BAG Urteil vom 21.01.2015 - 10 AZR 84/14
Entscheidungsstichwort (Thema)
Provisionsvorschüsse. Rückzahlung. Bruttoforderung. Stornokonto. AGB-Kontrolle
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Vertragsklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nicht näher benannte Provisions- und Stornohaftungsbedingungen in Bezug nimmt und den Provisionsanspruch daran knüpft, dass der Arbeitnehmer diese Bedingungen „anerkennt und als vertragsgemäß akzeptiert”, hält einer Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 2 iVm. Abs. 1 Satz 2 BGB nicht stand.
2. Eine schlüssige Klage auf Rückforderung von Provisionsvorschüssen erfordert die Darlegung, für welchen Vertrag Superprovision/Provision in welcher Höhe als Vorschuss gezahlt wurde, für welche Prämie der Provisionsanspruch entsteht, inwieweit es nicht zur Prämienzahlung durch den Versicherungsnehmer gekommen ist und welche Auswirkungen dies nach welchen vertraglichen Vereinbarungen der Parteien auf den Provisionsanspruch des Vermittlers hat. Dies gilt auch hinsichtlich kleiner Rückforderungsbeträge (sog. Kleinstorni). Darüber hinaus hat der Arbeitgeber nach § 87a Abs. 3 HGB die ordnungsgemäße Nachbearbeitung des einzelnen notleidenden Versicherungsvertrags darzulegen, für den er eine Rückforderung geltend macht.
Orientierungssatz
1. Verlangt der Arbeitgeber die Rückzahlung geleisteter Bruttovergütung, schließt dies die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung ein. Insoweit hat er gegen den Arbeitnehmer aber nur einen Anspruch auf Abtretung des gegen den Sozialversicherungsträger bestehenden Erstattungsanspruchs.
2. Ist zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Zahlung eines Vorschusses vereinbart, ergibt sich daraus regelmäßig zugleich die Verpflichtung des Vorschussempfängers, den Vorschuss wieder zurückzuzahlen, wenn und soweit die bevorschusste Forderung nicht entsteht. Anspruchsgrundlage für die Rückforderung ist die Vorschussvereinbarung selbst, nicht § 812 BGB.
3. Nach §§ 65, 92 Abs. 4 HGB hat ein Versicherungsvertreter – abweichend von § 87a Abs. 1 HGB – nicht bereits Anspruch auf Provisionen oder Superprovisionen, wenn der Versicherer das Geschäft ausführt, sondern erst, wenn der Versicherungsnehmer die Prämie gezahlt hat, aus der sich diese nach dem Vertragsverhältnis berechnen. Es begegnet keinen grundsätzlichen Bedenken, wenn im Hinblick auf solche Provisionsansprüche arbeitsvertraglich eine Vorschussvereinbarung getroffen wird. Eine Abweichung von Rechtsvorschriften iSv. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB liegt nicht vor.
4. Auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann in einem solchen Fall vereinbart werden, dass ein Stornokonto bei dem Arbeitgeber eingerichtet wird, auf das ein 10%tiger Anteil der zu erwartenden und ins Verdienen zu bringenden Provision gebucht wird. Werden auf diesem Konto Bruttowerte gutgeschrieben, über die der Arbeitnehmer nicht verfügen kann und die diesem auch steuer- und sozialversicherungsrechtlich nicht zufließen, handelt es sich weder um die Erfüllung fälliger Vergütungsansprüche iSv. § 362 BGB noch um einen Vorschuss an den Arbeitnehmer.
5. Eine Vertragsklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nicht näher benannte Provisions- und Stornohaftungsbedingungen in Bezug nimmt und den Provisionsanspruch daran knüpft, dass der Arbeitnehmer diese Bedingungen „anerkennt und als vertragsgemäß akzeptiert”, hält einer Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 2 iVm. Abs. 1 Satz 2 BGB nicht stand.
6. Eine schlüssige Klage auf Rückforderung von Provisionsvorschüssen erfordert die Darlegung, für welchen Vertrag Superprovision/Provision in welcher Höhe als Vorschuss gezahlt wurde, für welche Prämie der Provisionsanspruch entsteht, inwieweit es ganz oder teilweise nicht zur Prämienzahlung durch den Versicherungsnehmer gekommen ist und welche Auswirkungen dies nach welchen vertraglichen Vereinbarungen der Parteien auf den Provisionsanspruch des Vermittlers hat. Dies gilt auch hinsichtlich kleiner Rückforderungsbeträge (sog. Kleinstorni). Darüber hinaus hat der Arbeitgeber nach § 87a Abs. 3 HGB die ordnungsgemäße Nachbearbeitung des einzelnen notleidenden Versicherungsvertrags darzulegen, für den er eine Rückforderung geltend macht.
