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BAG Urteil vom 23.05.2013 - 8 AZR 426/12

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang. Auftragsneuvergabe. Objektschutz

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Leitsatz (redaktionell)

Wird für die Bewachung eines Objekts ein vom Auftraggeber angeschafftes und auf seine Bedürfnisse angepasstes zentrales Alarmmanagementsystem benutzt, das bereits vom vormaligen Sicherheitsdienstleister eingesetzt wurde, kann die Neuvergabe des Objektschutzauftrages einen Betriebsübergang darstellen.

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Normenkette

BGB § 613a

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Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 23.03.2012; Aktenzeichen 18 Sa 122/11)

ArbG Stuttgart (Urteil vom 03.08.2011; Aktenzeichen 28 Ca 9862/10)

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Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 23. März 2012 – 18 Sa 122/11 – wird zurückgewiesen.

Die Beklage hat die Kosten der Revision einschließlich der Kosten der Nebenintervention zu tragen.

Von Rechts wegen!

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Tatbestand

Rz. 1

 Die Parteien streiten darüber, ob das ursprünglich zwischen der Streithelferin und dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis und die Pflicht zur Beschäftigung des Klägers ab dem 1. Januar 2011 auf die Beklagte übergegangen sind.

Rz. 2

 Der Kläger war seit 1988 bei der S… AG beschäftigt. Er war zuletzt Mitarbeiter im Werkssicherheitsdienst. Die S… AG firmierte später unter der Firma A… S… AG und danach unter A… AG (im Folgenden: A…).

Rz. 3

 Mit Wirkung zum 1. Juli 2005 schloss A… einen Dienstleistungsvertrag mit der Streithelferin, einem Unternehmen des Bewachungs- und Sicherheitsgewerbes, über die Erbringung von Bewachungs- und Sicherheitsdienstleistungen hinsichtlich der Bereiche Betriebsschutz, Betriebsfeuerwehr sowie der Sicherheitssysteme für den Betriebsschutz und die Betriebsfeuerwehr. Die Funktion “Betriebsschutz”, die zum damaligen Zeitpunkt 32 Arbeitnehmer umfasste, beinhaltete die Betreuung der Notrufzentrale, des Pforten- und Streifendienstes, des Besucherempfangs, des Schließwesens, der Parkplatzverwaltung und des zentralen Ausweiswesens. Die Funktion “Betriebsfeuerwehr”, die zum damaligen Zeitpunkt vier Arbeitnehmer umfasste, untergliederte sich in den vorbeugenden und den abwehrenden Brand- und Gefahrenschutz. Die dritte Funktion “Sicherheitssysteme für Betriebsschutz und Betriebsfeuerwehr” diente der Einrichtung, Wartung und Instandhaltung der Sicherheitssysteme. Anlässlich einer Verlängerung des zwischen A… und der Streithelferin bestehenden Dienstleistungsvertrags waren sich die Parteien einig, dass der abwehrende Brandschutz nicht mehr Teil der Aufgabenübertragung sein sollte. In den drei Funktionsbereichen “Betriebsschutz”, “Brandschutz” sowie “Sicherheitssysteme” waren noch 25 Arbeitnehmer tätig.

Rz. 4

 Zur Durchführung der Dienstleistungsaufträge setzte die Streithelferin verschiedene Geräte und DV-Systeme ein. Hierzu gehörte ua. das im Eigentum der A… stehende zentrale Alarmmanagementsystem BIS (Building Integration System), welches von der Firma B… erworben worden war. Das System diente zur Zustandsüberwachung und Meldungsbearbeitung von ca. 7.500 aufgeschalteten Adressen aus den Bereichen Brand, Einbruch, Notruf, Videosensoren, Zaunsensoren, Haustechnik, Gebäudeleittechnik sowie Steuerung von Türen, Toren, Schranken, Drehkreuzen und Videosprechstellen. Bei den aufgeschalteten Adressen handelte es sich zB um Türkontakte, Handmelder, automatische Rauchmelder, Bewegungsmelder und Fremdkontakte. Das Grundmodul stammt von der Firma B… und ist im Handel frei erhältlich. Dieses Grundmodul wurde auf die Bedürfnisse des Bewachungsobjektes einschl. der Systempflege und der Ausarbeitung einer Bedieneranleitung angepasst. Das System befand sich in einem von A… zur Verfügung gestellten Raum auf dem Betriebsgelände, den die Streithelferin als Leitstelle nutzte. Diese sog. SOC-Leitstelle war stets mit mindestens zwei Mitarbeitern der Streithelferin zu besetzen.

