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BAG Urteil vom 12.11.1998 - 8 AZR 365/97 (veröffentlicht am 12.11.1998)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Entschädigung wegen Geschlechtsdiskriminierung bei Einstellung

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Leitsatz (amtlich)

1. § 611 a Abs. 2 Satz 1 BGB stellt nicht auf die formale Position eines allein durch die Einreichung eines Bewerbungsschreibens begründeten Status als „Bewerber”, sondern auf die materiell zu bestimmende objektive Eignung als Bewerber ab. Deshalb kann im Stellenbesetzungsverfahren nur benachteiligt werden, wer sich subjektiv ernsthaft beworben hat und objektiv für die zu besetzende Stelle in Betracht kommt.

2. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts ist gemäß § 611 a Abs. 1 BGB nur zulässig, wenn die Differenzierung sich an der auszuübenden Tätigkeit orientiert und ein bestimmtes Geschlecht „unverzichtbare Voraussetzung” für diese Tätigkeit ist. Allein ein sachlicher Grund rechtfertigt keine geschlechtsbezogene Differenzierung.

3. Das weibliche Geschlecht ist keine unverzichtbare Voraussetzung der Bestellung zur Gleichstellungsbeauftragten gemäß § 5 Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen.

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Normenkette

ArbGG § 61b; BGB § 611a; GO des Landes NRW vom 17. Oktober 1994 §§ 5, 12; GG Art. 3 Abs. 2, Art. 33 Abs. 2; EWGRL 207/76 Art. 2 Abs. 2

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Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 10.04.1997; Aktenzeichen 17 Sa 1870/96)

ArbG Minden (Urteil vom 13.05.1996; Aktenzeichen 3 Ca 2038/95)

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Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 10. April 1997 – 17 Sa 1870/96 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

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Tatbestand

Der Kläger fordert Entschädigung wegen Benachteiligung im Stellenbesetzungsverfahren einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten.

Der am 1969 geborene Kläger legte im Jahre 1989 das Abitur mit Berufsausbildung zum Schlosser ab. Danach absolvierte er bei der Nationalen Volksarmee der DDR den Grundwehrdienst. Seit dem Sommersemester 1991 studierte er an der Freien Universität Berlin Rechtswissenschaften mit dem Wahlfach „Arbeitsrecht”. Die neun Klausuren zum Ersten Juristischen Staatsexamen schrieb er im September und Oktober 1995. Die mündliche Prüfung fand am 9. Februar 1996 statt. Der Kläger bestand das Erste Juristische Staatsexamen und begann am 1. August 1996 den Referendardienst im Lande Berlin. Im Sommersemester 1996 nahm er an der Freien Universität Berlin das Studium in den Studiengängen Japanologie, Religionswissenschaften und Geschichte auf.

Im Lande Nordrhein-Westfalen wurde mit Wirkung vom 17. Oktober 1994 die Gemeindeordnung des Landes (GO NW) neu gefaßt. Danach lauten:

„§ 5 Gleichstellung von Frau und Mann

(1) Die Verwirklichung des Verfassungsgebots der Gleichberechtigung von Frau und Mann ist auch eine Aufgabe der Gemeinden. Zur Wahrnehmung dieser Aufgabe können die Gemeinden Gleichstellungsbeauftragte bestellen.

(2) In kreisangehörigen Städten und Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern sowie in kreisfreien Städten sind grundsätzlich hauptamtlich tätige Gleichstellungsbeauftragte zu bestellen.

(3) Die Gleichstellungsbeauftragte wirkt bei allen Vorhaben und Maßnahmen der Gemeinde mit, die die Belange von Frauen berühren oder Auswirkungen auf die Gleichberechtigung von Frau und Mann und die Anerkennung ihrer gleichberechtigten Stellung in der Gesellschaft haben. Das Nähere regelt die Hauptsatzung.”

In § 12 GO NW 1994 heißt es:

„Die Funktionsbezeichnungen dieses Gesetzes werden in weiblicher oder männlicher Form geführt.”

Aufgrund dieser Änderung der Gemeindeordnung beschlossen die Gremien der Beklagten, einer kreisangehörigen Stadt mit etwa 37.000 Einwohnern, die Stelle einer Gleichstellungsbeauftragten mit einer Wochenarbeitszeit von 30 Arbeitsstunden sowie einer Vergütung nach Vergütungsgruppe IV b der Anlage 1 a zum BAT einzurichten.

Danach wurde in verschiedenen regionalen Zeitungen folgende Stellenausschreibung veröffentlicht:

„Bei der Stadt P (ca. 37.000 Einwohner)

ist die neu eingerichtete und unmittelbar dem Stadtdirektor unterstellte Teilzeitstelle (30 Wochenstunden) einer

Gleichstellungsbeauftragten

baldmöglichst zu besetzen.

