HI653746

LAG Hamm Urteil vom 17.12.1998 - 4 Sa 1337/98 (veröffentlicht am 17.12.1998)

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Verfahrensgang

ArbG Gelsenkirchen (Aktenzeichen 3 Ca 122/98)

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Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 08.05.1996 (3 Ca 122/98) teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Zug-um-Zug gegen Rückgabe des seinerzeit mit Datum des 29.07.1998 erteilten Zeugnisses ein neues Zeugnis mit geändertem Namen bzw. mit geändertem Geschlecht, im übrigen aber inhaltlich unverändert zu erteilen.

Im übrigen werden die Berufung zurückgewiesen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,– DM festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

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Tatbestand

Die Parteien streiten um die Frage, ob die Beklagte der Klägerin eine Abschrift eines Arbeitszeugnisses mit dem geänderten Namen bzw. dem geänderten Geschlecht der Klägerin und der Maßgabe, daß am Ende dieser Abschrift die inhaltliche Übereinstimmung mit dem Arbeitszeugnis hinsichtlich Führung und Leistung der Klägerin bestätigt wird, zu erteilen hat.

Die Beklagte ist ein in der Rechtsform der GmbH & Co. KG organisiertes Unternehmen der chemischen Industrie mit Sitz in G…………………. Zu ihr stand die am 13.01.1966 in G………………… geborene Klägerin ab 01.09.1982 in einem Ausbildungsverhältnis und anschließend ab 25.06.1984 bis zum 31.07.1986 in einem Arbeitsverhältnis. Zuletzt verdiente die Klägerin 2.500,– DM brutto im Monat.

Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses erteilte die Beklagte der Klägerin unter ihrem damaligen männlichen Vornamen ein qualifiziertes Arbeitszeugnis vom 29.07.1988.

Die Klägerin fühlt sich dem weiblichen Geschlecht zugehörig und ließ mit Beschluß des Amtsgerichts Dortmund vom 13.05.1997 ihren männlichen Vornamen ändern. Sie führt seitdem den weiblichen Vornamen J…………….

Nach erfolglosen Bemühungen um eine entsprechende Berichtigung des Arbeitszeugnisses vom 29.07.1988 erhob die Klägerin mit Klageschrift vom 09.09.1997 vor dem Arbeitsgericht Gelsenkirchen Klage gegen die Beklagte und verlangte die Neuausstellung des Zeugnisses unter Berücksichtigung ihres geänderten Vornamens und ihres weiblichen Geschlechts.

In diesem Verfahren (3 Ca 2872/97) schlossen die Parteien auf Vorschlag des Gerichtes in der Güteverhandlung vom 08.10.1997 einen Vergleich mit folgendem Wortlaut:

  1. Der Rechtsstreit ist erledigt.
  2. Die Parteien behalten sich den Widerruf des Vergleichs durch schriftliche Anzeige zu den Gerichtsakten bis zum 28. November 1997 vor.

Vor Ablauf der Widerrufsfrist kam, es zu einem Telefongespräch zwischen dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin und dem in der Güteverhandlung nicht zugegen gewesenen Prokuristen und Personalleiter der Beklagten, dem Zeugen E……v… W……………

Die Widerrufsfrist verstrich, ohne daß die Klägerin ein Zeugnisdokument von der Beklagten erhielt.

Die Klägerin hat vorgetragen, es sei – gemäß der gerichtlichen Anregung im Gütetermin vom 08.10.1997 – in dem oben genannten Telefongespräch zu einer Einigung über eine von der Beklagten zu erteilende, entsprechend dem Geschlecht und dem geänderten Vornamen der Klägerin modifizierte Abschrift des Zeugnisses unter Bestätigung der inhaltlichen Übereinstimmung mit der Ursprungsfassung hinsichtlich Führung und Leistung der Klägerin gekommen.

Mit der beim Arbeitsgericht am 14.01.1998 eingegangenen Klage hat die Klägerin die Erteilung einer derartigen Abschrift gerichtlich geltend gemacht.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Abschrift des Zeugnisses vom 29.07.1988 mit dem geänderten Namen bzw. dem geänderten Geschlecht der Klägerin und der Maßgabe, daß am Ende dieser Abschrift die inhaltliche Übereinstimmung mit dem Zeugnis vom 29.07.1988 hinsichtlich Führung und Leistung bestätigt wird, zu erteilen, und zwar mit nachfolgendem Text:

„Frau J…………… L…………, geboren am 13. Januar 1966 in G………………….-B……, absolvierte im Laboratorium unseres Unternehmens in der Zeit vom 01.09.1982 bis 25.06.1984 eine Ausbildung zur Chemielaborjungwerkerin und wurde anschließend in ein Arbeitsverhältnis übernommen.

