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LAG Hamm Urteil vom 03.02.2004 - 19 Sa 120/04

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht statthaft

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Entscheidungsstichwort (Thema)

einstweilige Verfügung auf tatsächliche Beschäftigung

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Leitsatz (amtlich)

1. Der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber kann durch ein im Arbeitsvertrag vereinbartes Recht des Arbeitgebers zur Freistellung des Arbeitnehmers für den Fall der Kündigung ausgeschlossen werden, wenn die Ausübung des Freistellungsrechtes des Arbeitgebers billigem Ermessen im Sinne des § 315 Abs. 3 BGB entspricht.

2. Stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufgrund einer solchen Klausel frei und streiten die Arbeitsvertragsparteien in einem Kündigungsschutzverfahren über die Wirksamkeit der Kündigung, kann der Arbeitnehmer seine tatsächliche Beschäftigung im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen, wenn entweder die Kündigung gerichtlich für unwirksam erklärt worden oder sie offensichtlich unwirksam ist oder die Freistellung billigem Ermessen widerspricht.

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Normenkette

ZPO § 940

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Verfahrensgang

ArbG Herne (Urteil vom 14.01.2004; Aktenzeichen 5 (2) Ga 74/03)

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Tenor

Verbunden mit

Berichtigungsbeschluss

06.04.2004 (siehe Anlage)

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 14. Januar 2004 – 5 (2) Ga 74/03 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen

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Tatbestand

Der Kläger begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung seine tatsächliche Weiterbeschäftigung bei der Beklagten.

Der am 14. November 1955 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er ist bei der Beklagten seit dem 1. März 1988 beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Anstellungsvertrag vom 4. Februar 1998, wonach der Kläger seit dem 1. Januar 1998 als Hauptniederlassungsleiter für die Hauptniederlassung W7xx tätig ist. § 9 Arbeitsvertrag lautet auszugsweise wie folgt:

9.2 Die Kündigungsfrist beträgt beiderseits 12 Monate zum Quartalsende

9.3 Die Kündigung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schrftform

9.4 EH ist berechtigt, Herrn A2xxxx nach Kündigung des Vertragsverhältnisses bei Weitergewährung seiner Bezüge zu beurlauben. Herr A2xxxx bleibt auch dann bis zum Abschluss der Kündigungsfrist Angestellter der E2. Sofern Herr A2xxxx während einer derartigen Beurlaubung bereits eine anderweitige Tätigkeit aufnehmen möchte, kann dies nur mit Genehmigung der Geschäftsleitung geschehen. In einem solchen Fall werden die Einkünfte des Herrn A2xxxx, auf die innerhalb der Kündigungsfrist wegen anderweitiger Tätigkeit Anspruch entsteht, voll auf die von EH weiterzuzahlenden Bezüge angerechnet.

Der Bruttomonatsverdienst des Klägers beträgt derzeit 8.947,60 EUR, dem Kläger ist ein Jahresgehalt von 15 Bruttomonatsentgelten garantiert. In seiner Funktion leitet er gemeinsam mit dem technischen Mitarbeiter W3xxxxxx und dem kaufmännischen Mitarbeiter R2xx die Sparte Ingenieur- und Hochbau H2xxx. Der Kläger ist verantwortlicher Leiter des Zentralbereiches Ingenieurbau M2xxx/S2x; ihm unterstehen die drei Niederlassungen Kraftwerksbau, K4xx und Industriebau H2xxx sowie die Geschäftsstelle S3xxxxxxx. Dem Kläger wurde Prokura erteilt.

Im Betrieb der Beklagten, die mehr als 5 Mitarbeiter ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt, ist sowohl ein Betriebsrat als auch ein Sprecherausschuss gewählt. Vorsitzender des Sprecherausschusses ist der Zeuge W4xxxx.

