BAG Urteil vom 21.06.2012 - 8 AZR 364/11
Entscheidungsstichwort (Thema)
Diskriminierung. Darlegung von Indizien. unrichtige oder widersprüchliche Auskünfte über den Grund der Benachteiligung
Leitsatz (amtlich)
1. Werden in einem Betrieb keine Arbeitnehmer nichtdeutscher Herkunft beschäftigt, jedoch im gesamten Unternehmen Arbeitnehmer aus insgesamt 13 Nationen, so ist dies kein aussagekräftiges Indiz dafür, dass in diesem Betrieb Arbeitnehmer nichtdeutscher Herkunft benachteiligt werden.
2. Gegebene, jedoch falsche, wechselnde oder in sich widersprüchliche Begründungen für eine benachteiligende Maßnahme können Indizwirkung iSd. § 22 AGG haben.
Orientierungssatz
1. Aus Quoten oder Statistiken können sich Indizien für eine Diskriminierung ergeben. Jedoch ist die bloße Unterrepräsentation einer Gruppe von Beschäftigten nicht zwingend Indiz für eine diskriminierende Personalpolitik. So ist der Umstand, dass ein Arbeitgeber im gesamten Unternehmen Arbeitnehmer aus 13 Nationen beschäftigt, in einem Betrieb jedoch zeitweise keine Arbeitnehmer nichtdeutscher Herkunft, nicht aussagekräftig.
2. Zunächst liegt es in der Verantwortung des Arbeitnehmers, das Gericht von Indizien, also von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Diskriminierung zu überzeugen. Erst dann trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass eine diskriminierende Benachteiligung nicht vorlag.
3. Dagegen kann es ein Indiz für eine Diskriminierung darstellen, wenn ein Arbeitgeber bei der Auskunftserteilung Gründe angibt, die im Widerspruch zu seinem sonstigen Verhalten stehen.
4. Ebenso können gegebene, aber wechselnde Begründungen des Arbeitgebers Indizwirkung für eine benachteiligende Maßnahme haben.
5. Mit der Aufnahme einer anderweitigen Beschäftigung endet nicht denknotwendig die mit einer Entschädigung auszugleichende immaterielle Beeinträchtigung.
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 25.03.2011; Aktenzeichen 9 Sa 678/10) |
ArbG Mainz (Urteil vom 14.07.2010; Aktenzeichen 1 Ca 218/10) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. März 2011 – 9 Sa 678/10 – aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche, die die Klägerin geltend macht, weil sie sich wegen ihrer ethnischen Herkunft durch die Beklagte benachteiligt sieht.
Rz. 2
Die 1978 in der Türkei geborene Klägerin lebt seit 1989 in Deutschland und hat eine Ausbildung als Arzthelferin abgeschlossen. Die Beklagte ist eine Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung (SGB VII), die in elf Bezirksverwaltungen über 1.800 Mitarbeiter beschäftigt, davon in der Bezirksverwaltung M 155. Mit dieser schloss die Klägerin am 25. Januar 2008 einen Arbeitsvertrag über eine auf den Zeitraum vom 1. Februar 2008 bis 31. Dezember 2008 nach § 14 Abs. 2 TzBfG iVm. § 30 Berufsgenossenschafts-Angestelltentarifvertrag (BG-AT) befristete Anstellung. Es wurden eine Arbeitszeit von 30 Wochenstunden und ein Arbeitsentgelt in Höhe von 1.569,00 Euro vereinbart, außerdem sollten die Bestimmungen des BG-AT und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung Gültigkeit haben.
Rz. 3
Die Klägerin sollte als Sachbearbeiterin Rechnungen von Leistungserbringern unterhalb einer internen Bagatellgrenze bearbeiten, dh. prüfen und Zahlungen veranlassen. Am 23. Oktober 2008 führten Frau H… und Frau R… als Vorgesetzte der Klägerin mit dieser ein Personalgespräch, in dem es auch um fehlerhafte “Vertitelungen” und Abrechnungen der Klägerin ging. Am 11. November 2008 wurde die Verlängerung der befristeten Beschäftigung vom 1. Januar 2009 bis 31. Januar 2010 vereinbart.
Rz. 4
Im März 2009 wurde das Arbeitsverhältnis der kurz nach der Klägerin eingestellten, zunächst ebenfalls befristet beschäftigten Frau B… entfristet. Mit Aushang vom 11. September 2009 schrieb die Beklagte in M… eine Fortbildung für eine Tätigkeit in der Unfallbearbeitung aus, die sich “an festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter” richtete. Diese Ausschreibung erhielt auch die zunächst ebenfalls befristet eingestellte Frau F…, deren Arbeitsverhältnis zuvor entfristet worden war. Vom 18. Februar 2008 bis 6. Februar 2009 beschäftigte die Beklagte in der Bezirksverwaltung M… eine Praktikantin türkischer Herkunft. Andere Arbeitnehmer nichtdeutscher Herkunft wurden während der Dauer des Arbeitsverhältnisses der Klägerin in M… nicht beschäftigt. In den anderen zehn Bezirksverwaltungen beschäftigt die Beklagte Mitarbeiter aus 13 verschiedenen Nationen.