Rz. 5

 Daneben setzte die Streithelferin das sog. BS-Infosystem zur zentralen Steuerung und Verwaltung von Tätigkeitsdaten (zB Wachbuch, Besucherdatenspeicherung, Aufzeichnungen von Meldungen, Tagesprotokollsystemen) ein.

Rz. 6

 Zur Durchführung des Dienstleistungsvertrags erließ die Streithelferin in der Folgezeit zahlreiche Arbeitsanweisungen, wie die Bewachungstätigkeiten im Einzelnen auszuführen seien.

Rz. 7

 Im April 2010 schrieb A… den Dienstleistungsauftrag über die Bewachung des Betriebsgeländes neu aus. A… und die Beklagte, ebenfalls ein Unternehmen des Sicherheitsgewerbes, schlossen unter dem 12./22. November 2010 einen Vertrag über Bewachungs- und Sicherheitsdienstleistungen ab. In dem Vertrag heißt es auszugsweise (wörtliche Wiedergabe):

1. Vertragsgegenstand und Überleitungsregelung

1.1. Der Auftraggeber beauftragt den Auftragnehmer durch den vorliegenden Vertrag über Bewachungs- und Sicherheitsdienstleistungen (nachfolgend ‘Vertrag’) mit der Erbringung von Bewachungs- und Sicherheitsdienstleistungen im Rahmen des Betriebsschutzes, des Brandschutzes und der Sicherheitssysteme für den Betriebsschutz und Brandschutz.

1.2. Der Auftragnehmer wird den Schutz des Unternehmens, der Gebäude, der Einrichtungen und der Arbeitsergebnisse vor Zerstörung, Beschädigung, Diebstahl und sonstiger unerlaubter Handlungen zum Nachteil des Unternehmens und seiner Mitarbeiter sicherstellen. Er wird Firmenangehörige und Dritte vor Eingriffen in Leben, Gesundheit und Eigentum schützen und die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sicherstellen. …

4. Verantwortlichkeiten und Organisation

4.1. Der Auftragnehmer erbringt seine Leistungen mit eigenem Personal, unter eigener Verantwortung und nach eigener Organisation. Der Auftragnehmer garantiert für die Erfüllung seiner Aufgaben nur Mitarbeiter einzusetzen, die mit dem vom Auftraggeber für jeweilige Tätigkeiten abgestimmten Anforderungsprofil für Sicherheitsmitarbeiter, Werkschutzkoordinator, Objektleiter, Stellvertreter und Mitarbeiter im Empfang etc. gerecht werden. …

4.6. Der Auftragnehmer garantiert und weist nach, dass das eingesetzte Personal durch das Führungszeugnis des Bundesamtes für Justiz (einfaches Führungszeugnis) für die Leistungserbringung geeignet ist. Dies ist nur gegeben, wenn im Führungszeugnis ‘kein Eintrag’ vermerkt ist. …

4.7. Der Auftragnehmer ist darüber hinaus verpflichtet, durch geeignete Fort- und Weiterbildung die Mitarbeiter, die beim Auftraggeber eingesetzt sind, auf eigene Kosten auf die verantwortungsvolle Tätigkeit bei dem Auftraggeber vorzubereiten und auch während der Vertragslaufzeit weiter zu schulen. …”

Rz. 8

 Dem Vertrag waren mehrere Anlagen beigefügt, ua. nähere Beschreibungen der verschiedenen Anforderungsprofile. Auszugsweise heißt es in diesen:

Anlage 3.2a

Zu 2.: Anforderungsprofil der Funktion ‘Security Operating Center (Leitstelle/Werkschutzzentrale)’

– Verständnis für die bereitgestellten technischen Anlagen wie zum Beispiel Sicherheitsmanagementsystem BIS – B, Videoanlage BOVIS, Rundspruch, Sprinkler, BS-Info

