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Hessisches LAG Urteil vom 10.04.2017 - 7 Sa 650/16

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Insolvenzverwalters für aus der Insolvenzmasse nicht voll zu erfüllende Masseverbindlichkeiten. Haftung für die Zahlung des Urlaubsgeldes von Arbeitnehmern bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit drei Monate nach der Urlaubserteilung

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Leitsatz (amtlich)

1. Begründet der Insolvenzverwalter (IV) durch eine Rechtshandlung eine Masseverbindlichkeit, die dann aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden kann, so macht er sich grundsätzlich persönlich nach § 61 InsO schadensersatzpflichtig. Eine Ausnahme liegt vor, wenn er bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Masse nicht zur Erfüllung ausreichen wird.

2. Der IV ist berechtigt, zur Sicherung des Urlaubsanspruchs eines Arbeitnehmers nach erfolgter Kündigung diesen Urlaub zu erteilen, aber auch verpflichtet, dass Urlaubsentgelt zu zahlen.

3. Dabei ist ein insolvenzspezifische Freistellungsrecht des IV ohne die Verpflichtung zur Zahlung von Urlaubsentgelt nicht anzuerkennen.

4. Erfolgt die Anzeige der Masseunzulänglichkeit drei Monate nach der Urlaubserteilung durch den IV, so ist darin eine schadensersatzbegründende Pflichtverletzung des IV nicht zu sehen.

5. Dies würde erst recht gelten, wenn der IV verpflichtet wäre, von sich aus Urlaub zu erteilen, aber gleichzeitig noch Arbeitsleistungen anderer Arbeitnehmer entgegennimmt und die Vergütung aus der Masse zahlt, was zu einer Schmälerung der Masse führt.

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Normenkette

BUrlG §§ 7, 11; InsO § 61

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Verfahrensgang

ArbG Kassel (Entscheidung vom 13.04.2016; Aktenzeichen 1 Ca 32/15)

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Nachgehend

BAG (Urteil vom 06.09.2018; Aktenzeichen 6 AZR 367/17)

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Tenor

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 13.04.2016 -1 Ca 32/15 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird zugelassen.
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Tatbestand

Die Klägerin begehrt Schadenersatz.

Die Klägerin wurde am xx. xx. 1994 von dem Unternehmen A eingestellt. Seit dem 01. September 2004 wurde die Klägerin dann zur Verkaufsleiterin für den Vertrieb in Deutschland befördert und war mit dieser Tätigkeit für den Insolvenzschuldner tätig. Grundlage dieser Tätigkeit für den Insolvenzschuldner war der Arbeitsvertrag der Klägerin mit dem Insolvenzschuldner vom 10. August 2004. Wegen der Einzelheiten dieses Arbeitsvertrages wird auf die Anlage K 1 zur Klageschrift (Bl. 8 f. d. A.) Bezug genommen. Die Klägerin hatte ein Monatsbruttogehalt in Höhe von € 6.137,08 zuzüglich einer Jahressonderzahlung und der Nutzung eines Betriebs-PKW zu beanspruchen.

Mit Beschluss vom 28. März2012 wurde über das Vermögen des A das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Es existiert eine Abrechnung vom 25. April 2012, die unter der Rubrik Urlaubstage die Zahl 64,0 enthält und unter der Rubrik Urlaub genommen die Zahl 7,0 ausweist, während unter der Rubrik Urlaubsrest die Zahl 57,0 sich findet. Wegen der Einzelheiten dieser Gehaltsabrechnung wird auf die Anlage K 4 zur Klageschrift (Bl. 14 d. A.) verwiesen.

