LAG Baden-Württemberg Urteil vom 13.10.2021 - 21 Sa 13/21
Entscheidungsstichwort (Thema)
Untergang von Freistellungstagen nach MTV Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden. Aufleben des tariflichen Zusatzgeldes bei Untergang der Freistellungstage. Ausschlussfrist von sechs Monaten ab Fälligkeit des wiederaufgelebten Zahlungsanspruchs
Leitsatz (amtlich)
1. Können die gem. § 7.14.3 Manteltarifvertrag Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden festgelegten Freistellungstage aus personenbedingten Gründen auf Seiten des Arbeitnehmers (z. B. Krankheit) von diesem nicht genommen werden, geht der Freistellungsanspruch im Umfang der Verhinderung endgültig unter. An seine Stelle tritt im Umfang der Verhinderung (wieder) der Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers auf tarifliches Zusatzgeld gem. § 2.2.1 Tarifvertrag zum tariflichen Zusatzgeld (T-ZUG) Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg.
2. Der (wiederaufgelebte) Zahlungsanspruch auf tarifliches Zusatzgeld gem. § 2.2.1 T-ZUG unterliegt der Ausschlussfrist des § 18.1.2 Manteltarifvertrag Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden.
Normenkette
MTV Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden § 7.14.3, § 18.1.2; TV T-ZUG Metall- und Elektroindustrie BW - Tarifgebiete Nordwürttemberg/Nordbaden, Südwürttemberg-Hohenzollern und Südbaden § 2.2.1; ArbGG § 66 Abs. 1; BUrlG § 9; ZPO § 97 Abs. 1
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 02.12.2020 - Az: 5 Ca 151/20 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger tarifvertragliches Zusatzgeld für den Zeitraum 27. Mai bis einschließlich 7. Juni 2019 zu zahlen.
Der im Jahre 1964 geborene Kläger ist von Beruf Werkzeugmachermeister und bei der Beklagten seit 1. Juli 1993 beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht beendet und der Kläger derzeit als Meister im Werkzeugbau bei der Beklagten zu einem monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von ca. 6.700,00 € (EG 13 des Entgeltrahmentarifvertrags für Beschäftigte im Tarifgebiet Nordwürttemberg/Nordbaden/Südwürttemberg-Hohenzollern und Südbaden in der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg) tätig. Zwischen den Parteien besteht ein schriftlicher Arbeitsvertrag, den beide Parteien nicht vorgelegt haben.
Die Beklagte stellt Komponenten für Abgastechnik her und vertreibt diese. An ihrem Betriebsstandort in A., an dem der Kläger tätig ist, beschäftigt sie derzeit inklusive Auszubildende, Arbeitnehmer in Altersteilzeit und ruhenden Arbeitsverhältnissen etwa 842 Mitarbeiter. Für diesen Betrieb ist ein Betriebsrat gewählt.
Die Beklagte schloss mit dem Betriebsrat am 20. Dezember 2018 eine Betriebsvereinbarung gem. § 7.14.5 ÄTV zum MTV und TVLeiZ über die Kompensation in Anspruch genommener Freistellungstage gem. § 7.14.1 ÄTV zum MTV und TVLeiZ (im Weiteren: BV) ab. Diese BV enthält u. a. folgende Regelungen:
"....
§1 Zielsetzung
Betriebsrat und Geschäftsführung der F. B. GmbH & sind sich einig darüber, dass es den Beschäftigten der F. B. GmbH & Co.KG ermöglicht werden soll, bei Vorliegen der gem. § 7.14. MTV tarifvertraglich definierten Voraussetzungen die gem. § 7.14.3 MTV mögliche Freistellung in Anspruch zu nehmen.
Um den hierdurch voraussichtlich entstehenden zusätzlichen Kapazitätsbedarf auszugleichen (Kompensation) wird vorliegende Vereinbarung getroffen.
