FG Hamburg Urteil vom 20.10.2017 - 2 K 4/17
Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnsteuer: Besteuerung der unentgeltlichen Überlassung eines Dienstwagens an Gesellschafter-Geschäftsführer
Leitsatz (amtlich)
1. Über die Frage, ob und welches betriebliche Fahrzeug dem Arbeitnehmer ausdrücklich oder zumindest konkludent auch zu privaten Nutzung überlassen ist, entscheidet das FG unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; es gilt kein Beweis des ersten Anscheins für eine private Nutzung.
2. Die unentgeltliche oder verbilligte Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung führt unabhängig davon, ob und in welchem Umfang der Arbeitnehmer den betrieblichen Pkw tatsächlich privat nutzt, zu einem lohnsteuerlichen Vorteil.
Normenkette
EStG § 8 Abs. 2, § 19 Abs. 1, § 38 Abs. 1, 3, § 41a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 42d Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Haftungsinanspruchnahme im Hinblick auf Kfz-Sachwertbezüge an zwei ihrer Gesellschafter-Geschäftsführer.
Die Klägerin wurde am ... 2002 gegründet. Gesellschafter-Geschäftsführer sind Herr A und Herr B. In dem zwischen der Klägerin und Herrn B am ... 2003 geschlossenen Geschäftsführervertrag war unter Ziff. 4 (Dienstwagen) Folgendes vereinbart:
Als Geschäftsführer steht Herrn B ab Ende Januar zur Erfüllung seines dienstlichen Auftrages ein Kraftfahrzeug zur Verfügung.
Es wird davon ausgegangen, dass das Fahrzeug von Herrn B ausschließlich für geschäftliche Zwecke genutzt wird. Zum Nachweis wird Herr B ein Fahrtenbuch führen. Sollte sich dabei herausstellen, dass ein merkbarer Anteil der Fahrten privaten Nutzungszwecken dient, werden diese entsprechend den steuerlichen Vorschriften als Sachbezug abgerechnet.
Der mit Herrn A am ... 2002 abgeschlossene Geschäftsführervertrag enthielt keine Bestimmung bzgl. eines Dienstwagens.
Am 4. Juli 2012 erwarb die Klägerin ein gebrauchtes Fahrzeug-1 der Marke Y (Modell ..., Erstzulassung am 23. März 2007), das Herrn A als Firmenfahrzeug zur Verfügung gestellt wurde, und am 28. Dezember 2011 ein gebrauchtes Fahrzeug-2 der Marke Z (Modell ..., Erstzulassung am 29. März 2011), das Herrn B als Firmenfahrzeug überlassen wurde.
In den Lohnsteueranmeldungen für 2013 setzte die Klägerin durchgehend nur einen Sachbezug für die Privatnutzung des Firmenfahrzeugs durch Herrn A in Höhe von ... € monatlich an.
Das Finanzamt Hamburg-1 führte bei der Klägerin eine Lohnsteuer-Außenprüfung für die Anmeldungszeiträume Januar 2010 bis September 2014 durch. Der Prüfer kam zu dem Ergebnis, dass für die geldwerten Vorteile in Form der unentgeltlichen Nutzung der Firmenfahrzeuge durch die Geschäftsführer Lohnsteuer festzusetzen sei. Für Herrn A legte der Prüfer den Bruttolistenpreises des Fahrzeugs-1 nach der Schwacke-Liste in Höhe von ... € zu Grunde und errechnete einen monatlichen Sachbezug in Höhe von ... €. Abzüglich des bereits von der Klägerin berücksichtigten Sachbezugs von ... € ermittelte er einen zusätzlichen geldwerten Vorteil für 2013 in Höhe von ... €. Für Herrn B belief sich der nach Auffassung des Prüfers nachzuversteuernde geldwerte Vorteil für 2013 auf ... € (monatlich 1 % des Bruttolistenpreises des Fahrzeugs-2 nach der Schwacke-Liste in Höhe von ... €). Des Weiteren sah der Prüfer die von der Klägerin an die beiden Geschäftsführer gezahlten Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung als steuerpflichtigen Arbeitslohn an.
