Hessisches LAG Urteil vom 26.10.1998 - 10 Sa 6/98
Leitsatz (redaktionell)
Hinweis der Geschäftsstelle
Das Bundesarbeitsgericht bittet, sämtliche Schriftsätze in siebenfacher Ausfertigung bei ihm einzureichen.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird dasTeil-Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom26.11.1997 – 3 Ca 216/96 – abgeändert
Die Auskunftsklage wird abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen einer Stufenklage um Auskunfts-, Rechnungslegungs- und Schadensersatzansprüche.
Die Klägerin stellt Verpackungen unterschiedlichster Art. her und vertreibt diese. Der Beklagte war bei der Klägerin aufgrund Vertrages vom 21.09.77 seit 01.01.78 zunächst als Reisender und seit 01.01.95 aufgrund weiteren Vertrages vom 01.01.95 als Marketing- und Verkaufsleiter beschäftigt. Gemäß § 17 des Vertrages vom 21.09.77 sind ergänzend die Bestimmungen des jeweils geltenden Tarifvertrages für den Hessischen Groß- und Außenhandel vereinbart.
Mit Schreiben vom 29.05.95 kündigte die Klägerin dem Beklagten fristlos und vorsorglich ordentlich und stützte sich hierbei im wesentlichen auf den Vorwurf, der Beklagte sei unter falschem Namen für einen Wettbewerber der Klägerin tätig gewesen. Hiergegen erhob der Beklagte Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht gab dieser Klage statt. Das Landesarbeitsgericht hat sie auf Berufung der Klägerin nach Beweisaufnahme mit Urteil vom 19.11.96 abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hat das Bundesarbeitsgericht mit Beschluß vom 15.05.97 als unzulässig verworfen.
Mit ihrer am 25.04.96 bei Gericht eingegangenen und dem Beklagten am 21.05.96 zugestellten Klage fordert die Klägerin Auskunft über die während des Vertragsverhältnisses getätigten Konkurrenzgeschäfte, Rechnungslegung bezüglich der dabei erzielten Umsätze und Zahlung von Schadensersatz in noch zu beziffernder Höhe. Zuvor hatte die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 09.02.96 und 05.03.96 Auskunft gefordert und Schadensersatzansprüche angemeldet.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe von einem bei ihr abgelehnten Bewerber, Herrn … Mitte April 95 erfahren, daß der Beklagte nach Vermutung des Informanten an dem Konkurrenten … beteiligt und dort als freiberuflicher Außendienstmitarbeiter auf Provisionsbasis tätig sei; er besitze jedenfalls einen Schlüssel zu den Betriebsräumen und gehe dort ein und aus. Im Zuge weiterer Nachforschungen habe dann am 16. Mai 95 ein früherer Mitarbeiter dieses Konkurrenten, Herr … den Beklagten auf einem ihn vorgelegten Foto als „unseren Herrn …” erkannt. Die Klägerin hat behauptet, unter diesem Falschnamen sei der Beklagte seit Jahren für die … als Außendienstler tätig und erhalte für vermittelte Geschäfte Provision. Mittlerweile wisse man, daß der Beklagte und der frühere Geschäftsführer … der Klägerin über einen Treuhänder an der … beteiligt seien.
Die Klägerin hat gemeint, ihre Ansprüche seien auch im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten schon deshalb nicht verjährt, weil das Verhalten des Beklagten den Tatbestand der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung erfülle. Es gelte also eine dreijährige Verjährungsfrist, die im April 95 in Lauf gesetzt worden sei. Die Klägerin hat ferner gemeint, ihre Ansprüche seien auch nicht aufgrund Ablaufs tarifvertraglicher Ausschlußfristen untergegangen. Denn der Manteltarifvertrag für den Groß- und Außenhandel des Landes Hessen, wenn er denn anwendbar sei, knüpfe in seiner Ausschlußfristregelung für Ansprüche der hier betroffenen Art. an die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses an, die aber vorliegend erst mit Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde im Kündigungsschutzprozeß festgestanden habe.
Die Klägerin hat beantragt,
im Wege der Stufenklage
- ihr Auskunft darüber zu erteilen, für welche Konkurrenzunternehmen unter welchem Namen der Beklagte während seiner Beschäftigungszeit bei der Klägerin (vom 01. Januar 1978 bis 29. Mai 1995) tätig geworden ist, sowie darüber Rechnung zu legen, in welcher Höhe er Umsätze für diese Konkurrenzunternehmen in dem genannten Zeitraum getätigt hat.
- Die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben an Eides statt zu versichern,
- an sie Schadensersatz in einer nach Erteilung der Auskunft noch zu bestimmenden Höhe nebst 5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und gemeint, es gelte für die behaupteten Ansprüche die dreimonatige Verjährungsfrist des § 61 Abs. 2 HGB. Er hat darüber hinaus vorgetragen, etwaige Ansprüche seien auch gem. § 18 Abs. 2 S. 3 des Kraft Vereinbarung anwendbaren Manteltarifvertrages für den Groß- und Außenhandel des Landes Hessen verfristet. Nach dem Tarifvertrag werde die Ausschlußfrist nämlich bereits durch die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Lauf gesetzt.