Zu 2.: Aufgabenschwerpunkte der Funktion ‘Security Operating Center (Leitstelle/Werkschutzzentrale)’

– Bedienung der technischen Sicherheitsinfrastruktur sowie administrative und operative Bearbeitung aller eingehenden Alarme/Meldungen an folgender Anlagen BIS Managementsystem, BMA, EMA, ÜMA, GLT, Zuko, Videoeinrichtungen, Rundspruchanlage, Betriebsfunk

– Zutritts- und Zufahrtsüberwachung sowie Bedienung der technischen Zugangskontrolleinrichtungen

– Durchführung von Schließdiensten

– Aufnahme und Bearbeitung von Schadensfällen und sonstiger besonderer Vorkommnisse

– Alarmintervention

– Übernahme der Telefonvermittlung und Hotline Störungsstelle …

– Besucherempfang ab 18:00 Uhr …

– Fundsachenverwaltung

– Übernahme sonstiger Aufgaben im Rahmen des Pfortendienstes

– Mobile Aufgaben hinsichtlich der Überwachung und Kontrolle des Zaunes und der Tore/Drehkreuze auf Unversehrtheit …

– Hilfeleistungen im Rahmen von Notfällen

– Ausgabe besonderer Schlüssel

– Führen des Wachbuches/Wachmeldung (BS-Infosystem) …

– Einsatzunterstützung bei besonderen Vorkommnissen wie beispielsweise:

– Bedrohung von Personen und Objekten

Zu 7.: Anforderungsprofil der Funktion ‘Streifen- und Kontrolldienst (Schließdienst)’

– Verständnis für die bereitgestellten technischen Anlagen wie zum Beispiel Sicherheitsmanagementsystem BIS – B, Videoanlage BOVIS, Rundspruch, Sprinkler, BS-Info

Anlage 3.2d

Gestellte Betriebsmittel Standort S…

– Software auf den PC's (Standard: z. B. MS Office, Mailsystem; spezielle Software Ausweiskontrollsystem, BIS, BS-Info)

…”

Rz. 9

 Die Leistungsbeschreibungen stimmten im Wesentlichen mit den Leistungsbeschreibungen überein, die zuvor zwischen der Streithelferin und A… gegolten hatten. Allerdings wurde die Funktion “Betreuung der Sicherheitssysteme” nicht mehr von der Beklagten weitergeführt. Diese Funktion wurde von der Firma B… übernommen. Die Betreuung der Sprinkleranlage wurde an die Firma F… fremdvergeben.

Rz. 10

 Zuletzt hatte die Streithelferin für den Überwachungsauftrag noch 21 Arbeitnehmer beschäftigt, die Beklagte setzte dann nur noch 14,5 Arbeitnehmer ein. Arbeitnehmer der Streithelferin übernahm die Beklagte nicht.

Rz. 11

 Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass sein Arbeitsverhältnis im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB auf die Beklagte übergegangen sei. Die Bereiche “Betriebsschutz”, “Betriebsfeuerwehr” sowie “Sicherheitssysteme für den Betriebsschutz und die Betriebsfeuerwehr” hätten bei der Streithelferin eine abgrenzbare wirtschaftliche Einheit gebildet. Dass die Beklagte die technische Betreuung des Alarmmanagementsystems BIS nicht selbst fortgeführt habe, schade nicht, da die Betreuung und Entwicklung der Anlage nur eine dienende Funktion zur Ermöglichung der beiden Bereiche “Betriebsschutz” und “Betriebsfeuerwehr” gehabt habe.

Rz. 12

 Er hat ferner gemeint, dass der von der Streithelferin unterhaltene Betrieb oder Teilbetrieb als betriebsmittelgeprägt anzusehen sei. Das Alarmmanagementsystem BIS mache bei wertender Betrachtungsweise den für die Wertschöpfung wesentlichen Teil des Bewachungsauftrags aus. Ohne dieses hochkomplexe System könnte der Bewachungsauftrag, so wie vom Kunden gewünscht, nicht ausgeführt werden. Die hier zu erbringende Dienstleistung sei nicht mit einer traditionellen Tätigkeit im Bewachungsgewerbe zu vergleichen, bei der Streifengänge etc. im Vordergrund stünden. Durch den Einsatz der modernen Technik trete der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft in den Hintergrund. Das System sei, so wie es konkret eingesetzt werde, am freien Markt nicht erhältlich.