Das Finanzamt erließ am 29. April 2016 einen Haftungsbescheid, in dem es die Klägerin für die Lohnsteuer und sonstigen Lohnabzugsbeträge für die Zeit von Januar 2010 bis September 2014 in Höhe von insgesamt ... € in Haftung nahm. Zur Begründung führte das FA aus, dass die Voraussetzungen des § 42d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllt seien; die Klägerin hafte für die Lohnsteuer, weil sie diese in unzutreffender Höhe einbehalten und abgeführt habe. Da kein Haftungsausschluss vorliege, werde die Klägerin anstelle des Arbeitnehmers in Anspruch genommen. Die Inanspruchnahme sei nicht unbillig, zumal die Klägerin sich damit einverstanden erklärt habe. Den Prüfungsbericht vom 15. April 2016 über die Lohnsteuer-Außenprüfung fügte das Finanzamt dem Bescheid bei.
Hiergegen legte die Klägerin am 31. Mai 2016 Einspruch ein, den sie trotz entsprechender Aufforderung nicht begründete.
Mit Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 2016 wies das Finanzamt Hamburg-1 den Einspruch als unbegründet zurück.
Nach Abschnitt. XVI Abs. 1 der Anordnung über die Zuständigkeit der Finanzämter (ZAO) in der geänderten Fassung vom 13. Juni 2016 (Amtlicher Anzeiger Nr. 55 vom 12. Juli 2016, S. 1197) ging die Zuständigkeit für die Verwaltung der Lohnsteuer einschließlich der lohnsteuerlichen Haftungsverfahren u. a. vom Finanzamt Hamburg-1 mit Wirkung zum 16. August 2016 auf den Beklagten über.
Die Klägerin hat am 31. August 2016 Klage gegen das Finanzamt Hamburg-1 erhoben.
Sie trägt vor, dass die Lebensgefährtin des Herrn A über einen ... (Fahrzeug-3) verfügt habe, der als Familienwagen genutzt worden sei, so dass kaum Bedarf für eine private Nutzung des Firmenfahrzeugs bestanden habe. Zudem habe sich der von Herrn A betreute Geschäftsbereich erheblich verändert. Er habe ein Fahrzeug benötigt, mit dem er sowohl Ware habe transportieren als auch einen einigermaßen adäquaten "Auftritt" eines Beratungsunternehmens habe gewährleisten können. Das Firmenfahrzeug sei extrem geräumig und verfüge über eine Anhängerkupplung und Dachträgersysteme sowie über einen Gasbetrieb, was ein sehr wirtschaftliches Fortkommen ermöglicht habe. Herr A habe ausschließlich mit diesem Fahrzeug in den Jahren 2012 und 2013 folgende Außenlager mit Waren, Werbematerial und Mustern versorgt: C, D, E, F, G, H und J bei M. In den Monaten Juli bis Dezember 2012 sei ein Fahrtenbuch als Nachweis des privaten Nutzungsanteils geführt worden. Hieraus ergäben sich folgende private Nutzungsanteile:
Juli 2012: |
11 % |
August 2012: |
8 % |
September 2012: |
26 % |
Oktober 2012: |
10 % |
November 2012: |
0 % |
Dezember 2012: |
0 % |
Aufgrund dieser Aufstellung sei ein monatlicher geldwerter Vorteil in Höhe von ... € ermittelt worden.
Herr B habe das ihm überlassene Firmenfahrzeug ausschließlich für betriebliche Fahrten genutzt und sei regelmäßig mit seinem privaten Fahrzeug zur damaligen Geschäftsadresse in die X-Straße gefahren. Dieses Vorgehen sei bei früheren Prüfungen nie beanstandet worden. Der Sachbezug des Herrn A sei folglich durch den bisherigen Ansatz abgegolten. Für Herrn B sei kein Sachbezug zu berücksichtigen.
