein, wenn das Aufkommen dieser Zuwendungen unter eine bestimmte Garantiegrenze fällt.

Die Regelungen in §§ 5 bis 7 TG-TV wurden mehrfach geändert. In Protokollnotizen zu § 7 TG-TV idF vom 11. April 1996 heißt es unter Nr. 10:

„Zwischen den Tarifvertragsparteien besteht eine grundsätzliche Übereinstimmung hinsichtlich der Einführung eines Zuschlags wegen der tatsächlichen Mitarbeit bei folgenden Angeboten der Spielbank:

Am Roul, Black Jack, Poker

Über Einzelheiten einer entsprechenden Regelung werden die Tarifvertragsparteien zu gegebener Zeit verhandeln.”

Am 6. Oktober 2003 schlossen die Tarifvertragsparteien einen Tarifvertrag zur Einführung leistungs- und anwesenheitsorientierter Vergütung (TV Leistung). Dieser sieht „zur Erhöhung der Leistungsbereitschaft und zur Verminderung von Ausfalltagen” neben der Vergütung nach dem TG-TV zusätzliche Leistungen vor, deren Höhe sich nach „Einsetzbarkeit”, „Arbeitsqualität”, „Serviceorientierung” und „Führungsverhalten” der Mitarbeiter richtet. Ausschlaggebend ist ein – tariflich näher festgelegter – „Erreichungsgrad” dieser Kriterien.

Bereits zum 1. April 1991 war der Kläger in die Croupierstufe I „übernommen” worden. In der Folgezeit teilte er der Beklagten mit, er sei aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, in stehender Position am Tisch des American Roulette zu arbeiten. Daraufhin wurde er – über Jahre hinweg – nicht bei diesem Spiel eingesetzt. In einem ärztlichen Attest vom 11. Oktober 2010, das er der Beklagten auf Bitte vorlegte, heißt es:

„O. g. Patient ist nicht in der Lage aufgrund der anerkannten Behinderung in stehender Position am American Roulett/Roulite Tisch bis auf weiteres zu arbeiten.”

Mit Schreiben vom 21. März 2011 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu ihrer Absicht an, gegenüber dem Kläger eine Änderungskündigung mit dem Ziel zu erklären, ihn künftig als Croupier III zu beschäftigen und entsprechend zu vergüten. Außerdem bat sie um Zustimmung zur Versetzung und Umgruppierung des Klägers. Der Betriebsrat meldete gegen die Änderung der Arbeitsbedingungen Bedenken an. Der „Versetzung” des Klägers „zur Croupierstufe III” widersprach er.

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien – mit Zustimmung des Integrationsamts und nach neuerlicher Anhörung des Betriebsrats – ordentlich zum 31. Juli 2012. Die Kündigung verband sie mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis ab dem 1. August 2012 wie folgt fortzusetzen:

  • „Tätigkeit gemäß dem Aufgabengebiet der Tarifstufe Croupier III (kein Einsatz am American Roulette)
  • Vergütung gemäß der Tarifstufe Croupier III mit 15 Anteilen pro Monat
  • Die übrigen Arbeitsbedingungen bleiben unverändert fortbestehen.”

Der Kläger nahm das Angebot unter dem Vorbehalt seiner sozialen Rechtfertigung an. Mit der vorliegenden Klage hat er sich rechtzeitig gegen die Änderung seiner Vertragsbedingungen gewandt. Der Kläger hat gemeint, die Änderung sei sozial ungerechtfertigt und auch aus anderen Gründen unwirksam. Er sei lediglich vorübergehend nicht in der Lage gewesen, im Stehen am Tisch des American Roulette zu arbeiten. Im Übrigen habe seine Tätigkeit jederzeit den Anforderungen der Croupierstufe I entsprochen. Auf seine krankheitsbedingt eingeschränkte Leistungsfähigkeit komme es nicht an. Die Änderung seiner Vertragsbedingungen sei auch unverhältnismäßig. Möglichkeiten, das Leistungshindernis auszuräumen, hätten durchaus bestanden. Insoweit treffe die Beklagte, die – unstreitig – ein bEM nicht durchgeführt habe, eine verschärfte Darlegungslast, der sie nicht nachgekommen sei. Auch habe sie ein etwaiges Recht zur „Umgruppierung” verwirkt und es versäumt, den Betriebsrat ordnungsgemäß anzuhören.

Der Kläger hat – wörtlich – beantragt

festzustellen, dass die Änderungen der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 20. Dezember 2011 weder sozial gerechtfertigt noch aus anderen Gründen rechtswirksam sind.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die Änderung der Vertragsbedingungen sei durch Gründe in der Person des Klägers bedingt. Sie habe den Kläger seit vielen Jahren nicht mehr – wie tarifvertraglich vorausgesetzt – an allen angebotenen Spielen einsetzen können. Eine Besserung seines Gesundheitszustands sei nicht absehbar gewesen. Aufgrund seiner nur eingeschränkten Einsatzfähigkeit stehe ihm die Tarifstufe Croupier I nicht mehr zu. Die Möglichkeit, ihn als Aufsicht zu beschäftigen, sei nicht „relevant”. Abgesehen davon sei er in dieser Funktion mangels positiver Beurteilung nicht einsetzbar und seit dem Jahr 2005 auch nicht eingesetzt worden. Die Beibehaltung der bisherigen Vertragsbedingungen führe zu nicht mehr tragbaren Ungerechtigkeiten im Verhältnis zu Mitarbeitern, die an allen Tischen arbeiten könnten. Eines Präventionsverfahrens oder eines bEM habe es nicht bedurft. Abgesehen davon sei die Änderung der Vertragsbedingungen unvermeidbar gewesen. Den Betriebsrat habe sie ordnungsgemäß unterrichtet.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.