Im Jahre 2002 betrieb die Firma R3x R4xxx-B3xxx eine Ausschreibung für ein Kraftwerk mit zwei Kühltürmen. Im Jahre 2003 unterbreitete die Beklagte dieser Firma mehrere Angebote, die vom Kläger verantwortlich erarbeitet wurden. Im August 2003 entschied sich die Firma R3x R4xxx-B3xxx, den Bau des Kraftwerks statt an eine Baufirma im Kraftwerksbereich wie die Beklagte an ein Generalunternehmen zu vergeben. Dafür kamen drei andere Firmen in die engere Wahl, darunter die Firma G3x. Im September 2003 unterbreitete die Beklagte der Firma G3x ein vom Kläger verantwortlich erarbeitetes Angebot für den Bau von zwei Kühltürmen über 34,2 Mio. EUR. Am 28. Oktober 2003 wurde dem Kläger von Dr. H3xxxxxxxx, dem verantwortlichen Geschäftsführer der Firma G3x, mitgeteilt, dass dieser am Folgetag Verhandlungen mit dem Auftraggeber führen werde. Der Kläger war auf dem Weg nach W5xxxxxxx zu einer Quartalsbesprechung, die bis einschließlich 29. Oktober 2003 andauern sollte. Am 29. Oktober 2003 erhielt er dort gegen 10.00 Uhr von Dr. H3xxxxxxxx die Mitteilung, dass der Firma G3x ein erheblich günstigeres Angebot für die beiden Kühltürme vorliege als dasjenige, welches die Beklagte unterbreitet habe. Er benötige unverzüglich die Angabe eines reduzierten Preises. Gegen M3xxxx teilte der Kläger der Firma G3x telefonisch ein neues Angebot über 32,99 Mio. EUR mit. Die Firma G3x vergab den Auftrag an die Firma W6xxxx & T1xxxxx AG aus D2xxxxxx, die bisher noch nicht im Bereich Kraftwerksbau tätig gewesen war. Deren Hauptaktionär ist die weltweit im Kühl- und Kraftwerksbau tätige Firma V1xxx C2xxxxxxxxxx S5. Sowohl ein Vorstandsmitglied als auch mehrere leitende Mitarbeiter der Firma W6xxxx & T1xxxxx AG waren früher bei der Beklagten beschäftigt.

Am 5. November 2003 erhielt der Kläger das Kündigungsschreiben vom selben Tage, mit dem die Beklagte das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der vertraglich vereinbarten Frist zum 31. Dezember 2004 kündigte. Gleichzeitig wurde der Kläger von der weiteren Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der arbeitsvertraglichen Vergütung freigestellt. Gegen diese Kündigung hat der Kläger am 18. November 2003 Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Herne (5 Ca 3887/03) erhoben; Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer ist in diesem Verfahren nach erfolgloser Durchführung des Gütetermins am 18. Dezember 2003 auf den 10. März 2004 bestimmt.

Der Kläger hat zur Begründung seines Antrages vom 19. Dezember 2003 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung die Ansicht vertreten, die Beklagte habe ihn tatsächlich weiterzubeschäftigen, da die ausgesprochene Kündigung offensichtlich unwirksam sei. Der Sprecherausschuss sei vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Darüber hinaus seien die ihm gegenüber erhobenen Kündigungsvorwürfe inhaltlich völlig unzutreffend. Vor Ausspruch einer Kündigung hätte es seitens der Beklagten einer Abmahnung bedurft. Die Durchsetzung des Beschäftigungsanspruches im Wege der einstweiligen Verfügung sei zur Abwendung eines nicht wieder gutzumachenden Schadens an seiner beruflichen Existenz erforderlich.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihn in seiner bisherigen Position als Prokurist für die Sparte Ingenieur- und Hochbau unter Aufhebung der am 5. November 2003 erfolgten Freistellung weiterhin bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens in erster Instanz zu den vertraglichen Konditionen zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, aufgrund § 9.4 Anstellungsvertrag zur Freistellung berechtigt zu sein. Die Kündigung sei rechtswirksam. Der Vorsitzende des Sprecherausschusses sei am 31. Oktober 2003 gegen 10.00 Uhr vom Geschäftsführer der Beklagten ausführlich zur Kündigung angehört worden. Der Kläger habe im Zusammenhang mit der Auftragsvergabe für die Kühltürme des Kraftwerks der Firma R3x R4xxx B3xxx seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwerwiegend verletzt, wodurch der Beklagten nicht nur ein Auftrag von rund 30 Mio. EUR entgangen, sondern darüber hinaus ein bislang unbekannter Konkurrent in den Markt des Kraftwerksbaus eingedrungen sei. Einer vorherigen Abmahnung habe dies nicht mehr bedurft.

