BAG Urteil vom 24.05.2012 - 2 AZR 62/11
Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. Betriebsratsanhörung. Restmandat. Betriebsbedingte Kündigung nach Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber. gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen. Weiterbeschäftigung im Konzern. Anhörung des Betriebsrats. Sozialplanabfindung
Leitsatz (amtlich)
Die Erklärung des Widerspruchs nach § 613a Abs. 6 BGB ist für sich genommen kein Vorgang, an den ein Restmandat des Betriebsrats anknüpfen könnte.
Orientierungssatz
1. Macht der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer betriebsbedingten Kündigung geltend, Beschäftigungsmöglichkeiten für ihn seien deshalb nicht entfallen, weil der Arbeitgeber mit einem anderen Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb führe, hat er die Voraussetzungen für das Bestehen eines solchen Gemeinschaftsbetriebs bezogen auf den Kündigungszeitpunkt darzulegen und ggf. zu beweisen. Dabei kommen ihm regelmäßig Darlegungserleichterungen zugute.
2. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, vor einer betriebsbedingten Kündigung zu versuchen, den Arbeitnehmer bei einem anderen Konzernunternehmen unterzubringen, besteht nur in Ausnahmefällen. Beruft sich der Arbeitnehmer mit Blick auf eine im Arbeitsvertrag enthaltene sog. Konzernversetzungsklausel auf eine konzernweite Weiterbeschäftigungsverpflichtung, hat er im Rahmen einer ihn treffenden abgestuften Darlegungslast anzugeben, wie, dh. bei welchem Unternehmen und auf welchem freien Arbeitsplatz er sich eine solche Beschäftigung vorstellt. Dabei reicht es – wie auch sonst im Rahmen von § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG – aus, wenn der Arbeitnehmer angibt, an welchen Betrieb des infrage kommenden Konzernunternehmens er denkt und welche Art von Beschäftigung er meint.
3. Eine Betriebsspaltung führt zu einem Restmandat des Betriebsrats iSd. § 21b BetrVG, wenn der Ursprungsbetrieb aufgrund der Spaltung unter Verlust seiner Identität aufgelöst wird. Eine Spaltung in diesem Sinne liegt nicht vor, wenn sich eine betriebliche Umstrukturierung darin erschöpft, die betriebliche Tätigkeit eines Betriebsteils zu beenden und der (Rest-)Betrieb seine Identität behält und funktionsfähig bleibt. Das gilt auch in Fällen des Betriebsübergangs. Bleibt im Zusammenhang mit einer Einzelrechtsnachfolge iSv. § 613a BGB die Identität des übertragenen (Rest-)Betriebs erhalten, behält der Betriebsrat das ihm durch die Wahl vermittelte Mandat. Für ein Restmandat iSv. § 21b BetrVG ist dann kein Raum.
4. Die Erklärung des Widerspruchs nach § 613a Abs. 6 BGB ist für sich genommen kein Vorgang, an den ein Restmandat des Betriebsrats anknüpfen könnte. Sie stellt, sei es als Akt eines Einzelnen, sei es als kollektiver Akt einer Mehrzahl von Arbeitnehmern schon deshalb keine Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung eines Betriebs iSv. § 21b BetrVG dar, weil es sich nicht um eine Entscheidung des Arbeitgebers handelt. Arbeitnehmer können keine Betriebe stilllegen, spalten oder zusammenlegen.
5. Betriebsparteien können vereinbaren, dass ein Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber bei anschließender betriebsbedingter Kündigung durch den Betriebsveräußerer einen Abfindungsanspruch aus einem beim Veräußerer bestehenden Rahmensozialplan ausschließt. Einer solchen Regelung liegt typischerweise die Annahme zugrunde, dass den von dem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmern der Arbeitsplatz erhalten bleibt und ihnen deshalb keine ausgleichspflichtigen Nachteile entstehen. Art. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/23/EG sieht nicht vor, dass die Betriebsparteien im Falle betriebsbedingter Kündigungen Abfindungszahlungen regeln müssen.
Normenkette
KSchG §§ 1, 1 Abs. 1, 2 Sätze 1-2, Abs. 3; BetrVG § 1 Abs. 2, §§ 21b, 102; BGB § 613a; Richtlinie 2001/23/EG Art. 4-7
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 11.01.2011; Aktenzeichen 17 Sa 828/10) |
ArbG Solingen (Urteil vom 05.05.2010; Aktenzeichen 3 Ca 78/09 lev) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 11. Januar 2011 – 17 Sa 828/10 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung und – in zweiter Linie – über eine Sozialplanabfindung.