§2 Geltungsbereich
1. Diese Betriebsvereinbarung gilt räumlich für alle Betriebe der F. B. GmbH & Co. KG, A..
2. Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Arbeitnehmer i.S.d. §5 BetrVG (nachfolgend "Beschäftigte") des Betriebes der F. B. GmbH & Co.KG, A. (im folgenden "Arbeitgeber").
§3 Beantragung des Freistellungsanspruchs
Soweit ein Beschäftigter eine Umwandlung der T-Zug Zahlung in Freistellungstage wirksam beantragt hat, gelten nachfolgende Regelungen zur Gewährung der Freistellungstage im Einzelfall:
Grundsätzlich müssen die beanspruchten T-ZUG-Freistellungstage im Rahmen der normalen Urlaubsplanung nach der Betriebsvereinbarung zum Urlaub, die üblicherweise bis Ende Februar eines Jahres abgeschlossen wird, gemeldet werden. Anträge, die nicht bis zu dem in dieser BV festgelegten Abgabedatum gestellt werden, können aus Planungsgründen durch den Arbeitgeber abgelehnt werden.
Beschäftigte, die gem. § 7.14.1 MTV die Anspruchsvoraussetzungen im Bereich der Pflege erfüllen, sollen ihre T-ZUG-Freistellungstage im Rahmen der jährlichen Urlaubsplanung / Beantragung einreichen, soweit diese bereits terminierbar sind. Die T-ZUGFreistellungstage sollen hierbei soweit als möglich datumsgenau definiert werden. Können Tage noch nicht datumsgenau geplant werden oder sind später aufgrund unvorhergesehener Pflegenotwendigkeiten auftretende Terminverschiebungen notwendig, so sind die Anträge bzw. Änderungsmitteilungen so früh wie möglich dem Arbeitgeber vorzulegen.
- Der Arbeitgeber wird den Anträgen auf T-ZUG-Freistellungsanträgen zustimmen, sofern die hier vereinbarten Regelungen eingehalten sind und der Gewährung der T-ZUG-Freistellungstage keine dringenden betrieblichen Belange entgegenstehen.
- Die üblicherweise für den Sommerurlaub vorgesehenen 10 aufeinanderfolgenden Urlaubstage nach der jeweils gültigen Betriebsvereinbarung zum Urlaub sind unabhängig von der T-ZUG-Freistellung zu planen, d.h. sie können nicht durch TZUG-Freistellungstage ersetzt werden.
- T-ZUG-Jahr ist Kalenderjahr, d.h. die für ein Kalenderjahr bestehenden Ansprüche auf T-ZUGFreistellung können nur von Januar bis Dezember des jeweiligen Jahres genommen werden. Ansprüche auf T-ZUG-Tage verfallen bei Nichtbeantragung, wenn keine persönlichen Gründe vorliegen.
..."
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten dieser BV wird vollinhaltlich auf Bl. 79 bis 82 der Akten-ArbG verwiesen. Der Kläger beantragte bei der Beklagten mit Schreiben vom 2. Juli 2018 (vgl. Einzelheiten Bl. 40 der Akten-ArbG) die Umwandlung des tariflichen Zusatzgeldes gem. § 2.2.1 des Tarifvertrages für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg in den Tarifgebieten Nordwürttemberg/Nordbaden, Südwürttemberg-Hohenzollern und Südbaden (im Weiteren: TV T-ZuG) gem. § 7.14.1 MTV; die Beklagte stimmte diesem Antrag zu. Mit Schreiben vom 7. März 2019 (vgl. Einzelheiten Bl. 41 der Akten-ArbG) beantragte der Kläger anschließend die Nahme der Freistellungstage für den Zeitraum 27. Mai bis 29. Mai 2019 und für den 3. bis 7. Juni 2019, was acht Arbeitstagen entsprach. Diesem Antrag gab die Beklagte am 7. März 2019 statt. Ab 24. Mai 2019 erkrankte der Kläger arbeitsunfähig für ca. einen Monat. Im Jahre 2019 war der Kläger nicht mehr als insgesamt einen Monat arbeitsunfähig