HI7215184

Hessisches LAG Urteil vom 17.01.2014 - 3 Sa 232/13

HI7215184_1

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung in Probezeit. Wehrdienst als Kündigungsgrund. Darlegungs- und Beweislast für Kündigungsgrund

HI7215184_2

Leitsatz (redaktionell)

Wenn der Arbeitnehmer behauptet, die Kündigung verstoße gegen die Kündigungsverbote gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 ArbPlSchG und der Arbeitgeber bestreitet dies, wird die Beweislast für die Kündigungsgründe nach § 2 Abs. 2 Satz 3 ArbPlSchG umgekehrt und der Arbeitgeber muss beweisen, dass die Einberufung zum Wehrdienst seinen Entschluss zur Kündigung des Wehrpflichtigen nicht bestimmt hat.

HI7215184_3

Normenkette

BGB § 134; ArbPlSchG § 2 Abs. 2 S. 1

HI7215184_4

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 17.01.2013; Aktenzeichen 19 Ca 4687/12)

HI7215184_5

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 17. Januar 2013 verkündeten Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main - 19 Ca 4687/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

HI7215184_6

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch um die Rechtswirksamkeit einer Kündigung durch die Beklagte.

Die Beklagte beschäftigt in A mehr als 1600 Mitarbeiter an 18 Standorten.

Der am B geborene, geschiedene und einer Person zum Unterhalt verpflichtete Kläger, der Angehöriger der C ist, ist seit dem 02. bzw. 03. Januar 2012 bei der Beklagten als Senior Account Manager beschäftigt. Grundlage ist ein schriftlicher Vertrag, der von der Beklagten als Blatt 33 - 41 in englischer Sprache zu den Akten gereicht wurde. Die Parteien haben in Ziffer 2 des Vertrages eine Probezeit von sechs Monaten und während der Probezeit eine Kündigungsfrist von zwei Wochen vereinbart. Während seiner Tätigkeit für die Beklagte erhielt der Kläger eine monatliche Bruttovergütung von durchschnittlich 8.583,33 Euro zuzüglich einer eventuellen variablen Vergütung. Mit Bescheid vom 10. Januar 2012 (im Folgenden: Heranziehungsbescheid) hat das Kreiswehrersatzamt D den Kläger zu einer Einzelübung herangezogen, welche für den Zeitraum vom 29. Oktober 2012 bis zum 09. November 2012 geplant war, wegen der Einzelheiten des Heranziehungsbescheides wird auf Bl. 65 d. A. Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 20. Juni 2012, das dem Kläger am selben Tag zugegangen ist, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 05. Juli 2012, wegen der Einzelheiten des - englischsprachigen - Kündigungsschreibens wird auf Bl. 19 d. A. Bezug genommen.

Mit seiner am 10. Juli 2012 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangenen Klage, die der Beklagten am 13. Juli 2012 zugestellt worden ist, wendet sich der Kläger gegen die Rechtmäßigkeit der Kündigung.

Der Kläger hat im Zeitraum vom 05. Juli bis 30. November 2012 Wehrdienst geleistet und eine entsprechende Besoldung erhalten, die sich oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze bewegte.

Der Kläger hat behauptet, er habe die von ihm geschuldete arbeitsvertragliche Leistung stets in vollem Umfang erbracht. Irgendwelche Beanstandungen seitens der Beklagten habe es zu keiner Zeit gegeben. Die Beklagte habe das Arbeitsverhältnis aus Anlass seiner anstehenden Wehrübung gekündigt. Er habe den Heranziehungsbescheid am 16. Januar 2012 per E-Mail an die Beklagte übermittelt und nimmt insoweit Bezug auf den mit der Anlage K 5 vorgelegten internen E-Mail-Verkehr, wegen dessen Einzelheiten wird auf Bl. 67 - 69 d. A. Bezug genommen.