Rz. 13

 Es habe auch ein Transfer des bei der Streithelferin vorhandenen Know-hows auf die Beklagte stattgefunden. Diese habe das Benutzerhandbuch zum BIS-System übernommen, Gleiches gelte für die von der Streithelferin erstellten Arbeitsanweisungen. Auch habe sich der Zweck der Tätigkeit nicht geändert. Der Bewachungsauftrag sei nahezu identisch und ohne zeitliche Unterbrechung von der Beklagten fortgeführt worden. Dass die Beklagte keine Arbeitnehmer übernommen habe, schließe einen Betriebsübergang nicht aus.

Rz. 14

 Der Kläger hat, soweit für die Revision von Bedeutung, zuletzt beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen der Streithelferin und dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 1. Januar 2011 gemäß § 613a BGB auf die Beklagte übergegangen ist und die Beklagte damit in die Rechte und Pflichten des im Zeitpunkt des Übergangs zwischen dem Kläger und der Streithelferin bestehenden Arbeitsverhältnisses eingetreten ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bis zum 31. Dezember 2010 bei der Streithelferin geltenden Arbeitsbedingungen als Mitarbeiter im Security Operating Center (SOC) bzw. in der Betriebs- und Objektschutz-Leitstelle bei der A… AG am Standort S…, weiterzubeschäftigen, insbesondere zu den Bedingungen des zwischen dem Kläger und der Streithelferin vor dem Arbeitsgericht Stuttgart – Kammern Ludwigsburg – Aktenzeichen: 20 Ca 1612/06 – geschlossenen gerichtlichen Vergleichs vom 22. Mai 2007.

Rz. 15

 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen für einen Betriebsübergang nicht vorliegen. Ein Dienstleistungsauftrag im Bewachungsgewerbe sei typischerweise durch die menschliche Arbeitskraft geprägt. Daran ändere auch das zentrale Alarmmanagementsystem BIS nichts. Bei diesem handele es sich lediglich um ein Hilfsmittel, etwa einem Rauchmelder oder einer Videokamera vergleichbar. Trotz aller Technik seien es letztendlich die Wachleute, die sich bei einem Alarm zu den entsprechenden Stellen begeben müssten, um vor Ort die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Das BIS-System sei auch am Markt frei erhältlich. Nach Angaben von B… sei es bislang deutschlandweit 500 bis 1.000 mal verkauft worden. Es handele sich letztendlich um eine Tätigkeit “an” den EDV-Anlagen, nicht “mit” diesen. Viele der von den Wachleuten zu erbrin genden Tätigkeiten, wie zB der Streifendienst oder die Betreuung des Empfangs, müssten völlig losgelöst von dem Alarmsystem durchgeführt werden. Es seien anlässlich der Neuvergabe des Dienstleistungsauftrags zum 1. Januar 2011 auch wesentliche Änderungen im Vertragsinhalt vereinbart worden. Anstelle des bislang genutzten BS-Infosystems werde nunmehr das System SOC-Tool genutzt. Die SOC-Leitstelle werde nicht mehr an jedem Tag 24 Stunden besetzt, sondern nur noch montags bis samstags von 6:00 bis 22:00 Uhr. Anstatt eines Dreischicht- gebe es ein Zweischichtmodell. Der Mitarbeiter, der im Bereich des vorbeugenden Brandschutzes eingesetzt gewesen sei, werde anstatt 40 nur noch 20 Stunden wöchentlich eingesetzt.

Rz. 16

 Auch seien die von der Streithelferin erstellten Arbeitsanweisungen nicht weiter genutzt worden. Im Übrigen sei es im Sicherheitsgewerbe üblich, dass der Bewachungsauftrag nach den Vorgaben des Auftraggebers durchgeführt werde.

Rz. 17

 Durch Teilurteil hat das Arbeitsgericht den Klageanträgen überwiegend stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb vor dem Landesarbeitsgericht insoweit ohne Erfolg. Mit der durch das Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.