BAG Beschluss vom 31.01.2018 - 10 AZR 695/16 (A)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausbildungskostenausgleichskasse im Schornsteinfegerhandwerk. Tariffähigkeit. Tarifzuständigkeit. Aussetzung
Orientierungssatz
1. Das Revisionsgericht darf die Wirksamkeit eines entscheidungserheblichen Tarifvertrags nach § 293 ZPO überprüfen, wenn es sich die erforderliche Kenntnis selbst, etwa durch Einsicht in die im Handelsregister veröffentlichte Satzung eines wirtschaftlichen Vereins, verschaffen kann und keine weiteren tatsächlichen Feststellungen zu treffen sind.
2. Die Tariffähigkeit und die Tarifzuständigkeit der Tarifvertragsparteien sind Wirksamkeitsvoraussetzungen für den jeweils abgeschlossenen Tarifvertrag als statutarisches Recht.
3. Auch das Revisionsgericht hat einen Rechtsstreit nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG auszusetzen, wenn vernünftige Zweifel an der Tariffähigkeit oder an der Tarifzuständigkeit einer tarifvertragschließenden Partei bestehen und diese Zweifel entscheidungserheblich sind.
4. Die in der Satzung des ZDS enthaltenen Regelungen über die „Fördermitgliedschaft” selbständiger Schornsteinfeger im ZDS bieten gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass der soziale Gegenspieler des ZDS dessen eigenständige Interessenwahrnehmung und tarifliche Willensbildung ernsthaft beeinflussen könnte. Dies begründet vernünftige Zweifel an der Tariffähigkeit des ZDS.
5. Es bestehen vernünftige Zweifel an der Tarifzuständigkeit des ZDS für den TV AKS 2012 und den TV AKS 2014, weil sich der satzungsgemäße Organisationsbereich des ZDS nicht auf Auszubildende erstreckt. Diese Zweifel werden durch die „Servicemitgliedschaft” von Auszubildenden im ZDS nicht beseitigt. Sie erstrecken sich aufgrund des untrennbaren Zusammenhangs der Regelungen über den persönlichen Geltungsbereich und die Ausbildungsvergütung mit den übrigen Tarifbestimmungen auf den gesamten Inhalt des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014.
6. In den fachlichen Geltungsbereich des TV AKS 2012 und des TV AKS 2014 fällt auch ein Betrieb, der ausschließlich einem Bezirksschornsteinfeger vorbehaltene Tätigkeiten ausführt.
7. Die Gründung einer gemeinsamen Einrichtung zu dem Zweck, die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Ausbildungsplätzen zu fördern und die Durchführung einer qualifizierten, den besonderen Anforderungen des Wirtschaftszweigs gerecht werdenden Berufsbildung der Auszubildenden im Schornsteinfegerhandwerk zu sichern, fällt in den Rahmen der Regelungsmacht von Tarifvertragsparteien. Die Tarifvertragsparteien können in einem solchen Zusammenhang auch die Höhe der Ausbildungsvergütung regeln.
8. Mit den von § 7 Abs. 2 TV AKS 2012 und § 7 Abs. 2, Abs. 7 TV AKS 2014 begründeten Beitrags- und Auskunftspflichten für Betriebe mit Arbeitnehmern haben die Tarifvertragsparteien den weiten Gestaltungsspielraum nicht überschritten, der ihnen nach Art. 9 Abs. 3 GG zukommt. Die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestbeitrags nach § 7 Abs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 und § 7 Abs. 2 Satz 3 TV AKS 2014 sowie die Auskunftspflicht aus § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2014 sind mit Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; ArbGG § 97 Abs. 5 S. 1; TVG § 4 Abs. 2; HwO § 1 Abs. 2; SchfHwG in der bis zum 21. Juli 2017 geltenden Fassung § 1 Abs. 1; SchfHwG in der bis zum 21. Juli 2017 geltenden Fassung § 2 Abs. 1; SchfHwG in der bis zum 21. Juli 2017 geltenden Fassung § 8 Abs. 2; SchfHwG in der bis zum 21. Juli 2017 geltenden Fassung § 13 ff.; ZPO § 293; Tarifvertrag über die Förderung der beruflichen Ausbildung im Schornsteinfegerhandwerk in den Fassungen vom 24. September 2012 (TV AKS 2012) und vom 1. Juli 2014 (TV AKS 2014) § 1 Unterabs. 3, § 2 S. 1, §§ 4, 7 Abs. 2, 7
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 22.07.2016; Aktenzeichen 9 Sa 132/16) |
ArbG Siegburg (Urteil vom 20.11.2015; Aktenzeichen 2 Ca 2063/15) |
Tenor
Der Rechtsstreit wird nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Tariffähigkeit des Zentralverbands Deutscher Schornsteinfeger e. V. – Gewerkschaftlicher Fachverband – bei Abschluss des Tarifvertrags über die Förderung der beruflichen Ausbildung im Schornsteinfegerhandwerk vom 24. September 2012 und des Tarifvertrags über die Förderung der beruflichen Ausbildung im Schornsteinfegerhandwerk vom 1. Juli 2014 sowie über seine Tarifzuständigkeit in Bezug auf diese Tarifverträge ausgesetzt.
