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Hessisches LAG Urteil vom 10.02.1997 - 10 SaGa 2269/96

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Bemessung der Karenzentschädigung nach § 74 Abs 2 HGB, Gebot der jahresbezogenen Berechnung, Berücksichtigung von Gratifikationen und Tantiemen, tätigkeitsbezogenes nachvertragliches Wettbewerbsverbot

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Orientierungssatz

1. Eine vertragliche festgelegte Karenzentschädigung auf die "Hälfte der monatlich zuletzt erhaltenen Bezüge" verstößt gegen das Gebot jahresbezogener Berechnung in § 74 Abs 2 HGB. Die Regelung kollidiert auch mit § 74b Abs 2 HGB.

2. Zu den zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen iSv § 74 Abs 2 HGB gehören auch Gratifikationen und Tantiemen.

3. Bei Bezugnahme auf §§ 74ff HGB in der Wettbewerbsvereinbarung ist im Zweifel von einer Zusage der Karenzentschädigung in der gesetzlich vorgeschriebenen Mindesthöhe auszugehen.

4. Dem Schutz berechtigter geschäftlicher Interessen iSd § 74a Abs 1 S 1 HGB dient das nachvertraglichen Wettbewerbsverbot, wenn eine Gefährdung des Kundenkreises des bisherigen Arbeitgebers vorliegt. Eine solche Gefährdung ist auch dann gegeben, wenn beide Unternehmen unterschiedliche Vertriebswege einschlagen.

5. Selbst wenn zwischen zwei Unternehmen ein Konkurrenzverhältnis besteht, ist dem Arbeitnehmer bei einem tätigkeitsbezogenen Wettbewerbsverbot eine Tätigkeit für den Konkurrenzunternehmen nicht schlechthin untersagt.

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Normenkette

HGB § 74 Abs. 2, § 74b Abs. 2, § § 74 ff., § 74a Abs. 1 S. 1

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Verfahrensgang

ArbG Darmstadt (Urteil vom 27.11.1996; Aktenzeichen 5 Ga 10/96)

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Tenor

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen des Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 27.11.1996 – 5 Ga 10/96 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

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Tatbestand

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren um Ansprüche der Verfügungsklägerin (im folgenden Klägerin) auf Unterlassung wettbewerblicher Tätigkeit des Verfügungsbeklagten (im folgenden Beklagten) nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien.

Der Beklagte war aufgrund Anstellungsvertrages vom 28. Oktober 1992 als Leiter des Produktbereichs Lack bei der Klägerin tätig.

Im Anstellungsvertrag der Parteien findet sich unter anderem folgende Regelung:

§10 Vorbehalt des Abschlusses eines Wettbewerbsverbotes

Herr ist bereit, auf Verlangen der Firma innerhalb der ersten zwei Jahre nach Beginn des Arbeitsverhältnisses nachfolgendes Wettbewerbsverbot zu vereinbaren:

  1. Herr verpflichtet sich, für die Dauer von zwei Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht für ein Konkurrenzunternehmen tätig zu sein, noch unmittelbar oder mittelbar an der Gründung oder im Betrieb eines solchen Unternehmens mitzuwirken.
  2. Für die Dauer des Wettbewerbsverbotes zahlt die Firma die Mindest-Karenzentschädigung nach § 74 Abs. 2 HGB.
  3. Im übrigen gelten die Vorschriften der §§ 74 ff HGB.

Unter dem 30. August 1994 vereinbarten die Parteien „unter Bezugnahme auf § 10 des Arbeitsvertrages” ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot folgenden Inhalts.

  1. Herr … verpflichtet sich, für die Dauer von 2 Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht für ein Konkurrenzunternehmen im Tätigkeitsgebiet „Lack” tätig zu sein, noch unmittelbar oder mittelbar an der Gründung oder im Betrieb eines solchen Unternehmens mitzuwirken.
  2. Für die Dauer des Wettbewerbsverbotes zahlt die Firma eine Karenzentschädigung gern §§ 74 ff HGB, also 50 % der zuletzt gewährten Monatsbezüge.
  3. Im übrigen gelten die Vorschriften der §§ 74 ff HGB

Die Vergütung des Beklagten wurde seit 1995 in zwölf Monatsgehältern gezahlt, nachdem zuvor 13,5 Gehälter jährlich gezahlt worden waren. Zusätzlich gewährte die Klägerin als freiwillige Leistung eine Jahrestantieme, die 1995 DM 8.000,00 betrug.