Die Ausbildung entsprach der sachlichen und zeitlichen Gliederung des Ausbildungsplanes im Berufsbild der Chemielaborjungwerkerin.

Nach bestandener Abschlußprüfung bereitete sich Frau L………… als Externe auf die Chemielaborantenprüfung vor, die sie am 29. Januar 1988 mit Erfolg ablegte. Mit Wirkung vom 01. März 1988 wurde Frau L………… als Chemielaborantin in das Angestelltenverhältnis übernommen.

Das Tätigkeitsgebiet von Frau L………… nach Beendigung ihrer Ausbildung war vielfältig. Dazu gehörte die Untersuchung von Abwässern einschl. Phenol- und Acetonbestimmungen im Mikrobereich und die Ermittlung des chemischen Sauerstoffbedarfs. Außerdem wurde sie mit der Qualitätskontrolle des Einsatzproduktes Cumol und unserer Endprodukte Phenol und Aceton betraut, wozu die Durchführung von Probeoxidationen, die Ermittlung von Siedekurven und Erstarrungspunkten sowie das pauschale Erfassen von Vereinigungen durch Löslichkeitsversuche und das Verhalten gegen Oxidationsmittel gehörten. Aufgrund der dabei ermittelten Werte war Frau L………… zur Freigabe von Partien berechtigt. Weitere Aufgaben waren das Ansetzen von Maßlösungen für die analytischen Laboratorien, die Bestimmung von Chlor und Schwefel in organischen Verbindungen im Mikrobereich und die Durchführung einfacher präparativer Arbeiten nach Anweisung.

Frau L………… erledigte die ihr übertragenen Arbeiten jederzeit zu unserer vollen Zufriedenheit. Sie war eine selbständige und gewissenhaft arbeitende Mitarbeiterin. Aufgrund ihres einwandfreien Verhaltens gegenüber ihren Vorgesetzten und Kollegen gestaltete sich die Zusammenarbeit mit ihr in einer stets angenehmen Weise.

Frau L………… verläßt uns am 31.07.1988, um an einer Weiterbildungsmaßnahme teilzunehmen, Wir danken ihr für ihre Mitarbeit und wünschen ihr für ihren weiteren Lebensweg alles Gute und viel Erfolg.”

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, in dem von der Klägerin erwähnten Telefongespräch sei es nicht zu einer Übereinstimmung der gegensätzlichen Meinungen gekommen. Der gerichtlichen Geltendmachung stehe der nicht widerrufene Vergleich vom 08.10.1997 (3 Ca 2872/97) entgegen. Es sei Aufgabe der Klägerin gewesen, darauf zu achten, daß innerhalb der Wochenfrist das begehrte, abgeänderte Zeugnis erteilt werde.

Das Arbeitsgericht Gelsenkirchen hat die Akte 3 Ca 2872/97, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, beigezogen.

Das Arbeitsgericht Gelsenkirchen hat durch Urteil vom 08.05.1998 (3 Ca 122/98 – RuP 1998, 162) wie folgt für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Abschrift des Zeugnisses vom 29.07.1988 mit dem geänderten Namen bzw. geänderten Geschlecht der Klägerin und der Maßgabe, daß am Ende dieser Abschrift die inhaltliche Übereinstimmung mit dem Zeugnis vom 29.07.1988 hinsichtlich Führung und Leistung bestätigt wird, zu erteilen, und zwar mit folgendem Text:

„Frau J…………… L…………, geboren am 13. Januar 1966 in G…………………-B……, absolvierte im Laboratorium unseres Unternehmens in der Zeit vom 01.09.1982 bis 25.06.1984 eine Ausbildung zur Chemielaborjungwerkerin und wurde anschließend in ein Arbeitsverhältnis übernommen.

Die Ausbildung entsprach der sachlichen und zeitlichen Gliederung des Ausbildungsplanes im Berufsbild der Chemielaborjungwerkerin.

