BAG Urteil vom 17.06.1999 - 2 AZR 639/98 (veröffentlicht am 17.06.1999)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankheitsbedingte Kündigung bei Alkoholabhängigkeit; Wiedereinstellungsanspruch?
Leitsatz (amtlich)
1. Eine krankheitsbedingte Kündigung ist nicht schon dann sozial ungerechtfertigt, wenn die bei Zugang der Kündigung negative Prognose durch spätere Ereignisse in Frage gestellt wird (vgl. Senatsurteil vom 29. April 1999 – 2 AZR 431/98 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
2. Für die Begründung der Voraussetzungen eines Wiedereinstellungsanspruchs nach einer wirksamen krankheitsbedingten Kündigung genügt es nicht, daß der darlegungs- und beweispflichtige Arbeitnehmer Tatsachen vorträgt, die die negative Gesundheitsprognose erschüttern; vielmehr kommt ein Wiedereinstellungsanspruch allenfalls dann in Betracht, wenn nach dem Vorbringen des Arbeitnehmers von einer positiven Gesundheitsprognose auszugehen ist.
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Urteil vom 10.02.1998; Aktenzeichen 3 Sa 40/97) |
ArbG Hamburg (Urteil vom 08.04.1997; Aktenzeichen 3 Ca 176/96) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 10. Februar 1998 – 3 Sa 40/97 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Der am 30. Juli 1958 geborene, verheiratete Kläger war seit 19. September 1990 bei der Beklagten – einer Kaffeerösterei mit etwa 2.000 Arbeitnehmern – gegen einen Monatsverdienst von zuletzt 4.000,00 DM brutto beschäftigt. Jedenfalls bis Mitte August 1995 war er als Packmaschinenführer für CS-Anlagen in der Produktion/Rösterei eingesetzt, wo im Dreischichtbetrieb gearbeitet wird. Er hatte z. B. die Mahlgrade des Kaffees und die Einhaltung der Nennfüllmengen nach der Fertigpackungsverordnung zu überwachen sowie Stichproben zu nehmen. Ferner wartete er die jeweilige Maschine und führte kleinere Reparaturen durch. Die zu bedienenden Geräte weisen einen Wert von 1,3 bis 4 Mio. DM auf. Für die Tätigkeit ist eine Ausbildung erforderlich, die ungefähr sechs Monate dauert.
Der Kläger ist seit Jahren alkoholkrank. Im Jahre 1993 ergab sich ein krankheitsbedingter Ausfall von 42 Arbeitstagen. Im Jahre 1994 waren es 38 Arbeitstage, im Jahre 1995 43 Arbeitstage und im Jahre 1996 15 Arbeitstage bis zum Ausspruch der Kündigung am 24. April 1996.
Für diese Fehlzeiten leistete die Beklagte (ohne anteiliges Urlaubs- und Weihnachtsgeld) insgesamt 32.347,24 DM Entgeltfortzahlung einschließlich Arbeitgeberanteilen zur Sozialversicherung. Sie führte mit dem Kläger am 9. November 1995, 8. Januar 1996 und 28. Februar 1996 Gespräche über die Ausfallzeiten, in deren Verlauf der Kläger versprach, zu ihrer Minderung beizutragen. Darüber hinaus verneinte er, daß sie durch betriebliche Gründe veranlaßt gewesen seien, ohne seine Alkoholkrankheit zu offenbaren.
Nachdem die Beklagte den Betriebsrat unter dem 23. April 1996 zu einer wegen häufiger Kurzzeiterkrankungen beabsichtigten ordentlichen Kündigung angehört und der Betriebsrat ihr zugestimmt hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25. April 1996 – dem Kläger zugegangen am Folgetag – zum 30. Juni 1996. Von der Alkoholabhängigkeit des Klägers erfuhr sie erstmals anläßlich des Gütetermins vom 25. Juni 1996 im vorliegenden Rechtsstreit.