Aufgabe ist es, Gleichstellungsprobleme aufzuzeigen und Lösungsmöglichkeiten zur Verwirklichung des Verfassungsauftrages der Gleichberechtigung von Mann und Frau im Rahmen der kommunalen Aufgabenstellung zu entwickeln. Dazu wirkt die Gleichstellungsbeauftragte bei allen Vorhaben und Maßnahmen der Stadt mit, die die Belange von Frauen berühren und Auswirkungen auf die Gleichberechtigung von Frau und Mann und die Anerkennung ihrer gleichberechtigten Stellung in der Gesellschaft haben.

Die konkrete Aufgabenstellung wird in einer Dienstanweisung geregelt.

Bewerberinnen sollen über eine dem Fachgebiet entsprechende Fachhochschulausbildung oder eine ähnliche Qualifikation verfügen. Erfahrungen in der Frauenarbeit und in der Kommunalverwaltung wären von Vorteil. Außerdem sollten sie verantwortungs- und kontaktfreudig sein, Einfühlungs- und Überzeugungsvermögen haben sowie Eigeninitiative und Bereitschaft zur konstruktiven und kooperativen Zusammenarbeit zeigen.

Die Vergütung erfolgt nach Vergütungsgruppe IV b 1 a BAT.

Bewerbungen mit den üblichen Unterlagen (Lebenslauf, Lichtbild, Zeugniskopien und Tätigkeitsnachweisen) sind innerhalb von vier Wochen nach Erscheinen dieser Anzeige zu richten an

die Stadt P

Haupt- und Personalamt P .”

Insgesamt gingen 13 Bewerbungen bei der Beklagten ein. Nachdem der Haupt- und Finanzausschuß des Rates der Beklagten am 28. Juni 1995 beschlossen hatte, aus fachlichen Gründe keine der 13 Bewerberinnen einzustellen, sondern die Stelle nochmals auszuschreiben, wurde folgende Stellenausschreibung in verschiedenen regionalen Zeitungen veröffentlicht:

„Bei der Stadt P (ca. 37.000 Einwohner)

ist die neu eingerichtete und unmittelbar dem Stadtdirektor unterstellte Teilzeitstelle (30 Wochenstunden) einer

Gleichstellungsbeauftragten

baldmöglichst zu besetzen.

Die Vergütung erfolgt nach Vergütungsgruppe IV b 1 a BAT.

Aufgabe ist es, Gleichstellungsprobleme aufzuzeigen und Lösungsmöglichkeiten zur Verwirklichung des Verfassungsauftrages der Gleichberechtigung von Mann und Frau im Rahmen der kommunalen Aufgabenstellung zu entwickeln. Dazu wirkt die Gleichstellungsbeauftragte bei allen Vorhaben und Maßnahmen der Stadt mit, die die Belange von Frauen berühren und Auswirkungen auf die Gleichberechtigung von Frau und Mann und die Anerkennung ihrer gleichberechtigten Stellung in der Gesellschaft haben.

Die konkrete Aufgabenstellung wird in einer Dienstanweisung geregelt.

Bewerberinnen sollten über eine dem Fachgebiet entsprechende Hochschul-/Fachhochschulausbildung im sozialen oder sozialpädagogischen Bereich bzw. über eine vergleichbare Qualifikation verfügen.

Wir erwarten

  • fundierte frauenpolitische Kenntnisse sowie Fähigkeit zur Wahrnehmung und Lösung von Gleichstellungsproblemen.

Erwünscht sind

  • Erfahrungen in der Frauenarbeit und in der Kommunalverwaltung.

Sie bringen folgende Eigenschaften mit

  • Fähigkeit zu selbständiger konzeptioneller Arbeit und eigenen Initiativen,
  • Bereitschaft zur konstruktiven und kooperativen Zusammenarbeit,
  • Verantwortungsbewußtsein, Kontaktfähigkeit,
  • Einfühlungs- und Überzeugungsvermögen,
  • Durchsetzungskraft sowie Verhandlungsgeschick.

Bewerbungen mit den üblichen Unterlagen (Lebenslauf, Lichtbild, Zeugniskopien und Tätigkeitsnachweisen) sind innerhalb von vier Wochen nach Erscheinen dieser Anzeige zu richten an

die Stadt P

Haupt- und Personalamt P .”

Auf diese zweite Stellenausschreibung bewarben sich insgesamt 17 Frauen und der Kläger.

Die handschriftliche Bewerbung des Klägers vom 20. September 1995 ging am 25. September 1995 bei der Beklagten ein und hatte folgenden Wortlaut:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bewerbe mich um die von Ihnen ausgeschriebene Stelle eines Frauenbeauftragten. Gleichzeitig bitte ich Sie, mir mitzuteilen, welche Unterlagen noch benötigt werden, da ich dieses Schreiben zur Fristwahrung zunächst ohne Anlagen an Sie richte.”