Die Klägerin beantragt,
den Haftungsbescheid vom 29. April 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 2016 dahingehend zu ändern, dass die Lohnsteuerhaftungssumme insoweit gemindert wird, als sie auf einen geldwerten Vorteil in Höhe von ... € entfällt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, dass die Klägerin während der Lohnsteuer-Außenprüfung die Fragen zur Berechnung der Kfz-Sachbezüge, der laufenden privaten Kfz-Kosten und der vorgenommenen Fahrzeugwechsel nicht beantwortet und Fahrtenbücher über den gesamten Prüfungszeitraum nicht vorgelegt habe. Aus Vereinfachungsgründen seien schließlich zugunsten der Klägerin nur Kfz-Sachbezüge für das Kalenderjahr 2013 angesetzt worden, ausgehend von den beiden unstreitig genutzten Fahrzeugen.
Den Gesellschafter-Geschäftsführern hätten während des gesamten Prüfungszeitraums jeweils verschiedene Firmenfahrzeuge zur Verfügung gestanden. Dennoch habe die Klägerin eine private Kfz-Nutzung für lohnsteuerliche Zwecke nur für einen Geschäftsführer und dies nur unregelmäßig und in nicht nachvollziehbarer Höhe angesetzt.
Nach allgemeiner Lebenserfahrung würden Firmenfahrzeuge, die grundsätzlich zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Hierfür spreche nach der Rechtsprechung des BFH der Beweis des ersten Anscheins. Für den Geschäftsführer A habe die Klägerin die private Mitbenutzung in der Klagebegründung auch eingeräumt und diese in der Vergangenheit steht berücksichtigt und lohnversteuert. Soweit die Klägerin vortrage, dass Herr A in der Zeit von Juli bis Dezember 2012 ein Fahrtenbuch geführt habe, sei dieses nicht vorgelegt worden. Hieraus ergebe sich selbst nach dem Vortrag der Klägerin aber eine private Mitbenutzung.
In Bezug auf Herrn B sei ebenfalls von einer privaten Mitbenutzung des ihm überlassenen Firmenfahrzeugs auszugehen. So schließe der mit ihm geschlossene Geschäftsführervertrag diese Möglichkeit nicht aus, sondern gehe vielmehr sogar von einer geringfügigen Privatnutzung aus. Der nach dem verpflichtend zu führenden Fahrtenbuch zu ermittelnde Privatanteil habe danach für steuerliche Zwecke als Sachbezug abgerechnet werden sollen. Dies sei jedoch nicht geschehen.
Der Beweis des ersten Anscheins werde durch die bloße Behauptung, es hätten private Fahrzeuge für privat veranlasste Fahrten zur Verfügung gestanden, nicht erschüttert. Die Klägerin habe das Vorhandensein privater Fahrzeuge auch nicht nachgewiesen. Zudem erscheine das von Herrn B nach seiner Behauptung privat genutzte Fahrzeug der Marke ... hinsichtlich seines Gebrauchswerte nicht mit dem von ihm genutzten Firmenwagen (Fahrzeug-2), einem ..., also einem Kombi, vergleichbar. Könne die private Mitbenutzung des Firmenwagens, und sei es nur durch die vereinzelte Nutzung dieses geräumigen Fahrzeugs für etwaige Transportfahrten, jedoch nicht ausgeschlossen werden, sei weiterhin von einer privaten Mitbenutzung auszugehen. Mangels geführten Fahrtenbuches müsse es auch aus diesem Grund beim Ansatz der pauschalierenden 1 %-Regel bleiben.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 30. November 2016 mitgeteilt, dass er die Klägerin nicht mehr vertrete.
Der vormals mit dem Verfahren befasste 3. Senat hat dieses an den für den Beklagten zuständigen 2. Senat am 28. Dezember 2016 abgegeben, welchem die Vorsitzende des 2. Senats am 2. Januar 2017 zugestimmt hat. Mit Beschluss vom 11. September 2017 hat der 2. Senat den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 20. Oktober 2017 wird Bezug genommen.
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