BAG Urteil vom 27.10.2005 - 8 AZR 546/03
Entscheidungsstichwort (Thema)
Einzelvertragliche Ausschlussfrist vor In-Kraft-Treten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes. Schadensersatzanspruch für die Kosten der Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten am Arbeitsgericht. Wirksamkeit einer einzelvertraglichen Ausschlussfrist vor In-Kraft-Treten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes. Erstattung von gerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren als Schadensersatz
Orientierungssatz
- Geht es um die Einhaltung einer Ausschlussfrist im Jahre 2002, ist eine einzelvertragliche Ausschlussfrist von zwei Monaten unbedenklich.
- Erklärt der Arbeitgeber mit Übersendung einer Abrechnung zugleich eine Aufrechnung mit Gegenansprüchen, ist die Abrechnung nicht vorbehaltlos erteilt. Zur Wahrung einer Ausschlussfrist müssen die in der Abrechnung enthaltenen Ansprüche geltend gemacht werden.
- Nach § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG besteht im Urteilsverfahren erster Instanz kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten. Der Ausschluss der Kostenerstattung betrifft den prozessualen Kostenerstattungsanspruch, dh. denjenigen Anspruch, der sich aus § 91 ZPO ergibt. § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG schließt aber auch einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch als Schadensersatzanspruch aus, gleichgültig, worauf er gestützt wird.
- Materiell-rechtliche Kostenerstattungsansprüche sind auch dann ausgeschlossen, wenn im Hinblick auf eine vergleichsweise Regelung § 98 ZPO eingreift. Für den Ausschluss der Kostenerstattung nach § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG kommt es nicht darauf an, ob das Verfahren durch Urteil beendet wird. Die Bestimmung gilt für alle Verfahren, bei denen die §§ 91 ff. ZPO Anwendung finden können.
- Den Parteien eines Rechtsstreits vor dem Arbeitsgericht bleibt es unbenommen, entgegen der Regelung in § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG die Erstattung prozessual nicht auferlegungsfähiger Kosten zu vereinbaren und so einen Anspruch zu schaffen bzw. aufrechtzuerhalten. Eine solche Vereinbarung kann auch in einem (gerichtlichen) Vergleich erfolgen. Regeln sie eine solche Kostenübernahme nicht bzw. nicht mit hinreichender Deutlichkeit, bleibt es bei dem Ausschluss der Erstattungsfähigkeit der Kosten nach § 12a Abs. 1 ArbGG.
Normenkette
BGB § 307 ff. nF, § 366 Abs. 2, §§ 394, 614; ArbGG § 11 Abs. 2, § 12a Abs. 1 S. 1; ZPO § 850i Abs. 1; EGBGB Art. 229 § 5 Sätze 1-2
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 22.08.2003; Aktenzeichen 5 Sa 314/03) |
ArbG Berlin (Urteil vom 02.12.2002; Aktenzeichen 26 Ca 21712/02) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 22. August 2003 – 5 Sa 314/03 – teilweise aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 2. Dezember 2002 – 26 Ca 21712/02 – teilweise abgeändert.
Die Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 589,62 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2002 wird abgewiesen.
Der Kläger wird verurteilt, an die Beklagte 589,62 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 18. Januar 2005 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 22. August 2003 – 5 Sa 314/03 – zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte 63 % und der Kläger 37 % zu zahlen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Entgeltansprüche des Klägers, zur Aufrechnung gestellte Schadensersatzansprüche der Beklagten und eine entsprechende Widerklage.
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 8. Februar 1999 beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag vom 14. Dezember 2001 war ua. in § 12 vereinbart:
“Alle Ansprüche aus dem und im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach ihrer Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht werden und nicht binnen einer weiteren Frist von zwei Monaten eingeklagt werden.”
Mit Schreiben vom 26. Februar 2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31. März 2002. Mit Klageschrift vom 15. März 2002 hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben. Am 17. März 2002 unterzeichneten der Kläger und der Geschäftsführer der Beklagten außergerichtlich eine “Zusatzvereinbarung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses”.
Diese lautet:
“AN und AG kommen bezüglich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2002 wie folgt überein:
I. Der AG richtet eine permanente Mailweiterleitung der Mailaddresse “ma@m.de” auf “ma@berlin.de” ein und hält diese noch einen gewissen Zeitraum, mindestens jedoch weitere zwei Monate aufrecht. Der AN verpflichtet sich Mails die auf Grund dieser Weiterleitung den AG nicht mehr erreichen und seinen ehemaligen dienstlichen Wirkungsbereich betreffen an den AG auf die Adresse “info@m” weiterzuleiten.
II. Der AG und der AN richten für die Dauer von zwei Monaten auf der Handy-Rufnummer einen Ansagetext ein, der sowohl die neue private Handy-Rufnummer des AN als auch einen dienstlichen Kontakt zum AG enthält. Die Kosten für die Aufrechterhaltung der Mailbox beträgt der AG.
III. Abweichend von den Regelungen des § 10 Abs. 1 des Arbeitsvertrages (Schulungskosten), wird der AN von der Rückzahlung der anteiligen Schulungskosten befreit.
IV. Für die langjährige gute Zusammenarbeit erhält der AN eine Prämie in Höhe von 1.000 Euro die er für die Anschaffung eines gebrauchten Notebooks verwendet.
V. Der AN ist verpflichtet den mit den Regelungen aus dieser Vereinbarung entstehenden materiellen Zugang entsprechend den steuerlichen Vorschriften zu versteuern.
VI. Für die Versendung der Bewerbungen und die damit verbundene Internet-Recherche (gemäß Schreiben des AG vom 13.03.2002) wird ein fiktiver Zeitaufwand von 4 Stunden angenommen und abgerechnet.