Die Beklagte antwortete dem Kläger mit Schreiben vom 26. September 1995, daß aus § 5 Abs. 3 der Gemeindeordnung NW eindeutig hervorgehe, die Stelle einer Gleichstellungsbeauftragten könne nur von einer Frau wahrgenommen werden. Von daher könne die Bewerbung des Klägers zum Frauenbeauftragten keine Berücksichtigung finden.

Der Kläger machte mit Schreiben vom 23. Oktober 1995 einen „Schadensersatzanspruch gem. § 611 a Abs. 2 Satz 1 BGB” geltend und forderte die Beklagte zur Zahlung von drei Monatsgehältern auf. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 26. Oktober 1995 ab, weil es ihrer Ansicht nach eindeutig sei, daß Gleichstellungsbeauftragte nur Frauen sein könnten.

Mit der am 29. November 1995 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Beklagte habe ihn im Stellenbesetzungsverfahren wegen seines Geschlechts benachteiligt. Das weibliche Geschlecht sei keine unverzichtbare Voraussetzung einer Gleichstellungsbeauftragten bei der Beklagten. Insbesondere ergebe sich dies nicht aus § 5 der Gemeindeordnung NW, denn die Funktionsbezeichnungen dieser Gemeindeordnung seien gemäß § 12 jeweils in weiblicher und männlicher Form zu lesen. Die Funktionen einer Gleichstellungsbeauftragten könnten nicht nur von einer Frau, sondern genauso gut von einem Mann wahrgenommen werden. Hilfsweise hat er geltend gemacht, sähe § 5 Abs. 3 der Gemeindeordnung zwingend das weibliche Geschlecht als Bestellungsvoraussetzung vor, würde dieses Landesgesetz gegen die EWG-Richtlinie vom 9. Februar 1976 und gegen Art. 3 Abs. 2 GG verstoßen und nichtig sein.

Der Kläger hat in der Güteverhandlung am 2. Februar 1996 zu Protokoll erklärt, er wisse nicht, ob er die Stelle angenommen und das Studium aufgegeben hätte, wenn er die Stelle bekommen hätte. Schriftsätzlich hat der Kläger behauptet, vor seiner Bewerbung bei der Beklagten habe er sich bereits grundsätzliche Gedanken dahin gehend gemacht, ob er nach dem Abschluß seines Jurastudiums die Ausbildung im juristischen Referendardienst fortsetzen oder eine andere geeignete Stelle suchen sollte. Zur Zeit seiner Bewerbung habe er damit rechnen müssen, daß er bei Bestehen der Ersten Juristischen Staatsprüfung etwa 12 Monate bis zur Einstellung in den juristischen Referendardienst des Landes Berlin hätte warten müssen. In dieser Situation habe ihn sein Cousin Falk S darüber informiert, daß die Beklagte in regionalen Zeitungen die Besetzung einer Stelle eines/einer Frauenbeauftragten ausgeschrieben habe. Er habe diese Stellenausschreibung der Beklagten zwar nie selbst gesehen, ihm sei aber diese Stelle interessant erschienen, weil er während seines Studiums die Probleme der Ungleichbehandlung der Frauen im Arbeitsleben kennengelernt habe. Er habe die Möglichkeit gesehen, auf der von der Beklagten ausgeschriebenen Stelle zur Lösung dieser Ungleichbehandlung von Frauen im Arbeitsleben beizutragen. Desweiteren habe er sich auf dieser Stelle im allgemeinen Kommunalrecht weiterbilden können. Die Arbeitsstelle sei für ihn interessant gewesen, weil seine Tante in Bad O wohne und er selbst in Bad O einen Nebenwohnsitz habe. Er habe sich dann dafür entschieden, für den Fall der Einstellung den juristischen Referendardienst nicht aufzunehmen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung zu zahlen, deren Höhe vom Gericht zu bestimmen sei, mindestens jedoch in Höhe eines Monatsgehaltes der(s) Gleichstellungsbeauftragten von 3.000,00 DM.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, § 5 Abs. 3 Gemeindeordnung NW schreibe zwingend die Besetzung der nach § 5 Abs. 2 einzurichtenden Stelle einer Gleichstellungsbeauftragten mit einer Frau vor. Diese landesgesetzliche Besetzungsregelung sei sachlich gerechtfertigt, weil die Gleichstellungsbeauftragte innerhalb der Gemeinde die Gleichberechtigung fördern und Frauen bei ihren Problemen helfen solle. Eine solche Gleichstellungsbeauftragte solle Ansprechpartner aller Frauen einer Gemeinde und nicht nur solcher Frauen sein, die sich vielleicht von sich aus mit ihren Problemen auch einem Mann anvertrauen würden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger sich nur zum Schein beworben habe und deshalb die Erhebung eines Entschädigungsanspruchs rechtsmißbräuchlich sei. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter.