HI14799801

Hessisches FG Urteil vom 06.05.2021 - 8 K 1565/19

vorläufig nicht rechtskräftig

Revision zugelassen durch das FG

Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [X R 13/21)]

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufteilung des Versorgungsfreibetrages bei mehreren Versorgungsleistungen

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Leitsatz (redaktionell)

  1. Erzielt ein Steuerpflichtiger mehrere Versorgungsleistungen - auch aus unterschiedlichen Einkunftsarten - ist der Versorgungsfreibetrag nach § 19 Abs. 2 EStG quotal auf alle Versorgungsbezüge aufzuteilen, soweit der § 19 Abs. 2 EStG auf die Versorgungsbezüge anwendbar ist.
  2. Im Fall des Zusammentreffens von Einkünften nach § 22 EStG und § 19 EStG ist der Versorgungsfreibetrag für die Bezüge jeder Einkunftsart gesondert zu ermitteln, dabei darf der Höchstbetrag des nur einmal zu gewährenden Versorgungsfreibetrags nicht überschritten werden.
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Normenkette

EStG § 22 Nr. 5 S. 11, § 19 Abs. 2

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Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe sonstige Einkünfte im Sinne von § 22 Nr. 5 S. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) aus einer betrieblichen Altersvorsorge bei der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer zu berücksichtigen sind.

Die Kläger wurden im Streitjahr 2017 als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Die Klägerin erzielte unter anderem neben Einnahmen aus Versorgungsbezügen aus einem früheren Dienstverhältnis bei der A-AG eine betriebliche Altersvorsorge der A-Pensionsfond-AG. Beides erhält die Klägerin seit 2009.

Die Erfüllung der Versorgungsleistungen aus der betrieblichen Altersvorsorge wurden mit Wirkung zum 01.01.2010 von dem damaligen A-Betriebsrentenservice-e.V. auf die A-Pensionsfond-AG übertragen. Aus einem Schreiben der A-AG geht hervor, dass es in den Jahren 2010 bis 2017 zu einer fehlerhaften Übermittlung der Daten an die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen kam, die unbeabsichtigt zu einer niedrigeren Versteuerung geführt hat. Für das Jahr 2017 wurde dies korrigiert, so dass die Versorgungsleistungen wieder als voll steuerpflichtig zu behandeln sind.

Im Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 31.08.2018 wurden die Versorgungsbezüge der A-AG als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der Ehefrau unter Abzug des Versorgungsfreibetrages gemäß § 19 Abs. 2 EStG (1.403 €) und des Werbungskostenpauschbetrages gem. § 9a S. 1 Nr. 1 lit. b EStG (102 €) angesetzt. Die Versorgungsbezüge aus der A-Pensionsfond-AG wurden ohne Berücksichtigung des Versorgungsfreibetrages, aber unter Abzug des Arbeitnehmerpauschbetrages gemäß § 9a S. 1 Nr. 1 lit. a EStG in Höhe von 1.000 € als sonstige Einkünfte gem. § 22 Nr. 5 S. 1 EStG erfasst.

Gegen diesen Einkommensteuerbescheid legten die Kläger am 07.09.2018 Einspruch ein. Sie begehrten für die sonstigen Einkünfte aus den Versorgungsbezügen des Pensionsfonds die Gewährung des Versorgungsfreibetrages plus Zuschlag zum Versorgungsfreibetrag und verwiesen insoweit auf § 22 Nr. 5 S. 1 i.V.m S. 11 EStG.

Der Beklagte half dem Einspruch durch den Einkommensteueränderungsbescheid vom 25.10.2018 insoweit ab, als nunmehr der Versorgungsfreibetrag (nebst dem Zuschlag zur Versorgungsfreibetrag) auch für die sonstigen Einkünfte berücksichtigt wurde. Die auf die Versorgungseinkünfte entfallenden Freibeträge wurden saldiert und der damit erreichte Höchstbetrag wurde anteilig auf die Versorgungsbezüge aufgeteilt. Bei den Einkünften aus § 19 EStG wurde nunmehr nur noch ein Betrag in Höhe von 864 € abgezogen, bei den sonstigen Einkünften ein Betrag in Höhe von 1.944 €, insgesamt also ein Betrag von 2.808 €. Zudem wurde der Werbungskosten-Pauschbetrag gem. § 9a S. 1 Nr. 1 lit. b EStG in Höhe von 102 € anteilig bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (31 €) und bei den sonstigen Einkünften (71 €) abgezogen.

Die Kläger waren mit dieser Abhilfe nicht einverstanden und begehrten weiterhin, dass die Versorgungsfreibeträge für die Einkünfte gemäß § 19 EStG und § 22 EStG gesondert zu ermitteln seien, so dass in ihrem Fall keine Begrenzung auf den Höchstbetrag stattfinde und dass darüber hinaus bei den Einkünften aus § 22 EStG ein Werbungskostenpauschbetrag in Höhe von 1.000 € in Abzug zu bringen sei.