Mit Schreiben vom 27.April 2012 hat der Beklagte in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis der Klägerin unter Bezugnahme auf § 113 InsO zum 31. Juli 2012 gekündigt. Wegen der Einzelheiten dieses Kündigungsschreibens wird auf die Anlage K 2 zur Klageschrift (Bl. 10 f. d. A.) Bezug genommen. Mit Schreiben vom 27. April 2012 hat der Beklagte die Klägerin von der Arbeitsleistung freigestellt. Dabei hat der Beklagte erklärt, dass keinerlei Beschäftigungsmöglichkeit mehr bestehe und er deswegen die Klägerin ab dem 01. Mai 2012 unwiderruflich von der Erbringung der Arbeitsleistung freistelle. Des Weiteren hat der Beklagte in diesem Schreiben erklärt, dass die Freistellung unter Verrechnung von eventuellen Urlaubs- und Freizeitansprüchen erfolge. Der der Klägerin noch zustehende Resturlaub solle ab dem ersten Tag der Freistellung, d. h. dem 02. April 2012, gewährt werden. Schließlich hat der Beklagte in diesem Schreiben erklärt, dass das derzeitige Massevermögen nicht ausreiche, um die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer / -Innen bis zum Ablauf der jeweiligen Kündigungsfrist zu zahlen. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Schreibens wird auf die Anlage K 3 (Bl. 12 f. d. A.) Bezug genommen. Die Klägerin hat auch ab diesem Zeitpunkt kein Arbeitsentgelt bekommen.

Am 31. August 2012 hat der Beklagte die Masseunzulänglichkeit angezeigt. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens wird auf die Anlage B 2 zum Schriftsatz des Beklagten vom 17. April 2014 (Bl. 45 f. d. A.) verwiesen. Das Amtsgericht in B - Insolvenzgericht - hat mit Beschluss vom 03. September 2012 sowie dem Ergänzungsbeschluss vom gleichen Tag - 1 IN 24/12 - die Anzeige der Masseunzulänglichkeit festgestellt. Wegen der Einzelheiten dieser Beschlüsse wird auf die Anlage B 3 zum Schriftsatz des Beklagten vom 17. April 2014 (Bl. 47 f. d. A.) verwiesen.

Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern von dem Beklagten, insbesondere auch während des Laufs der Kündigungsfrist für das Arbeitsverhältnis der Klägerin, mit Abwicklungsarbeiten beschäftigt wurden und aus der Masse das Arbeitsentgelt erhalten haben.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stünde gegenüber dem Beklagten ein Schadenersatzanspruch deswegen zu, weil er sie von der Arbeitsleistung unter Verrechnung der Urlaubsansprüche freigestellt habe, und sie wegen der Masseunzulänglichkeit keinerlei Arbeitsentgelt, Urlaubsentgelt oder gar Urlaubsabgeltung gezahlt bekommen habe. Dies könne vor dem Hintergrund der europäischen Veranlassung der Urlaubserteilung nicht rechtens sein.

Die Klägerin hat behauptet, dass ihr auf einer Betriebsleiterbesprechung im Februar / März 2012 untersagt worden sei, Urlaub zu beantragen und zu nehmen. Des Weiteren hat die Klägerin behauptet, ihr stünden noch 64 Urlaubstage zu. Sie habe diesen Anspruch gegenüber dem Beklagten auch geltend gemacht. Des Weiteren hat die Klägerin die Auffassung vertreten, durch die Erklärung des Beklagten und der Nichtzahlung des Entgelts sei der Urlaub nicht erfüllt. Ihr stünde deswegen noch Urlaubsabgeltung und ein Schadenersatz gegenüber dem Beklagten zu, wobei sie die Höhe von € 18.127,36 angibt.

Die Klägerin hat des Weiteren die Auffassung vertreten, dass die Urlaubsabgeltung eine Masseverbindlichkeit sei. Die Rechtshandlung des Insolvenzverwalters sei aber eine Urlaubssperre gewesen. Dies begründe dann den Schadenersatzanspruch nach § 61 InsO. Da sich der Anspruch ausschließlich gegen den Beklagten persönlich richte, sei die Leistungsklage auch zulässig.

Die Klägerin hat behauptet, dass der Beklagte durch die Arbeitsanweisung verhindert habe, dass die Klägerin ihren Urlaub habe nehmen können. Dies sei zu einem Zeitpunkt geschehen, in dem der Urlaubsanspruch durch Insolvenzgeld noch abgedeckt gewesen sei.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin € 18.127,36 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, er habe die Klägerin zu Recht freigestellt. Wie aus dem Schreiben hervorgehe, sei die Freistellung unter Verrechnung von eventuellen Urlaubs- und Freizeitansprüchen erfolgt.

