LAG-Urteil: Unzulässige Kündigung eines angestellten Rechtsanwalts

Eine betriebsbedingte Kündigung eines in einer Rechtsanwaltsgesellschaft angestellten Rechtsanwalts ist unwirksam, wenn eine Änderungskündigung möglich gewesen wäre und diese nicht zumindest angeboten wurde.

Gegenstand des vom LAG Köln in zweiter Instanz entschiedenen Verfahrens waren eine ordentliche und eine außerordentliche Kündigung eines angestellten Rechtsanwalts in einer Rechtsanwaltsgesellschaft, die überwiegend Massenverfahren (Abgasskandal, Wirecard) bearbeitet.

Zivilrechtsabteilung nicht kostendeckend

Der Kläger bearbeitete in der Anwaltskanzlei zusammen mit zwei weiteren Anwälten die Segmente Versicherungsrecht und Allgemeines Zivilrecht. Diese Geschäftsbereiche erwiesen sich nach Angaben der beklagten Rechtsanwaltsgesellschaft über einen längeren Zeitraum als defizitär. In einem persönlichen Gespräch erläuterte die Verantwortliche für Personal dem Kläger diese Sichtweise. Streitig blieb zwischen den Parteien, ob der Kläger einen ihm in Aussicht gestellten Wechsel in die Abteilung für Massenverfahren abgelehnt hat.

Ordentliche und außerordentliche Kündigung des Anwalts

Ca. zwei Monate nach dem geführten Gespräch erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus betriebsbedingten Gründen. Kurze Zeit später folgte eine außerordentliche Kündigung wegen einer angeblichen unerlaubten Konkurrenztätigkeit des Klägers in einer Kanzlei in einer anderen Stadt.

Rechtsanwaltsgesellschaft stellte ständig neue Anwälte ein

Der Kläger wehrte sich gegen beide Kündigungen vor dem Arbeitsgericht. Er verwies auf einen Instagram-Post des Geschäftsführers, in dem dieser in engem zeitlichen Zusammenhang mit der ersten Kündigung eine phänomenal positive wirtschaftliche Entwicklung der Anwaltsgesellschaft betonte. Der Post wies auf 30.000 neue Mandate in den letzten zehn Monaten hin. Eine ganze Reihe neue anwaltliche Mitarbeiter wurden in diesem Zeitraum eingestellt. Die Kanzlei schrieb mehrfach neue Stellen aus und bewarb auch ihre Tätigkeit nach Verkehrsunfällen im Verkehrsrecht.

Kündigungsschutzklage des Anwalts erfolgreich

Die Kündigungsschutzklage hatte sowohl in der ersten als auch in der zweiten Instanz Erfolg. Nach Auffassung der Gerichte war die erklärte ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, da sie nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt war. Dringende betriebliche Erfordernisse für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses waren für die Instanzgerichte nicht erkennbar.

Kündigung ist am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen

Die zwischen den Parteien umstrittene Frage der Lukrativität des Zivilrechtssegments hielten die Instanzgerichte für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht für erheblich. Die ordentliche Kündigung sei auch dann nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn das Zivilrechtssegment wirtschaftlich nicht lohnend gewesen sei. Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer ordentlichen Kündigung sei grundsätzlich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen. Hiernach sei eine Kündigung dann nicht verhältnismäßig, wenn dem Arbeitgeber ein milderes Mittel zur Verfügung steht, um auf die betrieblichen Gründe für die Kündigung zu reagieren.

Änderungskündigung als milderes Mittel

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hätte die Beklagte dem Kläger nach Auffassung der Gerichte als milderes Mittel eine Änderungskündigung anbieten oder gegebenenfalls androhen müssen. Eine Änderungskündigung sei auch in solchen Fällen das Mittel der Wahl, in denen der Arbeitnehmer zuvor auf Nachfrage eine anderweitige Beschäftigung abgelehnt habe. Etwas anderes gelte nur, wenn der Arbeitnehmer in einem Vorgespräch auf die Option einer Änderungskündigung hingewiesen worden ist und er auf diesen Hinweis eine anderweitige Beschäftigung ausdrücklich und endgültig abgelehnt hat. Dies sei hier nicht der Fall, zumal das Vorgespräch 2 Monate vor der ordentlichen Kündigung stattgefunden habe.

Vielzahl von Stellenausschreibungen

Das LAG wies in diesem Kontext auf die von der Beklagten nicht bestrittene Vielzahl von Stellenausschreibungen rund um das Datum des Kündigungszugangs hin sowie auf die ebenfalls von der Beklagten nicht bestrittenen Neueinstellungen. Damit stehe fest, dass eine Weiterbeschäftigung des Klägers im Geschäftssegment Massenverfahren möglich gewesen wäre. Diese Option hätte dem Kläger ernsthaft unterbreitet werden müssen. Ohne das Angebot einer Änderungskündigung sei die erklärte ordentliche Kündigung unverhältnismäßig und damit unwirksam.

Spätere außerordentliche Kündigung ebenfalls unwirksam

Auch die in der Folgezeit dem Kläger erklärte außerordentliche Kündigung bewerteten die Gerichte als nicht wirksam. Die insoweit vorgebrachten Kündigungsgründe der Beklagten seien nicht stichhaltig. Auch wenn der Kläger eine anwaltliche Tätigkeit an einem anderen Ort aufgenommen und möglicherweise von ihm betreute Altkunden der Beklagten abgeworben habe, sei dies kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB.

Keine unerlaubte Konkurrenztätigkeit des Klägers

Das LAG gestand der Beklagten zu, dass einem Arbeitnehmer, der sich gerichtlich gegen eine Kündigung wendet, während des Kündigungsschutzverfahrens ein direkter Wettbewerb gegenüber seinem bisherigen Arbeitgeber grundsätzlich untersagt ist. Hierbei sei aber zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des BAG ein Arbeitnehmer sich auch schon während des Kündigungsschutzverfahrens um eine anderweitige Beschäftigung kümmern muss, wenn er sich nicht dem Vorwurf des böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdienstes im Sinne des § 615 Abs. 2 BGB aussetzen will. Vor diesem Hintergrund sei die anderweitige Tätigkeit des Klägers nicht zu beanstanden.

Außerordentliche Kündigung ebenfalls unwirksam

Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der neue Tätigkeitsort des Klägers nicht im unmittelbaren Einzugsbereich der beklagten Rechtsanwaltsgesellschaft liegt, ist nach Auffassung des LAG nicht von einer unerlaubten Konkurrenztätigkeit des Klägers auszugehen. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung habe damit nicht bestanden.

 

(LAG Köln, Urteil v. 24.4.2025, 6 SLa 302/24)