Rz. 2
Der 1948 geborene Kläger war seit April 1962 bei der A… AG in deren Werk L… im Geschäftsbereich Consumer Imaging (CI) beschäftigt. Er war als “Senior Assistent” in der Produktionsentwicklung und Papieremulsion tätig. Die A… AG ist seit dem 27. Dezember 2006 unter Formwechsel eingetragen als die Beklagte. Neben dem Bereich CI gab es bei ihr – an unterschiedlichen Standorten in Deutschland – die Geschäftsbereiche “Health Care” und “Graphic Systems”.
Rz. 3
Im Februar 1995 hatte die Beklagte mit dem Gesamtbetriebsrat eine Betriebsvereinbarung “zur Milderung von wirtschaftlichen Nachteilen durch personelle Maßnahmen infolge von Effektivitäts- und Effizienzuntersuchungen bzw. Betriebsänderungen” geschlossen (GBV 1995). Danach erhalten Arbeitnehmer, die in einem unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen und von betriebsbedingten personellen Maßnahmen betroffen sind, im Einzelnen geregelte Abfindungszahlungen. Nach Nr. I 5 GBV 1995 gilt dies nicht, wenn ein Arbeitnehmer einen ihm angebotenen und in den wesentlichen Arbeitsbedingungen gleichwertigen und zumutbaren Arbeitsplatz ohne stichhaltige Begründung ablehnt.
Rz. 4
Mit Wirkung zum 1. November 2004 übertrug die Beklagte ihren Geschäftsbereich CI auf die neu gegründete A…-GmbH. In diesem Zusammenhang traf sie mit der A…-GmbH, ihrem Gesamtbetriebsrat und mehreren örtlichen Betriebsräten, darunter denen für die Betriebe L… (incl. K…) und W… – unter dem 24. September 2004 eine sog. Überleitungsvereinbarung (ÜV 2004). Danach sollte die A…-GmbH durch Rechtsgeschäft die Betriebe und Betriebsteile des bisherigen Geschäftsbereichs CI der Beklagten übernehmen. Nach Nr. 7.1 ÜV 2004 sollten die Arbeitsverhältnisse aller von den Betriebsübergängen betroffenen Arbeitnehmer auf die A…-GmbH übergehen. Arbeitnehmer, die von Betriebsteilübergängen betroffen und nicht ausschließlich für den Geschäftsbereich CI tätig waren, wurden gemäß Nr. 7.2 ÜV 2004 im Rahmen der Bildung “funktionsfähiger Einheiten” der A…-GmbH zugeordnet, sofern sie zu mehr als 50 vH für den Bereich CI tätig waren. Laut Nr. 7.3 ÜV 2004 “gilt” die GBV 1995 nebst sie ändernden und ergänzenden Vereinbarungen für den gesamten Vorgang mit der Maßgabe, dass der bisherige Arbeitsplatz am selben Ort bei der A…-GmbH, einer Schwester- oder einer Tochter-Gesellschaft “als in den wesentlichen Arbeitsbedingungen gleichwertig und zumutbar gemäß I Ziffer 5 des Sozialplans gilt und ein Widerspruch gegen den Übergang den Abfindungsanspruch bei anschließender Kündigung ausschließt”.
Rz. 5
Da gleichzeitig ein Personalabbau geplant war, vereinbarten die Beklagte und der Betriebsrat L… am 14. Oktober 2004 einen Interessenausgleich mit Namensliste. Gemäß § 5 des Interessenausgleichs sollte die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile für die betroffenen Arbeitnehmer nach Maßgabe des Transfer-Sozialplans L… vom 19. Dezember 2001 und der GBV 1995 einschließlich verschiedener Änderungen herbeigeführt werden, soweit in einem daneben geltenden Transfer-Sozialplan nichts Abweichendes vereinbart war.
Rz. 6
Mit Schreiben vom 22. Oktober 2004 unterrichtete die Beklagte den Kläger über den geplanten Übergang ihres Geschäftsbereichs CI auf die A…-GmbH. Sie gab an, dieses Unternehmen werde mit einem guten Eigenkapital ausgestattet und verfüge über hohe Liquidität, um unerwartet auftretende Risiken bewältigen, in neue Geschäfte investieren und Marktchancen besser nutzen zu können. Außerdem gab sie sinngemäß den Inhalt der Regelung zu Nr. 7.3 der ÜV 2004 bekannt.
Rz. 7
Am 1. November 2004 wurde der Betriebs(teil)übergang auf die A-GmbH vollzogen. Seitdem war der Kläger ausschließlich für diese tätig. Mit Schreiben vom 1. Juli 2005 rügte er gegenüber der Beklagten eine unzureichende Unterrichtung über den Betriebsübergang und begehrte weitere Informationen. Am 1. August 2005 wurde über das Vermögen der A…-GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet.