Tatbestand
A. Die Parteien streiten über die Zahlung von Mindestbeiträgen und die Erteilung einer Auskunft nach den Tarifverträgen über die Förderung der beruflichen Ausbildung im Schornsteinfegerhandwerk vom 24. September 2012 (TV AKS 2012) und vom 1. Juli 2014 (TV AKS 2014).
Der Beklagte ist selbständiger Bezirksschornsteinfeger und beschäftigt seine Ehefrau als Teilzeitkraft mit Bürotätigkeiten. Er ist nicht Mitglied einer Schornsteinfegerinnung. Bei der Klägerin handelt es sich um die von dem Bundesverband des Schornsteinfegerhandwerks – Zentralinnungsverband (ZIV) – und dem Zentralverband Deutscher Schornsteinfeger e. V. – Gewerkschaftlicher Fachverband – (ZDS) am 3. Dezember 2012 gegründete Ausbildungskostenausgleichskasse. Der ZDS ist dem Rechtsstreit als Nebenintervenient zur Unterstützung der Klägerin beigetreten.
Der zwischen dem ZIV und dem ZDS am 24. September 2012 geschlossene TV AKS 2012 lautet auszugsweise:
„§ 1 Geltungsbereich
Der Tarifvertrag gilt
Räumlich: für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
Fachlich: für alle Betriebe des Schornsteinfegerhandwerks. Das sind alle Betriebe, die zulassungspflichtige Tätigkeiten nach § 1 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage A Nr. 12 HwO ausüben.
Persönlich: für alle Auszubildenden, die in dem anerkannten Ausbildungsberuf Schornsteinfeger nach der Verordnung über die Berufsausbildung zum Schornsteinfeger und zur Schornsteinfegerin ausgebildet werden und eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben.
§ 2 Förderung der beruflichen Ausbildung
Zur Förderung der Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Ausbildungsplätzen und um die Durchführung einer qualifizierten, den besonderen Anforderungen des Wirtschaftszweiges gerecht werdenden Berufsbildung der Auszubildenden im Schornsteinfegerhandwerk zu sichern, gründen die Tarifvertragsparteien eine Ausbildungskostenausgleichskasse. Die Ausbildungskostenausgleichskasse wird als nicht gewinnorientierte Gesellschaft in der Rechtsform einer GmbH gegründet. Diese Gesellschaft wird ermächtigt, von den Betrieben Beiträge im eigenen Namen einzuziehen und entsprechend dem Gesellschaftszweck einen Zuschuss zu den Ausbildungskosten an die ausbildenden Betriebe auszuzahlen.
§ 3 Ausbildungskostenausgleich
(1) Jeder Betrieb, der einen Auszubildenden zum Schornsteinfeger ausbildet, hat ab dem 01.01.2013 gegenüber der Ausbildungskostenausgleichskasse unter den Voraussetzungen der Einhaltung der §§ 5 bis 7 einen Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich:
a) |
im ersten Ausbildungsjahr: |
6.400,00 EUR brutto |
b) |
im zweiten Ausbildungsjahr: |
5.100,00 EUR brutto |
c) |
im dritten Ausbildungsjahr: |
3.400,00 EUR brutto |
Der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich erfolgt maximal für eine Ausbildungsdauer von 36 Monaten.
…
(4) Der kalenderjährliche Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich wird in 4 Raten fällig. Der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 1. Quartal des Kalenderjahres wird am 15.07. des Kalenderjahres fällig, der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 2. Quartal des Kalenderjahres wird am 15.10. des Kalenderjahres fällig, der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 3. Quartal wird am 15.01. des darauf folgenden Kalenderjahres fällig und der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 4. Quartal wird am 15.04. des darauf folgenden Kalenderjahres fällig.
§ 4 Ausbildungsvergütung
Auszubildende zum Schornsteinfeger erhalten eine monatliche Ausbildungsvergütung für das erste Lehrjahr in Höhe von mindestens 419,– EUR brutto, für das zweite Lehrjahr in Höhe von mindestens 476,– EUR brutto und für das dritte Lehrjahr in Höhe von mindestens 557,– EUR brutto.
§ 5 Stammdaten
(1) Vor Aufnahme einer Tätigkeit im Schornsteinfegerhandwerk ist jeder Betrieb verpflichtet, sich bei der Ausbildungskostenausgleichskasse zu melden und dieser folgende Stammdaten mitzuteilen:
- Name, Rechtsform und gesetzliche Vertreter des Unternehmens
- Anschrift am Hauptbetriebssitz, ggf. davon abweichende inländische Zustellungsadresse, Telefonnummer, Telefaxnummer, E-Mail-Adresse
- inländische oder, soweit nicht vorhanden, ausländische Bankverbindung
(2) Das Meldeformular, das von der Ausbildungskostenausgleichskasse zur Verfügung gestellt wird, ist zu unterschreiben. Durch die Unterschrift bestätigt der Betriebsinhaber oder Betriebsleiter die Vollständigkeit und Richtigkeit der Meldungen. Änderungen sind der Ausbildungskostenausgleichskasse innerhalb von zwei Wochen in schriftlicher Form mitzuteilen. Erst mit der vollständigen und richtigen Erteilung der in Absatz 1 geforderten Auskünfte hat der Betrieb seine Verpflichtung zur Meldung erfüllt.