erkrankt. Im September 2019 sprach der Kläger bei der Personalabteilung der Beklagten vor und fragte dort nach, inwieweit er die Freistellungstage im Hinblick auf seine Arbeitsunfähigkeitszeiten im beantragten und bewilligten Zeitraum noch nehmen könne. Ihm wurde von Seiten der Beklagten mitgeteilt, dass diese verfallen seien. Einen erneuten konkreten Antrag auf Nahme von Freistellungstagen in einem bestimmten Zeitraum in 2019 stellte der Kläger anschließend nicht mehr. Mit Schreiben vom 19. Februar 2020 an die Beklagte machten die außergerichtlichen Bevollmächtigten des Klägers die Zahlung des tariflichen Zusatzgeldes gem. § 2.2.1 TV T-Zug für das Jahr 2019 in Höhe von 1.839,73 € brutto geltend (vgl. Einzelheiten Bl. 12 und 13 der Akten-ArbG). Die Beklagte reagierte auf dieses Schreiben des Klägers innerhalb der von ihm gesetzten Frist und auch danach nicht. Mit Schreiben vom 2. April 2020, das beim Arbeitsgericht Pforzheim am 6. April 2020 in Telekopie einging (vgl. gerichtlicher Eingangsstempel Bl. 1 der Akten-ArbG) erhob der Kläger Klage auf Zahlung von tariflichen Zusatzgeld gem. § 2.2.1 TV T-Zug.
Betreffend den erstinstanzlich streitigen Vortrag der Parteien wird gem. § 69 Abs. 3 Satz 2 ArbGG auf den vollständigen und zutreffend wiedergegebenen streitigen Tatbestand des mit der Berufung angegriffenen Urteils des Arbeitsgerichts vom 2. Dezember 2020 (Seiten 4 bis 11 dieses Urteils, Bl. 139 bis 146 der Akten-ArbG) einschließlich der dort enthaltenen Bezugnahme auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat den zuletzt vom Kläger gestellten Antrag,
die Beklagte zu verurteilen, 1.799,28 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 19.02.2020 an den Kläger zu zahlen,
abgewiesen und ist insoweit dem Klagabweisungsantrag der Beklagten gefolgt.
Das Arbeitsgericht führt hierzu aus, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der TV T-Zug sowie die entsprechenden Regelungen des MTV Anwendung fänden, was unabhängig von der Frage, ob der Kläger eine zwingende tarifliche Bindung auf Grund beidseitiger Mitgliedschaft in den tarifschließenden Parteien nachgewiesen habe, der Fall sei, da die Beklagte diese tarifvertraglichen Regelungen auf das Arbeitsverhältnis des Klägers, sowie auf alle bei ihr bestehenden Arbeitsverhältnisse anwende. Die Beklagte habe dem Kläger entsprechend dessen Antrag auf Freistellung nach § 7.14 MTV Schichtbeschäftigten bewilligt und die Leistung aus dieser tarifvertraglichen Vorschrift entsprechend gewährt. Auch die BV bei der Beklagten regle die Gewährung der entsprechenden Leistungen an alle ihre Arbeitnehmer, soweit die persönlichen Voraussetzungen vorlägen. Die entsprechenden tariflichen Regelungen seien daher zumindest auf Grund betrieblicher Übung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar, weshalb dahingestellt bleiben könne, wofür ebenfalls viel spreche, dass auch eine zwingende Tarifbindung im Sinne des Tarifvertragsgesetzes bestehe. Die Anwendung der entsprechenden Vorschriften sei jedenfalls Vertragsinhalt des Arbeitsverhältnisses der Parteien geworden. Das Arbeitsgericht schließe sich im Übrigen den Erwägungen des Arbeitsgerichts Würzburg in dessen Urteil vom 23. Januar 2020 (Az: 11 Ca 1119/19) an und verweise zur Vermeidung von Wiederholungen