LAG Nürnberg Urteil vom 20.12.2022 - 7 Sa 243/22
Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Tätigkeit i.S.d. § 105 SGB VII. Haftungsfreistellung des Arbeitnehmers bei einem von ihm verursachten Schaden. Warnung mit dem Signalhorn als betriebliche Tätigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Für das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit und das Eingreifen des Haftungsausschlusses ist die Verursachung des Schadensereignisses durch eine Tätigkeit des Schädigers entscheidend, die ihm von dem Betrieb oder für den Betrieb übertragen war oder die von ihm im Betriebsinteresse ausgeführt wurde.
2. Für die Haftungsfreistellung des Arbeitnehmers ist maßgeblich, ob der Schaden in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit oder aber bei Gelegenheit der Tätigkeit im Betrieb durch den Schädiger verursacht wurde und folglich nur dem persönlich-privaten Bereich des schädigenden Arbeitnehmers zuzurechnen ist.
3. Steht das Betätigen des Signalhorns des Feuerwehrwagens in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der zu erledigenden Arbeit, nämlich das Fahrzeug an den vorgesehenen Abstellplatz zu verbringen, ist die Handlung des Arbeitnehmers im Ergebnis auf die Erledigung betrieblicher Interessen gerichtet. Dazu zählt auch die akustische Warnung anderer Mitarbeiter oder Betriebsfremder vor einer gefahrenträchtigen Situation beim Rangieren mit einem schweren Fahrzeug.
Leitsatz (amtlich)
Der Haftungsausschluss nach § 105 SGB VII entfällt nicht schon dann, wenn ein bestimmtes und für den Gesundheitsschaden ursächliches Handeln - hier die Betätigung des Signalhorns eines Feuerwehrfahrzeuges - gewollt war. Er entfällt nur dann, wenn auch der Gesundheitsschaden - hier Tinnitus - für den Fall seines Eintritts gewollt war, also mindestens gebilligt, jedenfalls aber in Kauf genommen wurde.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes Nürnberg vom 30.05.2022 - 3 Ca 5672/21 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall.
Der 1970 geborene Kläger und der Beklagte waren Beschäftigte der U... in der Feuerwache der Kaserne in A....
Der Beklagte wollte am 14.08.2018 ein Feuerwehrfahrzeug zurück zum Unterbringungsort auf dem Gelände der Feuerwache bringen. Dazu musste er einen engen Hofeinfahrtsbereich passieren. Dort saßen zwei Feuerwehrleute auf einer Parkbank und der Kläger stand mit dem Rücken zum herannahenden Feuerwehrfahrzeug auf dem Bürgersteig. Er bemerkte das herannahende Fahrzeug nicht. Der Beklagte hielt das Fahrzeug an. Anschließend betätigte er kurz das Signalhorn des Fahrzeuges. Danach setzte er seine Fahrt langsam fort.
Nur der Kläger erlitt durch das Betätigen des Signalhorns einen Gesundheitsschaden. Er begab sich in ärztliche Behandlung. Er war danach mehr als 18 Monate arbeitsunfähig erkrankt.
Die Unfallversicherung Bund und Bahn (UVB) ließ einen Unfallbericht erstellen. In diesem Zusammenhang wurde die Unfallsituation nachgestellt. Nach dem Unfalluntersuchungsbericht vom 23.07.2019 (Bl. 7 ff der Akte) wurde für eine Entfernung von ca. vier Metern von dem Lufthorn ein Spitzenschalldruck von 137 bis 140 dBC gemessen. Ferner wurde ein HNO-Gutachten eingeholt. Das Gutachten vom 12.08.2019 (Bl. 26 ff der Akte) kam zu dem Ergebnis, dass die vom Kläger geltend gemachten Gleichgewichtsstörungen auf dem HNO-ärztlichen Gebiet nicht objektiviert werden könnten, aber eine Zunahme der Hörminderung und ein beidseitiger Tinnitus mit Wahrscheinlichkeit auf den Vorfall vom 14.08.2018 zurückzuführen seien. Ferner wurde eine bereits am 05.04.2017 festgestellte Vorschädigung in Form einer Hochtonsenke festgestellt. Der Unfall wurde als Arbeitsunfall anerkannt.
Mit Bescheid vom 03.01.2019 (Bl. 44 der Akte) wurde ein GdB von 30 anerkannt.
Neben dem Signalhorn verfügt das Fahrzeug über eine Hupe, welche jedoch nicht alleine betätigt werden kann, sondern gleichzeitig das Signalhorn auslöst.
Mit Klage zum Arbeitsgericht Nürnberg begehrte der Kläger Schmerzensgeld, Feststellung der Ersatzpflicht von Folgeschäden und die Erstattung vorgerichtlicher Kosten.
Er trug vor, er habe durch die Betätigung des Signalhorns gesundheitliche Schäden erlitten, an denen er immer noch leide. Auf das Haftungsprivileg des § 105 SGB VII könne sich der Beklagte nicht berufen.