Nach bestandener Abschlußprüfung bereitete sich Frau L………… als Externe auf die Chemielaborantenprüfung vor, die sie am 29. Januar 1988 mit Erfolg ablegte. Mit Wirkung vom 01. März 1988 wurde Frau L………… als Chemielaborantin in das Angestelltenverhältnis übernommen.

Das Tätigkeitsgebiet von Frau L………… nach Beendigung ihrer Ausbildung war vielfältig. Dazu gehörte die Untersuchung von Abwässern einschl. Phenol- und Acetonbestimmungen im Mikrobereich und die Ermittlung des chemischen Sauerstoffbedarfs. Außerdem wurde sie mit der Qualitätskontrolle des Einsatzproduktes Cumol und unserer Endprodukte Phenol und Aceton betraut, wozu die Durchführung von Probeoxidationen, die Ermittlung von Siedekurven und Erstarrungspunkten sowie das pauschale Erfassen von Vereinigungen durch Löslichkeitsversuche und das Verhalten gegen Oxidationsmittel gehörten. Aufgrund der dabei ermittelten Werte war Frau L………… zur Freigabe von Partien berechtigt. Weitere Aufgaben waren das Ansetzen von Maßlösungen für die analytischen Laboratorien, die Bestimmung von Chlor und Schwefel in organischen Verbindungen im Mikrobereich und die Durchführung einfacher präparativer Arbeiten nach Anweisung.

Frau L………… erledigte die ihr übertragenen Arbeiten jederzeit zu unserer vollen Zufriedenheit. Sie war eine selbständige und gewissenhaft arbeitende Mitarbeiterin. Aufgrund ihres einwandfreien Verhaltens gegenüber ihren Vorgesetzten und Kollegen gestaltete sich die Zusammenarbeit mit ihr in einer stets angenehmen Weise.

Frau L………… verläßt uns am 31.07.1988, um an einer Weiterbildungsmaßnahme teilzunehmen, Wir danken ihr für ihre Mitarbeit und wünschen ihr für ihren weiteren Lebensweg alles Gute und viel Erfolg.”

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Der Streitwert wird auf 2.500,– DM festgesetzt.

Zur Begründung hat es ausgeführt, der Zulässigkeit der Klage stehe nicht der gerichtliche Vergleich vom 08.10.1997 im Verfahren 3 Ca 2872/97 entgegen. Nach dem gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermittelnden Willen der Parteien habe nur der Rechtsstreit 3 Ca 2872/97 beendet, nicht jedoch die Rechtsfrage einer Verpflichtung der Beklagten zur Zeugnisberichtigung geregelt und ein für alle Mal außer Streit gestellt werden sollen. Der Text des Vergleichs enthalte keine Erledigungserklärung hinsichtlich des damaligen Klageanspruchs. Der Vorsitzende habe den Parteien den Vergleich zu dem Zweck vorgeschlagen, sich im Falle einer außergerichtlichen Einigung Erklärungen gegen über dem Arbeitsgericht oder einen Gang zum Arbeitsgericht zwecks Protokollierung eines Vergleichs zu ersparen. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten habe sich nämlich im Gütetermin vom 08.10.1997 zu einer inhaltlichen Regelung (etwa im Sinne der gerichtlichen Anregung zur Erteilung einer Abschrift) außerstande gesehen. Zudem hätten durch die Vergleichsformulierung außergerichtliche Verhandlungen angeregt und Spielraum für möglicherweise anderslautende Übereinkünfte zwischen den Parteien geschaffen werden sollen. Mit dem Vergleich habe jedoch nicht ausgeschlossen sein sollen, bei einem Scheitern der außergerichtlichen Regelungsbemühungen an Stelle der Erklärung des Widerrufs einen neuen Rechtsstreit um dieselbe Rechtsfrage zu führen. Insofern gehe der Vergleich nach seinem objektiven Erklärungsgehalt in der Wirkung nicht über eine Klagerücknahme hinaus, der der Versuch der außergerichtlichen Einigung folgen solle. Eine Klagerücknahme hindere jedoch nicht die Neuerhebung der Klage. Im übrigen sei der jetzt geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Abschrift nicht identisch mit dem im Verfahren 3 Ca 2872/97 geltend gemachten Klagebegehren. Er sei auch nicht als ein „Minus” diesem gegenüber anzusehen. Das Klagebegehren im Verfahren 3 Ca 2872/97 habe den Charakter eines Zeugnisberichtigungsanspruchs, während die Klägerin jetzt neben dem Gültigkeit behaltenden Ursprungszeugnis eine Abschrift desselben mit anderem Wortlaut und einer Bestätigung der inhaltlichen Übereinstimmung, also ein „aliud”, verlange.