Normenkette
BGB §§ 242, 305c, 307, 308 Nr. 4, § 362; HGB §§ 65, 87a Abs. 1, 3, § 92 Abs. 4; SGB IV § 26; ZPO §§ 139, 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Urteil vom 14.11.2013; Aktenzeichen 8 Sa 485/12) |
ArbG Nürnberg (Urteil vom 19.07.2012; Aktenzeichen 15 Ca 1498/11) |
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 14. November 2013 – 8 Sa 485/12 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen! |
Tatbestand
Die Parteien streiten vorrangig über die Rückzahlung von Provisionsvorschüssen.
Die Klägerin ist ein als Versicherungsmaklerin tätiges Unternehmen. Der Beklagte war bei ihr aufgrund Arbeitsvertrags vom 21./27. Dezember 2007 seit 1. Januar 2008 als Regionaldirektor tätig. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund Eigenkündigung des Beklagten zum 15. Oktober 2009.
Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise:
„§ 2 |
Vergütungen, Provisionen und Auslagenersatz |
Der Mitarbeiter erhält für seine Tätigkeit folgende Vergütungen, welche monatlich im Nachhinein jeweils bis zum 3. Werktag des Folgemonats gezahlt werden:
1. |
ein Grundhalt von jährlich brutto 24.000,00 Euro zahlbar in monatlichen Teilbeträgen von 2.000,00 Euro |
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2. |
einen Aufbauzuschuss für maximal 30 Monate und zwar wie folgt: |
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a) |
für die Zeit vom 01.01.2008 bis 30.06.2010 einen Aufbauzuschuss von monatlich brutto 1.200,00 Euro jeweils fällig mit dem Grundgehalt, |
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… |
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3. |
Superprovision/Provision |
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a) |
Superprovision |
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Für die intensive Betreuung der unterstellten Personen, insbesondere praktische und theoretische Aus- und Weiterbildung etc., erhält der Mitarbeiter monatlich im Nachhinein Superprovision gemäß nachfolgenden Bestimmungen: |
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… |
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b) |
Eigengeschäft |
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Für so genanntes Eigengeschäft, mithin Vermittlungsleistungen des Mitarbeiters an seine Angehörigen, nahe Verwandte und Bekannte, erhält dieser Provisionen. |
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… |
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c) |
Sämtliche vorgenannten Provisionen unterliegen so genannten Stornohaftungsbedingungen. Sie werden grundsätzlich vorschüssig gezahlt. |
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Die Provisionen/Superprovisionen sind erst fällig, wenn die jeweiligen Versicherungsgesellschaften die Provisionen gegenüber der Gesellschaft gezahlt haben. |
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Voraussetzung für die Zahlung von Superprovision und Provision für Eigengeschäft ist, dass der Mitarbeiter die Provisionsbedingungen, insbesondere die Stornohaftungsbedingungen, der einzelnen Gesellschaften anerkennt und als vertragsgemäß akzeptiert. Gleiches gilt für die Allgemeinen Provisionsbestimmungen der Gesellschaft. Die Gesellschaft wird das Prozedere hierzu noch festlegen und dem Mitarbeiter mitteilen. |
||
… |
§ 5 |
Sicherheitsleistung |
…
3. Es werden 10 % der vom Mitarbeiter erwirtschafteten Provisionen – gleich welcher Art – einem unverzinslichen Sicherheitskonto gutgeschrieben, welches von der Gesellschaft verwaltet wird.
Über diese Ansprüche kann der Mitarbeiter erst verfügen, wenn sich kein Vertrag mehr in der Stornohaftungszeit befindet und auch sonst keine Rückforderungsansprüche der Gesellschaft bestehen oder entstehen können.”
