Kirchenmusiker zu Unrecht gekündigt
Wenn Beschäftigte einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß begehen, kann das eine Kündigung rechtfertigen. Doch wann liegt ein solcher Verstoß, der eine weitere Zusammenarbeit ausschließt, vor? Das hatte im vorliegenden Fall das Arbeitsgericht Braunschweig zu beurteilen. Die evangelische Kirche hatte den langjährigen Mitarbeiter entlassen, weil er - was am Arbeitsplatz publik wurde - eine Leihmutterschaft in Kolumbien plante. Während in Deutschland die Leihmutterschaft verboten ist, gibt es in vielen Ländern eine andere Rechtslage. Gerade in ärmeren Ländern stellen sich Frauen oftmals aus finanziellen Gründen als Leihmutter zur Verfügung. Dies lehnt die evangelische Kirche ab.
Fristlose Kündigung wegen geplanter Leihmutterschaft
Der Kirchenmusiker ist bei der evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig beschäftigt. Die Landeskirche kündigte ihm Ende März fristlos, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist zu Ende Oktober 2022.
Die Kündigung begründete der Arbeitgeber im Wesentlichen damit, dass der Arbeitnehmer "sich Pläne offengehalten habe, für sich und seinen Ehemann Kinder im Wege der Leihmutterschaft in Kolumbien austragen zu lassen". In diesem Verhalten sah die Kirche einen erheblichen Loyalitätsverstoß. Eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kirchenmusiker mache dies insbesondere wegen seiner exponierten Position als bundesweit bekanntem Domkantor unzumutbar. Seine Überlegungen, eine Leihmutter zu beauftragen, hätten zudem zu Streit unter den Mitarbeitenden geführt. Viele hätten die Idee abgelehnt und eine weitere Zusammenarbeit verweigert.
Unwirksame Kündigung des Kirchenmusikers?
Der Musiker wehrte sich vor Gericht gegen seine Kündigung. Er machte geltend, dass er zu keinem Zeitpunkt eine kommerzielle Leihmutterschaft geplant habe. Die Kirche versuche unzulässigerweise durch die Kündigung einen bloßen Gedankenprozess zu unterbinden. Zumal die Kirchengemeinde selbst für die Verbreitung des Sachverhalts gesorgt habe, weswegen er in seiner Reputation und möglicherweise auch wirtschaftlich schwer geschädigt wurde.
Landeskirche muss Domkantor weiter beschäftigen
Das Arbeitsgericht Braunschweig gab dem Kirchenmusiker recht. Es erklärte sowohl die außerordentliche Kündigung als auch die hilfsweise erklärte außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist für unwirksam. Zudem verurteilte es die Landeskirche, den Kirchenmusiker als Domkantor tatsächlich bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen.
ArbG Braunschweig: Kein wichtiger Grund für fristlose Kündigung
Das Arbeitsgericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben sei. In dem Verhalten des Domkantors erkannte es keinen direkten Verstoß gegen eine vertragliche Loyalitätspflicht gegenüber der Landeskirche. Mit seiner Erklärung dem Arbeitgeber gegenüber, sich die Möglichkeit einer Leihmutterschaft offenzuhalten, habe der Arbeitnehmer nicht gegen eine konkrete, "aus dem Selbstverständnis der Kirche folgende Loyalitätsanforderung" verstoßen.
Mitverschulden der Kirche für öffentliche Verbreitung
Für das Gericht ergab auch die gebotene Abwägung der Interessen der Parteien im Einzelfall kein überwiegendes Interesse der Kirche an einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Neben dem Umstand, dass kein direkter Verstoß gegen Loyalitätspflichten vorlag, berücksichtigte das Gericht, dass die Äußerung des Domkantors nicht provokativ war und unter das Grundrecht auf Meinungsfreiheit falle. Der reine Abwägungsprozess in dieser Sache dürfe nicht per Kündigung sanktioniert werden. Auch war es aus Sicht des Gerichts nicht allein dem Verhalten des Kirchenmusikers zuzuschreiben, dass die Problematik in der Öffentlichkeit verbreitet wurde. Vielmehr habe die Landeskirche hieran einen erheblichen Eigenanteil und damit ein Mitverschulden.