Der Klageanspruch sei auch begründet, denn die Klägerin habe Anspruch auf Erteilung einer Abschrift des Zeugnisses vom 29.07.1988 in dem von ihr geforderten Umfang. Der Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer solchen Abschrift folge aus der nachvertraglichen Fürsorgepflicht der Beklagten. Deren Umfang ergäbe sich aus § 242 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und § 5 TSG. Der Beklagten als Arbeitgeberin komme auch nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 242 BGB die arbeitsvertragliche Nebenpflicht zu, sich so zu verhalten, daß die Klägerin in ihren Rechtsgütern nicht verletzt werde. Zu diesen Rechtsgütern gehöre auch das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit, das auf diese Weise durch verfassungskonforme Auslegung und Bestimmung des in § 242 BGB verwandte unbestimmten Rechtsbegriffs von Treu und Glauben Wirkung auch im Privatrecht entfalte.

Das Recht der Klägerin auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit als berufstätige Frau laufe Gefahr, beeinträchtigt zu werden, wenn sie gehalten sei, bei einer Stellensuche auf dem Arbeitsmarkt das Zeugnis der Beklagten vom 29.07.1988, welches auf ihren ehemaligen, männlichen Vornamen laute und eine entsprechende Geschlechtsangabe enthalte, vorzulegen, also über keine andere von der Beklagten autorisierte Unterlage über ihre Führung und Leistung während des Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten verfüge, um eine lückenlose und erfolgreiche Berufslaufbahn zu dokumentieren.

Es sei gerichtsbekannt, daß in Gesellschaft und Arbeitswelt Transsexuellen häufig mit Vorurteilen begegnet werde und ihnen eine vollzogene Geschlechts- und/oder Namensänderung zum Nachteil gereiche. Insofern bedürfe dieser Personenkreis unter Rücksicht auf Art. 2 Abs. 1 GG des besonderen rechtlichen Schutzes auch im Privatrecht. Die Befürchtung von zu erwartenden Diskriminierungen und die daraus folgende erhöhte Schutzbedürftigkeit von Transsexuellen durch die Rechtsordnung spiegelten sich in § 5 TSG wider, demgemäß ohne Zustimmung des Transsexuellen die früher geführten Vornamen nicht offenbart oder angeführt werden dürften, es sei denn, daß besondere Gründe des öffentlichen Interesses dies erforderten oder ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht werde. Zwar erscheine § 5 TSG für den vorliegenden Fall, in dem die Beklagte nicht eine Offenbarung des ehemaligen Vornamens bzw. des Geschlechts der Klägerin vorzunehmen gedenkt, nicht unmittelbar einschlägig, dem Schutzzweck des Gesetzes und nicht zuletzt dem Art. 2 Abs. 1 GG widerspreche es jedoch, wenn durch die Weigerung eines ehemaligen Arbeitgebers, einem transsexuellen Arbeitnehmer ein für sein Fortkommen wichtiges Dokument über seine Arbeitstätigkeit zu erstellen, der betroffene Arbeitnehmer bei Bewerbungen und ähnlichen Gelegenheiten gehalten sein könne, die Lücke in der Dokumentation seiner beruflichen Laufbahn durch Vorlage des Originalzeugnisses zu schließen und damit seine Transsexualitätselbst zu offenbaren.

Die Erteilung einer Abschrift des Zeugnisses mit dem geänderten Namen bzw. Geschlecht gebe der Klägerin demgegenüber die Möglichkeit an die Hand, eine solche Offenbarung zu umgehen, auch wenn es – wie der Personalleiter der Beklagten meine – in Einzelfällen einer Bewerbung empfehlenswerter sein könnte, die Änderung des Namens nicht zu verschweigen. Die Beurteilung und Einschätzung jedoch, ob die Klägerin als Bestandteil von Bewerbungsunterlagen das Ursprungszeugnis oder die geänderte Abschrift vorlege, obliege ihr selbst und nicht der Beklagten, wie sich mittelbar ebenfalls aus § 5 TSG (nämlich aus dem dort niedergelegten Zustimmungserfordernis der Klägerin bei Offenbarung ihres ehemaligen Vornamens) entnehmen lasse.