Es liege schon keine betriebliche Tätigkeit vor. Allein aus der Benutzung eines Betriebsmittels könne noch nicht auf eine betriebliche Tätigkeit geschlossen werden. Er vermute, der Beklagte habe ihn durch die Betätigung des Lufthorns erschrecken wollen, also nicht in Ausführung einer betrieblichen Tätigkeit, sondern nur bei Gelegenheit und anlässlich einer solchen gehandelt. Gleiches gelte beispielhaft für einen Polizisten, der ohne Berechtigung einen Warnschuss in die Luft abgebe.
Zum anderen habe der Beklagte jedenfalls bedingt vorsätzlich gehandelt mit der Betätigung des Signalhorns für ca. eine Sekunde. Der Beklagte habe gewusst, dass er keinen Gehörschutz getragen habe, obwohl dieser ausweislich der Dienstvorschriften bei der Überprüfung des Signalhorns getragen werden müsse. Es gebe auch keine Dienstvorschrift, die eine Betätigung des Lufthorns beim Rangieren vorsehe. Gem. §§ 35, 38 StVO sei der Einsatz des Martinshorns nur für bestimmte Fälle zugelassen (Leben retten, Gefahren abwenden, Allgemeinwohl). Somit habe der Beklagte, der als Feuerwehrmann auch gezielt im Einsatz von Warnsignalen geschult sei, einen durch das Signalhorn verursachten Schaden bewusst in Kauf genommen.
Der Kläger beantragte erstinstanzlich:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, wobei der genaue Betrag des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts gestellt wird und hierbei von einem Betrag nicht unter 16.800,00 € ausgegangen werden soll.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle Folgeschäden, welche derzeit noch nicht absehbar sind, wie z.B. Vermögenseinbußen aufgrund Arbeitsunfähigkeit, welche auf das schädigende Ereignis zurückzuführen sind, anzuerkennen, und sämtliche hieraus folgenden materiellen Schäden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
3. Der Beklagte hat überdies die vorgerichtlichen Kosten i.H.v. 1.072,77 € des Klägers zu tragen.
Das Erstgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.05.2022 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass mit dem Betätigen des Signalhorns zur Warnung der umstehenden Personen eine betriebliche Tätigkeit vorgelegen habe. Der Beklagte habe auch weder das Unfallereignis noch den Personenschaden des Klägers vorsätzlich herbeigeführt.
Das Urteil wurde dem Kläger am 02.06.2022 zugestellt. Er legte dagegen am 29.06.2022 Berufung ein und begründete diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 02.09.2022 am 29.08.2022.
Der Kläger trägt in der Berufung vor:
Ein Haftungsausschluss liege nicht vor. Die Betätigung des Signalhorns sei lediglich bei Gelegenheit im Betrieb ausgeübt worden und folglich dem persönlich privaten Bereich des Beklagten zuzurechnen. Dies ergebe sich schon daraus, dass das Betätigen des Signalhorns unter Berücksichtigung der Verkehrsüblichkeit untypisch sei und einen Exzess darstelle. Er, der Kläger, sei völlig unbedarft mit dem Rücken zum Fahrzeug in einem Abstand von vier Metern gestanden. Die Betätigung des Signalhorns sei exzessiv gewesen. Dem Beklagten sei bewusst gewesen, dass er ihn, den Kläger, erschrecken werde. Er sei völlig unbedarft in einer Entfernung von ca. vier Metern mit dem Rücken zum Fahrzeug gestanden und es habe sich um ein Signalhorn der U... mit knapp 140 dB+ gehandelt. Diese Situation sei dem Beklagten klar gewesen. Es sei auch allgemein bekannt, dass ein sehr lauter Ton bei unmittelbarer Einwirkung auf den Körper eine Schädigung des Gehörs verursachen könne.
Der Kläger und Berufungskläger stellt folgende Anträge:
1. Auf die Berufung das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 30.05.2022 nach Maßgabe der folgenden Punkte abzuändern und der Klage stattzugeben.
2. Der Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, an den Kläger und Berufungskläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, wobei der genaue Betrag des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts gestellt wird und hierbei von einem Betrag nicht unter € 16.800,00 ausgegangen werden soll.
3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte und Berufungsbeklagte verpflichtet ist, dem Kläger und Berufungskläger alle Folgeschäden, welche derzeit noch nicht absehbar sind, wie z.B. Vermögenseinbußen auf Grund Arbeitsunfähigkeit, welche auf das schädigende Ereignis zurückzuführen sind, anzuerkennen, und sämtliche hieraus folgende materiellen Schäden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
4. Der Beklagte und Berufungsbeklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.
Der Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt:
1. Die Berufung wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger und Berufungskläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Beklagte trägt in der Berufung vor:
Die Betätigung des Signalhorns sei betrieblich veranlasst gewesen. Das Erstgericht habe zutreffend festgestellt, dass es zur Warnung der umstehenden Personen diente ebenso wie das Bewegen des schweren Fahrzeugs selbst. Es habe sich nicht um einen Schabernack gehandelt, sondern um das angemessene und erforderliche Mittel, um vor einer Gefahrensituation zu warnen.
In der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2022 führt der Kläger dazu noch aus, dass es einer Warnung für ihn nicht bedurft hätte, da er an einem Fahrzeug gelehnt hätte und der Beklagte ihn gar nicht hätte anfahren können.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen. Ferner wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung des Klägers vom 29.08.2022 und die Berufungserwiderung vom 13.09.2022.