LAG Nürnberg Urteil vom 19.09.1995 - 2 Sa 429/94
Leitsatz (amtlich)
1. Wird bei einem Doppelarbeitsverhältnis im zweiten Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der im ersten Arbeitsverhältnis vereinbarten Arbeitszeit die gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit um 10 Stunden wöchentlich überschritten, so ist das zweite Arbeitsverhältnis in vollem Umfange nichtig (im Anschluß an BAG, Urteil vom 19.06.1959 – 1 AZR 565/57 – AP Nr. 1 zu § 611 BGB Doppelarbeitsverhältnis).
2. Der Arbeitgeber kann sich auch dann auf die Nichtigkeit berufen, wenn ihm bei Eingehung des zweiten Arbeitsverhältnisses das Bestehen des ersten Arbeitsverhältnisses bekannt war oder zumindest hätte bekannt sein können.
3. Mit einer gesetzlich zulässigen Arbeitszeit kann das zweite Arbeitsverhältnis nur dann aufrechterhalten werden, wenn dies dem mutmaßlichen Willen beider Parteien entspricht.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 20. April 1994 – 13a Ca 10436/93 – wird auf Kosten der Berufungsführerin zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer fristlosen Kündigung der Beklagten vom 29.10.1993 sowie um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 29.10.1993 hinaus.
Die Klägerin war seit 09.07.1990 bei der Beklagten als Datentypistin gegen eine monatliche Vergütung von zuletzt DM 2.915,– brutto bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden beschäftigt. Sie arbeitete dort montags bis freitags in der Spätschicht von 18.00 Uhr bis 22.00 Uhr. Daneben war sie als Angestellte bei einer Spedition mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden beschäftigt, wo sie montags bis freitags jeweils von 8.00 Uhr bis 16.30 Uhr arbeitete. Auf dieses Arbeitsverhältnis hatte die Klägerin in einem aus Anlaß des Abschlusses des Anstellungsvertrags vom 01.10./15.10.1991 für die Beklagte erstellten Personalfragebogen vom 29.09.1991 hingewiesen.
Mit Schreiben vom 29.10.1993, das die Klägerin am 30.10.1993 erhielt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf das bestehende Vollzeitarbeitsverhältnis der Klägerin bei der Spedition fristlos. Der mit Schreiben der Beklagten vom 26.10.1993 zu einer beabsichtigten außerordentlichen und einer vorsorglichen ordentlichen Kündigung angehörte Betriebsrat hatte gegen eine Kündigung keine Bedenken erhoben.
Mit der am 03.11.1993 zum Arbeitsgericht erhobenen Feststellungsklage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung und den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 29.10.1993 hinaus geltend gemacht. Sie ist der Meinung, die Beklagte könne sich nach Treu und Glauben nicht auf das Bestehen eines Doppelarbeitsverhältnisses berufen, da ihr dieses von Anfang an bekannt gewesen sei. Die Bejahung eines Kündigungsrechts verkehre den Schutzzweck der Arbeitszeitordnung in sein Gegenteil. Sie sei dringend auf das mit der Beklagten eingegangene Arbeitsverhältnis angewiesen, da sie erhebliche Schulden abbauen müsse. Die Beklagte hat sich demgegenüber auf die Nichtigkeit des Arbeitsverhältnisses gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 AZO berufen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Endurteil vom 20.04.1994 kostenpflichtig abgewiesen den Streitwert auf DM 8.745,– festgesetzt. Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe dieses Urteils wird verwiesen.
Mit der am 05.07.1994 eingelegten und am 08.09.1994 – nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist – begründeten Berufung gegen dieses ihr am 08.06.1994 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts verfolgt die Klägerin ihr Feststellungsbegehren weiter. Sie rügt nach wie vor einen Verstoß der Beklagten gegen Treu und Glauben (venire contra factum proprium) und vertritt weiter die Ansicht, ein Verstoß ihres mit der Beklagten eingegangenen Teilzeitarbeitsverhältnisses gegen § 3 AZO könne nicht zur Nichtigkeit dieses Arbeitsverhältnisses führen, dieses sei, vielmehr gemäß § 139 BGB mit einem zulässigen Inhalt – etwa einer täglichen Arbeitszeit von zwei Stunden – aufrechtzuerhalten.
Wegen weiterer Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 08.09.1994 verwiesen.
Die Klägerin stellt folgende Anträge:
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Arbeitsgerichtes Nürnberg vom 20.04.1994 aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 29.10.1993 hinaus fortbesteht, gegebenenfalls zu anderen Bedingungen.
III. Es wird festgestellt, daß das Beschäftigungsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.10.1993 zum 31.12.1993 nicht aufgelöst worden ist.
IV. Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.
Die Beklagte beantragt
Zurückweisung der Berufung.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts als zutreffend und tritt dem Berufungsvorbringen der Klägerin entgegen. Auf die Berufungsbeantwortung vom 04.10.1994 wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 516, 518, 519 ZPO, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG).
II.
Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil das Arbeitsgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.