Der nach alledem aus § 242 BGB und Art. 2 Abs. 1 GG abzuleitenden Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der geforderten, modifizierten Abschrift des Zeugnisses stünden auch nicht berechtigte, im Verhältnis zu den schutzwerten Anliegen der Klägerin gewichtigere Interessen der Beklagten gegenüber. Jedenfalls gingen diese aus dem Vortrag der Beklagten nicht hervor. Der das Zeugnisrecht beherrschende Grundsatz der Wahrheit werde durch die Abschriftserteilung im Kern nicht verletzt. Die inhaltliche Übereinstimmung der Abschrift mit dem Ursprungszeugnis solle sich ausweislich des unter die Abschrift von der Beklagten zu setzenden Bestätigungsvermerks auf Führung und Leistung der Klägerin erstrecken, nicht jedoch auf deren Namen und Geschlechtsidentität. Daß die im Jahre 1988 vorgenommene Beurteilung von Führung und Leistung mit dem Umstand stehe und falle, daß die Klägerin ehemals als Mann aufgetreten sei, sei weder von der Beklagten substantiiert vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Gegen das ihr am 05.06.1998 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 3.07.1998 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung bis zum 03.09.1998 am 10.08.1998 begründet.

Sie trägt vor, das Arbeitsgericht gehe ihres Erachtens rechtsirrig davon aus, daß ein Arbeitnehmer, dem zunächst ein wohlwollendes, wahrheitsgemäßes und richtiges Zeugnis erteilt worden sei, nach neun Jahren aus persönlichen Gründen einen Zeugnisänderungsanspruch geltend machen könne, wodurch das Zeugnis nachträglich wahrheitswidrig werde. Es gehe ihr in dem vorliegenden Verfahren allein um die Klärung der für die Personalarbeit grundlegende Rechtslage, ob ein Arbeitnehmer aufgrund schwerwiegender persönlicher Gründe nach vielen Jahren einen Zeugnisänderungsanspruch geltend machen könne oder ob in diesem Falle die Wahrheitspflicht des Arbeitgebers im Hinblick auf die Zeugniserteilung überwiege. Sie könne in keiner Weise erkennen, warum es moralisch verwerflich sein solle, die hier zu entscheidende grundlegende Frage abschließend gerichtlich klären zu lassen. Es gehe ihr vorliegend nicht darum, die Klägerin in irgendeiner Weise zu schikanieren oder in ihrem beruflichen Fortkommen zu behindern.

Sollte ein solcher nachträglicher Zeugnisänderungsanspruch, der ein Zeugnis nachträglich wahrheitswidrig werden lasse, prinzipiell möglich sein, so wäre dies ihres Erachtens auch nicht auf diejenigen Fälle des Transsexuellengesetzes zu beschränken. Ebenso wäre beispielsweise denkbar, daß ein Mitarbeiter nachträglich seinen Namen geändert habe, weil dieser Name in der Öffentlichkeit aufgrund politischer Umstände oder wegen eines furchtbaren Verbrechens mit einem Makel behaftet sei, so daß ebenfalls die Gefahr bestehe, daß der Mitarbeiter in seinem beruflichen Fortkommen behindert werde. Es wäre auch denkbar, daß ein Arbeitnehmer nach einer Scheidung der Auffassung sei, er könne mit dem gemeinsamen Ehenamen nicht mehr weiter leben, und stütze einen Zeugnisänderungsanspruch auf Art. 2 Abs. 1 GG. Hieran werde deutlich, daß die Arbeitsgerichte, insoweit sie einen solchen Zeugnisänderungsanspruch bejahten, auch dazu verpflichtet seien, der Personalarbeit verläßliche Kriterien an die Hand zu geben, um entscheiden zu können, wann ein solcher Zeugnisänderungsanspruch bestehe und wann nicht. Letztlich sei es von der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch anerkannt, daß der Arbeitgeber sich bei unrichtiger Zeugnisausstellung nach § 826 BGB schadenersatzpflichtig machen könne, wenn er wissentlich unwahre Angaben mache.

Die vom Arbeitsgericht dargestellte Anspruchsbegründung überzeuge nicht. Der zur Anspruchsbegründung herangezogene § 5 TSG verpflichte offensichtlich ausschließlich Träger der öffentlichen Gewalt und sei auf Privatunternehmen nicht anwendbar. Auch der Hinweis auf Art. 2 Abs. 1. GG könne ihres Erachtens nicht überzeugen, da das Arbeitsgericht in keiner Weise das allgemeine Persönlichkeitsrecht von ihr, der Beklagten, gewürdigt habe. Auch ihr müsse das Recht zugestanden werden, nach mehreren Jahren ein Arbeitsverhältnis als endgültig abgewickelt ansehen zu können.