Konkret sollte die Ermittlung der Einkünfte nach Auffassung der Kläger wie folgt geschehen:

1. Versorgungsbezüge gemäß § 19 EStG:

2.832,- €

./. Versorgungsfreibetrag BMG 2012 2.618,88 € (28,8 %)

 =754,- €

./. 30 % Zuschlag

 226,- €

./. Pauschbetrag § 9a Nr. 1 lit. b EStG

0

102,- €

verbleiben

1.750,- €

2. Versorgungsbezüge gemäß § 22 EStG

6.371,- €

./. Versorgungsfreibetrag BMG 2012 6.032,- € (28,8 %)

1.737,- €

./. 30 % Zuschlag

0 521,- €

./. Pauschbetrag § 22 Nr. 5 S. 1 i.V.m S. 11 EStG

1.000,- €

verbleiben

3.113,- €

Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 19.09.2019 als unbegründet zurück. Wegen des Inhalts der Einspruchsentscheidung wird auf Bl. 3ff. der Einkommensteuerakte verwiesen.

Zur Begründung ihrer dagegen erhobenen Klage wiederholen und vertiefen die Kläger ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Kläger vom 24.10.2019 auf Bl. 1f., vom 13.02.2020 auf Bl. 39 und vom 31.03.2020 auf Bl. 51 der Finanzgerichtsakte verwiesen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

dass der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 vom 25.10.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.09.2019 dahingehend geändert wird, dass bei den Versorgungsbezügen der Klägerin gemäß § 19 EStG ein Betrag von 1.750,- € und bei den Versorgungsbezügen der Klägerin gemäß § 22 Nr. 5 EStG ein Betrag von 3.113,- € berücksichtigt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte begründet dies damit, dass es zwar richtig sei, dass der § 22 Nr. 5 S. 11 EStG auf den Streitfall Anwendung finde, dieser sei jedoch anders auszulegen als dies die Kläger täten.

§ 22 Nr. 5 S. 11 EStG verweise auf den § 19 Abs. 2 EStG, so dass auch für die sonstigen Einkünfte ein Versorgungsfreibetrag zu gewähren sei. Dieser könne jedoch, soweit, wie hier, mehrere Versorgungsbezüge gegeben seien, gemäß § 19 Abs. 2 S. 6 EStG nur in der Form gewährt werden, dass die Summe aus den jeweiligen Freibeträgen für Versorgungsbezüge und der jeweilige Zuschlag auf den Höchstbetrag zu begrenzen sei. Daher müsse hier der Höchstbetrag anteilig auf die Einkünfte aufgeteilt werden.

Außerdem verweise der § 22 Nr. 5 S. 11 EStG auf den § 9a Abs. 1 Nr. 1 EStG, so dass sowohl der Pauschbetrag nach Buchstabe a als auch nach Buchstabe b erfasst sei. Da es sich vorliegenden unstreitig um Versorgungsbezüge handele, kommen nur der Pauschbetrag gemäß § 9a Abs. 1 Nr. 1 lit. b EStG in Betracht, der 102,- € betrage. Auch dieser sei für die Versorgungsbezüge nur einmal zu gewähren, so dass auch hier eine Aufteilung vorzunehmen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 04.03.2020 auf Bl. 45ff. der Finanzgerichtsakte verwiesen.

Dem Gericht hat ein Band Steuerakten (Einkommensteuer 2017 und Einsprüche) vorgelegen.

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Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klage ist unbegründet, da der Bescheid rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO)). Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 EStG und die sonstigen Einkünfte im Sinne von § 22 Nr. 5 EStG der Klägerin sind in dem angegriffenen Einkommensteuerbescheid der Höhe nach richtig ermittelt.

1. Der Beklagte hat zu Recht die Versorgungsfreibeträge auf den Höchstbetrag im Sinne des § 19 Abs. 2 EStG beschränkt und proportional aufgeteilt.

Die Versorgungsbezüge aus dem Pensionsfond der A-AG sind gemäß § 19 Abs. 2 EStG in Höhe des Versorgungsfreibetrags sowie des Zuschlags hierzu steuerfrei, unterliegen also insoweit nicht der Besteuerung (vgl. BFH, Urteil vom 09.12.2014, X R 7/14, BFH/NV 2015, 824, Rn. 20, 22). Dies gilt auch für Einkünfte nach § 22 Nr. 5 EStG, soweit auf diese § 19 Abs. 2 EStG anwendbar ist.