Der Beklagte bezog auf dieser Grundlage Superprovisionen und Provisionen. Hierüber erhielt er von der Klägerin – auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Abrechnungen, in denen Angaben zu den einzelnen provisionspflichtigen Geschäften und eventuellen Storni enthalten waren. Die Provisionsabrechnung vom 21. Mai 2010 schloss mit einem Soll-Saldo des Beklagten iHv. 2.007,24 Euro. Mit Schreiben vom 25. Mai 2010 forderte die Klägerin den Beklagten auf, diesen Betrag auszugleichen. Mit Schreiben vom 3. Juni 2010 widersprach der Beklagte dieser Provisionsabrechnung; Widersprüche gegen frühere Abrechnungen gab es nicht. Nach dem Widerspruch übersandte die Klägerin dem Beklagten einen Buchauszug; dieser wurde später in digitaler Form ergänzt. Aus der dem Beklagten erteilten Abrechnung vom 21. Januar 2011 ergab sich ein Soll-Saldo aus Provisionen von 4.760,13 Euro. Dem stand ein Haben-Saldo des Stornokontos von 2.168,04 Euro gegenüber.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, der vorschüssig geleistete Provisionsbetrag sei in Höhe des Soll-Saldos vom Beklagten zurückzuzahlen, da die Versicherungsverträge insoweit nicht vollzogen bzw. vor Ablauf der Stornohaftungszeit beendet worden seien. Soweit es sich um Kleinstorni bis 50,00 Euro handele, bedürfe es keines näheren Vortrags. Eine Stornogefahrmitteilung sei insoweit unwirtschaftlich und entbehrlich; nach Beendigung des Vertragsverhältnisses müsse eine solche Mitteilung im Übrigen generell nicht mehr erfolgen. Sie habe in jedem Einzelfall eine ordnungsgemäße Nachbearbeitung der gefährdeten Versicherungsverträge vorgenommen. Die vertraglichen Regelungen über die vorschüssigen Provisionszahlungen und das Stornokonto seien wirksam. Gemessen am Gesamtbruttoverdienst des Beklagten liege der Provisionsbezug bei lediglich 15 %. Die Rückzahlungsverpflichtung setze den Beklagten keiner existenzgefährdenden Situation aus.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 4.760,13 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.007,24 Euro seit dem 5. Juni 2010 und aus 2.752,89 Euro seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Widerklagend hat er – zuletzt nur noch für den Fall seines Unterliegens – beantragt,
die Klägerin zu verurteilen, ihm die nachgenannten Auskünfte zu allen angetragenen oder vermittelten Vertragsverhältnissen zu erteilen, bei welchen der Beklagte vertragsgemäß einen vereinbarten Provisionsanspruch geltend machen könnte. Die Klägerin hat folgende Auskünfte zu erteilen:
- Name und Anschrift des Versicherungsnehmers/Antragstellers
- Datum des Versicherungsantrags/Antrags
- Versicherungs(schein)nummer/Vertrags
- Datum des Versicherungsvertrags/Vertrags
- Versicherungsbeginn/Vertragsbeginn
- Art und Inhalt des Versicherungsvertrags (Sparte, Tarifart, Risikoeinschlüsse, Verlängerungszeitraum, prämien- oder provisionsrelevante Sondervereinbarungen)/Vertrags
- Bei Sachversicherungsverträgen zusätzlich: Höhe des Jahresbeitrags (netto), Fälligkeit des Jahresbeitrags, Eingang des Jahresbeitrags, Laufzeit des Versicherungsvertrags
- Bei Krankenversicherungen zusätzlich: Höhe des Monatsbeitrags, Produktschlüssel, Eingang der Beitragsraten
- Bei Anlage- und Fondsprodukten zusätzlich: Höhe des Anlagebetrags bzw. der Monatsbeiträge, Höhe des Ausgabeaufschlags
- Bei Bausparversicherungen zusätzlich: Höhe der Bauspar-/Darlehenssumme, Zeitdauer der Zinsfestschreibung, Datum der Auszahlung der ersten Darlehensrate
- Bei Lebensversicherungsverträgen zusätzlich: Höhe des Jahresbeitrags (netto), die Versicherungssummen, Eintrittsalter des Versicherungsnehmers und Laufzeit des Vertrags
- Bei Lebensversicherungsverträgen mit Dynamisierung zusätzlich: Erhöhung der Versicherungssumme, Zeitpunkt der Erhöhung und Erhöhung der Jahresprämie
- Bei Lebensversicherungsverträgen nach dem Altersvermögensgesetz zusätzlich: Höhe des Monatsbeitrags, Eingang der Beitragsraten, Restlaufzeit des Vertrags
- Im Falle von Änderungen: Datum der Änderung, Art und Umfang der Änderung, Gründe der Änderung
- Im Falle von Stornierungen: Datum der Stornierung, Gründe der Stornierung und Art der ergriffenen Bestandserhaltungsmaßnahmen
- Im Falle eines Widerrufs: Datum des Widerrufs.
Die Klägerin hat die Abweisung der Widerklage beantragt.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Regelungen in § 2 Ziff. 3 Buchst. c des Arbeitsvertrags benachteiligten ihn unangemessen iSv. § 307 BGB und seien daher unwirksam. Die vertragliche Regelung sei nicht nur intransparent, sondern verlagere auch in unzulässiger Weise das Betriebsrisiko auf die Arbeitnehmer. Darüber hinaus sei die getroffene Entgeltabrede sittenwidrig iSv. § 138 BGB. Zudem habe die Klägerin die Einzelumstände ihrer Rückforderungsansprüche nicht hinreichend substanziiert dargelegt. Da für ihn nicht erkennbar sei, ob und aus welchen Gründen es zu Vertragsstornierungen gekommen sei und ob die Klägerin eine ausreichende Nachbearbeitung der Stornofälle vorgenommen habe, verlange er widerklagend Auskunft zu allen eingetragenen oder vermittelten Vertragsverhältnissen, bei welchen er einen Provisionsanspruch geltend machen könne. Eine stichprobenartige Prüfung der Buchauszüge habe erhebliche Lücken und Fehler erkennen lassen.
Die Widerbeklagte hat die Auffassung vertreten, durch die Erteilung der Buchauszüge habe sie etwaige Auskunftsansprüche erfüllt.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage – soweit noch relevant – stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.