Innerhalb des Urteils des Arbeitsgerichtes Gelsenkirchen finde sich auch keinerlei Auseinandersetzung mit dem Grundsatz der Wahrheitspflicht im Rahmen der Zeugniserteilung, der offensichtlich mit dem hier konstruierten Zeugnisänderungsanspruch kollidiere. Der Leser dieses Urteils vermisse schließlich auch eine Auseinandersetzung mit dem Verwirkungsgedanken, der sich bei diesem Sachverhalt aufdränge. Einem Zeugnisänderungsanspruch der Klägerin stehe der übermäßig lange Zeitablauf entgegen. Das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin habe am 31.07.1988 geendet. Im Jahre 1997 habe die Klägerin sich dem weiblichen Geschlecht zugehörig gefühlt. In diesem Zusammenhang habe sie erstmalig neun Jahre nach ihrem Ausscheiden bei ihr, der Beklagten, die Erstellung eines neuen Zeugnisses mit verändertem Namen verlangt. Im Interesse einer zügigen Abwicklung beendeter Arbeitsverhältnisse sähen Gesetzgebung und Rechtsprechung kurze Ausschlußfristen vor. So sei es beispielsweise anerkannt, daß der Anspruch auf Zeugniserteilung oder ein Zeugnisberichtigungsanspruch nur innerhalb einer Frist von ca. fünf Monaten geltend gemacht werden könnten. Vorliegend beanspruche die Klägerin sehr wohl auch eine Zeugnisänderung und nicht bloß eine Zeugnisberichtigung. Eine Berichtigung läge nämlich nur dann vor, wenn das Zeugnis seinerzeit versehentlich falsch ausgestellt worden wäre. Das im Jahre 1988 erstellte Zeugnis habe jedoch den damaligen Gegebenheiten entsprochen. Seine damalige Unrichtigkeit sei bislang auch nicht behauptet worden. Die relativ kurzen Ausschlußfristen zeigten, daß es dem Arbeitgeber möglich sein solle, beendete Arbeitsverhältnisse innerhalb einer zumutbaren Frist als abgewickelt ansehen zu können. Daher könne sie, die Beklagte, neun Jahre nach dem Ausscheiden der Klägerin nicht mehr verpflichtet werden, erneut ein Arbeitszeugnis zu gestalten.

Eine andere Bewertung ergäbe sich auch nicht aus der nachvertraglichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Das Arbeitsgericht habe den Umfang der nachvertraglichen Fürsorgepflicht überbewertet. Es ginge unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben und Art. 2 Abs. 1 GG davon aus, wegen der Vorurteile gegenüber Transsexuellen und den daraus resultierenden Problemen bei der Stellensuche bestünde ein Zeugnisberichtigungsanspruch uneingeschränkt aufgrund einer nachvertraglichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Dabei habe es verkannt, daß diese Wertung zu den obengenannten Überlegungen zur Dauer seit Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Widerspruch stünde. Außerdem habe das Arbeitsgericht die Interessen von ihr, der Beklagten, im Hinblick auf die Abgeschlossenheit des Vorgangs nicht gewürdigt. Sie müßte als Arbeitgeberin für einen unüberschaubaren Zeitraum damit rechnen, Änderungswünschen früherer Arbeitnehmer nachgehen zu müssen. Diese Ungewißheit und der daraus resultierende Aufwand sei ihr nicht zuzumuten, zumal die Umstände, die zu den Änderungswünschen führten, ausschließlich in der Sphäre der Klägerin angesiedelt seien.

Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers münde in der Verpflichtung zu einer wohlwollenden Formulierung des Zeugnisses. Ein solches habe sie unstreitig ausgestellt. Das Arbeitsgericht verkenne in diesem Zusammenhang, daß die nachvertragliche Fürsorgepflicht allein eine vertragliche Nebenpflicht des Arbeitgebers darstelle. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ende naturgemäß mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, da ihr als vertragliche Nebenpflicht mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Grundlage entzogen werde. Eine Fortgeltung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus werde nur in engen zeitlichen und inhaltlichen Grenzen anerkannt, nämlich innerhalb der obengenannten Verwirkungsfristen. Wegen dieses Ausnahmecharakters könnte eine nachvertragliche Fürsorgepflicht nach neun Jahren nicht mehr angenommen werden.