Am 13. Juni 1996 schloß der Beklagte mit einer Firma … einen Arbeitsvertrag mit vereinbarter Arbeitsaufnahme zum 1. Januar 1997. Ausweislich Abs. 1 dieses Vertrages wird der Beklagte „als Verkaufsleiter Süddeutschland für unsere Produktgruppen Dispersionsfarben, Putze, Kleber und Handelswaren” eingestellt, wobei sein Aufgabenbereich „die kontinuierliche Tätigkeit in den Verkaufsgebieten sowie die Mitarbeit in der Vertriebsleitung im Stammhaus Münster” einschließt.

Mit Schreiben vom 27. Juni 1996 kündigte der Beklagte sein Arbeitsverhältnis zur Klägerin zum 31. Dezember 1996 Die Klägerin bestätigte diese Kündigung mit Schreiben vom 8. Juli 1996 und wies zugleich darauf hin, daß die Tantieme bei Berechnung der Karenzentschädigung anteilig der Monatsvergütung zugeschlagen werde. Seit 27. September 1996 war der Beklagte bei der Klägerin von der Arbeit freigestellt. Im Januar 1997 hat er die Arbeit für die Firma … aufgenommen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Klägerin, dem Beklagten durch einstweilige Verfügung zu untersagen, die Tätigkeit bei der Firma …, aufzunehmen, zurückgewiesen. Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien, der dort gestellten Anträge sowie der Erwägungen des Arbeitsgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung vom 27. November 1996 verwiesen.

Gegen dieses ihr am 4. Dezember 1996 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. Dezember 1996 eingelegte und am 27. Dezember 1996 begründete Berufung der Klägerin.

Die Klägerin meint, der Beklagte verstoße durch die Aufnahme der Tätigkeit bei … gegen das vereinbarte Wettbewerbsverbot und dieses Verbot sei auch weder wegen unzureichender Entschadigungszusage, noch wegen fehlender berechtigter geschäftlicher Interessen unverbindlich.

Die Klägerin trägt dazu vor, obschon die Einbeziehung der Tantieme in die Karenzentschädigung mit Schreiben vom 8. Juli 1996 angekündigt worden sei, habe es dieser Einbeziehung nicht bedurft. Einen vertraglichen Anspruch auf die – 1996 ohnehin nicht geleistete – Tantiemezahlung habe der Beklagte nicht Selbst wenn man der Auffassung sein wolle, auch derartige Leistungen seien Teil der vertragsgemäßen Leistungen, wurden sie bei zutreffender Auslegung jedenfalls von der vertraglichen Entschädigungszusage erfaßt, wie das vorgelegte Privatgutachten zeige.

Darüber hinaus trägt die Klägerin vor, sie sei Marktführerin im Bereich Dispersionsfarben und Wandbeschichtungen und ihr Produktionsprogramm im übrigen weise wesentliche Überschneidungen mit dem der Firma …, vor allem bei Bautenlacken, auf. Sie vertreibe seit vielen Jahren Acrylfarben auf Wasserbasis und seit 1990 auch lösemittelhaltige Acrylharzlacke. Der Beklagte habe schon vor seiner Arbeit für die Klägerin einen Großteil seiner Berufserfahrung im Lackbereich gesammelt und seine Aufgabe bei der Klägerin sei es gewesen, im Lackbereich die einzelnen Produktschienen und Qualitäten zusammen mit der Entwicklungsabteilung zu begleiten, neue Produkte am Markt, bei Händlern und vor Handwerkern auf Messen und Hausmessen vorzustellen sowie eigenständig Preis- und Verkaufsverhandlungen zu führen. Hierbei habe er spezielle und für die Klägerin wichtige Kenntnisse gesammelt. Die Klägerin habe daher ein berechtigtes Interesse daran, sich vor der Konkurrenz des Beklagten im Lackbereich zu schützen. Dabei sei unerheblich, daß die Vertriebswege der beiden Unternehmen verschieden seien, also die Klägerin an den Fachhandel, … dagegen an den Handwerker direkt liefere. Die Endverbraucher seien jedenfalls weitgehend identisch und bei Großobjekten, Ausschreibungen und Beratungen stünden sich beide Firmen ohnehin als direkte Wettbewerber gegenüber.