Der Beklagte hat behauptet, dass durch ihn eine Urlaubssperre nicht erfolgt sei. Schließlich habe die Klägerin auch die Anzahl der Urlaubstage nicht richtig berechnet. Ihr stünden nämlich nur noch 30 Urlaubstage zu.

Des Weiteren hat der Beklagte die Auffassung vertreten, dass mit den Freistellungen keine Masseverbindlichkeiten bewusst begründet worden seien. Es liege deswegen keine haftungsbegründende Pflichtverletzung durch ihn vor. In diesem Zusammenhang hat der Beklagte behauptet, dass die Arbeitsleistung der Klägerin die Insolvenzmasse nicht habe mehren können.

Das Arbeitsgericht in Kassel hat durch das am 13.April 2016 verkündete Urteil -1 Ca 32/15 - die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG habe. Ein etwaiger Urlaubsabgeltungsanspruch würde sich auch nicht gegen den Beklagten persönlich richten. Aber auch ein Schadenersatzanspruch auf der Grundlage des § 61 InsO sei nicht gegeben. Eine pflichtwidrige Handlung des Beklagten liege nicht vor. Wäre nämlich in dem Zeitraum, für den die Klägerin eine Urlaubssperre behauptet habe, ihr der Urlaub in natura gewährt worden, so hätte sich ihre Vermögenslage hierdurch nicht verbessert. Sie hätte für den entsprechenden Zeitraum Vergütungsfortzahlung durch Vorfinanzierung des Insolvenzausfallgeldes in gleicher Höhe bezogen wie ohne Urlaubsgewährung. Auch ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung scheide aus. Durch die Erbringung der Arbeitsleistung im Zeitraum Februar / März 2012 sei allenfalls die Insolvenzmasse, nicht jedoch der Beklagte persönlich bereichert worden.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts in Kassel hat die Klägerin innerhalb der zu Protokoll der Berufungsverhandlung vom 10. April2017 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.

Die Klägerin bleibt auch in der Berufungsinstanz bei ihrem tatsächlichen Vorbringen, dass im Rahmen einer Betriebsleiterbesprechung im Februar / März 2012 der Vorgesetzte der Klägerin ihr untersagt habe, Urlaub zu nehmen. Erst der Beklagte habe sie zum 01. Mai 2012 von der Arbeitsleistung freigestellt. Während der Freistellung habe sie kein Entgelt bezogen und habe der Bundesagentur zur Verfügung stehen müssen.

Zum Schadensumfang vertritt die Klägerin die Auffassung, dass wegen der Masseunzulänglichkeit die Klägerin ihre Urlaubsabgeltung nicht realisieren könne. Wenn der Arbeitgeber durch eine Urlaubssperre verhindere, dass der Arbeitnehmer bezahlten Erholungsurlaub erhalte, so entstehe dem Arbeitnehmer ein Schaden.

Die Klägerin sieht auch eine Verletzung des europäischen Grundrechts auf Urlaub und Urlaubserteilung. Seitens des Insolvenzverwalters könne nur dann eine Urlaubssperre angeordnet werden, wenn er über ausreichende Finanzmittel verfüge.

Die Klägerin beantragt,

auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 13.04.2016, Aktenzeichen: 1 Ca 32/15, abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 18.127,36 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass durch die erfolgte Urlaubsgewährung die Klägerin keinen geldwerten Vorteil erhalten sollte. Es entstehe auch kein immaterieller Schaden. Es trete auch keine Erhöhung der Vergütung des Beklagten ein. Außerdem sei der Urlaub durch Freistellung zulässigerweise gewährt worden.

Der Beklagte behauptet, dass die Klägerin keinen Urlaubsantrag gestellt habe. Es sei auch nichts abgelehnt worden.

Insgesamt ist der Beklagte der Auffassung, dass er sich nicht pflichtwidrig verhalten habe. Außerdem sei die Schadenshöhe nicht richtig berechnet.