§ 5 TSG sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, da sie, die Beklagte, weder Träger öffentlicher Gewalt sei noch eine Offenbarung des ehemaligen Vornamens bzw. des Geschlechts der Klägerin vorzunehmen gedenke. Beim Rückgriff des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen auf den Schutzzweck des Transsexuellengesetzes habe dieses jedoch seinen Normzweck überdehnt: Das Gesetz solle sicherstellen, daß niemand Transsexuelle in ihrem Fortkommen behindere. Es verlange dagegen nicht, daß sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung durch Private gefördert werden müßten. Hätte der Gesetzgeber für private Unternehmen eine solche Verpflichtung einrichten wollen, hätte er eine entsprechende gesetzliche Regelung getroffen.

Schließlich habe das Arbeitsgericht die gesetzliche Regelung in § 630 BGB nicht beachtet. Diese Norm gewähre einen Anspruch auf eine einmalige Erteilung eines Zeugnisses. Sie gebe dem Arbeitnehmer nicht auch einen unbefristeten Anspruch auf die Erteilung von Abschriften mit individuell gestalteten Bestätigungsvermerken. Diesen Anspruch auf Zeugniserteilung habe die Beklagte ordnungsgemäß erfüllt. Damit sei der Anspruch nach § 362 BGB erloschen. Der Anspruch könne auch darin nicht fortbestehen, wenn er nunmehr in leicht modifizierter Form (Abschrift statt Urschrift) geltend gemacht werde. Denn dem ursprünglichen Begehren, ein neues Zeugnis mit geänderten Namen anzufertigen, stünde die Pflicht des Arbeitgebers entgegen, ein wahrheitsgemäßes Zeugnis zu erteilen. Der nunmehr gestellte Antrag stelle lediglich einen Umgehungstatbestand dar: Die Anfertigung einer Abschrift mit dem Zusatz „hinsichtlich Führung und Leistung” sei dazu bestimmt und geeignet, die Vorstellung hervorzurufen, das Zeugnis entspräche insgesamt dem Original von 1988. Diese Vorstellung entspreche aber nicht den tatsächlichen Gegebenheiten und sei daher unwahr. Zudem würde die Erteilung einer solchen Abschrift bewirken, daß für ein und dieselbe Tätigkeit der Klägerin zwei inhaltlich unterschiedliche Zeugnisse im Umlauf wären, welche die Klägerin wahlweise benutzen könnte. Ein solcher Zustand könne von ihr, der Beklagten, keinesfalls geduldet werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichtes Gelsenkirchen vom 08.05.1998, Aktenzeichen 3 Ca 122/98, abzuändern und die Klage abzuweisen sowie den Wert des Streitgegenstandes festzusetzen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen und den Wert des Streitgegenstandes festzusetzen.

Sie trägt vor die tragenden Gründe des Urteils I. Instanz hielten einer rechtlichen Überprüfung stand. Zutreffend gehe dieses Urteil davon aus, daß sie einen Zeugnisberichtigungsanspruch gegen die Beklagte habe. Soweit die Beklagte anführe, daß Arbeitnehmer nach einer Ehescheidung oder aufgrund politischer Umstände oder wegen eines furchtbaren Verbrechens einen Zeugnisänderungsanspruch hätten, so lägen diese Fälle auf einer anderen Ebene und seien mit dem hier vorliegenden Sachverhalt nicht zu vergleichen. Nach ihrer Ansicht liege ein Änderungsanspruch hier überhaupt nicht vor. Das Zeugnis solle inhaltlich ja nicht geändert werden. Es solle lediglich ein anderer Vorname angebracht werden. Insoweit werde das Zeugnis nachträglich auch nicht wahrheitswidrig. Entgegen der Ansicht der Beklagten, binde sie § 5 TSG sehr wohl. Die Befürchtung der Beklagten, daß zwei inhaltlich unterschiedliche Zeugnisse in Umlauf kommen könnten, sei nicht begründet. Unverzüglich nach Erhalt des Zeugnisses mit dem geänderten Vornamen werde sie, die Klägerin, daß „alte” Zeugnis der Beklagten zurückreichen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Gerichtsakten gereichten Urkunden Bezug genommen.