Rz. 8
Am 3. August 2005 schloss die Beklagte mit ihrem Gesamtbetriebsrat und den Betriebsräten der Betriebe M…, P…, Pe… Optikzentrum, S… und Wi… eine Vereinbarung zur Überleitung von Mitarbeitern auf die A… HC-GmbH. Anlass war die beabsichtigte Ausgliederung der Geschäftsbereiche “HealthCare” und “Graphic Systems” und eine damit verbundene Überleitung aller bis dahin bei der Beklagten verbliebenen Betriebe auf die AHC-GmbH, darunter auch die eines Betriebs “K…/L…”. Der Übergang “aktiver Mitarbeiter” sollte nach § 613a BGB erfolgen. Im weiteren Verlauf sollte der Geschäftsbereich “Graphic Systems” von der AHC-GmbH abgespalten und die A… G… S… GmbH Trägerin des betreffenden Geschäftsbereichs werden. Zwei Tage später schlossen die Beklagte und die AHC-GmbH einen Ausgliederungs- und Übernahmevertrag. Ausdrücklich ausgenommen von der Vermögensübertragung blieb ein “Restbereich Consumer Imaging” nebst zugeordneten Rechten und Pflichten.
Rz. 9
Im Dezember 2005 widersprach der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die A…-GmbH. In einem hierüber geführten Vorprozess wurde durch ein – im November 2008 rechtskräftig bestätigtes – Urteil des Arbeitsgerichts vom Juni 2006 festgestellt, dass zwischen den Parteien weiterhin ein Arbeitsverhältnis bestand.
Rz. 10
Mit Schreiben vom 19. April 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich. Dagegen erhob der Kläger – rechtzeitig – die vorliegende Kündigungsschutzklage.
Rz. 11
Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Das Kündigungsschutzgesetz finde Anwendung; dem Betriebsübergang auf die A…-GmbH habe eine hinreichend große Zahl von Arbeitnehmern widersprochen. Ein Kündigungsgrund liege nicht vor. Selbst wenn die Beklagte in L… über Beschäftigungsmöglichkeiten nicht mehr verfügt haben sollte, sei sie jedenfalls verpflichtet gewesen, ihn in anderen Bereichen ihres Unternehmens, ggf. auch in einem Betrieb der mit ihr verbundenen Unternehmen weiterzubeschäftigen bzw. unterzubringen. Das folge aus einer im Arbeitsvertrag enthaltenen Konzernversetzungsklausel, aber auch aus einer bewusst falschen Unterrichtung über die Folgen des Betriebsübergangs auf die A…-GmbH. Außerdem fehle es an einer Betriebsratsanhörung. Die Beklagte habe den Betrieb nach seinem Übergang auf die A…-GmbH mit dieser gemeinsam geführt, so dass der Betriebsrat für alle Arbeitnehmer zuständig geblieben sei. Zumindest habe ein Beteiligungsrecht nach § 102 BetrVG aus einem Restmandat bestanden, das im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang entstanden sei. Sollte die Kündigung dennoch wirksam sein, habe er Anspruch auf eine Abfindung nach Maßgabe der GBV 1995, ggf. iVm. dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Zumindest stehe ihm eine solche Abfindung unter dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes zu.
Rz. 12
Der Kläger hat beantragt
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 19. April 2007 nicht aufgelöst worden ist;
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen;
hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Feststellungsantrag,
die Beklagte zu verurteilen an ihn 73.630,96 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2008 zu zahlen.
Rz. 13
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei wirksam. In keinem ihrer früheren Geschäftsbereiche sei sie im Kündigungszeitpunkt noch operativ tätig gewesen. Einen Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne habe sie nicht mehr geführt. Eine Weiterbeschäftigung in den – unstreitig – auf andere Unternehmen ausgegliederten Bereichen “Health Care” oder “Graphic Systems” könne der Kläger nicht verlangen. Abgesehen davon, dass auch dort keine geeigneten Beschäftigungsmöglichkeiten bestünden, habe sie auf die fraglichen Unternehmen keinen bestimmenden Einfluss. Ein Betriebsrat habe im Kündigungszeitpunkt nicht mehr bestanden. Der für das Werk L… gewählte Betriebsrat sei “mit dem Betrieb” auf die A…-GmbH übergegangen. Ein Abfindungsanspruch sei durch Nr. 7.3 ÜV 2004 wirksam ausgeschlossen.
Rz. 14
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt dieser sein Begehren in vollem Umfang weiter.