Dies ist auch für den Streitfall maßgebend. Nach § 22 Nr. 5 S. 11 Halbsatz 1 EStG ist § 19 Abs. 2 EStG auf die Leistungen aus einem Pensionsfonds entsprechend anwendbar, wenn eine Versorgungsverpflichtung nach § 3 Nr. 66 EStG auf einen Pensionsfonds übertragen wurde und der Steuerpflichtige bereits vor dieser Übertragung Leistungen auf Grund dieser Versorgungsverpflichtung erhalten hat. § 3 Nr. 66 EStG betrifft u.a. Leistungen eines Arbeitgebers an einen Pensionsfonds zur Übernahme bestehender Versorgungsverpflichtungen oder Versorgungsanwartschaften durch den Pensionsfonds. Im Streitfall wurden die Versorgungsverpflichtungen gegenüber der Klägerin mit Wirkung zum 01.01.2010 von dem A-Betriebsrentenservice e.V. auf die A-Pensionsfond-AG übertragen. Bereits seit 2009 und damit vor dem Zeitpunkt der Übertragung hatte die Klägerin Versorgungsbezüge aufgrund der Versorgungsverpflichtung erhalten.

Entgegen der Ansicht der Klägerin war der Versorgungsfreibetrag nebst Zuschlag dabei nicht für jede Versorgungsleistung einzeln zu ermitteln, sondern quotal auf die gesamten Versorgungsbezüge des Ausgleichspflichtigen zu verteilen. Zwar regelt das Gesetz nicht ausdrücklich, dass und wie die Verteilung bei mehreren Versorgungsbezügen zu erfolgen hat. § 19 Abs. 2 S. 6 EStG enthält lediglich eine Bestimmung des maßgebenden Beginns für den Fall des Aufeinandertreffens mehrerer Versorgungsbezüge mit unterschiedlichem Beginn. Jedoch folgt schon aus dem Wortlaut des § 19 Abs. 2 S. 1 EStG, nämlich dem im Plural verwandten Begriff „Versorgungsbezüge” in Verbindung mit der Aufzählung verschiedener Versorgungsbezüge in Satz 2 der Vorschrift, dass der Versorgungsfreibetrag auch bei mehreren Versorgungsbezügen insgesamt nur einmal gewährt wird. Zudem ergibt sich aus der Gesetzesformulierung des § 19 Abs. 2 Satz 6 EStG „der insgesamt berücksichtigungsfähige Höchstbetrag”, dass alle berücksichtigungsfähigen Versorgungsbezüge in den Höchstbetrag einfließen. Dies muss grundsätzlich auch gelten, wenn die Versorgungsbezüge unterschiedlichen Einkunftsarten zuzurechnen sind. Grundsätzlich handelt es sich bei dem Versorgungsfreibetrag um keinen einkunftsartübergreifenden Freibetrag (BFH, Urteil vom 09.12.2014, X R 7/14, BFH/NV 2015, 824, Rn. 22). Im Streitfall lagen jedoch ursprünglich einheitlich als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu erfassende Versorgungsbezüge vor, die allein durch die nachträgliche Übertragung eines Teils der Versorgungsverpflichtung auf einen anderen Rechtsträger und der damit einhergehenden gesetzlichen Zuordnung in unterschiedlichen Einkunftsarten zu erfassen sind. Mit der an sich im Rahmen der Einkünfte nach § 22 EStG systemfremden Anwendungsbestimmung des § 22 Nr. 5 Satz 11 Halbsatz 1 EStG für § 19 Abs. 2 EStG hat der Gesetzgeber dabei zum Ausdruck gebracht, dass die Ermittlung eines insgesamt berücksichtigungsfähigen Höchstbetrags einkunftsartübergreifend auch die Einkünfte nach § 22 Nr. 5 EStG erfasst (FG Köln, Urteil vom 26.06.2019, 14 K 2436/18, juris). Die Regelung soll dazu dienen, dass der Versorgungsempfänger nicht schlechter gestellt wird als vor der Übertragung. Danach ist zwar für den Fall des Zusammentreffens von Einkünften nach § 22 EStG und § 19 (Abs. 2) EStG der Versorgungsfreibetrag für die Bezüge jeder Einkunftsart gesondert zu ermitteln. Daraus ist indes jedenfalls für die Fälle des § 22 Nr. 5 S. 11 EStG nicht abzuleiten, dass der Höchstbetrag überschritten werden oder gar mehrfach angesetzt werden könnte.

2. Aus den oben genannten Grundsätzen lässt sich auch ableiten, dass der Werbungskostenpauschbetrag gemäß § 9a Abs. 1 Nr. 1 lit. b EStG aufzuteilen ist. § 22 Nr. 5 S. 11 EStG verweist auf § 9a Abs. 1 Nr. 1 EStG. Innerhalb der Nummer 1 muss noch danach unterschieden werden, ob es sich bei den Einnahmen um Versorgungsbezüge handelt oder nicht. Bei Versorgungsbezügen ist der Buchstabe b anwendbar. Da es sich auch hier um gleichartige Einkünfte handelt, ist der Pauschbetrag auch hier proportional aufzuteilen.

II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

III. Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Die Frage, ob und wie der Höchstbetrag des Versorgungsfreibetrags des § 19 Abs. 2 EStG im Falle des Bezugs von Versorgungsleistungen gemäß § 19 EStG und § 22 Nr. 5 S. 1 und Satz 11 EStG aufzuteilen ist, ergibt sich nicht abschließend aus dem Gesetz und ist bisher nicht höchstrichterlich geklärt.