Die Klage, mit der die Klägerin den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 29.10.1993 hinaus und die Nichtauflösung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung vom 29.10.1993 festgestellt wissen will, scheitert schon daran, daß sich die Beklagte mit Erfolg auf die Nichtigkeit des Arbeitsvertrages berufen kann. Die Berufungskammer schließt sich insoweit den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung an und sieht daher von einer lediglich wiederholenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 543 Abs. 1 ZPO). Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Klägerin ist ergänzend auszuführen:
Entgegen der Ansicht der Klägerin ändert sich an der Nichtigkeit des Arbeitsvertrages auch dann nichts, wenn man berücksichtigt, daß die Arbeitszeit Ordnung Ausnahmen von der regelmäßigen Arbeitszeit nach § 3 AZO zuläßt. Allen Ausnahmevorschriften ist gemeinsam, daß die tägliche Arbeitszeit höchstens bis zu 10 Stunden ausgedehnt werden darf (§§ 4 Abs. 3 Satz 1, 5 Abs. 1 und 2, 6, 7 Abs. 1 AZO). Eine Verlängerung über 10 Stunden hinaus ist nur in besonderen Ausnahmefällen möglich, die hier nicht vorliegen (§§ 5 Abs. 3 Satz 1, 7 Abs. 2 AZO). Auch wenn man hiernach eine Arbeitszeit von täglich 10 Stunden für zulässig ansieht, bleibt es dabei, daß die von der Klägerin mit der Beklagten vereinbarte Arbeitszeit von täglich 4 Stunden diese Grenze zur Hälfte überschreitet. Es liegt daher immer noch eine erhebliche Überschreitung der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit vor.
Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien kann auch nicht, wie die Klägerin meint, in der Weise aufrechterhalten werden, daß die Arbeitszeit auf das gesetzlich noch zulässige Maß von 2 Stunden täglich beschränkt wird. Nach § 139 BGB ist bei. Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, daß es auch „ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Das hat die hierfür darlegungs- und beweispflichtige Klägerin nicht zur Überzeugung des Berufungsgerichts nachgewiesen. Fehlt – wie hier – eine von den Parteien des Arbeitsvertrages getroffene Regelung für den Fall der Teilnichtigkeit, so ist auf den mutmaßlichen Parteiwillen abzustellen (Palandt/Heinrichs, BGB, 52. Aufl., § 139 Rz. 14). Maßgebend ist in einem solchen Falle, welche Entscheidung die Parteien bei Kenntnis der Teilnichtigkeit nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte getroffen hätten. Das Rechtsgeschäft muß so, wie es sich ohne den nichtigen Teil darstellt, dem mutmaßlichen Parteiwillen entsprechen, und zwar dem Willen beider Parteien (Palandt/Heinrichs, a.a.O., m. w. N.). Daß die Klägerin ein Arbeitsverhältnis mit einer täglichen Arbeitszeit von 2 Stunden abgeschlossen hätte, mag zutreffen. Indes fehlt es an Nachweisen einer entsprechenden Willensrichtung – auf seiten der Beklagten. Wenn diese für eine Spätschicht von 18.00 bis 22.00 Uhr eine Arbeitnehmerin sucht, so spricht wenig dafür, daß sie sich bei Kenntnis der Nichtigkeit einer solchen Arbeitszeitvereinbarung mit einer Arbeitszeit von 2 Stunden begnügt hätte. Die Beklagte hat vielmehr schon in der Klageerwiderung vom 09.12.1993 darauf hingewiesen, daß sie der Klägerin keine Nebenbeschäftigung habe anbieten können, die, die Vorschriften der Arbeitszeitordnung nicht tangiere. Es verbleibt daher bei der Nichtigkeit der ganzen Vereinbarung.
Die Klägerin kann auch nichts zu ihren Gunsten daraus herleiten, daß der Beklagten das Bestehen eines Vollzeitarbeitsverhältnisses aufgrund der Angaben im Personalbogen bekannt war oder zumindest hätte bekannt sein können. Die Arbeitszeitordnung dient in erster Linie dem Schutz des Arbeitnehmers, der gegenüber dem Arbeitgeber vor einer übermäßigen zeitlichen Inanspruchnahme seiner Arbeitskraft geschützt werden soll. Daneben bezweckt die Arbeitszeitordnung aber auch den Schutz von Allgemeininteressen (Meisel/Hiersemann, AZO, 2. Aufl., Einl. Rz. 12 m.w.N.). Indem die Arbeitszeitordnung die abhängig Beschäftigten vor einer übermäßigen Ausnutzung ihrer Arbeitskraft schützt, dient sie der Sicherung der sozialen Ordnung und des Arbeitsfriedens. Die tatsächliche Einhaltung der in der Arbeitszeitordnung festgelegten Höchstarbeitszeit wird am ehesten dann erreicht, wenn jeder Erfüllungsanspruch aus der unzulässigen Abrede ausgeschlossen ist, der Vertrag also wenigstens insoweit (§ 139 BGB) nichtig ist (vgl. BAG NJW 1959, 2036). Das hat zwangsläufig zur Folge, daß es auch dem Arbeitnehmer zu seinem eigenen Schutz verwehrt ist, Arbeitsverträge abzuschließen, die eine Überschreitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit vorsehen (BGH, NJW 1986, 1486/1487). Aus diesem Grunde ist auch ein etwaiges Vertrauen auf ein Weiterbestehen einer solchen Vereinbarung nicht schutzwürdig.
Da sich nach alledem die Beklagte zu Recht auf die Nichtigkeit des mit der Klägerin abgeschlossenen Arbeitsvertrages berufen kann, war die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Für eine Zulassung der Revision bestand kein gesetzlich begründeter Anlaß (§ 72 Abs. 2 ArbGG).
III.