VII. Der AG rechnet zum Monatsende März 2002 das Arbeitszeitkonto des AN gemäß des Arbeitsvertrages und den Regelungen dieser Vereinbarung ab. Das Verrechnungskonto des AN wird ebenfalls zum Monatsende März 2002 ausgeglichen.
VIII. Der AN erklärt hiermit, daß sich keinerlei Gegenstände, Software und Dokumentationen die Eigentum des Hauses M… sind, bzw. dem AN als Erfüllungsgehilfen des AG vom Kunden des AG überlassen wurden, mehr im Besitz des AN befinden. Weiterhin versichert der AN, daß sich keinerlei Kopien dieser Unterlagen oder Gegenstände, die er während seines Arbeitsverhältnisses gefertigt hat, mehr in seinem Besitz befinden.
IX. Die vertraglich vereinbarte Verschwiegenheitspflicht besteht auch nach dem Vertragsende beiderseitig fort.
X. Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind alle gegenseitigen Ansprüche des AN und des AG aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, ganz gleich aus welchem Rechtsgrund, erledigt.”
Im Gütetermin am 29. April 2002 schlossen die Parteien im Kündigungsrechtsstreit folgenden Vergleich:
“1.
Die Parteien sind sich darüber einig, dass ihr Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher fristgemäßer Kündigung d. Bekl. aus betriebsbedingten Gründen am 31. März 2002 geendet hat.
2.
Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Vereinbarung vom 12.03.2002 (Zusatzvereinbarung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses) in vollem Umfang Gültigkeit hat.
3.
Die Beklagte stellt klar, dass in Ziffer 4 der Vereinbarung benannte Prämie eine Abfindung im Sinne der §§ 9, 10 KSchG darstellt.
4.
Die Entgeltabrechnung für den Kläger wird auf der Grundlage der Vereinbarung ordnungsgemäß erstellt und der sich daraus ergebende Nettobetrag erfüllt.
5.
Die Beklagte stellt klar, dass der mit Schreiben vom 24.04.2002 außergerichtlich geltend gemachte Vertragsstrafenanspruch mit dem Abschluss dieses Vergleiches erledigt ist.
6.
Damit ist der vorliegende Rechtsstreit erledigt.”
Mit Schreiben vom 7. Mai 2002 übersandte der Beklagtenvertreter der Klägervertreterin gemäß Ziffer 4 des abgeschlossenen Vergleichs eine Gehaltsabrechnung über 2.840,57 Euro netto. Die Beklagte zahlte davon 1.250,95 Euro netto an den Kläger aus. Gleichzeitig mit Übersendung der Abrechnung erklärte sie gegenüber der sich aus der Abrechnung ergebenden Nettoforderung des Klägers die Aufrechnung mit Gegenansprüchen aus einem Schadensersatzanspruch für die infolge des Gütetermins entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.589,62 Euro. Das Schreiben wurde der Klägervertreterin am 7. Mai 2002 per Computerfax und anschließend per Post zugeleitet. Die Klägervertreterin widersprach der Aufrechnung mit Schreiben vom 5. Juni 2002 und kündigte Klageerhebung an. Dieses Schreiben ging dem Beklagtenvertreter am 5. Juni 2002 per Fax und am 10. Juni 2002 im Original zu. Mit der am 15. Juli 2002 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 24. Juli 2002 zugestellten Klage hat der Kläger die Zahlung der von der Beklagten einbehaltenen Summe in Höhe von 1.589,62 Euro begehrt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass der Beklagten ein Schadensersatzanspruch nicht zustehe, so dass die Aufrechnung unbegründet sei. Eine Verpflichtung zur Rücknahme der Kündigungsschutzklage habe nicht bestanden. Die Zusatzvereinbarung habe erst wirksam werden sollen, wenn die Prozessbevollmächtigte des Klägers sie genehmigt hätte; dies habe er dem Geschäftsführer der Beklagten bei Abschluss der Vereinbarung erklärt und dieser habe dem zugestimmt. Weiter stehe die Regelung des § 12a Abs. 1 ArbGG, wonach die Kosten für die erstinstanzliche Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten nicht erstattungsfähig seien, dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch entgegen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.589,62 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 7. Mai 2002 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung und widerklagend beantragt,
den Kläger und Widerbeklagten zu verurteilen, an sie 1.568,62 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 7. Juni 2002 zu zahlen.
Der Kläger hat Abweisung der Widerklage beantragt.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass ihr ein Schadensersatzanspruch gegenüber dem Kläger zustehe, da dieser die Kündigungsschutzklage nach Abschluss der Zusatzvereinbarung nicht unverzüglich zurückgenommen habe. Dadurch seien ihr nach Abschluss der Zusatzvereinbarung infolge der anwaltlichen Vertretung beim Gütetermin Kosten entstanden, die sie in der errechneten Höhe gegenüber dem Kläger geltend machen könne. Mit der – wirksamen – Zusatzvereinbarung sei keine Kostenregelung getroffen worden, da zu diesem Zeitpunkt erstattungsfähige Kosten nicht angefallen gewesen seien. Die Regelung des § 98 ZPO finde keine Anwendung, da kein Prozessvergleich geschlossen worden sei. § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG schließe es nicht aus, dass Ansprüche für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes geltend gemacht werden könnten. Eine aufschiebende Bedingung dergestalt, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Zusatzvereinbarung noch prüfen und genehmigen solle, sei nicht getroffen worden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Wie der Kläger im Revisionsverfahren mit Schriftsatz vom 18. Januar 2005 eingeräumt hat, hat die Beklagte die Klageforderung zur Meidung der Zwangsvollstreckung beglichen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsanspruch weiter. Widerklagend begehrt sie die Rückzahlung der zur Meidung der Zwangsvollstreckung gezahlten Beträge.