Bereits im November 1995 hatte der Kläger eine einmal monatlich stattfindende Gesprächstherapie bei dem Nervenfacharzt Dr. H begonnen, sie aber im Februar 1996 wieder beendet. An Herrn Dr. H hatte ihn sein Hausarzt Dr. K überwiesen. Am 23. Mai 1996 suchte der Kläger den Vertreter seines Hausarztes Dr. W auf. Dieser diagnostizierte eine chronische aethyltoxische Pankreatitis im Zusammenhang mit Alkoholmißbrauch. Während der Zeit vom 7. Juni bis 27. Juni 1996 unterzog sich der Kläger auf Rat Herrn Dr. W einer stationären Entziehungskur im Allgemeinen Krankenhaus . Zuvor war er vom 13. Mai bis 31. Mai 1996 von der Orthopädin Dr. F behandelt worden wegen Beschwerden in der rechten Schulter, die in den Arm und die Halswirbelsäule ausstrahlten.
Mit Schriftsatz vom 5. Dezember 1996 focht die Beklagte den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung an. Dies begründete sie damit, der Kläger habe sie bei Vertragsschluß nicht über seine seit 16 Jahren bestehende Alkoholabhängigkeit informiert, obwohl er hierzu wegen der mit seiner Tätigkeit verbundenen Verantwortung und Gefahren verpflichtet gewesen sei.
Mit seiner am 8. Mai 1996 bei Gericht eingegangenen Klage hat der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats bestritten. Er hat behauptet, die Entziehungsbehandlung erfolgreich abgeschlossen zu haben. Er sei heute durch Selbstkontrolle und den Besuch von Selbsthilfegruppen „trockener Alkoholiker”, wobei nicht zu erwarten sei, daß er aufgrund seiner Alkoholsucht erneut arbeitsunfähig werde. Sein Krankheitsbild spreche zwar dafür, daß er seit Jahren alkoholabhängig gewesen sei, was auch durch Herrn Dr. H bestätigt sei. Sein Hausarzt Dr. K habe indessen während seiner gesamten Behandlungszeit nie einen Zusammenhang der Erkrankungen mit dem Alkoholmißbrauch hergestellt. Allerdings habe er – der Kläger – diesen gegenüber seinem Hausarzt verschleiert. An den Facharzt für Nervenheilkunde Dr. H habe Herr Dr. K ihn nicht wegen seiner Alkoholabhängigkeit überwiesen, sondern weil er damals aufgrund privater Schwierigkeiten psychisch und nervlich belastet gewirkt habe. Den Arbeitsunfähigkeitszeiten hätten unterschiedliche Krankheiten zugrunde gelegen, von denen einige wahrscheinlich alkoholbedingt gewesen seien. Im nachhinein sei schwer zu unterscheiden, ob die Erkrankungen auf der Alkoholabhängigkeit oder davon abweichenden Ursachen beruht hätten. In den Jahren 1993 und 1994 habe er wiederholt unter Magen-/Darmerkrankungen und Erkältungen gelitten. Hinzu gekommen seien Kreislaufprobleme aufgrund der Schichtarbeit. 1995 seien seine Alkoholkrankheit und die Kreislauferkrankungen verstärkt aufgetreten. Auch zu Magenbeschwerden sei es wieder gekommen. Obwohl er die Alkoholerkrankung mit seinem Hausarzt Dr. K nicht weiter erörtert habe, sei davon auszugehen, daß die in diesem Jahr aufgetretenen körperlichen Beschwerden in ursächlichem Zusammenhang mit ihr gestanden hätten. 1996 sei er dann wegen seiner Alkoholprobleme krankgeschrieben worden. Angesichts der Krankheitsentwicklung könne nicht zwingend davon ausgegangen werden, daß weiterhin Entgeltfortzahlungskosten im bisherigen Umfang entstünden. Es seien jeweils mehr als fünf Maschinenführer je Schicht für die drei CS-Anlagen, die zum Teil nur während einer oder zwei Schichten eingesetzt würden, vorhanden. Im ersten Halbjahr 1996 seien insgesamt 16 Maschinenführer beschäftigt worden. Betriebsablaufstörungen habe die Beklagte deshalb nicht substantiiert dargelegt, zumal er seit 14. August 1995 mit Ausnahme einer Woche Nachtschicht nicht mehr als CS-Maschinenführer, sondern als Mühlenschlosser gearbeitet habe. Seine Alkoholerkrankung sei ihm erst durch seine Therapie bei Herrn Dr. H bewußt geworden. Aus diesem Grund habe er parallel eine Selbsthilfegruppe besucht. Die von der Beklagten erklärte Anfechtung sei deshalb unwirksam. Da er während der Kündigungsfrist die zur Behandlung seiner Alkoholabhängigkeit erforderlichen Maßnahmen ergriffen habe, habe er selbst dann, wenn die Kündigung wirksam sei, seit 1. Juli 1996 Anspruch auf Abschluß eines neuen Arbeitsvertrags zu den Bedingungen des bisherigen gehabt.
Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 25. April 1996 zum 30. Juni 1996 beendet worden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, das Angebot des Klägers auf Abschluß eines Arbeitsvertrags zu den Bedingungen des durch die Kündigung beendeten Arbeitsverhältnisses anzunehmen
und
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet war, den Kläger ab dem 1. Juli 1996 weiterzubeschäftigen,
- die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Maschinenführer weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, sämtliche Krankheitszeiten des Klägers in den letzten drei Jahren vor der Kündigung seien auf seine Alkoholkrankheit zurückzuführen. Im Zeitpunkt der Kündigung habe daher eine negative Gesundheitsprognose bestanden, die durch die erst nach Ausspruch der Kündigung durchgeführte Entziehungskur nicht nachträglich verändert werde. Deren Erfolg hat die Beklagte ebenso mit Nichtwissen bestritten wie die Behauptung des Klägers, er sei wieder in vollem Umfang arbeitsfähig. Daß dem Hausarzt des Klägers dessen Alkoholabhängigkeit verborgen geblieben sein solle, sei – so die Beklagte – in Anbetracht der durch den Kläger eingeräumten 16jährigen Dauer der Erkrankung völlig unwahrscheinlich, zumal Dr. K Stellvertreter Dr. W die Alkoholsucht schon beim ersten Besuch des Klägers erkannt habe. Die in den Jahren 1993 und 1994 aufgetretenen Magen-/ Darmbeschwerden seien typische Folgen hohen Alkoholkonsums. Aufgrund der krankheitsbedingten Ausfälle des Klägers sei es zu Produktionsablaufstörungen gekommen, weil nicht genug Personal vorhanden gewesen sei, um die Maschinen zu bedienen. Insgesamt hätten nur neun Maschinenführer zur Verfügung gestanden, die an den vom Kläger bedienten CS-Anlagen, die je nach Auftragslage in einer, zwei oder allen drei Schichten in Betrieb seien, hätten eingesetzt werden können. Die geplante Fortbildung des Klägers zum Mühlenschlosser habe aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht beendet werden können. Überdies hätte ein solcher Einsatz, da lediglich zwei weitere Mühlenschlosser beschäftigt würden, zu noch erheblicheren Betriebsablaufstörungen geführt, als dies schon im Rahmen seiner Tätigkeit als Maschinenführer der Fall gewesen sei.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis sei spätestens durch die mit Schriftsatz vom 5. Dezember 1996 erklärte Anfechtung erloschen. Ein Wiedereinstellungsanspruch komme bei einer krankheitsbedingten Kündigung nicht in Betracht.
Das Arbeitsgericht, bei dem nur der Kündigungsschutzantrag, der allgemeine Feststellungsantrag und der Weiterbeschäftigungsantrag gestellt waren, hat die Klage nach schriftlicher Einvernahme der sachverständigen Zeugen Dr. F und Dr. W abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers einschließlich der klageerweiternd gestellten Anträge zurückgewiesen.
Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine oben genannten Anträge weiter.