Das Arbeitsgericht hat den Beklagten durch Teil-Urteil antragsgemäß zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung verurteilt. Wegen der Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung vom 26.11.97 Bezug genommen.
Gegen dieses ihm am 08.12.97 zugestellte Urteil richtet sich die am 05.01.98 eingelegte und, nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 05.03.98, am 31.01.98 begründete Berufung des Beklagten.
Der Beklagte wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen mit Rechtsausführungen. Mit Schriftsatz vom 14.09.98 trägt der Beklagte darüber hinaus vor, er sei zu keinem Zeitpunkt für die Firma … in Hanau als freiberuflicher Mitarbeiter auf Provisionsbasis tätig gewesen und zwar weder unter dem Namen …, noch unter sonstigem Namen. Die gleiche Erklärung hatte der Beklagte am 10.02.98 im Rahmen der von der Klägerin aus dem Teil-Urteil betriebenen Zwangsvollstreckung abgegeben.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Teil-Urteils des Arbeitsgerichts Offenbach vom 26.11.97 die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens im übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Beklagten ist zulässig. Die Berufung ist auch begründet. Sie führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung und Abweisung der Klage, soweit das Arbeitsgericht ihr durch Teil-Urteil stattgegeben hat.
Mögliche Ansprüche der Klägerin aus dem behaupteten Verhalten des Beklagten sind allerdings nicht bereits gem. § 19 (früher: § 18) des Manteltarifvertrages für den Groß- und Außenhandel des Landes Hessen, sofern er für das Arbeitsverhältnis der Parteien Geltung hat, erloschen. Die vorliegend einschlägige Regelung in § 19 Ziff. 2 S. 3 des Tarifvertrages knüpft für den Beginn der Ausschlußfrist an die „Beendigung des Arbeitsverhältnisses” an. Darunter versteht man nach allgemeinem juristischen Sprachgebrauch, wenn keine weiteren Zusätze in der gewählten Formulierung enthalten sind, die rechtliche, nicht aber die tatsächliche Beendigung des Vertragsverhältnisses (BAG v. 03.12.1970, AP Nr. 45 zu § 4 TVG Ausschlußfrist = BB 1971, S. 396). Gegenteiliges folgt auch nicht aus der Verwendung des Begriffes „Arbeitsverhältnis”. Die höchstrichterliche Rechtsprechung bewertet jedenfalls seit der Entscheidung vom 10.08.1967 (BAG AP Nr. 37 zu § 4 TVG Ausschlußfrist) die Begriffe „Arbeitsvertrag” und „Arbeitsverhältnis” im Zusammenhang mit Ausschlußfristregelungen als inhaltsgleich. Zu den Zweifelsfragen, die entstehen müssen, wenn ein Tarifvertrag auf die Fälligkeit von Ansprüchen abstellt und nicht auf die Beendigung des Arbeitsvertrages oder Arbeitsverhältnisses (z. B. BAG AP Nr. 5 zu § 113 BetrVG 1972), oder wenn die tatsächliche Beendigung der Bezugspunkt ist, Ansprüche aber erst danach fällig werden (z. B.: BAG v. 18.01.69, DB 1969, S. 1200), hat der vorliegend betroffene Sachverhalt keinen Bezug. Gilt aber für den Beginn der Ausschlußfrist der Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und streiten die Parteien darüber, ob das Arbeitsverhältnis rechtlich beendet ist, dann beginnt die Ausschlußfrist erst dann, wenn feststeht, ob und wann rechtliche Beendigung eingetreten ist. Dies war vorliegend erst mit Verwerfung der, den Eintritt der Rechtskraft hemmenden. Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten im Kündigungsschutzprozeß durch das Bundesarbeitsgericht am 15.05.97, also lange nach Erhebung der Stufenklage der Fall.
Etwaige Ansprüche der Klägerin auf Auskunftserteilung sind auch nicht bereits durch Erfüllung (§ 362 BGB) erloschen. Zwar kann Auskunftserteilung auch durch Prozeßvortrag erfolgen (vgl. BAG v. 04.06.69 AP Nr. 14 zu § 611 BGB Lohnanspruch) und möglicherweise hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 14.09.98 und durch Erklärung im Rahmen der Zwangsvollstreckung inhaltlich bereits Auskunft erteilt. Wird allerdings die Auskunft zum Zwecke der Abwendung der Zwangsvollstreckung erteilt, dann fehlt es an der für den Eintritt der Erfüllungswirkung notwendigen Freiwilligkeit der Leistung (vgl. BGH NJW 1985, S. 2415). Für den gleichlautenden Prozeßvortrag des Beklagten gilt nichts anderes. Er wird nicht gehalten „zwecks Erfüllung der Auskunftspflicht” (BGH DB 1969, S. 1014), sondern zum Zwecke der Rechtsverteidigung. Der Beklagte stellt damit jedes wettbewerbswidrige Verhalten in Abrede und wendet sich gegen eine Entstehung von Ansprüchen überhaupt.