(3) Die bereits bestehenden Betriebe haben der Ausbildungskostenausgleichskasse die in Abs. 1 geforderten Auskünfte bis zum 30.11.2012 mitzuteilen.
…
§ 7 Beiträge
(1) Die Mittel für die Ausgleichszahlungen und die Kosten für die Verwaltung der Ausbildungskostenausgleichskasse werden von den Betrieben durch Beiträge aufgebracht. Beitragspflichtig sind die in § 1 des Tarifvertrages genannten Betriebe.
(2) Ab dem 01.01.2013 hat jeder Betrieb kalenderjährlich einen Beitrag von 4,4 % der Summe der Bruttolöhne aller in seinem Betrieb beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer, die nach Schornsteinfegerhandwerksgesetz mit der Ausübung von Schornsteinfegertätigkeiten betraut sind, als Beitrag an die Ausbildungskostenausgleichskasse abzuführen. Unabhängig hiervon beträgt der Mindestbeitrag je Betrieb 800,00 EUR brutto pro Kalenderjahr.
…
(5) Der Betrieb hat den Beitrag in vier gleichen Raten zu zahlen. Der Beitrag wird jeweils fällig zum 20. Kalendertag des 1. Monats im Kalendervierteljahr.
…
(7) Der Betrieb hat der Ausbildungskostenausgleichskasse über ein von ihr zur Verfügung gestelltes Formular die gezahlten Bruttolohnsummen des abgelaufenen Geschäftsjahres bis zum 30. April des Folgejahres nachzuweisen. …
(8) Stellt sich nach Ablauf eines Kalenderjahres heraus, dass der Beitrag zu hoch oder zu niedrig war, um die tarifvertraglich festgelegten Leistungen zu decken, so hat auf Antrag einer der Tarifvertragsparteien für das folgende Kalenderjahr eine entsprechende Anpassung zu erfolgen.”
Die Regelungen in § 1 (Geltungsbereich), § 2 (Förderung der beruflichen Ausbildung), § 5 Abs. 1 und Abs. 2 (Stammdaten), § 6 (Verfahren bei der Gewährung des Ausbildungskostenausgleichs) und § 7 Abs. 1, Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 und Abs. 8 TV AKS 2014 stimmen mit den jeweiligen Regelungen im TV AKS 2012 weitestgehend überein. Die jährlichen Ausgleichsbeträge (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a bis Buchst. c TV AKS 2014) wurden um jeweils 150,00 Euro und die monatliche Ausbildungsvergütung (§ 4 TV AKS 2014) um jeweils 10,00 Euro angehoben. Der Beitragssatz blieb unverändert (§ 7 Abs. 2 Satz 1 TV AKS 2014). Der Mindestbeitrag wurde auf 400,00 Euro reduziert (§ 7 Abs. 2 Satz 3 TV AKS 2014).
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erklärte den TV AKS 2012 durch Bekanntmachung vom 26. März 2013 mit Wirkung zum 1. November 2012 für allgemeinverbindlich (BAnz. AT 4. April 2013 B1). Der TV AKS 2014 wurde durch Bekanntmachung vom 27. November 2014 mit Wirkung vom 1. Januar 2015 für allgemeinverbindlich erklärt (BAnz. AT 3. Dezember 2014 B4). Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wies den Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit dieser Allgemeinverbindlicherklärungen mit Beschluss vom 20. September 2017 (– 17 BVL 5001/17, 17 BVL 5002/17 –) zurück. Der Beschluss ist rechtskräftig.
Die Klägerin hat gemeint, der Beklagte sei zur Zahlung der Mindestbeiträge nach § 7 Abs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 und – ab dem 1. Januar 2015 – nach § 7 Abs. 2 Satz 3 TV AKS 2014 verpflichtet. Er habe ihr nach § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2014 die Bruttolohnsumme des Kalenderjahrs 2014 mitzuteilen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihr
- 200,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Januar 2014 zu zahlen;
- 200,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. April 2014 zu zahlen;
- 200,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Juli 2014 zu zahlen;
- 200,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Oktober 2014 zu zahlen;
- 100,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Januar 2015 zu zahlen;
- 100,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. April 2015 zu zahlen;
- 100,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Juli 2015 zu zahlen;
- die Bruttolohnsumme der mit Schornsteinfegerarbeiten betrauten gewerblichen Mitarbeiter für das Jahr 2014 anzugeben.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat gemeint, Bezirksschornsteinfeger seien schon nach dem Tarifwortlaut nicht vom fachlichen Geltungsbereich des TV AKS erfasst. Dies entspreche dem begrenzten, gesetzlich geregelten Aufgabenkreis, der die Ausbildung von Schornsteinfegern nicht umfasse.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte weiterhin das Ziel der Klageabweisung.