Durch sein am 14. Januar 2004 verkündetes Urteil hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen und dies damit begründet, der Kläger habe keinen Verfügungsgrund dargelegt. Ein solcher bestehe angesichts der begehrten Befriedigungs- oder Leistungsverfügung nur dann, wenn andere erfolgversprechende Maßnahmen nicht möglich seien, um einem bestehenden Notstand abzuhelfen oder einem zukünftigen Notstand vorzubeugen. Die vom Kläger hierzu angeführten Gründe seien nicht geeignet, einen solchen Notstand zu begründen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde dem Kläger am 23. Januar 2004 zugestellt. Er hat am 16. Januar 2004 hiergegen Berufung eingelegt, sie gleichzeitig begründet und die Begründung mit Schriftsatz vom 24. Januar 2004 ergänzt.

Unter Wiederholung und Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen verweist er darauf, dass der Sprecherausschuss nicht ordnungsgemäß angehört worden sei, insbesondere die Einhaltung der Wochenfrist gemäß § 31 Abs. 2 SprAuG sei nicht dargelegt. Das Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass der Kläger den Vortrag der Beklagten zu den Kündigungsgründen bereits nach einer ersten Durchsicht in 15 Punkten schriftsätzlich widerlegt bzw. ergänzt habe. Ein Fehlverhalten seinerseits habe nicht vorgelegen. Seine Präsenz in H2xxx sei nach dem Telefonat mit Dr. H3xxxxxxxx nicht erforderlich gewesen. Die von der Firma G3x zuletzt geäußerte Zielvorstellung von 29,4 Mio. EUR sei für die Beklagte nicht darstellbar gewesen. Zudem habe er den Geschäftsführer bereit am 29. Oktober 2003 mittags hiervon informiert. Im Übrigen sei schwer vorstellbar, welche Nachteile über die bereits dargelegten hinaus vorliegen müssten, um einen Verfügungsgrund zu begründen. Die berufliche Reputation des Klägers und seine Einstellungschancen für vergleichbare Positionen würden durch die Freistellung beeinträchtigt, seine Aufstiegschancen und Zukunftsperspektiven bei der Beklagten gemindert. Angesichts der unstreitig geschaffenen organisatorischen Fakten durch die Beklagte sei zu befürchten, dass bei noch längerer Abwesenheit dem Kläger eine betriebs- oder personenbedingte Kündigung drohe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 14. Januar 2004 – 5 (2) Ca 74/03 – aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn in seiner bisherigen Position als Prokurist in der Sparte Ingenieur- und Hochbau unter Aufhebung der am 5. November 2003 erfolgten Freistellung weiterhin bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens in erster Instanz zu den vertraglichen Konditionen zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend, insbesondere führe die Freistellung nicht zu einer existentiellen Notlage des Klägers; er erleide lediglich allgemeine berufliche Nachteile. Der Sprecherausschuss sei ordnungsgemäß angehört, der Vorsitzende W4xxxx habe am 4. November 2003 den Personalleiter M4xxx auf Befragen erklärt, dass der Sprecherausschuss die Kündigung zur Kenntnis nehme. Der Kläger habe durch sein Verhalten den Verlust des Auftrages zu verantworten. Er habe spätestens am 28. Oktober 2003 mit dem Geschäftsführer Kontakt aufnehmen müssen, um mit ihm die weitere Vorgehensweise abzuklären. Einen Grenz- oder Kampfpreis habe der Kläger vorbereitend nicht ermittelt. Trotz der ihm bekannten Tatsache, dass die Vergabeverhandlungen stattfinden, sei er nicht in H2xxx präsent gewesen. Erst am Nachmittag des 29. Oktober 2003 habe der Kläger den Geschäftsführer informiert, dass ein Angebot unter 30 Mio. EUR vorliege. Bei der von diesem sofort veranlassten Überprüfung des Angebots habe sich herausgestellt, dass der Klägers mit einem nicht marktgerechten Mittellohn von 30,–EUR kalkuliert habe. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit sei jedoch der Auftrag nicht mehr zu retten gewesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen W4xxxx. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 3. Februar 2004 Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf das vorgenannte Protokoll sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.