auf dessen Entscheidungsgründe. Ergänzend sei auszuführen, dass der Zahlungsanspruch des Klägers gem. § 2.2.1 TV T-Zug untergegangen sei, da die Beklagte dem Kläger gem. § 7.14.1 MTV die Möglichkeit gegeben habe, statt des tariflichen Zusatzgeldes eine bezahlte Freistellung in Anspruch zu nehmen. Mit Bewilligung des Antrags des Klägers habe sich dessen Zahlungsanspruch in einen Freistellungsanspruch umgewandelt. Dieser Freistellungsanspruch sei durch Gewährung in natura erfüllt worden bzw. mit Zeitablauf als solcher untergegangen. Der Freistellungsanspruch bestehe insoweit auch nicht als solcher fort, sondern sei durch die erfolgte Gewährung erloschen. Der Zahlungsanspruch bestehe auch nicht im Hinblick auf § 7.14.3 MTV. Diese tarifliche Regelung sei nicht als Regelung für den Fall nachträglich eintretender Arbeitsunfähigkeit während des bereits bewilligten Freistellungszeitraums anzuwenden. Auch spreche die Tarifsystematik gegen die vom Kläger für richtig erachtete Auslegung. Nach der Vorstellung der Tarifvertragsparteien habe der Normalfall zunächst die Zahlung der Zulage sein sollen. Die Tarifvertragsparteien hätten jedoch grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, die Verpflichtung zur Zahlung dieser Zulage in einen Freistellungsanspruch umzuwandeln, wenn bestimmte Voraussetzungen, wie vorliegend die vom Kläger durchgeführte Schichtarbeit, vorlägen. Mit der einvernehmlichen Umwandlung habe sich die Rechtsnatur des Anspruchs von einem auf Zahlung gerichteten Anspruch auf einen Freistellungsanspruch geändert. Dieser Anspruch werde grundsätzlich durch die Freistellung, also durch die Nichterbringung der Arbeitsleistung an den vereinbarten Tagen, realisiert. Wenn die Tarifvertragsparteien ein Wiederaufleben des Zahlungsanspruchs gewollt hätten, wenn die tatsächliche Arbeitsleistung an diesen Tagen "auch" wegen anderer Ursachen, nämlich Arbeitsunfähigkeit, nicht erbracht worden sei, hätte dies einer ausdrücklichen Regelung, wie etwa in § 9 BUrlG, bedurft. § 17.14.3 Abs. 4 MTV enthalte keine ausdrückliche Regelung, welche einem Verbrauch des Freistellungsanspruchs bei gleichzeitiger Arbeitsunfähigkeit entgegenstehe. Diese Norm sei dahingehend auszulegen, dass damit klargestellt werde, dass auch bei dauernder Arbeitsunfähigkeit ein Zahlungsanspruch bestehen bleibe. In diesem Falle komme die Umwandlung in einen Freistellungsanspruch von vornherein nicht in Betracht. Gleichwohl bleibe der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld bestehen. Etwas Anderes gelte jedoch, soweit die Parteien bereits einvernehmlich die Umwandlung des Zahlungsanspruches in einen Freistellungsanspruch vereinbart hätten. In diesem Falle besteht der Zahlungsanspruch im Falle einer nachträglich eintretenden Arbeitsunfähigkeit nicht, da der Freistellungsanspruch als solcher grundsätzlich gewährt werden könne. Hätten die Tarifvertragsparteien eine Regelung dahingehend gewollt, dass im Falle der nachträglich eintretenden Arbeitsunfähigkeit der Freistellungsanspruch nicht untergehe, wäre es nach Sinn und Zweck der Regelung näher gelegen, den Freistellungsanspruch als solchen fortbestehen zu lassen und die Gewährung zu einem späteren Zeitpunkt zu ermöglichen. Dies hätten die Tarifvertragsparteien jedoch nicht vereinbart.