Der Kläger hat beantragt, soweit im Berufungsverfahren noch angefallen,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 20. Juni 2012 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, dass die Einberufung des Klägers zur Wehrübung zu keinem Zeitpunkt ein Motiv für den Ausspruch der Kündigung gewesen sei. Vielmehr habe die Beklagte gekündigt, weil sie mit der Leistung des Klägers, insbesondere im Hinblick auf sein exponiertes Gehalt, nicht zufrieden gewesen sei. Einzig dieses Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung sei Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewesen. Wegen des zwischenzeitlichen Ausscheidens der Mitarbeiterin E könne nicht festgestellt werden, ob der Kläger überhaupt, wie von ihm behauptet, die Beklagte von der Wehrübung unterrichtet habe. Deshalb hat die Beklagte die diesbezügliche Mitteilung des Klägers bestritten.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2012 mit am 17. Januar 2013 verkündetem Urteil der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das Arbeitsgericht hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 20. Juni 2012 nach § 134 BGB in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 1 ArbPlSchG nichtig sei. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 ArbPlSchG dürfe der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht aus Anlass des Wehrdienstes kündigen. Aus § 1 Abs. 1 ArbPlSchG ergebe sich, dass der Begriff des Wehrdienstes sowohl den Grundwehrdienst als auch Wehrübungen umfasse. Das Gesetz stelle für den Fall, dass die Entlassung vorgenommen werde, nachdem der Arbeitgeber von der Einberufung Kenntnis erhalten habe, eine widerlegbare Vermutung dafür auf, dass aus Anlass des Wehrdienstes gekündigt wurde. Nach § 2 Abs. 2 Satz 3 ArbPlSchG treffe den Arbeitgeber die Beweislast, wenn streitig sei, ob er aus Anlass des Wehrdienstes gekündigt habe. Die Beklagte habe Kenntnis von dem Heranziehungsbescheid, weil sie dem diesbezüglichen Vortrag des Klägers nicht substantiiert entgegengetreten sei. Sie habe weder dargelegt noch nachgewiesen, dass die Kündigung mit Schreiben vom 20. Juni 2012 auf anderen Motiven als der Heranziehung zum Wehrdienst beruht habe. Der Vortrag der Beklagten über die Unzufriedenheit mit der Leistung des Klägers sei unbeachtlich. Er sei pauschal und einer näheren Einlassung durch den Kläger nicht zugänglich. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf Seite 4 bis 7 des Urteils (Bl. 82 bis 83 RS d. A.) Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil, dass der Beklagten am 01. Februar 2013 zugestellt worden ist, hat diese mit am 21. Februar 2013 beim erkennenden Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf rechtzeitigen Antrag hin, mit am 02. Mai 2013 beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte behauptet weiterhin, nicht verifizieren zu können, ob der Kläger den Heranziehungsbescheid mit E-Mail vom 16. Januar 2012 bei der Beklagten eingereicht habe, weil die Adressatin der E-Mail, Frau E, in der Zwischenzeit bei der Beklagten ausgeschieden sei. Sie vertritt die Rechtsauffassung, der Kläger habe erstinstanzlich nicht konkret dargelegt, dass die streitbefangene Kündigung aus Anlass der Wehrübung ausgesprochen worden sei, so dass die Beweislastumkehr gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 ArbPlSchG vorliegend nicht zur Anwendung komme. Darüber hinaus habe die Beklagte bereits ausreichend substantiiert zum Kündigungsmotiv vorgetragen. Denn sie habe sich auf das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung als Anlass für den Ausspruch der ordentlichen Kündigung berufen und darauf, dass die Wehrübung für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit keine Rolle gespielt habe. Dafür spreche auch der lange Zeitraum zwischen der angeblichen Bekanntmachung der Wehrübung durch den Kläger und dem Ausspruch der Kündigung. Insoweit müsse auch gewürdigt werden, dass die Beklagte die Bekanntgabe des Heranziehungsbescheides ausdrücklich mit Nichtwissen bestritten habe, weil die Empfängerin in der Personalabteilung, Frau E, nicht mehr beschäftigt werde. Auch dies spreche dafür, dass die Beklagte im Zeitpunkt des Kündigungsentschlusses keine Kenntnis mehr vom Heranziehungsbescheid hatte, so dass dieser nicht Motiv für die Kündigung habe sein können. Jedenfalls sei der Heranziehungsbescheid dem direkten Vorgesetzten des Klägers, Herrn F, bei der Entschlussfassung zur Kündigung und der persönlich bewirkten Übergabe nicht präsent gewesen. Hinsichtlich der Kündigungsgründe behauptet die Beklagte, dass sie eigens für das sehr junge Geschäftsfeld Unternehmensmarkt/Enterprise Business Unit einen erfahrenen Vertriebsmitarbeiter mit operativer Erfahrung gesucht habe, um die Vertriebswege strukturiert aufzubauen und zu überwachen. Der Kläger habe das gesamte Berichtswesen (Reporting) erstellen und organisieren sollen und dabei die vorhandenen Auftragsströme der jeweiligen Kunden (Pipeline) erfassen sollen, damit turnusmäßige Berichte (Reports) erstellt werden können, mit denen der Erfolg der Vertriebsleistung der jeweiligen Vertriebsteams gemessen werden könne. Die vom Kläger erstellten Reports seien jedoch in Bezug auf die inhaltliche Aussagekraft vollkommen unzureichend und hinsichtlich der faktisch vorhandenen Inhalte sogar teilweise fehlerhaft gewesen. Insgesamt habe sich innerhalb der Probezeit offenbart, dass der Kläger für die Stelle nicht geeignet sei, da er aus eigenem Antrieb nur wenig verwertbare Ideen geliefert habe. Deshalb habe die Beklagte befürchtet, dass seine Erfahrung als Vertriebsleiter nicht die erforderliche Intensität hinsichtlich Organisation und Administration einer gesamten Vertriebseinheit beinhalte.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main, verkündet am 17. Januar 2013 - 19 Ca 4687/12 - teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens. Der Kläger hält das Berufungsvorbringen der Beklagten für verspätet und unsubstantiiert. Angesichts des Bestreitens des Klägers trage die Beklagte nicht substantiiert vor, welche Tatsachen die Kündigung begründen würden. Insoweit trage sie lediglich das getroffene Werturteil vor, aber keine Tatsachen, auf denen dieses Werturteil beruhe. Die pauschale Behauptung eines Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung sei abstrakt und inhaltsleer.

Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 16. Dezember 2013 hat die Beklagte angeregt, die Revision zuzulassen mit der Begründung, dass es einer grundsätzlichen Klärung bedürfe, ob bei Nichterreichen der allgemeinen Wartefrist nach § 1 KSchG und Zusammentreffen mit dem relativen Kündigungsschutz nach Einberufung zu einer Wehrübung "eine gesonderte Begründungsfrist trotz nicht Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes" bestehe.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 15. November 2013 Bezug genommen.