Ansprüche der Klägerin, jedenfalls solche auf Schadensersatzzahlung, sind allerdings gem. § 61 Abs. 2 HGB verjährt. Insbesondere gilt für diese Ansprüche nicht die dreijährige Verjährungsfrist nach § 852 Abs. 1 BGB. Dies selbst dann, wenn das behauptete Verhalten des Beklagten zugleich den Tatbestand der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung gem. § 826 BGB erfüllt.
Das Reichsgericht hat bereits in seiner Entscheidung vom 06.04.1937 (JW 37 S. 2654) angenommen, § 852 BGB werde von § 61 Abs. 2 HGB verdrängt, wenn aus dem gleichen Sachverhalt Ansprüche sowohl aus § 61 Abs. 1 HGB als auch aus unerlaubter Handlung geltend gemacht werden können. Es hat ausgeführt, dies gelte selbst für Ansprüche aus § 826 BGB, weil der vorsätzliche Verstoß gegen das Verbot des § 60 HGB in vielen Fällen zugleich den Tatbestand des § 826 BGB erfüllen werde, die kurze Verjährungsfrist in § 61 Abs. 2 HGB also weitgehend leerlaufe, wenn nicht die Ansprüche insgesamt der kurzen Verjährung unterworfen seien. Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsprechung ersichtlich nicht beanstandet und lediglich für den Bereich des § 414 BGB eine Vergleichbarkeit mit der Situation bei § 61 Abs. 2 HGB verneint (BGH v. 28.04.53 BGHZ 9, 301). Die Literatur ist der Auffassung des Reichsgerichts weitgehend gefolgt (Schlegelberger, Kommentar zum HGB, 4. Aufl., Randnote 9 zu § 61; Staub, Großkommentar zum HGB, 4. Aufl., Randnote 20 zu § 61; Stein/Münchener Kommentar, 3. Aufl., Randnote 56 zu § 852 BGB). Lediglich Baumbach/Hopt (Kommentar zum HGB, 29. Aufl., Randnote 4 zu § 61) vertreten, allerdings ohne Begründung, für den Bereich des § 826 BGB eine abweichende Auffassung. Das Berufungsgericht folgt der Auffassung des Reichsgerichts. Dafür ist maßgebend die Überlegung, daß Verstöße des Arbeitnehmers gegen die Wettbewerbsunterlassungspflicht nach § 60 HGB einerseits in der Regel vorsätzlich erfolgen werden und andererseits ein solcher vorsätzlicher Verstoß, der um des eigenen finanziellen Vorteils Willen regelmäßig die Schädigung des Arbeitgebers mit ins Kalkül zieht und bei dem regelmäßig die intime Kenntnis von Kalkulationsgrundlagen des Arbeitgebers genutzt wird, in der Tat geradezu typischerweise zugleich sich als sittenwidrige Schädigung darstellen wird. Da überdies bei § 826 BGB bedingter Vorsatz hinsichtlich der Schadensfolge ausreicht, bliebe für weite Bereiche die kurze Verjährungsfrist des § 61 Abs. 2 HGB ohne praktische Auswirkung. Es muß daher angenommen werden, daß der Gesetzgeber in solchen Fällen, die Ansprüche in vollem Umfang der kurzen Verjährung hat unterwerfen wollen.
Daß der Beginn der kurzen Verjährungsfrist auf April 95 zu datieren ist, trägt die Klägerin zutreffend selbst vor. Denn Kenntnis im Sinne des § 61 Abs. 2 HGB hat der Arbeitgeber bereits dann, wenn er generell um die Vornahme verbotener Geschäfte durch den Arbeitnehmer weiß. Kenntnis des Inhalts einzelner Geschäfte ist nicht erforderlich (vgl. RGZ 63, 252). Die Frist lief jedenfalls spätestens ab 16.05.95, als der Klägerin durch einen früheren Mitarbeiter der … mitgeteilt worden war, der Beklagte sei als … für diesen Wettbewerber tätig. Die Ansprüche waren daher bereits verjährt, als am 29.04.96 die Stufenklage beim Arbeitsgericht einging.
Es mag dahinstehen, ob die Auskunftsansprüche, die an sich aus § 242 BGB sich ergeben (vgl. BAG AP Nr. 6 zu § 60 HGB), unmittelbar ebenfalls der kurzen Verjährung des § 61 Abs. 2 HGB unterliegen. Denn jedenfalls kann der Auskunftsanspruch als Hilfsanspruch mangels rechtlichen Interesses dann nicht mehr verfolgt werden, wenn Zahlungsansprüche, deren Vorbereitung er dient, nicht mehr durchsetzbar sind (vgl. BGH NJW 1985, S. 304).
Da die Klägerin im Berufungsrechtszug unterliegt, trägt sie dessen Kosten.
Die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG und trägt insbesondere den Zweifeln des Bundesarbeitsgerichts am Gerechtigkeitsgehalt der Regelung in § 61 Abs. 2 HGB (BAG v. 16.01.75 BB 1975, S. 1018) und seinen Ausführungen in der Entscheidung vom 28.01.86 (NJW 1986, S. 2527) Rechnung.