Rz. 5
Am 11. September 2009 teilte der Leiter der Bezirksverwaltung M… der Klägerin mit, dass eine Verlängerung oder Entfristung des Arbeitsverhältnisses nicht erfolgen werde. Die Einzelheiten dieses Gesprächs sind streitig. Mit Anwaltsschreiben vom 5. November 2009 ließ die Klägerin Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche nach dem AGG bei der Beklagten geltend machen. In dem Schreiben heißt es auszugsweise:
“Dabei fällt auf, dass meine Mandantin während ihrer nun bald zweijährigen Beschäftigung in der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft M… bisher noch keine Beschäftigten aus dem islamischen Kulturkreis oder ausländischer Herkunft angetroffen hat. Eine solche Zusammensetzung der Belegschaft ist für eine Verwaltungseinrichtung dieser Größenordnung durchaus bemerkenswert. Bereits diese evidente Abweichung des Anteils der Beschäftigten nichtdeutscher Herkunft von statistischen Durchschnittszahlen legt gemäß § 22 AGG die Vermutung nahe, dass bei der Personalentscheidung auch die ethnische Herkunft meiner Mandantin eine Rolle gespielt hat.”
Rz. 6
Mit anwaltlichem Schreiben vom 13. Januar 2010 teilte die Beklagte daraufhin mit:
“… Unsere Mandantschaft hat sich dazu entschlossen, das Arbeitsverhältnis Ihrer Mandantin nach dem Ablauf der zeitlichen Befristung am 31. Januar 2010 nicht weiter fortzusetzen. Hierzu bedarf es keiner Begründung. …”
Rz. 7
Sie wies im Weiteren eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer “ethnischen Herkunft” zurück.
Rz. 8
Das der Klägerin von der Beklagten unter dem 31. Januar 2010 erteilte Zeugnis enthält als Leistungsbeurteilung:
“Frau Bü… erledigte die ihr übertragenen Aufgaben selbständig, sicher, termingerecht und zu unserer vollsten Zufriedenheit.”
Rz. 9
Vom 1. Februar 2010 bis 16. Mai 2010 war die Klägerin arbeitslos gemeldet und erhielt Arbeitslosengeld in Höhe von 3.213,92 Euro. Seit dem 17. Mai 2010 steht sie in einem neuen Arbeitsverhältnis.
Rz. 10
Die vorliegende Klage reichte die Klägerin am 2. Februar 2010 beim Arbeitsgericht M… ein, sie wurde der Beklagten am 8. Februar 2010 zugestellt. Die Klägerin sieht sich bei der Entscheidung, das Arbeitsverhältnis mit ihr nicht fortzusetzen, von der Beklagten wegen ihrer ethnischen Herkunft benachteiligt. Dafür spreche, dass sie in der Bezirksverwaltung M… die einzige nichtdeutsche Arbeitnehmerin gewesen sei, während in anderen Bezirksverwaltungen der Beklagten auch Arbeitnehmer anderer Nationen beschäftigt würden. Es sei wenig wahrscheinlich, dass in allen anderen Bezirken, nur nicht in M…, zahlreiche ausländische Bewerber zur Verfügung stünden.
Rz. 11
Die Klägerin behauptet, während des Gesprächs am 11. September 2009 habe ihr der Leiter der Bezirksverwaltung M… erklärt, Grund für die Nichtfortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei die Fusion mit einer anderen Berufsgenossenschaft und zurückgehende Fallzahlen. Ebenso sei ihr gesagt worden, sie könne sich auf die ausgeschriebene Fortbildungsstelle nicht bewerben. Das Arbeitsverhältnis der Angestellten F… sei entfristet worden, um deren Bewerbung zu ermöglichen. Ihr, der Klägerin, sei damit verschwiegen worden, dass tatsächlich auch befristet eingestellte Mitarbeiter eine Chance gehabt hätten. Ebenso sei es für deutsche Beschäftigte einfacher, ihren Beschäftigungsstatus in der Bezirksverwaltung M… zu verfestigen, was die Entfristung des Arbeitsverhältnisses von Frau B… indiziere. Schließlich seien die Angaben und das Verhalten der Beklagten widersprüchlich, was die Gründe für die Nichtverlängerung angehe. Zunächst habe der Leiter der Bezirksverwaltung auf eine Fusion verwiesen. Dann habe die Beklagte eine Begründung abgelehnt und nunmehr mache sie angebliche Fehler und Leistungsmängel der Klägerin geltend. Dies indiziere, dass über den wahren, jedoch verbotenen Grund für die Nichtverlängerung, eine Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft, nicht gesprochen werden solle.
Rz. 12
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung zu bezahlen. Die Entschädigung ist ab Klageerhebung mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Die Höhe der Entschädigung wird in das Ermessen des Gerichts gestellt, sollte aber mindestens 5.000,00 Euro betragen;
2. die Beklagte weiter zu verurteilen, an sie als Schadensersatz zu bezahlen: 5.491,50 Euro brutto abzüglich des von der Klägerin in dem Zeitraum 1. Februar 2010 bis 16. Mai 2010 bezogenen Arbeitslosengelds in Höhe von 3.213,92 Euro netto.
Rz. 13
Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags hat die Beklagte in Abrede gestellt, bei ihren Personalentscheidungen spiele die ethnische Herkunft eine Rolle. Sie beschäftige Mitarbeiter aus einer Vielzahl von Nationen, derzeit in M… eine polnische Mitarbeiterin und einen amerikanischen Mitarbeiter. Mit der Arbeitsleistung der Mitarbeiterinnen F… und B… sei man zufrieden gewesen, weswegen deren Arbeitsverhältnisse entfristet worden seien. Das Gegenteil treffe im Falle der Klägerin zu. So habe ihr der Leiter der Bezirksverwaltung M… am 11. September 2009 mitteilen müssen, dass mangels fachlicher Qualifikation eine Bewerbung auf die Fortbildungsstelle nicht aussichtsreich sei.
Rz. 14
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts M… teilweise abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in verlangter Höhe sowie zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 2.500,00 Euro verurteilt. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, mit der hilfsweise eingelegten Anschlussrevision will die Klägerin die Verurteilung zu einer höheren Entschädigung erreichen.