Gegen diese, dem Kläger am 11. Januar 2021 zugestellte Entscheidung des Arbeitsgerichts (vgl. EB Bl. 155 der Akten-ArbG), richtet sich seine am 9. Februar 2021 in Telekopie und am 10. Februar 2021 im Original beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg mit Schriftsatz einer Verbandsvertreterin im Sinne des § 11 Abs. 4 Satz 2, Abs. 2 Nr. 4 ArbGG eingegangene Berufung (vgl. gerichtliche Eingangsstempel Bl. 1 und 3 der Akten), die er mit am 11. Mai 2021 in Telekopie und am 14. Mai 2021 im Original eingegangenen Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten (vgl. gerichtliche Eingangsstempel Bl. 33 und 45 der Akten) begründet hat. Zuvor war ihm auf seinen am 11. März 2021 in Telekopie und am 12. März 2021 im Original beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten (vgl. gerichtliche Eingangsstempel Bl. 27, 28 der Akten) seine Berufungsbegründungsfrist durch gerichtliche Verfügung vom 12. März 2021 bis einschließlich 11. Mai 2021 verlängert worden (vgl. gerichtliche Verfügung, Bl. 32 der Akten).
Der Kläger führt zweitinstanzlich im Wesentlichen aus,
allein durch die Freistellungserklärung der Beklagten auf den Antrag des Klägers sei dessen Anspruch auf Freistellung nach § 7.14 MTV nicht erfüllt worden. Erfüllung sei auch nicht dadurch eingetreten, dass der Kläger in den Freistellungstagen der Arbeit ferngeblieben sei, da er an sämtlichen streitgegenständlichen Freistellungstagen nachweislich arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Inwiefern die Gewährung von Freistellungstagen während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit möglich sei, müsse durch die Auslegung der Tarifvorschriften selbst beantwortet werden. Unter Berücksichtigung des Tarifwortlauts, dem wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien und dem tariflichen Gesamtzusammenhang folge, dass eine Erfüllung des Freistellungsanspruchs ausnahmsweise dann ausgeschlossen sei, wenn der Arbeitnehmer nach zeitlicher Festlegung der Freistellung in diesem Zeitraum arbeitsunfähig erkranke. Die Schaffung der beiden Sonderzahlungen an die Arbeitnehmer gem. dem TV T-Zug solle ein Äquivalent zu einer Tariferhöhung darstellen, welche allen Beschäftigten gewährt würde. Der Sonderfall der Umwandlung solle nach dem Sinn der Regelung nur solchen Arbeitnehmern zustehen, welche u. a. einen erhöhten Erholungsbedarf hätten. Die Regelung der Freistellung mache nur dann Sinn, wenn einem Arbeitnehmer, der seine beantragte Freistellung nicht realisieren könne, stattdessen sein früherer Anspruch auf Bezahlung des TV T-Zug wieder erwachse. Der Zahlungsanspruch gehe insoweit nicht unter. Vielmehr hätten die Tarifvertragsparteien in § 7.14.3 Abs. 6 MTV eine zu § 9 BUrlG entsprechende Regelung getroffen, die den Fall einer personenbedingten Unmöglichkeit der Inanspruchnahme der bewilligten Freistellungstage als Störfall so regle, dass im Umfang der nicht realisierten Freistellungstage der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld gem. § 2.2.1 TV T-Zug bestehe bzw. wiederauflebe. Der Anspruch des Klägers auf Nahme von Freistellungstagen sei bis zum 31. Dezember 2019 hingegen realisierbar gewesen, was die Beklagte dem Kläger jedoch rechtsirrig verweigert habe. Dies folge aus dem Umstand, dass das tarifliche Zusatzgeldjahr das Kalenderjahr sei. Die Grundlage der Berechnung des tariflichen Zusatzgeldes seien danach die Vergütungen des Klägers in den Kalendermonaten Oktober bis einschließlich Dezember 2019. Insoweit sei auch der Anspruch des Klägers auf Zahlung des Zusatzgelds mit Forderungsschreiben der IG Metall vom 19. Februar 2020 rechtzeitig unter Beachtung der Ausschlussfrist des § 18 MTV geltend gemacht worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 02.12.2020, Az: 5 Ca 151/20, dahingehend abzuändern, dass die Beklagte verurteilt werde, 1.799,28 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.02.2020 an den Kläger zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt zweitinstanzlich noch vor,