Schließlich trägt die Klägerin vor, der Beklagte verstoße durch die Arbeit bei … auch gegen das vereinbarte Verbot, denn entgegen dem Wortlaut des Vertrages müsse davon ausgegangen werden, daß der Beklagte bei … auch im Lackbereich tätig sei … sei führend in Lacken, habe dort seinen Hauptumsatzbereich und es sei deshalb dringend zu vermuten, daß die speziellen Kenntnisse des Beklagten im Lackbereich auch verwertet würden. Ersichtlich sei der vorgelegte Anstellungsvertrag nur für den Rechtsstreit formuliert worden, wie schon sein Charakter als Kurzvertrag zeige, der sich mit Vergütungshöhe und Verantwortungsumfang des Beklagten nicht vereinbaren lasse. Auch das zweideutige Antwortschreiben der Firma Brillux an die Klägerin vom 31. Oktober 1996 lasse vermuten, daß damals die vertraglichen Beziehungen bewußt verschwiegen worden seien.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 27.11.1996 – Az.: 5 Ga 10/96 –, zugestellt am 04.12.1996, dem Verfügungsbeklagten zu untersagen, bei Meidung einer Geldbuße in Höhe von DM 15.000,00 für den Fall des Verstoßes, bei fortgesetzter Handlung in Höhe von DM 75.000,00 pro Woche, seine Tätigkeit als regionaler Verkaufsleiter bei der Firma … GmbH & Co. KG, 48163 Münster fortzusetzen, solange nicht eine gerichtliche Entscheidung im Hauptsacheverfahren gleichen Rubrums – Az.: 5 Ca 492/96 – vorliegt

sowie dem Verfügungsbeklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Er bleibt im übrigen bei seiner Auffassung, das Wettbewerbsverbot sei bereits deshalb unverbindlich, weil die Tantiemezahlungen von der vertraglichen Entschädigungszusage nicht erfaßt seien. Der Beklagte meint, da die Klägerin selbst vortrage, daß die Tantieme nicht zur vertragsgemäßen Vergütung zähle, werde sie nach ihrem eigenen Vorbringen von der Zusage nicht erfaßt, so daß die Zusage auch nicht durch Auslegung einen gegenteiligen Inhalt erhalten könne.

Darüber hinaus trägt der Beklagte vor, da das Wettbewerbsverbot weder dem Schutz von Betriebsgeheimnissen, noch der Verhinderung einer Kunden- und Lieferantenabwerbung diene, sei es auch mangels berechtigter geschäftlicher Interessen auf Seiten der Klägerin unverbindlich Betriebsgeheimnisse seien schon deshalb nicht betroffen, weil Brillux selber die führende Know-How-Position in Deutschland im Lackbereich einnehme. Das Eindringen in den Kundenstamm der Klägerin sei schon wegen der unterschiedlichen Vertriebswege nicht vorstellbar; der Beklagte sei nur im Direktvertrieb eingesetzt, während die Klägerin an Großhändler liefere.

Schließlich trägt der Beklagte vor, da er bei Brillux nicht im Lackbereich, sondern im Direktvertrieb für die Produktgruppen Dispersionsfarben, Putze, Kleber und Handelsware eingesetzt werde, liege ein Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot ohnehin nicht vor. Die gegenteiligen Behauptungen der Klägerin seien bloße Unterstellungen. Abgesehen davon, daß die Kenntnisse des Beklagten im Lackbereich für … ohne Interesse seien, seien für diesen Bereich bei andere bewährte Mitarbeiter tätig. Für die Vorstellung der Lackprodukte im Markt sei Frau … als Produktmanagerin-Lacke alleine zuständig. Darüber hinaus sei schon im Mai 1996 der Leiter der Marktetingabteilung bei …, Herr …, damit beauftragt worden, den Produktbereich Lacke intensiv zu bearbeiten; diese Aufgabe nehme er auch nach Eintritt des Beklagten wahr.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.