in § 14 MTV sei keine dem § 9 BUrlG vergleichbare Regelung enthalten. Es bestünden deshalb keine Nachgewährungs- oder Abgeltungsansprüche für Freistellungstage, die der Arbeitnehmer auf Grund von Arbeitsunfähigkeit nicht habe tatsächlich nehmen können. Ob die Freistellungstage zur Erholung, zur Erledigung privater Angelegenheiten oder für andere Zwecke vom Arbeitnehmer genutzt werde, hätten die Tarifvertragsparteien nicht festgelegt. Deshalb sei auch nicht erkennbar, dass der Erholungszweck für den Arbeitnehmer garantiert werden solle. Vielmehr sei davon auszugehen, dass dem Arbeitnehmer bei einem Freistellungsanspruch das Risiko der Nutzungsmöglichkeit übertragen werde. Abweichungen müssten eindeutig geregelt sein. Sinn und Zweck der Regelung des MTV sei es, einer bestimmten Personengruppe die Möglichkeit der Freistellung statt einer Einmalzahlung zu gewähren. Daraus ergebe sich hingegen nicht, dass es Zweck des Tarifvertrages sei, den Mitarbeitern eine Erholung durch diese Freistellungstage zu garantieren. Eine konkrete Nutzung der Freistellungstage werde im Tarifvertrag gar nicht erwähnt. Die Situation bei Freistellung aufgrund zuvor geleisteter Überstunden sei damit vergleichbar. In beiden Fällen sei das Prinzip der Monokausalität im Falle von Erkrankungen, die zur Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers führten, anzuwenden. Soweit der Kläger sich auf § 7.14.3 Abs. 4 MTV berufe ergäbe bereits dessen Formulierung und dessen Zweck, dass diese auf den Fall einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers an den bereits bewilligten Freistellungstagen keine Anwendung finde. Diese Norm gewähre nur dann einen Anspruch auf tarifliches Zusatzgeld, wenn eine Freistellung aus personenbedingten Gründen vom Arbeitnehmer erst gar nicht beantragt werden könne.
Selbst wenn man der Meinung des Klägers folge seien seine angeblichen Zahlungsansprüche im Hinblick auf § 18 MTV verwirkt. Er stütze diese Zahlungsansprüche auf § 7.14.3 Abs. 4 MTV, der bereits seinem Wortlaut nach festlege, dass die Freistellungstage mit Eintritt der personenbedingten Gründe untergehe und stattdessen der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld wieder entstehe. Die Freistellung des Klägers hätte im Mai und Juni 2019 erfolgen sollen. Danach wäre, folge man der Meinung des Klägers, ein Anspruch auf Zahlung mit Ablauf des 7. Juni 2019, spätestens jedoch am Fälligkeitsdatum der Zahlung des Zusatzgeldes gem. TV T-Zug am 31. Juli 2019 entstanden. Hingegen habe der Kläger erst mit Schreiben vom 19. Februar 2020 eine Zahlung gefordert. Bestritten werde vorsorglich auch weiterhin die Höhe des geltend gemachten Zahlungsanspruchs, die der Kläger fälschlicherweise auf seine Vergütungen in den Lohnmonaten Oktober bis einschließlich Dezember 2019 gründe. Bestritten werde auch weiterhin eine originäre Tarifbindung zwischen den Parteien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gem. den §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 520, 313 Abs. 1 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der zwischen den Parteien zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vor der Kammer in erster und in zweiter Instanz Bezug genommen.